Die EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann fordert einen möglichst
raschen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Der Krieg in Afghanistan
sei "auch nach den weitesten Maßstäben der Evangelischen Kirche in
Deutschland so nicht zu rechtfertigen", sagte Käßmann der "Hannoverschen
Allgemeinen Zeitung" (Ausgabe vom 24. Dez.). Die deutschen Soldaten
sollten deshalb "möglichst bald" abgezogen werden. Einen Abzug der
Militärseelsorger als Zeichen der Kirche lehnte sie jedoch ab. Mit den
Seelsorgern werde kein "Krieg abgesegnet", sondern es würden Menschen
begleitet. Es sei aber "zum Verzweifeln", dass in der
Afghanistan-Auseinandersetzung "wieder einmal das Militärische den
Vorrang" bekommen habe vor allen anderen Mitteln, meinte Käßmann. So
müsste beispielsweise der Waffen- und Drogenhandel, der den Terror
finanziere, unterbrochen werden. Auch mit den Taliban müsse man
Gespräche wagen.
In einem Beitrag für die "Neue Presse" in Hannover schreibt Käßmann,
dass Frieden - also die zentrale Weihnachtsbotschaft - noch immer nicht
überall Realität ist, dass es allein seit Ende des Zweiten Weltkrieges
mehr als 230 Kriege gegeben habe und immer noch Kriege stattfänden. "Was
in Afghanistan passiert, können wir nicht beschönigen, dort herrscht
Krieg", dort gebe es "Unrecht und Gewalt". Sie hätte sich gewünscht,
"den zivilen Möglichkeiten absoluten Vorrang beim Aufbau von Frieden zu
geben". Die EKD-Vorsitzende: "Krieg und Gewalt dürfen niemals Normalität
werden."
Zitate aus dem Interview mit Margot Käßmann:
"Jahrelang wurde verdrängt, was tatsächlich in Afghanistan geschieht.
Da wurde gesagt, dass deutsche Soldaten in erster Linie beim Aufbau
helfen. Doch jetzt kommt uns endlich zu Bewusstsein, dass es auch Tote
gibt, wenn deutsche Soldaten zu Auseinandersetzungen ins Ausland gehen --
und dass im Krieg auch immer Zivilisten zu Opfern werden."
"Wir brauchen eine klare Exit-Strategie."
"Möglichst bald sollten die deutschen Soldaten aus Afghanistan abgezogen
werden. Allerdings kann der Rückzug nicht völlig überhastet stattfinden,
weil man jetzt über die akut eingetretene Situation in Kundus
erschrocken ist, sondern es muss über eine ruhige und geordnete Form des
Rückzugs nachgedacht werden. Reden müssen wir aber auch über die Frage,
wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass Deutschland nach den USA und
Großbritannien die drittstärkste externe Militärmacht ist im Rahmen der
Eingreiftruppe Isaf."
"Was ist das eigentliche Ziel des deutschen Einsatzes in Afghanistan?
Das bleibt doch die entscheidende Frage. Unser Eindruck ist, dass der
Vorrang für zivile Konfliktbewältigung, die wir als Kirchen immer wieder
eingefordert haben, letztendlich nicht umgesetzt wird. Es ist wieder
einmal das Militärische, das den Vorrang bekommt -- das ist doch zum
Verzweifeln."
"Friedenssicherung ohne Waffen, etwa durch Mediation, durch Unterbrechen
der Finanzströme durch eine Beendigung des Waffen- und Drogenhandels,
der den Terror finanziert. Mir geht es darum, dass wir endlich auch Wege
debattieren und finanzieren, wie Frieden ohne Waffen geschaffen werden
kann."
"Natürlich ist es leicht zu sagen, mit einem Talibankämpfer kann man
nicht verhandeln, und dann alle weiteren Versuche einfach zu
unterlassen. Aber die Geschichte bisheriger Afghanistan-Interventionen
zeigt, dass dieses Land allein mit Waffen auch nicht zu "befrieden" ist.
Sie können Terror letztlich nicht mit Waffen besiegen, aber Sie können
Finanzierungsquellen unterbinden und Gespräche wagen. Die Akzeptanz in
der Bevölkerung für einen friedlichen Neuanfang können Sie ohnehin nur
mit friedlichen Mitteln herstellen."
"Mir ist wichtig, dass die Pastorinnen und Pastoren, die
Auslandseinsätze begleiten, Seelsorger für die Soldaten sind. Das heißt:
Hier wird kein Krieg abgesegnet, sondern es werden Menschen begleitet.
Das haben wir auch mit den Militärseelsorgern so besprochen. Ich gehöre
zu denen, die große Mühe haben zu akzeptieren, dass deutsche Soldaten
außerhalb des Landes, der Nato, eingesetzt werden. Aber ich stehe dazu,
dass unsere evangelische Kirche sagt, wir begleiten die Menschen und
lassen sie auch dort nicht allein."
Quelle: Auszüge aus einem Interview mit der EKD-Ratsvorsitzenden Margot
Käßmann in der Hannoverschen Allgemeinen vom 24. Dezember 2009.
Auszug aus einem Gastbeitrag von Margot Käßmann in der "Neuen
Presse" Hannover:
Der weihnachtliche Weg, Frieden zu schaffen, hat immer die
Verwundbarkeit als Grundlage. Das hätte für Afghanistan ganz konkret
bedeutet, den zivilen Möglichkeiten absoluten Vorrang beim Aufbau von
Frieden zu geben. Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein, haben die
Kirchen 1948 weltweit erklärt. Daran will ich festhalten. Krieg und
Gewalt dürfen niemals Normalität werden. Da lasse ich mich lieber als
naiv belächeln. Naiv ist doch auch der Gedanke, dass Gott sich der
Gewalt beugt und am Kreuz stirbt. Kaum ein Bild in der Weltgeschichte
aber hat nachhaltiger gewirkt als dieser verletzbare, sterbende Mann am
Kreuz. Weil wir glauben, dass er zeigt: die Verletzbarkeit, das Leiden,
der Tod, sie haben nicht das letzte Wort, deshalb wird die
Geburtsgeschichte des Jesus von Nazareth so interessant.
Mir macht diese alte Geschichte, die der Evangelist Lukas von der Geburt
in Bethlehem erzählt, immer wieder Mut, gegen die scheinbare Logik der
Gewalt anzutreten. Das bedeutet, im Kleinen -- in der Familie, unter
Kollegen und Freunden, im Alltag -- auf Gewalt jeder Art zu verzichten.
Und da geht es auch um verbale Gewalt, Erniedrigung, Mobbing. Und es
bedeutet, die Kriege dieser Welt anzuprangern. Auch die Tatsache, dass
Deutschland auf den unwürdigen dritten Platz der Rüstungsexporteure
dieser Welt aufgerückt ist.
Das Kind in der Krippe, der Sohn Gottes, wird später in der Bergpredigt
sagen: "Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich
besitzen" und "Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes
Kinder heißen". Da schreibt er fort, was die Engel sagen: Friede auf
Erden.
Aus: "Machen wir es wie Gott!" - Essay von Margot Käßmann. In: Neue
Presse Hannover, 24. Dezember 2009