"Patriots" für den Fall der Fälle
Einsatzziel der Abfangraketen in der Türkei bleibt im Nebel politisch wohlfeiler Begründungen
Von Uwe Kalbe *
Welche militärische Aufgabe den deutschen Raketen im Südosten der Türkei zukommt, bleibt Mutmaßung. Im
Bundestag versicherten die Befürworter, notfalls könne die Mission später auch neu bewertet werden.
Die Patriots der Bundeswehr sollen mit denen aus den USA und den Niederlanden angeblich die Türkei gegen Angriffe aus Syrien schützen. Das Mandat ist bis zum 31. Januar 2014 befristet. Kein einziger Redner der großen Befürworterkoalition konnte am Freitag einen Hinweis darauf liefern, vor welcher Art von Angriff die Waffen tatsächlich schützen sollen. Versichert wurde dagegen, dass sie auf reine Verteidigung der Türkei ausgerichtet seien, keine Flugverbotszone über Syrien unterstützt werden solle und bei einer Veränderung der Einsatzbedingungen das Parlament erneut damit befasst werde. Gleichwohl wurden die Patriots als alternativlos dargestellt, die Lage in Syrien zur Begründung herangezogen.
Philipp Mißfelder von der CDU führte eine Bedrohung der Türkei durch das Chemiewaffenpotenzial des Assad-Regimes ins Feld. Der Bundeswehr sprach er die Aufgabe zu, für den Schutz vor solchen Waffen zu sorgen, »damit die türkische Bevölkerung beruhigt sein kann, dass keine Gebiete unbewohnbar werden«. Das gerade können die Abwehrraketen aber nicht leisten. Selbst wenn die Abwehrraketen anfliegende Raketen als Träger für chemische Waffen zerstörten, würden letztere doch ihre tödliche Wirkung entfalten.
Darauf wies
Gregor Gysi hin, der den Einsatz namens der Linksfraktion mit scharfen Worten kritisierte. Doch die Experten scheinen mit einem C-Waffeneinsatz gar nicht zu rechnen. Denn sonst müssten die Raketenstaffeln von Einheiten zum Schutz vor Massenvernichtungsmitteln begleitet werden. Der Bundeswehrverband haderte deshalb am Freitag kleinlaut. Es reiche nicht aus, »die Schutzkräfte in Deutschland vorzuhalten«, falls die syrische Regierung tatsächlich Chemiewaffen einsetzen sollte, sagte Verbandschef Ulrich Kirsch der »Welt«. Die Befürworter des Einsatzes im Bundestag fechten solche Überlegungen allerdings nicht an. Für sie steht das politische Ziel, die Unterstützung des Kampfes gegen das Regime in Syrien, über allen Fragen nach den Details.
Elke Hoff (FDP) fühlte ein »subjektives Bedrohungsempfinden der Türkei« nach, Mißfelder beklagte das »Trauerspiel« bei der UNO, das effektive Maßnahmen gegen Assad verhindere. Man könne es nicht hinnehmen, dass der syrische Diktator »sein Volk abschlachtet«, so der CDU-Mann, der um Unterstützung für »weitere politische Initiativen« warb, um den »Konflikt einzugrenzen« - ohne diese genauer zu benennen.
Aufklärung in diesem Zusammenhang forderte
Gysi über eine Äußerung, die Andreas Schockenhoff (CDU) in einer vorangegangenen Rede dieser Woche getan hatte. Ebenfalls unter Hinweis auf die UNO-»Blockade« habe man nicht anders handeln können, als die syrische Opposition mit Waffen zu versorgen. Wenngleich sich eine Aufklärung dieser Äußerung am Freitag nicht mehr andeutete, will die Fraktion hier unnachgiebig bleiben, wie gegenüber nd versichert wurde. Die Parteinahme für die bewaffneten syrischen Rebellen war am Freitag nicht zu überhören.
Kerstin Müller freute sich, dass eine Anerkennung der nationalen Opposition als Verhandlungspartner nun endlich vollzogen sei. »Das ist für die Menschen in Syrien sehr wichtig.« Und Gysis Satz, dass Deutschland damit zur Kriegspartei im Nahen und Mittleren Osten werde, tat sie ab: Das sei ein »derart abstruser Populismus, dass man auf diese Rede nicht mehr eingehen muss«.
* Aus: neues deutschland, Samstag, 15. Dezember 2012
Diese Raketen sind eine Provokation
Hans von Sponeck über die Notwendigkeit einer diplomatischen Lösung für Syrien **
Hans Christopf von Sponeck war
deutscher UN-Diplomat und zuletzt
Beigeordneter Generalsekretär
der Vereinten Nationen
sowie Leiter des UN-Hilfsprogramms
in Bagdad. Er trat im
Februar 2000 aus Protest gegen
die UN-Sanktionen gegen Irak
zurück. Mit ihm sprach für »nd«
Karin Leukefeld.
