Jan van Aken (LINKE): Das Mandat muss weg, und der Krieg muss jetzt aufhören. (Zuruf von der CDU/CSU: Menschenverachtend!)
Eine erregte Debatte im Deutschen Bundestag über den Afghanistan-Krieg - Die "aktuelle Stunde" mit 12 Reden im Wortlaut
Am 16. Dezember 2009 hat sich der Bundestag erneut mit dem Einsatz der deutschen Streitkräfte in Afghanistan beschäftigt. Auf Antrag der Koalitionsfraktionen wurde in einer Aktuellen Stunde über das Thema beraten. Im Mittelpunkt der emotional aufgeladenen Debatte stand der vom Bundeswehr-Oberst Georg Klein angeordnete Luftschlag gegen zwei von Taliban entführte Tanklastwagen, bei dem am 4. September bis zu 142 Menschen getötet wurden. Während die Opposition im Handeln der Bundesregierung eine Verschleierungstaktik erkannte, warf die Regierung vor allem der SPD vor, sich aus der Verantwortung stehlen zu wollen.
Dies sei ein Grund für die Beantragung der Aktuellen Stunde durch die Koalition gewesen, erklärte Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Die deutsche Öffentlichkeit müsse erfahren, dass sich die Opposition aus ihrer Verantwortung in Sachen Afghanistan stehlen wolle.
Im Folgenden dokumentieren wir die "Aktuelle Stunde" im Wortlaut laut amtlichem Protokoll des Bundestags.
Hierzu noch eine Bemerkung: Von den 12 Rednerinnen und Rednern der Aktuellen Stunde kamen sieben aus der Regierungskoalition, dagegen nur fünf aus den Oppositionsfraktionen. Unter parlamentarischer Kontrolle der Regierung kann man sich durchaus etwas anderes vorstellen.
Es sprachen in dieser Reihenfolge:
Deutscher Bundestag - Stenografischer Bericht
11. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 16. Dezember 2009
- Plenarprotokoll 17/11 - (Seite 835-850)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
der FDP
Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner
das Wort dem Kollegen Dr. Andreas Schockenhoff
für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Der Minister ist nicht hier!)
Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben
die Aktuelle Stunde beantragt, weil die Bevölkerung
erfahren muss, mit welchem Täuschungsmanöver die
Opposition versucht, sich aus ihrer Mitverantwortung
für den Afghanistan-Einsatz fortzustehlen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch
bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Axel
Troost [DIE LINKE]: Das ist ja wohl die
Höhe! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Man merkt, dass es nahe am
11.11. ist!)
Der größte Teil der Opposition hat erst vor 14 Tagen der
Verlängerung des ISAF-Mandats zugestimmt. Was aber
hat sich in den letzten 14 Tagen geändert, dass Herr
Gabriel jetzt auf einmal davon spricht, möglicherweise
sei ein „Strategiewechsel am Parlament vorbei“ eingeleitet
worden, der darauf ziele, „die Bundeswehr zu einer
Interventionsarmee“ zu machen?
Was sind die Fakten? Das Mandat besagt, dass die
Bundeswehr – ich zitiere – autorisiert ist,
… alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich
der Anwendung militärischer Gewalt zu ergreifen,
um das Mandat …
– gemäß der gültigen VN-Sicherheitsratsresolution –
durchzusetzen.
Herr Steinmeier, „durchzusetzen“ – so ist es unter Ihrer
Federführung formuliert worden.
Was soll laut VN-Resolution durchgesetzt werden?
Da heißt es wörtlich:
Der Sicherheitsrat unterstützt die Anstrengungen,
die ISAF unternimmt, um gegen die von den Taliban
ausgehende Bedrohung anzugehen.
Was anderes heißt das, als dass die Bundeswehr in einem
Kampfeinsatz Aufständische bekämpfen und ausschalten
soll, die die Tanklastwagen gekapert haben und
damit deutsche Soldaten und die afghanische Zivilbevölkerung
bedrohen. Was ist daran eine Interventionsarmee?
Genau diesem Mandat entspricht die Taschenkarte der
Bundeswehr, wenn es zum Stichwort „Verhinderung und
Abwehr von Angriffen“ heißt – ich zitiere –:
Angriffe können zum Beispiel dadurch verhindert
werden, dass gegen Personen vorgegangen wird,
die Angriffe planen, vorbereiten, unterstützen oder
ein sonstiges feindliches Verhalten zeigen.
Das war bekanntlich der Fall.
Über diese Möglichkeit, in einem Kampfeinsatz gegen
als feindlich erkannte Kräfte präventiv vorzugehen
und diese auch zu töten, wurde der Verteidigungsausschuss
im Juli informiert. Die Öffentlichkeit hat es in
den Tageszeitungen vom 28. Juli zum Teil wörtlich erfahren.
Gegen diese Taschenkarte hat weder die SPD
Widerspruch eingelegt – im Gegenteil – noch die Grünen.
Wo ist da der Strategiewechsel am Parlament vorbei?
Dass sich der Einsatz am Kunduz-Fluss nicht nur
gegen die Tanklastwagen, sondern auch gegen die Taliban
richtete, darüber sind die Oppositionsfraktionen am
6. November unterrichtet worden.
Damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Das
Vorgehen am Kunduz-Fluss war letztlich nicht angemessen,
weil es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprach.
Auch das war Ihnen durch die Erklärung von
Minister zu Guttenberg bekannt, bevor Sie dem ISAFEinsatz
vor 14 Tagen zugestimmt haben.
Also, Herr Gabriel, niemand ist getäuscht worden, es
gab keinen Strategiewechsel am Parlament vorbei und
auch keinen Ausbau der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee.
Aber darum geht es Ihnen ja nicht. Nein, Sie
wollen mit Blick auf die Landtagswahlen in Nordrhein-
Westfalen so schnell wie möglich die Verantwortung für
den Bundeswehreinsatz loswerden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Sie haben sich vor 14 Tagen noch nicht getraut, sich
aus Ihrer Verantwortung zu stehlen, weil das Mandat und
die dazugehörigen Regelungen unverändert verlängert
wurden. Jetzt suchen Sie nach Vorwänden, die Bundesregierung
zu diskreditieren, um am Ende sagen zu können:
So nicht! In Wirklichkeit aber diskreditieren Sie die
Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten,
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Eine Unverschämtheit!)
die täglich, wie wir gehört haben, auch heute wieder, ihr
Leben für die Sicherheit unseres Landes riskieren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wenn es dafür noch eines Beweises bedurfte hätte,
dann ist es die unsägliche Äußerung von Ihnen, Herr
Arnold, am Montag in der Berliner Zeitung. Auf die
Frage, ob der Bundestag den Afghanistan-Einsatz beenden
sollte, haben Sie, Herr Arnold, gesagt – ich zitiere –:
Hätten wir den Eindruck, die Truppe … stellt sich
gegen die Politik, dann hätten wir eine andere Situation.
Dafür habe ich keine harten Indizien.
Aber vage Indizien deuten Sie unterschwellig an. Wenn
Sie welche haben, Herr Arnold, dann müssen Sie sie
heute auf den Tisch legen. Wenn nicht, dann nehmen Sie
die ungeheuerliche Diffamierung unserer Soldatinnen
und Soldaten zurück.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Was Sie hier tun, ist nichts anderes, als mit abwegigen
Äußerungen Misstrauen gegen unsere Soldaten zu schüren.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Fragen Sie
Herrn Schneiderhan!)
Das alles zeigt: Sie wollen nicht aufklären. Nein, Ihnen
ist jedes Mittel recht, um sich aus dem Mandat fortzustehlen.
Das haben unsere Soldaten nicht verdient.
Das schadet der Sicherheit unseres Landes.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollege
Dr. Frank-Walter Steinmeier.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Meine Damen und Herren! Lieber Herr
Schockenhoff, wenn das der Versuch war, den Verteidigungsminister
zu verteidigen, dann ist er gründlich
schiefgegangen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe
von der CDU/CSU: Ah! – Volker Kauder
[CDU/CSU]: Langweiliger Einstieg!)
Ich kann in dieser Situation ja verstehen, dass die Versuchung
groß ist, jetzt Nebelkerzen zu zünden. Sie wollen
am liebsten über Auslandseinsätze im Allgemeinen
und über die Afghanistan-Strategie im Besonderen reden.
Aber, Herr Schockenhoff, um all das geht es jedenfalls
heute nicht. Es geht um eine ganz einfache Frage
– sie lässt sich sogar mit Ja oder Nein beantworten –:
Hat der Verteidigungsminister hier im Parlament die
Wahrheit gesagt oder nicht? Darum geht es. Die Antwort
auf diese Frage, Herr Verteidigungsminister, werden wir
Ihnen nicht erlassen können.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Damit sind wir beim Kern. Herr Minister, Sie haben
hier und auch öffentlich den Eindruck erweckt, der
Staatssekretär und der Generalinspekteur hätten Sie hinsichtlich
des Vorfalls bei Ihrer Amtsübernahme getäuscht.
Das hat mich am Anfang irritiert. Aber spätestens nach
der Berichterstattung vom vergangenen Wochenende
finde ich, dass einige Fragen mit hoher Dringlichkeit auf
dem Tisch liegen: Haben Herr Schneiderhan und Herr
Wichert Ihnen Dokumente vorenthalten, die – und nur
die – zu einer anderen Bewertung des Einsatzes am Kunduz-
Fluss geführt haben? Haben die beiden Sie wirklich
bewusst falsch informiert? Oder – das ist die andere Alternative
–: Haben Sie am 6. November bereits über notwendige
Informationen verfügt? Haben Sie möglicherweise
damals den Einsatz aus ganz anderen Motiven für
angemessen und für notwendig erklärt?
Noch eine andere Sache: Obwohl doch – so habe ich
es jedenfalls gehört – für keinen Verteidigungspolitiker
in der Zeit nach dem 6. November völlig neue Fakten
hinzugekommen sind: Wie erklärt sich Ihr Sinneswandel
nach der Berichterstattung in der Bild-Zeitung und nach
Ihrem Auftritt hier am 3. Dezember? Statt auch nur eine
dieser Fragen konkret zu beantworten, gibt es seit Tagen
nur einen großen Wortbrei. Illner, Jauch, Beckmann –
keine Talkshow ist im Augenblick vor Herrn zu
Guttenberg sicher.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: „Ein Herz für Kinder“ hast du vergessen!)
