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Sonntagsreden ohne politische Konsequenzen

Armutsgipfel der UNO beendet / Terre des hommes: Magere Bilanz

Am letzten Tag des Armutsgipfels konnten die Vereinten Nationen am Mittwoch (22. Sep.) noch einmal hohe politische Prominenz begrüßen. Die Bilanz der Tagung blieb jedoch mager.

US-Präsident Barack Obama, der chinesische Regierungschef Wen Jiabao und dessen britischer Amtskollege David Cameron kamen am letzten Tag des Armutsgipfels in New York zu Wort. Auf dem dreitägigen Treffen war es um die sogenannten Millenniumsziele gegangen. Im Jahr 2000 hatten die UN beschlossen, bis 2015 die Armut und den Hunger auf der Welt zu halbieren, Krankheiten zu bekämpfen und Bildung und Umweltschutz zu fördern.

Mit einer milliardenschweren Kampagne wollen die Vereinten Nationen nun bis zum Jahr 2015 das Leben von 16 Millionen Müttern und Kindern retten. Wie UN-Generalsekretär Ban Ki Moon vor dem Abschluss des UN-Gipfels am Mittwoch mitteilte, sollen dafür 40 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt werden.

Zur Erreichung der Millenniumsziele sei es »entscheidend«, die Gesundheit von Frauen und Kindern zu verbessern, heißt es in einer Mitteilung Bans. Dies sei nicht nur ein »grundlegendes Menschenrecht«, sondern verringere auch die Armut insgesamt. Der UNO zufolge soll durch die Kampagne in den Jahren 2011 bis 2015 der Tod von rund 15 Millionen Kindern sowie von 740 000 Müttern durch Komplikationen während Schwangerschaft oder Geburt verhindert werden.

Noch ist die Wirklichkeit von diesen Zielen allerdings weit entfernt. Zwar sank die Kindersterblichkeit von 1990 bis 2008 um 28 Prozent, doch noch immer gibt es neun Millionen Todesfälle pro Jahr.

Terre des hommes und das Global Policy Forum ziehen eine negative Bilanz des UN-Gipfels. Die Regierungen haben im Ergebnisdokument des Gipfels zwar eingestanden, dass weit mehr getan werden muss, um die vereinbarten Ziele zur Reduzierung von Armut und Hunger bis zum Jahr 2015 zu verwirklichen. Sie haben daraus aber nicht die notwendigen politischen Konsequenzen gezogen.

Danuta Sacher, Geschäftsführerin von terre des hommes, und Jens Martens, Geschäftsführer des Global Policy Forums Europe, erklären dazu: »Die Aktionsagenda, die die Regierungen in New York verabschieden, wird ihrem Namen nicht gerecht. Wir vermissen jegliche konkreten Beschlüsse, um bei der Bekämpfung von Armut und Hunger und der Verwirklichung der fundamentalen Menschenrechte, einschließlich der Rechte von Kindern und Jugendlichen, endlich Fortschritte zu machen. Die Prognose der Bundeskanzlerin in ihrer Rede vor der Generalversammlung, einige der Millenniumsziele würden bis 2015 nicht erreicht werden, ist ein Eingeständnis des Scheiterns. Die Bundeskanzlerin hielt eine enttäuschende Rede und beließ es bei guten Ratschlägen an die Adresse der Entwicklungsländer und betonte einseitig deren Eigenverantwortung.«

Um etwas zu bewirken müssten die deutschen Entwicklungsleistungen um zwei Milliarden Euro pro Jahr steigen.

