Arbeit mit kriegstraumatisierten Frauen als Weg aus der Spirale von Gewalt und Gegengewalt
Von Gisela Penteker (IPPNW)
Referat auf dem Friedensratschlag, Kassel, 7./8. Dezember 2002
Der IPPNW-Weltkongress in Paris im Jahr 2000 war für mich ein einschneidendes Erlebnis. KollegInnen aus Deutschland, der Türkei, aus Serbien, aus England, von den Philippinen und aus Uganda berichteten von ihrer Arbeit mit traumatisierten Kriegsopfern und Flüchtlingen. Der Titel unseres Workshops war: "Traumaarbeit - ein unverzichtbarer Teil der Friedensarbeit".
Mir wurde in Paris die ungeheure Dimension des Flüchtlingselends bewusst. Entwurzelte Menschen ohne Perspektive stellen in vielen Regionen der Erde inzwischen den größten Teil der Gesellschaft. Es gibt riesige Flüchtlingslager, in denen Menschen seit mehreren Generationen leben, es gibt Slums rund um die meisten großen Städte, aus denen es kein Entrinnen gibt. Die meisten Flüchtlinge leben in armen, häufig kriegszerstörten Ländern ohne medizinische Basisversorgung, ohne soziales Netz, ohne Ausweg. Die Kinder wachsen auf zwischen Krankheit, Sucht und Hunger in einem Klima der Gewalt und der Hoffnungslosigkeit.
Die Ereignisse des 11.September 2001 haben nicht nur gezeigt, dass es keine Sicherheit für die Reichen, Privilegierten und Mächtigen gibt, sie haben auch zu einem erschreckenden Rückfall in ein militärisches Denken geführt, das viele von uns nach zwei Weltkriegen überwunden glaubten. Da heiligt wieder der Zweck die Mittel, da gibt es gerechte Kriege, ja sogar Kreuzzüge für unsere christlichen Werte und die Menschenrechte.
UNO, Völkerrecht, internationale Abkommen, alles ohne Bedeutung. Ich brauche diese Dinge hier nicht weiter ausführen, sie sind Thema unseres Ratschlags.
Ich möchte Sie mit Ruth Ojiambo-Ochieng von Isis-Wicce in Uganda bekannt machen, die uns in Paris von ihrer Arbeit mit kriegstraumatisierten Frauen berichtet hat, die vielleicht einen Ansatz bieten kann, Wege aus der Spirale von Gewalt und Gegengewalt zu finden.
Isis WICCE (International Cross Cultural Exchange) ist eine weltweite Frauenorganisation, die 1974 in Genf gegründet wurde. Nach der UNO-Frauenkonferenz in Mexiko etablierte sich die Organisation in Kampala, Uganda, um den Austausch von Ideen, Meinungen und Problemen der afrikanischen Frauen auf internationaler Ebene verstärken zu können. Trotz der globalen Perspektive wird besonders Wert gelegt auf die Unterstützung von Frauen in sogenannten Entwicklungsländern, insbesondere Afrika, da hier internationale Informations- und Austauschmöglichkeiten fehlen.
Die Arbeit von Isis WICCE, die u.a. von der Heinrich Böll Stiftung unterstützt wird, gliedert sich in drei Bereiche: Das Austausch-Programm, das Informations- und Dokumentations-Programm und die Publikationen. Die Kommunikations- und Politikwissenschaftlerin Ruth Ojiambo-Ochieng ist die Koordinatorin für Information und Dokumentation bei Isis WICCE. Für den Pariser Kongress und das dortige Mediziner-Publikum hat sie ein kurzes Video zusammengestellt über die Ergebnisse ihrer Arbeit mit Frauen in verschiedenen Kriegsgebieten von Uganda, wo seit über dreißig Jahren ein Bürgerkrieg den nächsten ablöst.
Ich will Ihnen den Film gleich zeigen, in dem sehr eindrücklich in kurzen Sequenzen einige Frauen zu Wort kommen mit Kommentaren von GynäkologInnen und Psychiatern.
Die üblichen Untersuchungen von Kriegsfolgen befassen sich ausführlich mit den Problemen der ehemaligen Kämpfer, ihren Verwundungen, ihren seelischen Störungen nach dem Töten, ihrer Wiedereingliederung in das zivile Leben nach dem Krieg. Die andere Hälfte der Kriegsopfer wird in diesen Untersuchungen meist mit dem lapidaren Satz bedacht: "und die Frauen wurden vergewaltigt".