Aber das Ergebnis bis heute ist: Mit jedem Tag, mit jedem
Auftritt wird die Liste der offenen Fragen, der Widersprüche,
der Ausflüchte und der Ablenkungsversuche
länger.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Mein Rat: Nehmen Sie das, was Zeit Online heute
Morgen schreibt, nicht so leicht:
Schneiderhan bezichtigt Guttenberg der Lüge.
Wichert und Schneiderhan widersprechen, wenn ich das
richtig sehe, nachdrücklich, dass sie Sie bewusst getäuscht
haben, und bestreiten damit im Kern die behaupteten
Entlassungsgründe. Das ist doch nicht irgendetwas:
auf der einen Seite ein erfahrener Staatssekretär, den Sie
zum zweiten Mal in die Verantwortung geholt haben,
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Den Sie rausgeschmissen
haben!)
auf der anderen Seite ein Generalinspekteur mit viel Erfahrung
und hohem Ansehen im Inland und im Ausland.
Deshalb sage ich: Wenn diese beiden, so wie ich gehört
habe, Ihnen geschrieben haben sollen, dass die Gründe,
die Sie für die Entlassung angegeben haben, falsch sind,
dann kann ich Ihnen nur sagen: Holen Sie sich das Einverständnis
der beiden und machen Sie diese Briefe öffentlich!
Das Parlament und die Öffentlichkeit haben einen
Anspruch darauf, zu erfahren, was geschehen ist.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Ich jedenfalls habe inzwischen nachdrückliche Zweifel,
dass es vorsätzlich vorenthaltene Informationen sind, die
Sie am 3. Dezember zu einem Sinneswandel geführt haben.
Ich beziehe mich auf Sie selbst. Sie selbst haben am
6. November davon gesprochen, dass Sie den COMISAFBericht
studiert haben. Sie selbst haben in der Pressekonferenz
erwähnt, dass Sie den Bericht des Roten
Kreuzes gesehen haben. Sie wussten also am 6. November,
dass es Fehler gegeben hat, dass es zivile Opfer gegeben
hat. Trotzdem und unbeeindruckt davon haben Sie
sich öffentlich zur Notwendigkeit und zur Angemessenheit
des Einsatzes bekannt.
Schlimm ist, wie ich finde: Drei Wochen lang haben
Sie sich dafür öffentliches Lob abgeholt. Dann drehte
sich die Berichterstattung, und Sie drehten sich mit. Weil
das kein Mensch erklären konnte, auch Sie nicht, mussten
der Feldjägerbericht und zwei Personen, die jetzt im
Ruhestand sind, dafür herhalten. Wir alle wissen, dass in
diesem Feldjägerbericht nichts Neues und insbesondere
nichts anderes enthalten ist. Das haben Sie indirekt unserem
Vorsitzenden, Sigmar Gabriel, vorgeworfen, als Sie
ihm gesagt haben, Anfang November sei schon alles bekannt
gewesen, in der Geheimschutzstelle einsehbar gewesen.
Aber wenn uns das alles bekannt gewesen sein
soll, dann doch offensichtlich auch Ihnen vor dem
3. Dezember.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Ja. – Sie können diesen Sinneswandel nicht erklären.
Sie sagen es nicht.
Meine Vermutung will ich Ihnen gerne mitteilen: Sie
sind am 6. November, um der Truppe zu gefallen, über
die kritischen Stimmen in diesem Bericht hinweggegangen,
und als der Wind Ihnen ins Gesicht blies, haben Sie
forsch das Gegenteil vertreten. Herr Minister, das ist
Schneidigkeit, aber Schneidigkeit ist keine politische
Haltung, und sie ersetzt auch nicht politische Verantwortung.
Wir stehen zu unserer Verantwortung, wir stehen zu
der Bundeswehr, aber wir wollen vor allen Dingen
Wahrheit.
(Zurufe von der CDU/CSU: Ha!)
– Sie irritieren die Bundeswehr im Augenblick! Sie irritieren
sie!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, ich muss Sie noch einmal auf die Redezeit
hinweisen.
Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Wir wollen vor allen Dingen die Wahrheit. Ihre Aussage
steht gegen die Aussagen von zwei Personen; das
ist nicht ohne Belang, meine Damen und Herren!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Hoff für die
FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Elke Hoff (FDP):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Ich möchte die Gelegenheit nutzen und
dem Soldaten, der heute durch einen Bauchschuss
schwer verwundet wurde und die erste Operation überstanden
hat, dem aber weitere Behandlungen bevorstehen,
von dieser Stelle aus, ich denke, in unser aller Namen,
beste Genesungswünsche ausdrücken, damit sehr
deutlich wird, dass wir an der Seite unserer Soldatinnen
und Soldaten in diesem Einsatz stehen.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der
SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben ebenfalls heute das schärfste Instrument,
das dem Deutschen Bundestag zur Verfügung steht, genutzt
und einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der
all die Fragen, die in den vergangenen Tagen mit Vehemenz
über unsere Bürgerinnen und Bürger hinweggefegt
sind, aufklären soll. Ich kann nur schwer nachvollziehen,
dass wir diesem unserem eigenen Instrument in der Art
und Weise, wie wir es hier heute erlebt haben, vorgreifen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
CDU/CSU)
Die FDP-Bundestagsfraktion hat an vielen Stellen ihren
Willen zur umfassenden und zeitnahen Aufklärung
dargelegt. An den heute gemachten Ausführungen der
Kolleginnen und Kollegen der Opposition können wir
unterschiedliche Motivlagen erkennen: Die einen möchten
wissen, ob die Bundeswehr gezielte Tötungen durchführen
kann. Die anderen möchten wissen, ob der ehemalige
Generalinspekteur und der beamtete Staatssekretär
Dr. Wichert zu Recht entlassen worden sind. Andere
Kollegen möchten gerne den gesamten Afghanistan-Einsatz infrage stellen. Warum können wir als diejenigen,
die vor wenigen Tagen diesen Einsatz erneut mandatiert
haben, nicht abwarten, bis all diese Fragen in unserem
Untersuchungsausschuss geklärt werden?
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Wir haben heute sehr oft gehört, dass wir an der Seite
unserer Soldatinnen und Soldaten stehen. Ich habe mich
in den letzten Tagen häufig gefragt – liebe Kollegen, das
ist eine sehr persönliche Meinung –, wie sich unsere Soldatinnen
und Soldaten in Kunduz und deren Familienangehörige
angesichts der Debatte, die wir hier führen,
fühlen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Unglaublich!)
– Nein, das ist nicht unglaublich; denn in dem Moment,
in dem ich als Mitglied des Deutschen Bundestages diesen
Einsatz mandatiere – –
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Unglaublich! Das ist ungeheuerlich,
was Sie sagen! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das doch
einmal Ihrem Minister! Halten Sie das nicht
der Opposition vor! Da sitzt der Verantwortliche
für die Soldatinnen und Soldaten!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Darf ich um etwas Ruhe und Aufmerksamkeit für die
Rednerin bitten?
Elke Hoff (FDP):
Verehrter Herr Trittin, ich glaube, dass ich hinreichend
zum Ausdruck gebracht habe, dass dies meine
persönliche Meinung dazu ist.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Die darf man
nicht äußern, wenn Herr Trittin da sitzt!)
Ich bin der Auffassung, dass ich, wenn ich als Parlamentarierin
dieses Mandat erteile, auch eine Verantwortung
gegenüber den Soldatinnen und Soldaten und gegenüber
ihren Familien habe.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Fangen Sie einmal mit der Verantwortung
an! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder
[CDU/CSU]: Ruhe im Saal! – Gegenruf des
Abg. Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]:
Haltet die Klappe!)
Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, haben
wir heute unseren Untersuchungsausschuss, der einen
klaren Untersuchungsgegenstand hat, eingesetzt.
Da hier an verschiedenen Stellen die Informationspolitik
bemängelt wird, muss ich auch einmal fragen: Wie
laufen denn die Informationsstränge in den Fraktionen?
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Die dürfen nichts sagen! Das ist geheim!)
Denn die Obleute werden in vielen Punkten umfassend
informiert.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das ist doch geheim, Frau Hoff!)
Heute ist der Eindruck erweckt worden, als ob dies allein
Sache der Bundesregierung wäre, die vernebelt und
keine Informationen geben will. Der Minister hat hier im
Plenum ausdrücklich gesagt, dass er das durchführen
wird.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich hoffe, dass der
erkennbare Wille aller, den Sachverhalt aufzuklären,
(Zurufe von der LINKEN)
dazu führen wird, dass wir im Untersuchungsausschuss
gemeinsam, ernsthaft und mit aller gebotenen Rücksichtnahme
auf die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz
und auf das Ansehen der Bundeswehr dieser Aufgabe
Folge leisten werden.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Jan van Aken für die
Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Jan van Aken (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! In Kunduz ging es nie um die Tanklaster. Es
ging darum, Menschen zu töten. Ich zitiere hier jetzt nur
aus öffentlichen Quellen. Ich habe keinen Grund, an deren
Seriosität zu zweifeln. Kurz vor dem Bombenabwurf
fragten die beiden amerikanischen Piloten fast schon
verzweifelt: Worum geht es denn jetzt? Geht es um die
Tanklaster oder um die Menschen? Darauf gab es eine
ganz klare Antwort aus dem deutschen Lager – ich zitiere
wörtlich –: Wir wollen die Menschen töten. – Kein
Wort von den Tanklastern, und ein paar Minuten später
waren über Hundert Menschen tot.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo steht das
denn? Geben Sie eine Quelle an!)
Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keinen einzigen Angriff
mit deutscher Beteiligung, bei dem so viele Menschen
getötet worden sind.
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Falschbehauptungen!
– Volker Kauder [CDU/CSU]:
Das ist die Unwahrheit, die Sie hier reden!)
„Vernichten“, das ist das Wort, das Oberst Klein dafür
benutzt hat. Bis heute wissen wir immer noch nicht, wie
viele unschuldige Zivilisten dabei zu Tode gekommen
sind.
