Wege aus Krieg und Gewalt
Das neue Buch der "Kasseler Schriften zur Friedenspolitik"
Ralph-M. Luedtke, Peter Strutynski (Hrsg.): Wege aus Krieg und Gewalt
Jenior-Verlag: Kassel 2003, (Kasseler Schriften zur Friedenspolitik Bd. 9), 230 Seiten, 15,- EUR* (ISBN 3-934377-85-8)
* Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Friedensratschlag erhalten das Buch für 12 EUR (bitte bei der Bestellung angeben!
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Aus dem Inhalt:
Vorwort
Die friedenswissenschaftlichen und friedenspolitischen Diskussionen der letzten Monate kreisen alle mehr oder weniger um den Irakkrieg. Dieser Krieg hat die Koordinaten der Weltpolitik in einem Maße verschoben wie kein anderer Krieg vor ihm. Dabei fehlt ihm durchaus die Neu- oder gar Einzigartigkeit. Völkerrechtswidrig war beispielsweise ja auch schon der NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999. Und auch der Afghanistankrieg sowie die anhaltende Militäroperation "Enduring Freedom" entbehren jeglicher völkerrechtlichen Grundlage: Das vom UN-Sicherheitsrat unmittelbar nach dem 11. September 2001 reklamierte Recht der USA auf "Selbstverteidigung" entsprechend Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen war bei Beginn des Afghanistan-Feldzugs einen Monat später längst verbraucht.
Was dem Irakkrieg seine besondere Bedeutung verleiht, ist nicht seine Völkerrechtswidrigkeit, sondern das Exempel, das er statuieren soll. In aller Ruhe und in aller Öffentlichkeit haben die USA und ihr Juniorpartner Großbritannien einen Angriffskrieg gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen und souveränen Staat Irak vorbereitet. Der UN-Sicherheitsrat hat diesen Krieg ausdrücklich nicht gebilligt, er hat ihn aber auch nicht zu verhindern gewusst. Selbst die Regierungen der sog. Antikriegs-Koalition, insbesondere Frankreich, Russland und Deutschland, haben die Kriegsvorbereitung der USA nicht wirklich verhindern wollen. Ob sie es wirksam gekonnt hätten, z.B. durch die Verweigerung von Überflugsrechten, wie dies von der Friedensbewegung vehement gefordert worden war - diese Probe wollte die deutsche Bundesregierung nicht machen. Der Irakkrieg bedeutete auch eine schwere Schädigung des politischen Gewichts der Vereinten Nationen. So anerkennenswert die Haltung der meisten UN-Sicherheitsrats-mitglieder im Vorfeld des Krieges war, so zwielichtig verhielten sie sich nach dem offiziellen Ende des Krieges. Resolution 1483 und alle folgenden Irak-Resolutionen können mit Fug und Recht als nachträgliche Legitimierung eines von Anfang an unrechtmäßigen, nach der UN-Charta verbotenen Krieges interpretiert werden. Und der Irakkrieg war die erste praktische Umsetzung der im September 2002 vom US-Präsidenten erlassenen "Sicherheits"-Doktrin, mit der sich die Vereinigten Staaten das Recht herausnehmen, nach eigenem Gutdünken Präventivkriege gegen jeden anderen Staat der Welt führen zu dürfen. Damit wird das Völkerrecht aus den Angeln gehoben, das seit dem Kellogg-Pakt 1928, spätestens aber seit der Verabschiedung der UN-Charta 1945 jeden Krieg außer den zur Selbstverteidigung ächtet und verbietet.
Schließlich kann der Irakkrieg aber auch aus einem ganz anderen Grund eine politische Zäsur darstellen. Zum ersten Mal nach Ende der Blockkonfrontation haben sich mit den USA aufs engste verbündete Regierungen als entschiedene Gegner der Kriegspolitik der US-Administration geoutet. Die Europäische Union, die sich gerade anschickte, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik institutionell zu verankern, erschien plötzlich tief gespalten: Glühende Kriegsbefürworter (in der unhistorischen Sicht des US-Verteidigungsministers das "neue Europa") standen sich den Skeptikern und Kriegsgegner (das "alte Europa") gegenüber. Ein Riss, der so schnell nicht verheilen wird, auch wenn die ehemaligen Kriegsgegner inzwischen ihren Frieden mit den Kriegsbefürwortern geschlossen haben.
Dem gegenüber stehen nach wie vor die Bevölkerungen der Staaten Europas und der Welt, die den Irakkrieg immer abgelehnt haben und das heute noch tun. Die gewaltige Friedensbewegung, die sich auf ihrem Höhepunkt, dem 15. Februar 2003, als eine wahre "Internationale des Friedens" weltweit in Szene gesetzt hat, konnte sich auf eine breite Ablehnungsfront in der Weltgesellschaft stützen und wird sich bemühen müssen diesen friedensorientierten Konsens auch in Zukunft aufrechtzuerhalten und nach Möglichkeit noch zu verbreitern.
Der vorliegende Band atmet durch und durch den Geist des wissenschaftlich und friedenspolitisch begründeten Widerspruchs gegen den Irakkrieg, auch wenn sich einzelne Beiträge mit anderen Themen befassen. Der größere Teil der Beiträge beruht auf Referaten, die während des Friedenspolitischen Ratschlags Ende 2002 gehalten wurden. Bei einigen Aufsätzen (die von Baraki, Damir-Geilsdorf, Grünberg, Johannsen, Kirchner) handelt es sich um Vorträge, die im Wintersemester 2002/03 an der Universität Kassel im Rahmen einer von der AG Friedensforschung veranstalteten Vorlesungsreihe gehalten wurden. Die Vorlesungsreihe, die sich sehr erfolgreich auch an ein außeruniversitäres Publikum richtete, trug den Titel "Der Nahe und Mittlere Osten: Schauplatz des `Krieges gegen den Terror´?"
US-Präsident Bush hat im September 2001 der Welt einen lang anhaltenden "Krieg gegen den Terror" versprochen. Der Afghanistan-Krieg ist ebenso zu Ende wie der Irakkrieg. Neue Kriege gegen weitere "Schurkenstaaten" sind nicht auszuschließen. Die Beiträge des vorliegenden Bandes sind also aktueller als der Menschheit lieb sein kann.
Kassel, den 15. Oktober 2003
Ralph-M. Luedtke, Peter Strutynski
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