Ein englischer Forscher befragte im Rahmen einer internationalen Untersuchung Frauen im Loweero-Distrikt von Uganda 10 Jahre nach dem Krieg von 1980 bis 1987. Nach einem viertel Jahr kam er mit der Erkenntnis zurück, dass "die Frauen zurecht kommen".
Isis WICCE nahm die Untersuchungen wieder auf, die diesmal von ugandischen Sozialwissenschaftlerinnen durchgeführt wurden. Trotzdem bedurfte es einer intensiven, kontinuierlichen zweijährigen Arbeit und Vertrauensbildung, bis die Frauen von Loweero anfingen, über ihre Kriegserfahrungen und ihre weiter bestehenden Probleme zu sprechen.
Es tat sich ein Abgrund auf von Leid, vom körperlicher und seelischer Verstümmelung, von Scham, Zorn, Vereinsamung und Apathie. Die Sozialwissenschaftlerinnen suchten Rat und Unterstützung bei führenden GynäkologInnen und Psychiatern des Landes, die aufgrund der Befragungsergebnisse sofort zu einer Zusammenarbeit bereit waren. Da man den Menschen nicht nochmals eine wissenschaftliche Untersuchung ohne konkrete Hilfe zumuten wollte und konnte, wurden Behandlungsteams mit einer Basisausstattung an diagnostischen, operativen und medikamentösen Mitteln eingesetzt. Der Zulauf und der Behandlungsbedarf waren überwältigend. Die Frauen litten unter schweren Verstümmelungen durch wiederholte Vergewaltigungen, durch Bajonettverletzungen, durch unversorgte Risse unter der Geburt, durch Infektionen nach unversorgten Aborten. Viele lebten ausgestoßen ohne Kontakte am Rande der Gesellschaft, weil sie Harn- und Stuhl-inkontinent waren. Viele litten an Geschlechtskrankheiten und Aids. Es gab Minenverletzungen, schwere Verbrennungen und weitere nicht geschlechtsspezifische Verletzungen. Die Männer waren meist tot oder völlig nutzlos zu Trinkern verkommen, die Kinder gingen nicht zur Schule. In den Familien herrschte ein Klima der Gewalt und Hoffnungslosigkeit. Viele Kinder hielten es zu Hause nicht aus. Sie leben in Banden auf den Straßen der Städte. Dort schnüffeln sie Petrolium und leben von Überfällen. Einige Frauen haben an der Seite der Männer gekämpft. Sie haben es zu militärischen Rängen gebracht. In der Nacht mussten sie trotzdem die Bedürftnisse der Kameraden befriedigen. Sie bekamen Geschlechtskrankheiten und Kinder. Nach dem Krieg war für sie kein Platz in der Armee, sie erhielten keine Entschädigung und niemand fühlte sich für die Kinder verantwortlich.
Viele Kinder wurden in den Sudan entführt und dort zu Kindersoldaten gemacht. Viele vo ihnen sind verschollen. Die Rückkehrer werden in speziellen Camps drei Monate lang Therapiert und dann in ihre Dörfer zurückgeschickt. Dort aber ist niemand auf ihre Rückkehr vorbereitet. Niemand hilft den Müttern, mit diesen Kindern umzugehen. Die Dorfbewohner zeigen mit Fingern auf sie. Viele halten den Druck nicht aus. Ins Camp können sie nicht zurück. Also landen auch sie auf der Straße.
Untersuchungen in anderen Kriegsgebieten bestätigten die Ergebnisse von Loweero. In Gulu, im Norden Ugandas, wurde die Arbeit immer wieder vom neu aufflackernden Krieg unterbrochen. Die Menschen übernachteten im Busch, weil sie in ihren Dörfern Überfälle der Rebellen oder der Regierungssoldaten fürchten mussten.
Die ugandische Regierung lobte die Untersuchungen und zeigte sich bestürzt über die Ergebnisse. Wie aber kann Hilfe aussehen in einem hochverschuldeten Land, in dem 40% und mehr des Staatshaushalts für das Militär ausgegeben werden aber nur 3% für die Gesundheitsversorgung?
Ich zeige Ihnen jetzt den Film. Er ist in englisch, Ich habe eine deutsche Übersetzung für den Hausgebrauch gemacht, die ich gerne verteile.