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]:
Falschbehauptungen!)
Auf jeden Fall waren es sehr, sehr viele.
(Zuruf von der CDU/CSU: Nennen Sie die
Quellen!)
Dann setzt sich Herr zu Guttenberg ins deutsche Fernsehen
und sagt: Wir brauchen eine „notwendige Anpassung
an die Realitäten“. Sie haben hier gar nichts anzupassen.
Herr zu Guttenberg, Sie haben keine Lizenz zum
Töten.
(Beifall bei der LINKEN)
Gezielte Tötung ist nichts anderes als eine Todesstrafe
ohne Gerichtsurteil und ohne Gerichtsverfahren. Das
dürfen Sie nicht.
(Zurufe von der CDU/CSU)
Das Einzige, was Herr zu Guttenberg hat, ist ein Mandat
des Deutschen Bundestages. Dieser Bundestag hat Ihnen
niemals die Erlaubnis zum gezielten Töten gegeben.
(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder
[CDU/CSU]: Das gab es nur in der DDR, nur
an der deutsch-deutschen Grenze! Todesschuss!
Mauer!)
Um es deutlich zu sagen: Das vom Bundestag erteilte
Mandat umfasst nicht das Recht, Zielpersonen unter Anwendung
tödlicher Gewalt wegen einer nur vermuteten
Gefahr gezielt zu liquidieren.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn Sie in den Reihen der CDU/CSU jetzt dagegen
protestieren, dann sage ich Ihnen: Sie sind doch völlig
kriegsblind. Das, was ich eben hier vorgelesen habe,
kommt aus Ihren eigenen Reihen. Der Staatssekretär im
Verteidigungsministerium hat dies vor wenigen Monaten
im Bundestag gesagt. Ich wiederhole:
Das … Mandat umfasst nicht das Recht, Zielpersonen
… gezielt zu liquidieren, …
Das sagte der Staatssekretär im Verteidigungsministerium
hier am 11. Februar dieses Jahres. Das heißt, der
Bombenangriff in Kunduz war illegal und durch kein
Mandat und durch kein Gesetz gedeckt. So weit sind wir
jetzt gekommen.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie von der CDU/CSU, Sie von der FDP, aber auch
Sie von der SPD und den Grünen haben Deutschland in
einen Krieg getrieben, über den Sie nie die Wahrheit gesagt
haben.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie haben immer von Aufbau geredet und meinten den
Krieg. Sie reden von Brunnenbau und verschweigen die
Leichen. Sie alle haben gelogen, und Sie wissen ganz genau,
warum. Denn die ganz große Mehrheit in Deutschland
lehnt diesen Krieg ab.
(Beifall bei der LINKEN)
Selbst vor zwei Wochen, vor dem Desaster, das Sie jetzt
hier angerichtet haben, haben sich gerade einmal
27 Prozent der Deutschen für den Krieg in Afghanistan
ausgesprochen, und das trotz all Ihrer Lügen, all Ihrer
Aufbau- und Schutztruppenrhetorik; da war von Vernichten
noch gar nicht die Rede. Wir wollen keinen
Krieg, wir wollen keine Leichen, und wir wollen nicht
die tagtägliche Zerstörung, die dieser Krieg in Afghanistan
anrichtet.
(Beifall bei der LINKEN)
Es geht jetzt um zwei Dinge:
Erstens. Heben Sie sofort das Mandat für den Afghanistan-
Krieg auf,
(Beifall bei der LINKEN)
das der Bundestag vor zwei Wochen beschlossen hat;
denn noch vor zwei Wochen hat niemand etwas von Vernichtung
gesagt. Das ganze Mandat ist doch unter völlig
falschen Voraussetzungen zustande gekommen.
(Beifall bei der LINKEN)
Deswegen sagen wir: Das Mandat muss weg, und der
Krieg muss jetzt aufhören.
(Zuruf von der CDU/CSU: Menschenverachtend!)
Zweitens muss Frau Merkel endlich erklären, wer
wann die Erlaubnis oder sogar den Befehl zum gezielten
Töten gegeben hat. Ich bitte Sie: Kein Mensch glaubt
doch im Ernst, dass ein deutscher Offizier ohne Absicherung
nach oben Regeln verletzt, Amerikaner belügt und
eigenmächtig handelt, was dazu führt, dass über 100 tote
Menschen auf der Strecke bleiben.
(Beifall bei der LINKEN)
Irgendwer hier in Berlin hat diese Entscheidung irgendwann
getroffen. Alle, die an dieser Entscheidung beteiligt
waren, müssen ihren Hut nehmen. Es kann doch
nicht sein, dass jemand in Deutschland die illegale Tötung
beschließt und danach weiterregiert.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was
reden Sie denn da? So ein Unsinn! –
Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Jetzt
ist es aber langsam gut, Herr Kollege!)
Dazu muss sich Frau Merkel jetzt erklären.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland
keine Waffen mehr exportieren sollte. Gestern konnten
wir lesen: Über 8 Milliarden Euro hat Deutschland im
letzten Jahr am Export von Kriegsgerät verdient. Ich
finde, das sind 8 Milliarden Euro zu viel.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Kollege Schockenhoff, ich hätte mir von Ihnen gewünscht,
dass Sie an dieser Stelle wenigstens eingestehen,
dass in der Regierungserklärung am 8. September
dieses Jahres von der Frau Bundeskanzlerin und in der
anschließenden Debatte vom damals amtierenden Verteidigungsminister
nicht die ganze Wahrheit gesagt wurde.
Sie haben darauf hingewiesen, die Fraktionen seien unterrichtet
worden, dass es auch um die Tötung von Taliban
gegangen sei. Ich empfehle Ihnen: Lesen Sie das
Protokoll der Regierungserklärung. Sie werden feststellen:
Die Darstellung, die in diesem Hause abgegeben
worden ist, lautete: Wir mussten die Tanklastzüge bombardieren,
um eine unmittelbare Gefahr für die Soldaten
im Lager Kunduz abzuwehren. – Meine Damen und
Herren, das war zumindest nicht die ganze Wahrheit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die ganze Wahrheit findet sich im Bericht von Oberst
Klein. Dort heißt es: Es ging darum, an dieser Stelle Taliban
zu vernichten. – Ich sage Ihnen, dass dies mit dem
Mandat, das der Deutsche Bundestag erteilt hat, nicht zu
vereinbaren ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der
LINKEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Das
ist Ihre Sicht! Lesen Sie das Mandat!)
Die NATO – nicht Jürgen Trittin, sondern die NATO –
stellt fest: Es sind essenzielle Regeln verletzt worden.
Herr Klein hätte keine Luftunterstützung anfordern dürfen,
da dies Troops in Contact vorausgesetzt hätte. Die
NATO stellt fest: Diese Voraussetzung war nicht erfüllt.
(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Und das alles geschah auch noch
willentlich!)
Ich kann das fortsetzen: Warum ist die abziehende
Menschenmenge nicht durch vorherigen Tiefflug gewarnt
worden? Ist das Ihr Verständnis davon, wie zivile
Opfer in Afghanistan zu vermeiden sind? Oder ist eine
solche Praxis nicht eher geeignet, die Zahl der zivilen
Opfer in Afghanistan zu erhöhen?
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Wenn das so ist, dann stellt sich die Frage: Was besagen
die ISAF-Regeln? Was ist der Befehl des Oberkommandierenden
dort eigentlich wert, der gesagt hat: „Die
Vermeidung ziviler Opfer hat oberste Priorität. Luftangriffe
sind künftig an sehr enge Voraussetzungen zu
knüpfen“? Wenn die NATO feststellt, dass diese Voraussetzungen
nicht eingehalten worden sind, Sie sich also
nicht an die Regeln gehalten haben, dann haben Sie gegen
die Regeln des ISAF-Mandates verstoßen. Schließlich
wurde nicht etwa von einer Oppositionsfraktion,
sondern in dem Bericht, der diesem Hause vorliegt, festgestellt,
dass der Einsatz am 4. September dieses Jahres
nicht durch das Mandat gedeckt war.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Denn ISAF-Regeln sind rechtsverbindlich und nicht unverbindliche
Handlungsempfehlungen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Deswegen frage ich mich, sehr geehrter Herr Bundesverteidigungsminister:
Wie konnten Sie in Kenntnis dieses
Berichts, in Kenntnis dieser Feststellungen zu dem
Ergebnis kommen, dass der Angriff militärisch angemessen,
ja sogar – wie Sie in der Pressekonferenz erklärt
haben – unabweisbar gewesen sei? Das ist ganz mieser
Stil gewesen, Herr Minister.
Sie können nicht den Obleuten und den Ausschüssen
des Bundestages das Material zur Verfügung stellen, aber
immer unter der Maßgabe, dass man das geheimhalten
muss, und Sie treten dann vor die Presse und erklären
– übrigens in einer Bewertung – das Gegenteil von dem,
was in diesen Berichten steht. Erst nachdem man Sie drei
Mal – ich in diesem Plenum zwei Mal – aufgefordert hat,
Ihre Bewertung endlich zu korrigieren, korrigieren Sie
diese, aber beschimpfen diejenigen, die Sie auf diesen
Fehler hingewiesen haben. Das ist ein Umgang mit dem
Parlament, der ist eines Bundesministers nicht würdig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Die Art und Weise, wie Sie dann – übrigens ohne
Not – hier begründet haben, dass Sie Herrn Wichert und
Herrn Schneiderhan entlassen haben, wirft die nächste
Frage auf. Wenn Sie heute von Herrn Schneiderhan per
Zeit bescheinigt bekommen, dass nach seiner Auffassung
Sie die Unwahrheit sagen, sage ich Ihnen: Das wird
ein sehr spannender Untersuchungsausschuss; denn im
Untersuchungsausschuss geht es nicht zu wie bei
Beckmann,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
im Untersuchungsausschuss ist die Unwahrheit strafbewehrt.