* Aus: Neues Deutschland, 23. September 2010


Gipfel guter Ratschläge und gebrochener Versprechen - Merkel-Rede enttäuschend

Pressemitteilung von terre des hommes und das Global Policy Forum zum UN-Gipfel in New York:

New York/Bonn/Osnabrück, 22.09.2010 - terre des hommes und das Global Policy Forum ziehen eine negative Bilanz des UN-Gipfels zu den Millenniumsentwicklungszielen (MDGs), der heute in New York endet. Die Regierungen haben im Ergebnisdokument des Gipfels zwar eingestanden, dass weit mehr getan werden muss, um die vereinbarten Ziele zur Reduzierung von Armut und Hunger bis zum Jahr 2015 zu verwirklichen. Sie haben daraus aber nicht die notwendigen politischen Konsequenzen gezogen.

Danuta Sacher, Geschäftsführerin von terre des hommes, und Jens Martens, Geschäftsführer des Global Policy Forums Europe, erklären dazu:

»Die Aktionsagenda, die die Regierungen in New York verabschieden, wird ihrem Namen nicht gerecht. Wir vermissen jegliche konkreten Beschlüsse, um bei der Bekämpfung von Armut und Hunger und der Verwirklichung der fundamentalen Menschenrechte, einschließlich der Rechte von Kindern und Jugendlichen, endlich Fortschritte zu machen.

Die Prognose der Bundeskanzlerin in ihrer Rede vor der Generalversammlung, einige der Millenniumsziele würden bis 2015 nicht erreicht werden, ist ein Eingeständnis des Scheiterns. Die Bundeskanzlerin hielt eine enttäuschende Rede und beließ es bei guten Ratschlägen an die Adresse der Entwicklungsländer und betonte einseitig deren Eigenverantwortung.

Die Ankündigung der Bundeskanzlerin, die Wirksamkeit der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zu steigern, ist eine zu begrüßende Selbstverständlichkeit. Aber ohne ausreichende Finanzmittel kann Entwicklungszusammenarbeit nicht wirksam sein. Dass Kanzlerin Merkel sich vor der UN-Generalversammlung erneut zur Verwirklichung des 0,7-Prozentziels bekannt hat, ist zu begrüßen. Dazu müsste die deutsche Entwicklungsleistungen um zwei Milliarden Euro pro Jahr steigen. Wichtig ist dabei, dass es sich wirklich um zusätzliches Geld handelt, das den armen Ländern real zur Verfügung steht. Buchhalterische Tricks wie die geplante Anrechnung des steuerlich absetzbaren Anteils der Privatspenden an gemeinnützige Entwicklungsorganisationen nützen den Armen überhaupt nichts und dienen nur dem Ziel, die deutsche Bilanz besser aussehen zu lassen. Dass gleichzeitig der Etat des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bis 2014 um 380 Millionen Euro gekürzt werden soll, macht das Bekenntnis zum 0,7 Prozent-Ziel völlig unglaubwürdig.

Im Ergebnisdokument des UN-Gipfels werden die Geber – und damit auch Deutschland – aufgefordert, konkrete Zeitpläne zur Umsetzung ihrer internationalen Entwicklungshilfe-Verpflichtungen vorzulegen. Die Bundesregierung sollte diese Aufforderung respektieren und zügig umsetzen.

Würde sie dem Beispiel Frankreichs folgen und die Einnahmen aus der Flugticketsteuer für die Entwicklungszusammenarbeit verwenden, brächte allein dies eine Milliarde Euro zusätzliche Einnahmen pro Jahr.«

Literaturhinweis

Jens Martens und Antje Schultheis: Armutszeugnis 2010
Herausgegeben von Global Policy Forum Europe und terre des hommes; Bonn/Osnabrück, September 2010; 64 Seiten, Schutzgebühr 5 EUR; ISBN: 978-3-941553-05-7