Die Untersucherinnen beobachteten, dass es für viele Frauen schon eine große Entlastung war, über ihre Erfahrungen zu sprechen, aus der Isolation und dem Teufelskreis vun Scham und Schuldgefühlen herauszukommen.
Isis WICCE holte Frauen aus den verschiedenen Kriegsgebieten für ein zweiwöchiges Seminar zusammen. Eine Woche lang erzählten sie sich gegenseitig ihre Erlebnisse und Erfahrungen. Nach einer Woche stand eine Frau aus Gulu auf und weinte und weinte. Sie wandte sich an die Frauen aus Loweero und bat um Verzeihung. Sie habe soviel Hass und Bitterkeit ihnen gegenüber empfunden. Sie habe geglaubt, dass "die aus dem Süden" für ihre Leiden verantwortlich wären. Jetzt habe sie verstanden, dass die Frauen im Süden ebenso gelitten haben, wie sie selbst. Es seien die Männer im Krieg, die ihre Feinde seien, die aus dem Süden genauso wie die aus dem Norden. Sie tauschte ihr Gewand mit einer der Frauen aus Loweero in einer sehr emotionalen symbolischen Geste. Die Frauen verabredeten, zunächst in ihren Familien den Teufelskreis der Gewalt zu durchbrechen und für einen friedlichen Umgang miteinander zu sorgen, dann in ihren Dörfern, dann in den Distrikten.
In der zweiten Woche besuchten die Frauen aus dem Norden Dörfer im Süden und umgekehrt und lernten voneinander.
Isis WICCE hat in der Folgezeit die Veränderungen in den Häusern und Dörfern dokumentiert. Die Frauen helfen sich gegenseitig bei der Feldarbeit, sie haben kleine Genossenschaften gebildet, sie verkaufen ihre Erzeugnisse. Mehr Kinder gehen zur Schule.
Eine Frau hat durch eine Mine beide Beine verloren, der Mann hatte sie und die Kinder verlassen. Er habe schließlich keine halbe Frau geheiratet. Sie war völlig verzweifelt und apathisch. Mitarbeiterinnen von Isis WICCE haben ihr eine Nähmaschine besorgt, sie hat eine kleine Näherei, kann die Familie ernähren und die Kinder zur Schule schicken. Jetzt möchte der Mann sich gerne wieder der Familie anschließen.
Die Erfahrungen dieses Austauschversuches waren so positiv, dass das Programm fortgeführt und auf andere Gebiete rund um die großen Seen ausgeweitet werden soll. -Immer natürlich vorausgesetzt, es gelingt, Geld dafür aufzutreiben.
Trotz aller positiven Erfahrung bleibt ein enormer Bedarf an medizinischer und psychotherapeutischer Behandlung, der auf lange Sicht nicht gedeckt werden kann. Die an der Untersuchung beteiligten Ärzte suchen nach Wegen, wie mit einfachen Mitteln die Gesundheitsarbeiter in den Gesundheitsstationen zur Traumaarbeit angeleitet werden können. Sie haben ein großes interesse an einem Austausch mit Behandlungszentren für Folteropfer und Psychiatern und Psychotherapeuten hier bei uns.
In einem großen Austauschprogramm trafen sich Frauen aus Kambodscha, Mexico, El Salvador, Serbien, den Philippinen, Ruanda, Süd Afrika, Togo, Sri Lanka, Sudan, Somalia, Kenia und der Demokrat. Republik Kongo 1996 in Gulu und 98/99 in Loweero. Es waren sehr emotionale Treffen, weil die Frauen erkannten, dass die Kriegsauswirkungen auf Frauen sich über nationale und ethnische Grenzen hinweg gleichen und dass sie deshalb auch gemeinsam Strategien für friedliche Konfliktlösungen entwickeln können.
Der Versuch von Lysistrata und den Frauen von Athen in der griechische Kommödie von Aristophanes, die Männer vom Krieg abzubringen, indem sie sich ihnen verweigerten, war leider nur von kurzem Erfolg gekrönt. Aber wenn immer mehr Frauen begreifen, dass ihre Soldatenmänner nicht Helden, sondern Opfer skrupelloser Machtpolitik sind, könnte es vielleicht doch etwas bewirken. Sind sie es doch, die die Söhne erziehen (und in ihrem Mutterstolz schon als kleine Steppke in Kampfanzüge stecken!).
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