Ich sage Ihnen: Wenn Herr Schneiderhan und
Herr Wichert bei ihrer Aussage bleiben, dann sehe ich
für Ihre Zukunft in diesem Amte erhebliche Probleme
auf Sie zukommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Ich will Ihnen deswegen für Ihre Rede, die wir jetzt
hören werden, ein Zitat von Herrn Schneiderhan mit auf
den Weg geben. Er hat zu seiner Verabschiedung
Konfuzius zitiert: Der Schüler fragt den Meister: Was ist
sittliches Verhalten? Der Meister antwortet: Wer sich
durch sittliches Verhalten auszeichnet, wählt seine Worte
mit Bedacht. Der Schüler fragt weiter: Mit Bedacht reden,
das soll sittliches Verhalten sein? Der Meister antwortet
mit einer Gegenfrage: Das Handeln ist so schwierig; darf da das Reden unbedacht sein? – Ich würde mir
bei Ihnen mehr Konfuzius wünschen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das war
nicht Konfuzius, das war Konfusion!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung,
Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister
der Verteidigung:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Trittin, „mieser Stil“ soll das also sein. Ich
frage mich, wie unsere Soldatinnen und Soldaten den
Stil der heutigen Debatte empfinden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Ulrich Kelber [SPD]: Es geht um Sie! – Weitere
Zurufe von der SPD, der LINKEN und
dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Wort hat der
Minister.
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister
der Verteidigung:
Ich frage mich, was unsere Soldatinnen und Soldaten
empfinden, wenn Sie an einem Tag, wo ein Soldat
schwer verwundet in Kunduz liegt, wo ein weiterer Soldat
offenbar verletzt wurde, wo Soldaten im Gefecht
sind, mit solchem Gebrüll antworten und lediglich innenpolitische
Gefechte abfeiern. Das entspricht überhaupt
nicht dem erforderlichen Niveau, meine Herren!
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch
bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Unsere Soldaten hätten Verständnis dafür, dass wir
hier Debatten führen, wie man für Rechtssicherheit sorgen
kann. Unsere Soldaten hätten Verständnis dafür,
dass wir, wenn wir über das Thema, wie man in Afghanistan
– –
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sie sollten sich schämen, die Soldaten
zu Ihren Personenschützern zu machen!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Bundesminister, darf ich Sie kurz unterbrechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen ernsten
Sachverhalt zu diskutieren.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Auf dem Rücken der Soldaten zieht er
seine Nummer ab!)
Da kann von jedem Mitglied dieses Hauses, Frau Kollegin
Künast, erwartet werden, dass wir uns gegenseitig
zuhören.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Volker Kauder [CDU/CSU]: Eine Klamauktruppe
seid ihr! Schämen sollt ihr euch!)
Herr Minister, bitte.
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister
der Verteidigung:
Frau Künast, unsere Soldaten haben eines, was Sie ihnen
gerade offensichtlich nicht zugestehen, nämlich ein
hohes Anstandsempfinden. Ich glaube, das darf das Parlament
in einer Debatte auch widerspiegeln.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir
reden hier über Krieg! – Weitere Zurufe von
der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN)
Unsere Soldaten haben den Anspruch darauf, dass wir
die Lage in Afghanistan auch unter Berücksichtigung
des Punktes Rechtssicherheit und der Frage, wie es einem
Soldaten im Felde geht, der im Gefechte stand, diskutieren.
Wenn man dies vor dem Hohen Hause anspricht,
das den Namen „Hohes Haus“ zu Recht trägt,
(Zuruf von der SPD: Kommen Sie zum
Thema!)
und dann plötzlich nichts weiter als wüstes Geschrei von
Ihren Seiten ausbricht, dann werden Sie damit Ihrer Verantwortung
gegenüber den Soldaten nicht gerecht. Das
darf ich an dieser Stelle auch noch einmal sagen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch
bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Heute stehen hier einmal mehr zwei wesentliche
Punkte im Raum.
(Zuruf von der SPD: Was sollen die Soldaten
von so einem Minister halten?)
Herr Trittin und Herr Steinmeier, die Sie gesprochen haben:
Sich in der letzten Woche und am Wochenende hinzustellen
und zu beklagen, man würde nur stückchenweise
über das eine oder das andere informiert werden,
ist schon bemerkenswert.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ihr habt das nicht gemacht!)
Die Welle der Empörung dürfte Sie in dieser Hinsicht eigentlich
selbst treffen, da Sie seit spätestens 3. November
2009 über all das informiert waren, was Sie da beklagt
haben.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das behaupten Sie! – Jürgen Trittin
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausweislich
des Bundestagsprotokolls habe ich hier schon
darüber gesprochen!)
Einige von Ihnen waren sogar schon früher informiert.
(Zuruf von der CDU/CSU: Herr Arnold!)
– Sie nennen gerade Herrn Arnold. Herr Arnold hat, wie
man hört, beispielsweise schon am 8. September 2009
über gewisse Dinge, die gerade auch in der letzten Woche
laut beklagt wurden, gesprochen.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch geheim! Darüber dürfen
Sie doch gar nichts sagen!)
– Er kann sich ja gleich selbst dazu äußern. – In der Sitzung
des Verteidigungsausschusses – übrigens der ersten
nach dem Luftschlag – sollen bestimmte Kollegen gesagt
haben – Herr Arnold weiß sicher, von wem ich rede;
ich höre das –, dass das Ziel des Luftschlags durchaus
auch darin bestanden habe, die sich im Umfeld der Laster
aufhaltenden Terroristen zu treffen – hört! hört! –, die
sicher kein illegitimes Ziel seien.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus was zitieren Sie gerade eigentlich?)
Ich darf das wiederholen: die sicher kein illegitimes Ziel
seien.
(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Aha!)
Ich wiederhole: Man hört, das sei im Verteidigungsausschuss
am 8. September 2009 gesagt worden.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war geheim! Da schicke ich doch
gleich einen Staatsanwalt!)
Manchmal muss man der Erinnerung auch ein Stück
weit nachhelfen, wenn Sie sich so äußern wie in diesen
Tagen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Ulrich Kelber [SPD]: Sie zitieren absichtlich
unvollständig! – Weiterer Zuruf von der SPD:
Was sagen Sie denn zu Steinmeier? Er hat
auch gesprochen! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN]: Herr Minister, warum
kam diese Auffassung weder in der Rede von
Herrn Jung noch in der Rede von Frau Merkel
zum Ausdruck? Warum war das nicht in der
Regierungserklärung? Können Sie das erklären?
Warum wurde dazu nichts gesagt?)
Die Fraktionsvorsitzenden – Herr Trittin, Sie selbst
wollten am 6. November 2009 ja nicht kommen – wurden
vom Bundesverteidigungsministerium auch darüber
informiert,
(Zuruf von der SPD: Was ist eigentlich mit der
Regierungserklärung?)
was der COMISAF-Bericht aussagt, dass nämlich auch
die Taliban ein Teil der gezielten Bekämpfung waren
und dass es nicht nur um die Tanklaster ging, dass die
gezielte Bekämpfung also gegen die Tanklaster und die
Taliban gerichtet war. Das war am 6. November 2009.
Herr Trittin, Sie wollten nicht selbst kommen und haben
einen Vertreter geschickt. Man darf zumindest annehmen,
dass er Sie über die Dinge unterrichtet hat, die er
dort hörte.
(Sigmar Gabriel [SPD]: Nebelkerzen! –
Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Kanzlerin hat uns dann hier
belogen, oder was? – Jürgen Trittin [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie einmal etwas
zu dem 27. November 2009!)
Ich komme zu den personellen Konsequenzen, weil
sie von einigen angesprochen worden sind. Ich habe
mehrfach darauf hingewiesen, dass mir Dokumente, Berichte
und Informationen zum Vorfall in Kunduz vorenthalten
wurden.
(Thomas Oppermann [SPD]: Welche, Herr
Guttenberg?)
Das ist unbestritten.
(Thomas Oppermann [SPD]: Das war alles in
dem Bericht! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Listen Sie die einmal auf!)
Das wird auch – jetzt wird es interessant; hören Sie einmal
zu, Herr Oppermann – in dem Brief von General
Schneiderhan an mich festgestellt,
(Thomas Oppermann [SPD]: Er sagt aber noch
etwas anderes! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN]: Post- und Fernmeldegeheimnis!)
in dem er mich bittet, Herr Oppermann, ihn von seinen
Dienstpflichten zu entbinden, da er die Verantwortung
dafür übernehme, dass mir diese Informationen nicht
vorgelegt wurden.
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hört!
Hört!)
Für die Trennung bedarf es keiner weiteren Gründe.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Thomas Oppermann [SPD]: Der Beifall wird
immer schwächer! – Ulrich Kelber [SPD]: Zitieren
Sie den Brief von Herrn Schneiderhan
von gestern! – Sigmar Gabriel [SPD]: Sie zitieren
den falschen Brief, Herr Kollege! Zitieren
Sie den letzten Brief!)
Auf ein anderes Niveau in der Debatte, das man derzeit
erlebt, werde ich mich mit Sicherheit nicht einlassen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich darf gleichzeitig noch auf eine Frage eingehen,
nämlich ob Informationen wesentlich oder unwesentlich
sind.
(Sigmar Gabriel [SPD]: Verdammt wenig Mut
für einen Verteidigungsminister!)
In einem so entscheidenden Fall der Geschichte der Bundeswehr
hat der Bundesminister in der Frage, welche Information
wesentlich oder unwesentlich gewesen sein
mag,
(Zuruf von der SPD: Komische Wertung am
Anfang!)
schon noch selbst das Recht, zu entscheiden, was wesentlich
und was unwesentlich ist, statt jemanden danach
fragen zu müssen, ob er denn Einsicht in gewisse Akten
nehmen darf. Wo kämen wir denn da hin?
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der FDP)
In diesem Zusammenhang wird manches, was heute
mit großem Gedöns vorgestellt wurde, auch im Untersuchungsausschuss
eine Rolle spielen dürfen und müssen.
Ich habe diesen Untersuchungsausschuss von Anfang an
befürwortet, ebenso wie ich alle mir vorliegenden Dokumente
dem Parlament zur Verfügung gestellt habe und
solche, die als geheim eingestuft waren, sogar herabgestuft
habe, sofern ich das selbst konnte – das hat es in
dem Sinne auch noch nicht gegeben –, damit im Parlament
damit anständig umgegangen werden kann. Ob Sie
damit anständig umgehen, ist noch eine andere Frage.
