"Der Entwicklungsprozess liegt in erster Linie in der Verantwortung der Regierungen der Entwicklungsländer"
Im Wortlaut: Rede der Bundeskanzlerin vor dem UN-Gipfel zu den Millennium-Entwicklungszielen am 21. September 2010 in New York
Angela Merkel:
Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
Die
Millenniumserklärung der Vereinten Nationen im Jahre 2000 hat der internationalen Entwicklungspolitik eine qualitativ neue Grundlage und Legitimation verliehen. Sie ist eine wegweisende Richtungsentscheidung und hat die vielfach beschworene globale Entwicklungspartnerschaft auf ein gemeinsames Fundament gestellt. Sie hat deutlich gemacht, nur durch ein neues Miteinander von Geber- und Nehmerländern und klare Definitionen der Ziele können wir Armut, Krankheiten und Hunger weltweit erfolgreich bekämpfen.
Die Erklärung ist Handlungsrahmen für eine gerechte Gestaltung der Globalisierung gestützt auf universale Prinzipien, im Geiste der VN Menschenrechtscharta.
Sie steckt vier programmatische Handlungsfelder ab:
-
Frieden und Sicherheit,
- Minderung der Armut,
- Schutz der Umwelt sowie
- Förderung der Menschenrechte, der Demokratie und der guten
Regierungsführung.
Konkretisiert durch die Millenniumsentwicklungsziele stellen diese
Handlungsfelder den zentralen internationalen Bezugsrahmen für
Entwicklungspolitik dar. Auch die deutsche Bundesregierung gründet darauf Ihre
Entwicklungspolitik und stärkt damit die Gemeinschaftsanstrengungen aller.
Nachhaltige Entwicklungsfortschritte verlangen, dass alle vier genannten
Herausforderungen angegangen werden denn sie bedingen sich gegenseitig. Deshalb
dürfen nach meiner festen Überzeugung die Millenniumserklärung und die
Entwicklungsziele nicht als eine Art Wahlmenü interpretiert werden.
Keine Entwicklung ohne Sicherheit und keine Sicherheit ohne Entwicklung diese
wechselseitige Abhängigkeit gilt weltweit.
Entwicklungspolitische Maßnahmen bleiben wirkungslos, wenn es keine Sicherheit
gibt. Umgekehrt verpuffen Anstrengungen zur Friedenssicherung, wenn es keine
entwicklungspolitische Perspektive gibt. Hier zeigt sich die Richtigkeit einer
Aussage des früheren VN-Generalsekretärs Kofi Annan: "Entwicklungspolitik ist
eine Investition in eine sichere Zukunft."
Vor allem aber sind nachhaltige Entwicklung, wirtschaftlicher und sozialer
Fortschritt undenkbar ohne gute Regierungsführung und Achtung der Menschenrechte.
So einfach sich der Befund in der Theorie darstellt, so schwierig ist es doch,
praktisch die Konsequenzen daraus zu ziehen.
Die Weltgemeinschaft hat sich vor zehn Jahren richtige Ziele gesetzt. Leider
müssen wir aber heute sagen, dass wir nicht alle Ziele bis 2015 erreichen werden. Dennoch bleiben die Ziele gültig und müssen konsequent durchgesetzt werden. Ich werbe dafür, dass dies das das zentrale Bekenntnis dieses Gipfels wird.
Es gibt bemerkenswerte Fortschritte bei einigen Zielen. So sind wir bei der
Grundbildung, der Gleichstellung der Geschlechter und auch bei der Bekämpfung von Hunger vorangekommen. Doch Hunger und Unterernährung bewegen sich noch immer auf einem unerträglich hohen Niveau.
Wir sehen uns beträchtlichen Unterschieden gegenüber sowohl beim Erreichen der
einzelnen Ziele als auch in regionaler Hinsicht. Insbesondere in Teilen
Sub-Sahara-Afrikas gibt es große Defizite.
Die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise hat die Aussichten für die
gefährdeten Regionen noch weiter verschlechtert.
Was aber können, ja, müssen wir tun, um mehr Fortschritte zu erzielen?
Zweifellos müssen wir die Wirksamkeit der Instrumente der Entwicklungspolitik
weiter verbessern.
Der Schlüssel dazu liegt für mich auf der Hand. Wir brauchen mehr
Ergebnisorientierung. Dabei ist aus meiner Sicht die ergebnis-basierte
Finanzierung ein viel versprechender Ansatz.
