Die USA im Mittleren Osten und ihre "Friedensmission":
Permanenter Krieg als neue Strategie der Weltführung
Von Gazi Caglar*
Die Welt scheint auf dem Kopf zu stehen, seit die USA als Spitze der "neuen Weltordnung" getroffen sind. Die USA geben wie im Falle Iraks die Ziele vor, der Rest der Welt diskutiert über Sinn und Unsinn US-dominierter Zielbestimmung. Die Anschläge in New York und Washington am 11. September 2001 haben die Weltpolitik in Kriegs- und Friedensfragen weitgehend verändert. Das Denken im Modus "heiliger Kriege" und "heiliger Allianzen" mit aller dazugehörigen innenpolitisch-militärischen Disziplinierung der jeweiligen Gesellschaften und Köpfe hat zugenommen. Ein permanenter Krieg, systematisch geplant und in Großtönen angekündigt, ist Teil politischer Normalität geworden. Jegliches Nachdenken über diesen Prozeß muß jedoch zunächst beim Anschlag selbst ansetzen: Die Anschläge, denen Tausende von Menschen zum Opfer gefallen sind, sind abscheulich und ohne Wenn und Aber zu verurteilen.
Politisches Denken aber, welches seine Sprengkraft aus dem mit jedem Tag dringlicher werdenden Interesse an der Beseitigung von entwürdigenden Verhältnissen auf dem Globus bezieht, darf nicht bei der Bestürzung und Trauer über dieses Grauen stehen bleiben. Sozialkritisches Denken hat nichts mit Einfühlung in die Terroranschläge zu tun und darf sich daher nicht verstummen lassen von den Maulkorbstrategen der massenmedial vermittelten Monokultur der herrschenden Politik.
Die Attacken, zunächst einmal unabhängig von ihrer weiteren metaphorischen Symbolik betrachtet, waren weder ein Anschlag auf "die Freiheit" (Schröder), da ja schließlich nicht die Freiheitsstatue getroffen wurde, noch auf "die Zivilisation" (Bush) oder "den Westen" (Joffe 2001). Die Ziele waren konkrete Symbole der USA nicht als "Olymp der Freiheit und Demokratie", sondern als materieller und mentaler Größe des Imperialismus, nicht als Zentrum und Botschafter der Zivilisation, sondern als einer übriggebliebenen militärischen Supermacht mit Anspruch auf Weltführung. Gegen jegliche moralisierende Gleichsetzung des World Trade Centers, eines ehemaligen Zentrums des Finanzkapitalismus, mit dem Herzen Amerikas und dem Zentrum der Zivilisation und gegen jegliche mediale und gesellschaftliche Sprachnormierung müssen wir mit dem zweifellos geadelten Kenner Huntington die Zielscheibe der Angriffe beim Namen nennen: "Die Symbole Amerikas - das World Trade Center als Symbol des Kapitalismus, das Pentagon als Symbol amerikanischer Militärmacht" (Huntington 2001:2). Genau diese zivilen und militärischen Symbole wurden in einer koordinierten Aktion angegriffen, welche sich in einer unglaublichen Verbindung von High-Tech-Teufelsaustreibung und politischem Atavismus von einer unzulässigen und in diesem konkreten Fall höchst verbrecherischen Reduktion von Politik auf apokalyptisch interpretierte Symbole leiten ließ (vgl. Benhabib 2001:20).