Das hat mit Anstand relativ wenig zu tun.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Der feine Herr als Anstandsdame! – Renate
Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihnen
steigt der Adel zu Kopf, aber der ist schon
abgeschafft!)
Ich habe immer gesagt, dass ich den Untersuchungsausschuss
befürworte. Ich halte ihn für ein angemessenes
und auch für ein würdiges Gremium, diese Fragen zu
behandeln. Einen Vorgeschmack darauf, wie dieses Gremium
von einigen eingeschätzt wird, konnte ich allerdings
bereits am gestrigen Abend und heute bekommen.
Gestern Abend erreichte mich eine Aufforderung der
SPD-Fraktion, heute im Verteidigungsausschuss einen
umfassenden Bericht über die Ereignisse am 3. und
4. September 2009 anlässlich des Bombenabwurfs auf
zwei Tanklastzüge und die daraus resultierenden Entscheidungen
des Einsatzführungskommandos und des
Bundesministeriums der Verteidigung abzugeben. Der
Bericht sei dringend erforderlich für die Beratungen im
Verteidigungsausschuss.
Diese Aufforderung erfolgte vor der Einrichtung des
Untersuchungsausschusses. Das gibt mir einen Hinweis
darauf und setzt Sie dem Verdacht aus, dass es Ihnen bei
dem Untersuchungsausschuss nicht um Aufklärung und
Information geht, sondern dass Sie nahe am politischen
Klamauk sind, wenn Sie den Untersuchungsausschuss
schon im Vorfeld so abwerten wollen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der FDP)
Herr Arnold, dazu können Sie auch Stellung nehmen.
Das ist nicht würdig. Es ist nahe am Klamauk.
(Ulrich Kelber [SPD]: Sie hätten noch mal mit
Herrn Schockenhoff reden sollen!)
Es geht bei allen Fragen, die wir hier behandeln, nicht
lediglich um die eine oder andere Spitzfindigkeit, sondern
um existenzielle Fragen, die Leben und Tod unserer
Soldaten berühren.
(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN)
Wenn wir dieses Niveau in solchen Fragen halten, dann
tragen Sie die Debatte auch künftig auf dem Rücken der
Soldaten aus, und dieses Niveau gibt niemand anders als
Sie vor.
Herzlichen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und
der FDP – Zurufe von der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unverschämtheit!
– Zuruf von der SPD: Das ist deutscher
Korpsgeist!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Arnold für die
SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Rainer Arnold (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben nicht den Minister der Verteidigung gehört,
sondern wir haben gerade den Minister für Selbstverteidigung
ertragen müssen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Herr zu Guttenberg, wer es mit der Bundeswehr wirklich
gut meint, wer es mit der Verantwortung für die Soldaten
ernst meint, der sorgt dafür, dass die deutsche Öffentlichkeit
und das Parlament wahrhaftig, korrekt und
lückenlos über die Arbeit der Soldaten informiert werden.
Das ist es, was die Soldaten brauchen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Seit dem 5. September erleben wir nicht nur Salamitaktik,
sondern auch Halbwahrheiten. Ein Minister
musste deshalb schon zurücktreten. Der nächste Minister
macht in dieser Kette eindeutig weiter.
Herr Minister, mich macht es wirklich fassungslos,
wie Sie die ernste Situation des verwundeten deutschen
Soldaten – unsere Gedanken sind bei ihm; das haben wir
schon im Verteidigungsausschuss gesagt – hier einbeziehen
und so tun, als ob wir diejenigen sind, die Belehrungen
bräuchten, wie man mit der Bundeswehr umgeht.
Ich sage Ihnen: Die Truppe sehnt sich nach dem letzten
sozialdemokratischen Verteidigungsminister Peter Struck.
Da war sie in guten Händen.
(Beifall bei der SPD)
Herr Minister, Sie stellen sich nicht vor die Soldaten,
sondern verstecken sich mit Ihrer heutigen Rede hinter
den Soldaten. Das haben sie wirklich nicht verdient.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Die Kette der Vernebelungen ging in Ihrer Rede weiter.
Warum erklären Sie der deutschen Öffentlichkeit
nicht ganz einfach, Herr zu Guttenberg – Sie haben den
Bericht gelesen –, weshalb Sie zu dieser desolaten Fehleinschätzung kamen? Sagen Sie es einfach! Dann haben Sie sich korrigiert, erklären aber nicht, warum Sie sich korrigiert haben. Sie lassen sich in Talkshows feiern und
holen den Applaus dafür ab, dass Sie jemand sind, der
dazulernt. Ich glaube, wir alle können dazulernen. Das
ist unsere Aufgabe als Abgeordnete. Aber schäbig ist,
dass Sie nicht bereit sind, die Verantwortung für Ihren
Irrtum zu übernehmen, sondern die Verantwortung dem
Generalinspekteur und dem entlassenen Staatssekretär
zuschieben. Das ist ein unanständiges Verhalten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nun wäre es wirklich an der Zeit, dass Sie die Vorgänge
klären. Legen Sie doch den Brief des Generalinspekteurs,
in dem er sich darüber beklagt, wie Sie mit ihm
umgegangen sind, der Öffentlichkeit und dem Verteidigungsausschuss
vor! Wir werden im Untersuchungsausschuss
sowieso die Möglichkeit haben, Einblick in den
Brief zu nehmen.
Herr Minister zu Guttenberg, wir haben die Sorge,
dass Sie diesem Amt, wenn Sie so weitermachen, nicht
wirklich gewachsen sind.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/
CSU)
Mir klingt noch ein bisschen in den Ohren, was Herr
Schockenhoff und andere gesagt haben und was auch Sie
mir vorgeworfen haben. Herr zu Guttenberg, Sie bringen
mich in Verbindung mit einem angeblichen Zitat aus der
Sitzung des Verteidigungsausschusses am 8. September.
Bitte nehmen Sie das zurück! Ich werde Ihnen im Verteidigungsausschuss
eine lange Kette von Presseveröffentlichungen,
Statements, Interviews und Aussagen meiner
Arbeitsgruppe vorlegen – ich bin mit dieser Haltung
nicht alleine; alle Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag
haben von Anfang an diese Position vertreten –,
an der Sie erkennen können, dass meine Arbeitsgruppe
bereits am 8. September in der Diskussion im Verteidigungsausschuss
damit begonnen hat, sehr kritisch und
reflektierend über die Fehler in der besagten Nacht zu reden;
das ist notwendig. Das haben wir die ganze Zeit getan.
Wir mussten unsere Auffassung eben nicht ändern.
Das ist der große Unterschied.
(Beifall bei der SPD)
Hören Sie also damit auf! Das ist nichts anderes als eine
Verleumdung, wenn Sie das so stehen lassen. Das lassen
wir Ihnen nicht durchgehen.
Nun gibt es die großen Befürchtungen, die Sozialdemokraten
würden sich vom Acker machen; Herr Schockenhoff hat das ganz locker dahergesagt. Nein, wir bleiben bei unserer Verantwortung für die Menschen in
Afghanistan, denen wir versprochen haben, beim Aufbau
ihres Landes zu helfen. Wir bleiben auch bei unserer
Verantwortung für die Sicherheitsinteressen der Welt in
dieser Region. Davon werden uns Minister, die ihrer Arbeit
nicht gewachsen sind, selbstverständlich nicht abbringen.
(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Pfui! – Ungeheuerlich!)
Aber dazu gehören wird, dass wir Minister, die Fehler
begehen, hier im Deutschen Bundestag politisch stellen
und sie drängen, ihrer politischen Verantwortung persönlich
nachzukommen. Nur darum geht es bei dieser Debatte.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer Stinner
für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Dr. Rainer Stinner (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Für mich beginnt gerade die dritte Periode im Deutschen
Bundestag, und ich habe diese Zeit in den Ausschüssen
für Verteidigung und Auswärtiges verbracht. Ich habe es
immer als besonders angenehm empfunden, dass trotz aller
Streitereien und Kritik, die wir hatten – wir waren bis
vor einigen Wochen in der Opposition; einige aus der damaligen
Regierung werden sich daran zum Teil schmerzhaft
erinnern –, dass es trotz dieser Konfliktsituation, die
es zwischen Opposition und Regierung geben muss, doch
immer einen Konsens gegeben hat, nämlich den Konsens,
dass wir gemeinsam – zumindest vier Fraktionen – außen-
und sicherheitspolitische Verantwortung für dieses
Land tragen, und den Konsens darüber, dass ein Instrument
dieser gemeinsamen Verantwortung unsere deutsche
Bundeswehr ist. Wenn ich die Debatten in den letzten
Wochen und Tagen betrachte, dann habe ich die große
Befürchtung, dass dieser Konsens am Zerbrechen ist.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie verdrehen
die Tatsachen!)
Die Gefahr ist, dass dieser Konsens zerbricht, weil Sie
bereit sind, aus kleinkarierten innenpolitischen Motiven
Kollateralschäden in Kauf zu nehmen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wenn diese Kollateralschäden uns betreffen würden,
dann könnten wir damit leben. Wir sind das gewohnt,
dafür werden wir bezahlt, das ist unser Job. Aber Sie alle
wissen – auch Sie sind bei den Soldaten in diesen Wochen;
das weiß ich –, welche verheerende Auswirkung
die Art der Debatte – nicht das, was wir diskutieren – auf
unsere Soldaten im In- und Ausland hat. Das wird uns
täglich und wöchentlich bei unseren Besuchen in den
Kasernen mitgeteilt. Das ist der Kollateralschaden, den
Sie zu verantworten haben.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ursache und
Wirkung nicht verwechseln!)