Herr von Sponeck, Sie haben den
Aufruf der Internationalen Initiative
zur Beendigung des Krieges in
Syrien unterschrieben. Da heißt es
»Ja zur Demokratie, Nein zur militärischen
Intervention«. Was ist
das Ziel dieser Initiative?
Wir wollen dazu beitragen, dass eine
diplomatische Lösung, die auf
internationaler Ebene eingefroren
wurde, wieder aufgetaut wird. Insbesondere
im UNO-Sicherheitsrat
muss das Gespräch zwischen den
Vetomächten wieder aufgenommen
werden, um die kriegerische
Auseinandersetzung in Syrien zu
stoppen.
Der ehemalige UNO-Sondervermittler
für Syrien, Kofi Annan, hatte
im Juni dieses Jahres in Genf eine
Vereinbarung für Syrien vorgelegt,
die die Vetomächte unterzeichnet
haben. Kürzlich kritisierte
Annan, dass die USA, Frankreich
und Großbritannien genau in
die entgegengesetzte Richtung gegangen
seien und die Vereinbarung
zu Fall gebracht hätten.
Ich glaube, ein Grund für Annans
kritische Äußerungen ist, dass sein
Vorschlag, Iran in die Verhandlungen
und in Friedensgespräche
einzubeziehen, von den USA und
Großbritannien abgelehnt wurde.
Das ist auch der Hauptgrund, weshalb
er seinen Vermittlerauftrag
zurückgegeben hat. Die westlichen
Staaten wollen nicht verstehen,
dass in einer Krise wie in Syrien alle
an einen Tisch gehören. Man
kann nicht – wie so oft von den
Amerikanern gemacht – nur mit
denen Gespräche führen, die auf
der eigenen Seite stehen. Das ist das
große Verhängnis.
Wie hat doch Russlands Außenminister
Sergei Lawrow immer
wieder mit absolute Berechtigung
gesagt: Der Sicherheitsrat ist nicht
dazu da, um über Regimewechsel
zu entscheiden. Die Amerikaner,
Briten und Franzosen haben aber
eine andere Meinung dazu. Die UNO
hat überhaupt keine Rolle mehr gespielt.
Übernehmen die »Freunde Syriens« die Rolle des UNO-Sicherheitsrates?
Sicherlich nicht, denn diese Freunde
sind ja sehr einseitig alle Freunde
der Franzosen, Amerikaner und
Briten. Die Chinesen und die Russen
haben eine ganz andere Position
zu Syrien. Der erste falsche
Schritt war schon, dass dieser
Freundeskreis überhaupt nicht bereit
ist, einen Dialog mit dem Assad-
Regime zu führen.
Auch die Bevölkerung in Syrien
wird in diesen Prozess nicht einbezogen.
Wollen Sie mit der Initiative
»Ja zur Demokratie, Nein zur
militärischen Intervention« auch
ein Signal an die Zivilgesellschaft
geben, aktiver für eine friedliche
Lösung einzutreten?
Das trifft nicht nur für die Zivilgesellschaft
in Syrien zu. Die europäische
Zivilgesellschaft muss sich
sehr viel stärker einbringen und
deutlich machen, dass es so nicht
geht. Alle gehören an den Verhandlungstisch,
idealerweise auch
die syrische Regierung. So weit
denken die Staaten, die sich in Marokko
getroffen haben, aber nicht,
weil sie gar keine friedliche Lösung
mehr verfolgen. Zwar sind die
Amerikaner nicht mehr, wie noch
im Falle Iraks 2003, aktiv mit ihren
Truppen beteiligt, aber im Hintergrund
schwingen sie weiter den
Taktstock und geben den Ton an.
Der Bundestag hat über die Stationierung
von Patriot-Raketen und
Soldaten im türkisch-syrischen
Grenzgebiet entschieden. Ist das
hilfreich?
Hilfreich? Überhaupt nicht! Der
ganze Ansatz ist eine Provokation.
Als ob die Syrer jetzt daran dächten,
die Türkei anzugreifen! Damit
wird nur das ohnehin aufgebaute
Feindbild Syrien weiter aufgebauscht.
Für uns Deutsche ist diese
Stationierung von Patriot-Raketen
tragisch. Ich bin entsetzt darüber,
dass die Bundesregierung
sich dazu hat verleiten lassen, dass
wir so leichtfertig das letzte politische
Kapital in der Region, das wir
haben, unser Ansehen, verspielen,
indem wir uns an dieser Raketenstationierung
beteiligen.