Hierbei kann klare Ergebnisorientierung mit größeren Freiräumen für nationale
Politiken verbunden werden. So kann den Besonderheiten des jeweiligen Landes
besser entsprochen werden.
Dabei ist eines wichtig zu akzeptieren für uns alle: Der Entwicklungsprozess
liegt in erster Linie in der Verantwortung der Regierungen der
Entwicklungsländer. Sie haben es in der Hand, ob Hilfe effizient erfolgen kann.
Deshalb ist Unterstützung guter Regierungsführung genauso wichtig, wie Hilfe
selbst.
An heutigen Schwellenländern sehen wir: Entwicklungspolitik kann letztlich nur
erfolgreich sein, wenn der Prozess national gesteuert und umgesetzt wird.
Das gilt auch für die Mobilisierung der notwendigen Finanzmittel. Die ODA-Mittel
können von Nothilfesituationen abgesehen immer nur ein Beitrag zu nationalen
Finanzmitteln sein, nie ein Ersatz.
Entwicklungshilfe kann nicht zeitlich unbegrenzt sein. Es kommt also darauf an,
begrenzte Hilfsgelder so nutzbringend wie möglich einzusetzen.
Das kann nur über eine gute Regierungsführung funktionieren, die die
wirtschaftlichen Fähigkeiten des jeweiligen Landes fördert.
In Eigenregie müssen marktwirtschaftliche Entwicklungen, der Auf- und Ausbau von
kleinen und mittleren Unternehmen und die Stärkung des ländlichen Raums
vorangetrieben werden. Viele gute Projekte machen uns dabei Mut.
Denn ohne eigenes, sich selbst tragendes Wirtschaftswachstum wird für die
Entwicklungsländer der Weg aus Armut und Hunger zu steil bleiben.
Ohne nachhaltiges Wirtschaftswachstum können die Entwicklungsziele nicht erreicht werden oder nicht einmal bisher erreichte Fortschrittsniveaus gehalten werden.
Deshalb sieht Deutschland seine Rolle in der Entwicklungszusammenarbeit als
verantwortungsbewusster Unterstützer von Eigenanstrengungen und dies auch in
einer breit angelegten Partnerschaft.
Wir kennen unsere Stärken in Deutschland. Wir wissen aber auch um unsere Grenzen. Natürlich erfordert die Lösung globaler Aufgaben globale Anstrengungen.
Ein Beispiel ist der Globale Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und
Malaria, ein multilaterales Instrument, das sich bewährt hat. Die Hilfe des Fonds kommt direkt bei den Menschen an. Deutschland ist drittgrößter Geber und ich werde mich dafür einsetzen, dass Deutschland den Fonds und die Bemühungen um eine Verbesserung der Gesundheitssituation auch weiterhin auf hohem Niveau
unterstützt.
Bei der Umsetzung der Millenniumserklärung und zum Erreichen der
Millenniumsentwicklungsziele ist die Welt auf handlungsfähige internationale
Organisationen angewiesen.
So ist die Handlungsfähigkeit auch das, woran die Menschen in der Welt die
Vereinten Nationen messen. Wir, die Mitgliedstaaten, haben es in unserer Hand,
die Vereinten Nationen für die Herausforderungen dieses Jahrhunderts zu wappnen.
Deshalb wird sich auch Deutschland weiterhin für ihre Reform nachdrücklich
einsetzen.
Für uns sind die Vereinten Nationen wegen ihrer Universalität und ihrer daraus
entspringenden Legitimität das zentrale Forum der internationalen Zusammenarbeit.
Deutschland ist drittgrößter Beitragszahler in den Vereinten Nationen. Auch in
der Entwicklungspolitik stehen wir unter den Geberländern an dritter Stelle.
Selbst in der Finanzkrise haben wir unsere Mittel nicht zurückgefahren.
Deutschland strebt weiterhin an, 0,7Prozent des Bruttonationaleinkommens für
Entwicklungshilfe aufzuwenden.
Wir nehmen unsere Rolle als verlässlicher Partner der Vereinten Nationen in der
Überzeugung wahr, dass Völkerverständigung nur gelingen kann, wenn die
Zusammenarbeit auf der Grundlage von Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit aller
Staaten erfolgt.
Lassen Sie mich deshalb das deutsche Engagement und unsere Verantwortung als Teil der gemeinsamen Verantwortung der internationalen Staatengemeinschaft
bekräftigen.
Ich danke Ihnen.
Die englischsprachige Fassung der Rede finden sie auf der Website der Bundesregierung: www.bundesregierung.de
Quelle: Newsletter des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, 21. September 2010
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