Es hat ohne jeden Zweifel am 4. September einen
ganz gravierenden Vorfall gegeben. Wir, auch der Minister,
räumen ein, dass es Fehler gegeben hat. Es ist unsere
Aufgabe, aus diesen Fehlern zu lernen. Sie aber beschäftigen sich nicht mit einem einzigen Wort damit, welche
Konsequenzen wir aus den Vorfällen des 4. September
ziehen müssen: neue Einsatzregeln, bessere Bewaffnung,
bessere Kommunikation, andere Soldaten, mehr
Soldaten, was auch immer. Nein, darüber reden Sie mit
keiner einzigen Silbe, weil Sie dieses Thema benutzen
wollen, um kleinkarierte innenpolitische Münze zu
schlagen. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Das
machen wir sehr deutlich.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Die Grünen sind ohnehin schon über den Fluss gegangen,
weil die meisten der Meinung waren, dass schon
heute keine Soldaten mehr in Kunduz und in Afghanistan
stehen sollten; denn Sie haben am 3. Dezember den
Antrag abgelehnt. Wer am 3. Dezember hier ablehnt,
muss wissen, dass heute kein deutscher Soldat mehr in
Afghanistan wäre, wenn Sie Recht bekommen hätten.
Das ist die Tatsache.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Blödsinn!)
– Selbstverständlich ist das so. – Das Mandat ist am 14.
ausgelaufen. Wir haben heute den 16. Wenn Sie Recht
bekommen hätten, wäre jetzt kein deutscher Soldat mehr
in Kunduz vorhanden. Was das für die Bevölkerung bedeuten
würde, können Sie sich selber einmal klarmachen.
Sie sind also echt schon abgedriftet.
Aber was ich sehr bedenklich finde, ist, wie sich die
SPD einlässt, insbesondere ehemalige Mitglieder der
Bundesregierung, die bis vor vier Wochen Verantwortung
für dieses Land getragen haben, wie sich diese
heute hier darstellen und davonstehlen wollen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörg
van Essen [FDP]: Ja! – Dr. Frank-Walter
Steinmeier [SPD]: Nix da! So kommen Sie da
nicht raus!)
Es wird wider besseres Wissen insinuiert, es gäbe einen
Strategiewechsel. Herr Steinmeier, Sie waren der Außenminister,
Sie hätten einen Strategiewechsel einleiten
können. Sie haben eine Aufklärungspflicht auch gegenüber
denen in Ihren Reihen, die das bis zum heutigen
Tage behaupten, und müssen das klarstellen.
(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie haben
doch meine Rede eben gehört!)
Dieser Verpflichtung kommen Sie eindeutig nicht nach.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Auch Ihr verteidigungspolitischer Sprecher, Herr Arnold,
müsste es besser wissen. Herr Arnold, wir haben vier
Jahre lang gemeinsam um die Anpassung der Taschenkarte
an die Realität gerungen. Es war nie die Rede von
Strategiewechsel, sondern von Anpassung an die Realität.
Es gab keine einzige Veränderung der Rules of Engagement.
Das wissen Sie genauso gut wie ich. Sie haben
eine Aufklärungsfunktion, eine Aufklärungspflicht in Ihrer
Fraktion, und der kommen Sie nicht nach.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Dass Sie das nicht tun, ist nicht in der Verantwortung
gegenüber dem gemeinsamen Auftrag begründet – Sie
sind, jedenfalls mehrheitlich, dafür, dass deutsche Soldaten
in Afghanistan sind; ich glaube, 121 Ihrer Abgeordneten
waren noch dafür –, sondern darin, dass Sie glauben,
damit einen Keil in die Regierung treiben, der
Regierung schaden
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die schadet
sich selbst!)
und daraus kurzfristig innenpolitischen Nutzen ziehen zu
können. Das wird Ihnen hoffentlich nicht gelingen; denn
wir werden die Bevölkerung darüber aufklären, welche
Bedeutung, welche Verantwortung wir haben. Wenn Sie
diese Verantwortung nicht wahrnehmen: Jedenfalls wir
werden dies auch in Zukunft eindeutig tun.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ein Beitrag zur
Aufklärung, Herr Kollege!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Thomas Oppermann
für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der
CDU/CSU: Der Verlierer des Tages!)
Thomas Oppermann (SPD):
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr zu Guttenberg,
vor Ihrer Rede habe ich mich gefragt, warum Außenminister
Westerwelle heute in einer so wichtigen verteidigungs-
und außenpolitischen Debatte eigentlich nicht
da ist,
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind aber
kleinkariert!)
um Ihnen nicht wenigstens durch seine physische Anwesenheit
Unterstützung zu leisten. Nach Ihrer Rede weiß
ich, warum er nicht gekommen ist. In diese Sache will er
sich nicht hineinziehen lassen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
Volker Kauder [CDU/CSU]: Kleinkariert!)
Sie haben hier eben unter Hinweis auf den Untersuchungsausschuss
kritisiert, es sei Klamauk, wenn Sie
jetzt gleichzeitig gebeten würden, einen Bericht im Verteidigungsausschuss
vorzulegen. Ich muss Sie einmal
darauf hinweisen, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes
erst in diesem Sommer eindeutig
klargestellt hat, dass der Grundsatz der parlamentarischen
Verantwortlichkeit der Regierung durch Untersuchungsausschüsse
in keiner Weise ersetzt wird. Sie werden
sich in den nächsten Wochen und Monaten daran
gewöhnen müssen, dass wir diese Frage nicht nur im
Untersuchungsausschuss, sondern auch im Plenum des
Deutschen Bundestages diskutieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Herr zu Guttenberg, es wäre auch angemessen, wenn
Sie künftig zur Fragestunde kämen und nicht nur den
Staatssekretär schickten. Wer bei Beckmann antwortet,
der kann auch im Bundestag antworten.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber
[SPD]: Allerdings sind die Fragen hier im
Bundestag härter!)
Wer das ablehnt, der hat ein komisches parlamentarisches
Verständnis.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Und keinen Anstand! – Volker Kauder
[CDU/CSU]: Dann haben Sie das in der rotgrünen
Regierungszeit aber schon lange gehabt!)
Der Untersuchungsausschuss hat heute mit der Arbeit
begonnen. Zwei Dinge stehen schon jetzt unstreitig fest:
Zum Ersten, dass das Parlament über den Luftanschlag
am Kunduz-Fluss mehrfach falsch informiert
worden ist. Dafür hat Verteidigungsminister Jung mit
seinem Rücktritt die Verantwortung übernommen. Das
ist konsequent und sicher auch respektabel.
Zweitens ist unstreitig, dass Sie als neuer Bundesverteidigungsminister
am 6. November – und zwar in
Kenntnis des umfassenden NATO-Berichtes, in Kenntnis
der Tatsache, dass bei dem Luftanschlag viele zivile Opfer
zu beklagen waren, dass es nicht nur darum ging, die
beiden Tanklastfahrzeuge zu zerstören, sondern auch darum,
die dort anwesenden Menschen zu vernichten, in
Kenntnis der Tatsache, dass wesentliche Spielregeln für
ISAF-Einsätze missachtet worden waren, in Kenntnis
der Tatsache, dass es keinen Feindkontakt gab, und nicht
zuletzt in Kenntnis der Tatsache, dass das Lager in Kunduz
gar nicht unmittelbar bedroht war, also in Kenntnis
all dieser Tatsachen – festgestellt haben, dass dieser
Luftschlag militärisch angemessen war und damit eine
grob fehlerhafte Bewertung vorgenommen haben. Aber
im Unterschied zum ersten Punkt, der mehrfachen Täuschung
des Parlamentes durch Ihren Vorgänger, hat für
diesen Punkt, für diese große Fehleinschätzung, noch
niemand Verantwortung übernommen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stefan
Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Schauen Sie
mal nach rechts! Sie sollten sich jetzt lieber
hinsetzen!)
Einen Monat später haben Sie Ihre Position korrigiert
und das exakte Gegenteil vertreten; aber Sie haben nur
scheinbar einen Fehler eingeräumt. Einen Fehler räumt
nämlich nur der ein, der dafür auch die Verantwortung
übernimmt. Aber genau das haben Sie nicht getan: Sie
haben das auf Schneiderhan und Wichert abgeschoben,
indem Sie sie entlassen haben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wenn Sie mich fragen, was Sie da gemacht haben,
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Fragen wir aber
nicht!)
antworte ich Ihnen: Das war unanständig.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Bundesminister
Dr. Guido Westerwelle betritt den
Plenarsaal)
– Schön, dass Sie jetzt da sind; er braucht Unterstützung.
– Herr Schneiderhan ist ein international erfahrener,
ein bei den Soldaten hochgeachteter und ein
menschlich souveräner Generalinspekteur gewesen. Sie
haben diesen Generalinspekteur in ein schlechtes Licht
gerückt, um selber günstig dazustehen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf
des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN])
Herr Guttenberg, wenn Sie mich nach meinem Anstandsempfinden
fragen, also danach, wie ich das finde,
(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Tun
wir nicht!)
– es ist ein bürgerliches Anstandsempfinden –, dann
kann ich darauf nur antworten: Das, was Sie da gemacht
haben, ist unanständig.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber der Herr
Schneiderhan hat es als „angemessen“ bezeichnet!)
Ich finde es auch nicht besonders mutig, wenn ein
Verteidigungsminister seinen Staatssekretär entlässt und
seinen Generalinspekteur opfert, nur um seine eigene
Haut zu retten. Es kann doch nicht angehen, dass wir
von den Soldaten in Afghanistan persönlichen Mut und
militärische Tapferkeit erwarten, aber an der Spitze des
Verteidigungsministeriums das Prinzip der politischen
Feigheit praktiziert wird. Meine Damen und Herren, ich
finde das unanständig.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
Volker Kauder [CDU/CSU]: Das interessiert
aber nicht!)
Der Untersuchungsausschuss wird jetzt die entscheidende
Frage aufklären,
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)
nämlich die Frage: Wer hat die Wahrheit gesagt, und wer
hat die Unwahrheit gesagt? Das kriegen wir hin. Herr
Generalinspekteur Schneiderhan hat bekundet, dass er
Ihnen, Herr Verteidigungsminister, alle erforderlichen
Informationen zur Verfügung gestellt hat, damit Sie am
6. November auf der Pressekonferenz eine adäquate,
umfassende und kompetente politische Bewertung des
Luftschlages vornehmen konnten. Sie haben gesagt, Ihnen
seien wesentliche Informationen vorenthalten worden.
Es kann nicht beides richtig sein. Einer hat die
Wahrheit gesagt, und einer hat die Unwahrheit gesagt.