** Aus: neues deutschland, Samstag, 15. Dezember 2012
Einmarsch in Nahost
Bundestag beschließt »Patriot«-Einsatz in der Türkei. Auch Washington und Niederlande verlegen Raketenstaffeln in die Nähe Syriens. EU soll Assad-Gegner auch offiziell bewaffnen.
Von Rüdiger Göbel ***
Deutschland ist jetzt auch offiziell Kriegspartei in Syrien. Mit
breiter Mehrheit hat der Bundestag am Freitag die Entsendung von »Patriot«-Raketen und 400 Bundeswehrsoldaten in die Türkei beschlossen. In namentlicher Abstimmung billigten 461 Abgeordnete von CDU, CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen das neue Bundeswehrmandat, 86 lehnten es ab, darunter die der Linksfraktion. Es gab acht Enthaltungen. Der Einsatz soll Anfang 2013 starten und zunächst 25 Millionen Euro kosten. Auch die USA und die Niederlande verlegen »Patriot«-Staffeln in Syriens Nachbarland. In Washington hat laut New York Times Verteidigungsminister Leon Panetta den Befehl dazu unterzeichnet. Das NATO-Mitglied Türkei hatte zuvor um Hilfe beim Schutz vor möglichen Angriffen aus Syrien gebeten. Gezielt waren Berichte gestreut worden, der syrische Präsident Baschar Al-Assad könnte Chemiewaffen einsetzen.
FDP-Wehrexpertin
Elke Hoff machte sich am Freitag im Bundestag für das »Patriot«-Mandat stark. Die Entsendung deutscher Soldaten mit dem Flugabwehrsystem nach Anatolien sei »sinnvoll und notwendig«. Der Einsatz bleibe im übrigen auf das NATO-Territorium beschränkt und werde nicht Teil einer möglichen Errichtung einer Flugverbotszone über syrischem Gebiet sein. Der CDU-Außenpolitiker Philip Mißfelder log dreist und behauptete, die Türkei habe deeskalierend im Syrien-Konflikt gewirkt. Tatsächlich war Ankara an der Gründung und am Aufbau der oppositionellen »Freien Syrischen Armee« beteiligt. Über das NATO-Mitgliedsland werden die Aufständischen logistisch unterstützt. All das ist kein Geheimnis. Mißfelders Parteifreund Andreas Schockenhoff hatte am Mittwoch im Bundestag die Waffenhilfe für die Assad-Gegner offen verteidigt: »Da der UN-Sicherheitsrat bis heute blockiert ist und keine wirksamen Maßnahmen ergreifen konnte, war kein anderer Weg möglich, als die syrische Opposition mit Waffen zu versorgen, um das syrische Regime zu stoppen.«
Die Nachrichtenagentur dapd erklärte, »der Einsatz von ›Patriot‹-Raketen ist ein wichtiges Zeichen im Syrien-Konflikt«. Türkisches Gebiet schützen könnten die deutschen Luftwaffensoldaten aber kaum, da sie auf dem Luftwaffenstützpunkt Kahramanmaras gut 100 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt stationiert würden. Der Beitrag aus Deutschland, den Niederlanden und den USA sei »eher symbolisch«. Teil des neuen Kriegsmandats ist allerdings die Beteiligung an einem möglichen AWACS-Einsatz. Die im pfälzischen Spangdahlem startenden NATO-Flugzeuge können tief in syrisches Gebiet blicken. Laut dapd geschieht dies zum Teil aber auch schon jetzt im Rahmen der Mittelmeerflüge unter dem NATO-Mandat »Active Endevour«, das gerade im Bundestag verlängert wurde.
Der Vorsitzende der Linksfraktion
Gregor Gysi kritisierte den Türkei-Einsatz als »Einmarsch im Nahen Osten« – und löste mit der Formulierung tumultartige Reaktionen aus. Mit dem Abschuß einer einzigen Rakete würde Deutschland zur »Kriegspartei im Nahen und Mittleren Osten«. Deutschland habe mit seiner Geschichte nichts in der Region zu suchen. Die Grünen-Abgeordnete
Kerstin Müller wies dies als »abstrusen Populismus« zurück.
In Brüssel setzten derweil die Staats- und Regierungschefs der EU ihre Beratungen über Beistandshilfen für Assads Gegner fort. Großbritanniens Premier David Cameron drängte dabei auf eine Aufhebung des Waffenembargos gegen die syrische Opposition. Die Aufständischen könnten so auch offiziell von NATO-Staaten ausgerüstet werden – auch mit Ergebnissen aus der AWACS-Aufklärung.
*** Aus: junge Welt, Samstag, 15. Dezember 2012
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