Kurzbeschreibung
Zehn Jahre sind vergangen, seit die Staats- und Regierungschefs aus mehr als 150 Ländern im Jahr 2000 in New York die Millenniumerklärung der Vereinten Nationen verabschiedeten. Sie enthält unter anderem ein Set von international vereinbarten Entwicklungszielen, die in der Folge als Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) zum Leitmotiv der internationalen Entwicklungspolitik avancierten.
Fünf Jahre vor dem Zieljahr 2015 steht eine letzte große Zwischenbilanz an. Was wurde bei der Verwirklichung der Ziele bisher erreicht, wo gab es Fehlschläge und Rückschritte? Welche Auswirkungen hat die globale Wirtschafts- und Finanzkrise auf die Verwirklichung der MDGs? Was müssen Regierungen und internationale Organisationen tun, um den Zielen bis zum Jahr 2015 möglichst nahe zu kommen? Und wie geht es nach dem Jahr 2015 mit den MDGs weiter?
Diese Fragen stehen im Zentrum des vorliegenden Reports. Im ersten Teil gibt er einen kurzen Überblick über die Geschichte der MDGs und ordnet sie in den entwicklungspolitischen Diskurs der vergangenen Jahrzehnte ein.
Im zweiten Teil zieht der Report auf Grundlage der aktuellsten Zahlen eine differenzierte Zwischenbilanz der MDG-Umsetzung und dokumentiert Empfehlungen der Zivilgesellschaft für die entwicklungspolitische Agenda der Jahre bis 2015.
Im dritten Teil blickt der Report über die MDGs hinaus. Er diskutiert Optionen für die Weiterentwicklung der Ziele und beschreibt aktuelle Vorschläge für alternative Entwicklungsmodelle und Wohlstandsindikatoren, die dazu beitragen, den engen Fokus der MDGs auf Armutsbekämpfung und soziale Entwicklung zu erweitern sowie Umwelt- und Verteilungsaspekte systematischer zu berücksichtigen.
Die Autoren plädieren schließlich dafür, sich in der Entwicklungspolitik auf ganzheitlichere Ansätze nachhaltiger Entwicklung (zurück-) zu besinnen. Der Report schlägt damit auch die Brücke zwischen dem MDG-Prozess und dem Diskurs über nachhaltige Entwicklung, der im Vorfeld des „Rio+20“-Gipfels 2012 an neuer Dynamik gewinnen wird.


Im Internet ist die mit zahlreichen tabellarischen Übersichten und Grafiken versehene Broschüre hier herunterzuladen:
www.tdh.de (pdf-Datei; externer Link)



Weiche Machtmittel

Von Olaf Standke **

Barack Obama hätte auch gleich am Rednerpult im Sitzungssaal der Vereinten Nationen bleiben können: Er sprach zum Abschluss des UN-Millenniumsgipfels und prägte wenig später den Auftakt der Generaldebatte in der Vollversammlung. Im Unterschied zu seinem Vorgänger weiß der USA-Präsident um die Bedeutung des Weltforums – auch für die Durchsetzung eigener außenpolitischer Ziele und Interessen. Von einer »Renaissance der weichen Machtmittel« sprechen Politologen da mit Blick auf den Mann im Weißen Haus. Nicht von ungefähr unterzeichnete Obama jetzt eine neue Direktive, in der erstmals eine Washingtoner Regierung Entwicklungspolitik als Grundpfeiler US-amerikanischer Macht festschreibt. Sie sei zentral für die nationale Sicherheit, ein strategisches wie wirtschaftliches Gebot. Die Frage ist, wie die Folgen für die »Dritte Welt« aussehen. Klassische Aufgaben wie die Armutsbekämpfung standen unter Bush auf dem Rand, das Pentagon stieg zu einem der wichtigsten Akteure Washingtoner Entwicklungspolitik auf und vergab fast ein Viertel der Mittel. Und ob aus der versprochenen Verdoppelung der Entwicklungshilfe auf 50 Milliarden Dollar bis 2012 etwas wird, steht angesichts der Wirtschaftskrise in den Sternen. Dabei müsste man nur den kostspieligen und gescheiterten Krieg in Afghanistan beenden, der jährlich rund 100 Milliarden Dollar verschlingt, und man hätte genügend Geld für massive zivile Hilfe nicht nur am Hindukusch.

* Aus: Neues Deutschland, 24. September 2010 (Kommentar)


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