Das wird im Untersuchungsausschuss festgestellt, notfalls
auch durch Gegenüberstellung von Ihnen und Herrn Schneiderhan. Darauf sollten Sie sich schon einmal einstellen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Thomas Oppermann (SPD):
Ich komme zum Schluss. – Ich bin sicher,
(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Herr
Oppermann ist am Ende!)
dass Sie, wenn Sie nicht die Wahrheit gesagt haben, am
Ende von sich aus Ihren Platz räumen. Ein Verteidigungsminister
muss die Wahrheit sagen. Ein Verteidigungsminister,
der nicht die Wahrheit sagt, ist nicht tragbar.
(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/
CSU: Da klatschen ja nicht einmal die eigenen
Leute! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU:
Herr Steinbrück hat nicht geklatscht!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder für die
CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Philipp Mißfelder (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Herr Kollege Oppermann, bevor ich
darlege, welche Motive ich hinter Ihren Ausführungen
sowie denen des Kollegen Arnold und des Kollegen
Steinmeier vermute, möchte ich zunächst auf eines hinweisen:
Ihre Argumentation war nicht nur an einer Stelle
etwas brüchig. Sie ist genauso wie die des Kollegen
Arnold insbesondere in dem Moment wie ein Kartenhaus
zusammengestürzt, als der Bundesaußenminister
auftauchte. Eben wollten Sie ihn noch hierher rufen bzw.
haben Sie sehnlichst erbeten, dass er kommt.
(Thomas Oppermann [SPD]: Hat ja geklappt! –
Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Er hat es gehört! –
Ulrich Kelber [SPD]: Hat funktioniert!)
Jetzt ist er zur Unterstützung da. Insofern muss ich schon
sagen, dass Sie sich an dieser Stelle zum ersten Mal hätten
korrigieren können. Die Chance dazu haben Sie in
Ihrer Rede allerdings, wie ich finde, gerade vertan.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP)
Ein Zweites: Sie haben gerade Schneiderhan quasi als
Ihren Mann beschrieben und ihn als aufrichtig usw. charakterisiert.
Das sind alles Dinge, die ich mir aufgrund
der wenigen Begegnungen, die ich in den vergangenen
Jahren mit ihm hatte, nicht zutraue, abschließend zu beurteilen.
Aber vor dem Hintergrund, dass er zurückgetreten
ist und die Verantwortung übernommen hat, wundere
ich mich, dass Sie jetzt sagen, er trage doch nicht die
Verantwortung. Diesen Argumentationswechsel müssten
Herr Schneiderhan und eigentlich auch Sie erklären können,
wenn Sie hier so für ihn sprechen. Das haben Sie
aber letztendlich nicht geschafft. Ich glaube, dass an dieser
Stelle deutlich wird, dass hier einige Dinge nicht zueinanderpassen.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das glauben
wir auch!)
Eine Bemerkung kann ich mir nicht verkneifen: Da
Sie, Herr Steinmeier, Herr Arnold und Herr Oppermann,
voller Neid die Fernsehauftritte in relevanten Sendungen
des deutschen Fernsehens bemängelt haben,
(Lachen bei der SPD)
möchte ich Ihnen zumindest an dieser Stelle das Motiv
Neid unterstellen. Das kam auf jeden Fall gerade deutlich
heraus.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sie sollten zur Sesamstraße gehen! –
Rainer Arnold [SPD]: Ihnen fällt nichts mehr
ein!)
– Der Minister steht hier seit Wochen bei jeder wichtigen
Debatte, auch über die Mandatsverlängerungen, Rede
und Antwort.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist Parlamentarismus,
Herr Kollege!)
Das Ministerium gibt an allen Stellen Auskunft. Der Minister
geht auch in die Talkshows. Stellen Sie sich nun
einmal umgekehrt vor, er würde sich vor all diesen Auftritten
drücken, hier im Parlament wie auch in den Talkshows!
Was würden Sie für einen Zirkus aufführen! Deshalb
sage ich, dass es richtig ist, dass sich der Minister
an jeder Stelle der Debatte gestellt hat, dass er das auch
in dieser Aktuellen Stunde sehr gut gemacht hat und dass
er dafür unsere Unterstützung verdient.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rainer
Arnold [SPD]: Sozialkunde für Mißfelder!)
Herr Arnold, Sie haben am Ende Ihrer Rede – das ist
das zweite Motiv, auf das ich eingehen möchte, warum
ich vermute, dass Sie sich hier so aufführen, wie Sie es
tun – noch pflichtschuldig erwähnt, warum die SPD dafür
ist, sich in Afghanistan zu engagieren. Ich möchte,
damit das nicht in Vergessenheit gerät, zitieren, wie Sie
sich noch im vergangenen Jahr angehört haben. Vergleichen
Sie das einfach einmal mit Ihren Äußerungen. Sie
sind ja heute ein vielgefragter Mann. Jeder hat
15 Minuten Ruhm im Leben; Sie haben heute versucht,
diese für sich zu nutzen und in den Medien auszuspielen.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das sind Ihre
Kategorien, Herr Mißfelder! Wo ist das Hüftgelenk?)
Ich habe ja gerade gesehen, wie Sie den Journalisten vor
der Tür hinterhergerannt sind. Aber das ist das Problem:
Wenn Sie so im Fokus der Öffentlichkeit stehen, ist für
uns die Versuchung groß, nachzulesen, was Sie schon
einmal gesagt haben. Sie haben am 17. September 2008
im Plenum des Hohen Hauses gesagt:
Bei unserem Einsatz in Afghanistan können wir uns
natürlich nicht aussuchen, ob deutsche Soldaten
kämpfen oder Aufbauhilfe leisten. Das wird uns
von Aufständischen aufgezwungen. Damit das ganz klar ist: Das ist ein Kampf gegen Aufständische.
Das ist die richtige Begrifflichkeit. Das ist kein
Krieg.
(Zuruf von der SPD: Ja!)
Die Bundeswehr ist aber auch kein bewaffnetes
Technisches Hilfswerk.
Wenn Sie das mit den Äußerungen der Sozialdemokratie
in den vergangenen Tagen vergleichen,
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo ist da der
Widerspruch?)
dann sehen Sie, dass das die rhetorische Vorbereitung
dessen ist, was Sie in den nächsten Monaten vollführen
wollen, nämlich sich von der Verantwortung für Afghanistan
und die Menschen in Afghanistan zu verabschieden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Ulrich Kelber [SPD]: Wie viele Worthülsen
Sie in einer Rede unterbringen können!)
– Sie sagen „Worthülsen“, Herr Kollege Kelber. Wir haben
den Untersuchungsausschuss mit initiiert, und dort
werden alle Dinge geklärt.
(Ulrich Kelber [SPD]: Nein, sie müssen hier
geklärt werden!)
Bei einem Einsatz wie diesem gibt es auch Dokumente,
die als Geheim eingestuft sind, selbst wenn sie teilweise
im Internet kursieren.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Dann sagen Sie das, was nicht eingestuft
ist!)
Es gibt auch viele Informationen, die tatsächlich zum
Schutz der Soldaten und der NATO insgesamt geheim
bleiben sollen. Deshalb gibt es diesen Untersuchungsausschuss.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der Schneiderhan-
Brief ist nicht geheim!)
– Der Schneiderhan-Brief ist etwas ganz anderes. – Deshalb
sage ich Ihnen an dieser Stelle: Hier liegt ja die Vermutung
nahe, dass eine gewisse Inszenierung und Skandalisierung
von Ihnen bewusst herbeigeführt wird, die
aber mit dem Thema Afghanistan nichts zu tun hat.
Wenn es Ihnen aber mit Afghanistan ernst ist, dann fordere
ich Sie dazu auf – Herr Steinmeier hat sich hier gerade
schon verabschiedet –, über Ihre eigene Verantwortung
nachzudenken. Dazu hätte ich mir von Herrn
Steinmeier deutliche Worte gewünscht. Was hat er gewusst?
Das wird der Untersuchungsausschuss auch klären.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Ernst-Reinhard Beck
für die CDU/CSU-Fraktion.
Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Die mediale Hysterie der letzten Tage
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Ach, jetzt sind die wieder schuld!)
hat einmal mehr, Frau Künast, deutlich gemacht, dass in
der deutschen Öffentlichkeit doch ein erheblicher Nachholbedarf
bezüglich des Einsatzes militärischer Mittel
besteht.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Sie wissen alles besser!)
Was in anderen demokratischen Ländern unaufgeregt
und sachlich bewertet wird, führt bei uns gleich zu einem
politischen Erdbeben. Selbstverständlich stehen militärische
Einsätze unter dem Primat der Politik und unter
einem Mandat des Deutschen Bundestages. Aber das
Militär ist immer auch Mittel der Politik. Wer dieses
Mittel einsetzt, muss wissen, dass damit auch die Anwendung
von Gewalt verbunden sein kann.
Wir sollten nach mehr als 50 Jahren Bundeswehr als
demokratische Armee in einem demokratischen Staat
genügend Vertrauen in unsere militärischen Verantwortlichen
haben, um ihnen zuzutrauen, dass sie sich an
Recht und Gesetz halten. Unsere Soldaten sind keine
Hasardeure oder seelenlose Killer, wie man nach der
Lektüre mancher Medien in diesen Tagen vermuten
könnte. Unsere Soldaten sind rechtsstaatlich erzogen
und stehen auf dem Boden des Grundgesetzes. Wer dies
infrage stellt, sollte dies bitte öffentlich erklären.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der FDP)
Wir befinden uns in Afghanistan in einer zunehmend
schwierigeren Situation. Ja, das ist wahr. Die Lage vor
allem im Westen von Kunduz, in der Region Chahar
Darreh, ist alles andere als stabil. Die andauernden Angriffe
auf unsere Soldatinnen und Soldaten gehörten hier
fast zur täglichen Realität und bleiben nicht ohne Wirkung
auf die Verfassung der zuständigen Verantwortlichen
vor Ort. Mit anderen Worten: Die Erfahrungen mit
verwundeten und getöteten Kameraden führen dazu,
dass unsere Kommandeure dünnhäutiger, vielleicht auch
nervöser werden. Ich finde es deshalb schon abenteuerlich,
wenn Politiker, Journalisten und manch andere aus
dem sicheren Berlin heraus ihre Lagebeurteilung anstellen,
nachdem ein Ereignis erfolgt ist. Das ist verdammt
einfach.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Unsere Kommandeure vor Ort haben es leider nicht so
einfach. Sie müssen unter hoher physischer und psychischer
Belastung mit der Verantwortung für die ihnen anvertrauten
Soldatinnen und Soldaten auf der Basis der ihnen
vorliegenden, mitunter unklaren Lageerkenntnisse
entscheiden. Diese Entscheidung muss oft sehr schnell
innerhalb von Minuten erfolgen. Das dabei auch Fehler
vorkommen, dürfte jedem einleuchten, auch jenen, die
der Bundeswehr nicht wohlgesonnen sind. Wer für sich
selbst Fehlerfreiheit beansprucht, mag ein Recht auf Kritik verspüren. Die meisten jedoch sollten zurückhaltender sein. Wer sich jetzt darüber aufregt, dass in einem kriegsähnlichen Umfeld auf Menschen geschossen wird, muss
sich fragen lassen, in welcher Art von Realität er eigentlich
lebt.
Aufständische und Terroristen gefährden nicht nur die
Soldaten in Afghanistan, sondern auch die Sicherheit der
afghanischen Bevölkerung. Um den Auftrag der ISAFTruppen
und um den Auftrag unserer Soldaten vor Ort
durchzusetzen, ist nach dem gültigen vom Bundestag beschlossenen
ISAF-Mandat auch der Einsatz von Gewalt
ausdrücklich vorgesehen.
(Zuruf von der SPD: Gegen Kinder?)
Andererseits sage ich Ihnen ganz offen: Mich beruhigt,
dass man sich in einem rechtsstaatlichen Land wie
Deutschland schwer damit tut – auch ich tue dies –, auf
Menschen zu schießen. Angesichts der großen Anzahl
von Opfern, die dieser Luftschlag am 4. September gefordert
hat, müssen wir uns den ethischen Fragen stellen
und dürfen sie nicht leichtfertig abtun. Deshalb muss es
vor einem Militäreinsatz immer einen Abwägungsprozess
geben. Es ist ein Kennzeichen dieses Hauses, dass
wir bei allen Einsätzen, die wir der Bundeswehr im Ausland
zumuten, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
berücksichtigen. Dafür steht uns vergleichsweise viel
Zeit zur Verfügung, die Soldaten vor Ort haben jedoch
oft nur wenig Zeit, um diese Bewertung durchzuführen.
Gestatten Sie mir diese Anmerkung: Die veränderte
Sicherheitslage muss sich auch in der Ausrüstung der
Truppe in Afghanistan niederschlagen. Deshalb rege ich
an, Überlegungen zum Einsatz schwerer Waffen nicht
mehr auszuweichen. Dies gehört mit dazu, wenn wir unsere
Bevölkerung mit der Wahrheit konfrontieren wollen,
wenn diese auch nicht immer einfach zu verkraften
ist. Wir sind in Afghanistan nicht nur zum Brunnenbohren
und Brückenbauen, wie man lange Zeit geglaubt und
vermittelt hat. Unsere Soldatinnen und Soldaten stehen
im Raum Kunduz in einem Kampfeinsatz. Darüber eine
offene Debatte zu führen, ist längst überfällig.
Alles andere wird in aller gebotenen Sachlichkeit im
heute eingerichteten Untersuchungsausschuss zu bewerten
sein. Dabei appelliere ich ausdrücklich an alle in diesem
Hohen Haus, jeden Schaden von der Bundeswehr
abzuwenden. Darauf haben die Soldatinnen und Soldaten,
die in unserem Auftrag – ich betone: in unserem
Auftrag – ihren schwierigen Dienst im Einsatzland versehen,
ein Anrecht.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Ruprecht Polenz für die CDU/CSU-Fraktion.
Ruprecht Polenz (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Steinmeier, das Thema dieser Aktuellen Stunde lautet:
„Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan“. Dieser
Einsatz hat nicht erst nach der Bundestagswahl angefangen,
sondern ist zur Zeit der rot-grünen Bundesregierung
begonnen worden. Er ist zu Zeiten der Großen Koalition
fortgesetzt worden und ist unter der neuen Bundesregierung
im Rahmen einer Mandatsbestätigung weiter fortgesetzt
worden.
(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Zu der
Verantwortung stehen wir!)
Ich betone das deshalb, weil man sowohl aufgrund des
Klimas in der Fragestunde wie auch teilweise in der Aktuellen
Stunde den Eindruck gewinnen konnte, dass Sie
zu diesem Thema hier nicht reden wollten. Sie wollten
zu anderen Themen in dieser Aktuellen Stunde reden. Es
kann ja jeder reden, worüber er will. Aber heute geht es
um dieses Thema.
Sie haben sich vorhin in der Fragestunde viel Mühe
gegeben, herauszubekommen, ob es eine Art Strategiewechsel
gegeben habe – vielleicht mit der Absicht, wenn
ja, die Möglichkeit zu haben, diesen dann nicht mehr
mitzutragen. Ich sage Ihnen: Das Mandat ist über all die
Jahre im Kern unverändert geblieben.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie müssen die
Fraktionen unterscheiden!)
Die militärische und die Sicherheitslage haben sich verändert.
Im Rahmen des vom Mandat vorgegebenen Auftrages
hat die Bundeswehr angemessen zu reagieren.
Es war von Anfang an klar – das muss man auf manche
der Beiträge sagen –, dass die Bundeswehr ermächtigt
war und ist, alle notwendigen Maßnahmen zur Erfüllung
des Mandats zu ergreifen, einschließlich militärischer
Gewalt. Sie hat Befugnisse, die über bloße Notwehr und
Nothilfe hinausgehen. Es handelt sich auch um ein Mandat
zur Aufstandsbekämpfung, Herr Arnold, allerdings
– das ist der Kern der jetzigen Diskussion, die sich an
dem Vorfall in Kunduz festmacht – natürlich nicht über
die Maßstäbe des humanitären Völkerrechts hinaus. Ziel
des humanitären Völkerrechts ist der Schutz unbeteiligter
Zivilisten in bewaffneten Konflikten.
Man muss allerdings festhalten, dass die Taliban diesen
Schutz durch die Art ihrer Kriegsführung systematisch
und absichtlich verletzen. Sie geben sich nicht als
Kämpfer zu erkennen. Sie wenden gezielt Gewalt gegen
unbeteiligte Zivilisten an; denken Sie an die Selbstmordattentate
auf belebten Marktplätzen oder das gezielte
Umbringen von Lehrern. Sie benutzen Zivilisten als
menschliche Schutzschilde, und sie werden dabei teilweise
von der Zivilbevölkerung unterstützt – sei es freiwillig,
sei es gezwungenermaßen. Warum trage ich das
vor? Um Ihnen zu zeigen, dass die Unterscheidung zwischen
gegnerischen Kämpfern und unbeteiligten Zivilisten
in Afghanistan außerordentlich schwierig ist und
dass wir uns natürlich trotzdem an das Kriegsvölkerrecht
halten müssen.
(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Im Zweifel für
die Zivilisten!)
Ich erwarte vom Untersuchungsausschuss, dass er
diese Frage beleuchtet und in die Bewertung ebenso einbezieht,
wie es kommt, dass in allen jedenfalls mir zur Verfügung stehenden Berichten aus Afghanistan anders als bei sonstigen Vorkommnissen, bei denen zivile Opfer
zu beklagen waren, nicht die Bundeswehr verantwortlich
gemacht wird. Vielmehr ist in all dem, was ich bisher
habe lesen können, gesagt worden: Dies war im Großen
und Ganzen ein Schlag, der den Taliban gegolten hat.
(Rainer Arnold [SPD]: Sie sollten heute mal
den Tagesspiegel lesen!)
Herr Arnold, zur Studie „Rechtssicherheit im Auslandseinsatz“.
Ich möchte noch etwas zu den zivilen Opfern
sagen; denn vorhin wurde vonseiten der Linken mit
gezielten Todesschüssen und Ähnlichem argumentiert.
Die Verursachung ziviler Opfer
– ich zitiere wörtlich aus dieser Studie –
als Nebenfolge eines militärischen Angriffs stellt
nicht in jedem Fall eine Verletzung humanitären
Völkerrechts dar. Entscheidend ist das Prinzip der
Verhältnismäßigkeit.
Dafür gibt es keine objektiven Maßstäbe; das muss man
vor Ort in der Abwägung beurteilen.
Herr Trittin, Sie haben schon lange davon gesprochen,
dass es sich in Afghanistan aufgrund der Veränderung
der Lage auch im Norden, wo wir Verantwortung
tragen, eher um einen Krieg handelt. Der Verteidigungsminister
hat von kriegsähnlichen Zuständen gesprochen.
Welche rechtlichen Folgen das hat, wird der Generalbundesanwalt
klären. Die Frage ist aber, ob wir den politischen
Folgen der Feststellung, Deutschland befinde sich
mit seinen Soldaten in Afghanistan in kriegsähnlichen
Zuständen, gerecht werden. Diese Frage muss sich hier
jeder selber stellen. Natürlich müssen wir eine Untersuchung
durchführen, um Fehler aufzudecken und Konsequenzen
zu ziehen. Zumindest manche Beiträge haben
aber am heutigen Tag den Eindruck erweckt, es mache
keinen großen Unterschied, ob man versucht, einen – in
Anführungszeichen – vermeintlichen innenpolitischen
Skandal aufzudecken, oder ob man sich einer Untersuchung
widmet, bei der es wichtig ist, auf welche Art und
Weise man sie führt, ob man beispielsweise darauf
drängt, dass geheime Dinge öffentlich werden, und damit
möglicherweise unsere Soldaten gefährdet.
Wir müssen uns einmal überlegen, ob wir, das Parlament,
damit der Demokratie und ihren Aufgaben gerecht
werden, in einem Zustand, den Sie als „Krieg“ bezeichnen
und der Verteidigungsminister als „kriegsähnlich“
beschreibt. Ich meine, das macht einen Unterschied.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Quelle: Deutscher Bundestag - Stenografischer Bericht von der 11. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 16. Dezember 2009 - Plenarprotokoll 17/11; Seite 835-850
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