Wer die Täter waren und welche "Hintermänner" sie haben, ist bis heute nicht völlig geklärt. Auch in diesem Punkt sind wir weitgehend abhängig von den gefilterten, wenn nicht offen manipulierten offiziellen Informationen, die bewusst eingeplanter Teil der Kriegsführung sind, wie wir zuletzt beim NATO-Krieg gegen Jugoslawien erleben durften, den manche aufgeklärten Philosophen wie Habermas im Eifer zur Generalkompetenz zwischen Erfahrungsdetail und Großentwurf als Vorgriff auf die Durchsetzung einer Weltrechtsordnung missverstanden hatten (vgl. Ross 2001:45). Der damalige Sprecher der NATO im Krieg gegen Restjugoslawien Shea, der als Kriegsinterpret und Ingenieur des Informationsterrors um die Bedeutung der Nutzung der Medien weiß, spricht zur Charakterisierung der Nachrichtenpolitik seiner Organisation von "unvollständiger Information", "aufrichtigen Fehlern", "bewusster Lüge", den "Verschleppungen oder Blockaden unserer eigenen Bürokratie" sowie "Restriktionen" im "Nebel des Krieges" und fügt unverhohlen hinzu: "So hatten die Journalisten das Gefühl, sie würden informiert, und konnten ihre Geschichten schreiben" (Shea 2001:4). Andererseits haben auch die Attentäter ihre Anschläge dank den audiovisuellen Medien als ein "Katastrophenfilm in Echtzeit - eine Live-Katastrophe, ein Krieg in Direktübertragung" inszeniert und das Fernsehen als Simultanabbilder zum Bestandteil des Attentats gemacht, obwohl und gerade weil man um so weniger wußte, je intensiver die immer gleichen Bilder gesendet wurden (vgl. Virilio 2001:49). Von der immer mehr Oberhand gewinnenden Bildlogik der durchmedialisierten kapitalistischen Gesellschaft inspiriert verübten sie wie im minuziösen Drehbuch eines Horror- oder Science-Fiction-Thrillers das Massaker als Medienspektakel. Sie, die im Dunkeln des Todes bleiben werden, wie es so oft in der Geschichte von Menscheitsverbrechen vorkommt, werden ihre "Hintermänner" nicht mehr verraten können: Kaum Erklärungskraft haben in dieser Situation bekannten Mustern von Verschwörungstheorien nacheifernde Verwicklungsszenarien von Regierungen, Geheimdiensten, US-amerikanischen Nazis, "Juden" oder gar von "Fraktionen des Kapitals" als geheime Auftraggeber, obgleich die Frage offenbleibt: Wie konnten Osama bin Laden und seine Organisation Al-Qaida als eine scheinbar geklonte Armee heiliger Krieger und Netzwerk-Terroristen die Anschläge verüben, obwohl sie seit Jahren als erstrangige Staatsfeinde auf der Top-Terroristen-Liste der USA stehen und somit nachrichtendienstlich und mit sonstigen Mitteln bestens bewacht waren (vgl. Foden 2001:11)?
Die These, der Terror sei die Waffe der Ohnmächtigen und Unterdrückten, mag in gewissen Grenzen stimmen. Auch das durch historisches Leiden festgeronnene Argument "Wer Wind sät, wird Sturm ernten", mag gelten (Alexander 1986). Von politischem Kurzschlussdenken zeugt aber offensichtlich die Schlussfolgerung, die Anschläge seien eine unvermeidliche Folge des US-Imperialismus oder der gegenwärtigen Stufe kapitalistischer Verhältnisse. Solches Denken würde auf eine ungerechtfertigte Entschuldigung der Täter hinauslaufen, die jedoch selbst für ihre Taten voll verantwortlich sind. Ein solcher Diskurs, der den Islamismus zumeist als eine Antwort auf den Imperialismus liest, vergisst nicht nur, dass der Islamismus eine im wesentlichen von Mittelschichten getragene Bewegung ist, die ihrerseits fleißig an der weiteren Versklavung der Ohnmächtigen arbeitet, sondern reproduziert auch ein binäres Schema von Erster und Dritter Welt, reduziert die soziale Ursachenforschung auf die böse US-Machtpolitik und betreibt, den Antiimperialismus zumeist auf Antiamerikanismus verkürzend, eine Dämonisierung der USA. Er ist kaum in der Lage, zwischen der Objektivität einer gewaltförmigen US-Machtpolitik als Ausdruck der Totalität kapitalistischer Vergesellschaftung einerseits und der Subjektivität ihrer verdinglichenden und personalisierenden Interpretation als spezifischer "Yankee-Imperialismus" andererseits zu unterscheiden. Die Übel der kapitalistischen Weltordnung vor allem und allein an den USA festzumachen, ist schon vom Ansatz her zu kurz gedacht, da die ideologische Akzeptanz des Kapitalismus zu universal ist und er zuviele Nutznießer, Staaten wie Individuen, hat, was keineswegs bedeutet, dass die USA als Hegemonialmacht des kapitalistischen Weltsystems nicht ebenso verantwortlich sind für ihre Aggressionen und deren Folgen. Falsch ist ein Unvermeidliche-Folge-Denken aber auch deshalb, weil es die Kampfalternativen der Unterdrückten der Peripherien unzulässigerweise reduziert, und zudem vergißt, dass es auf Ausbeutung und Herrschaft auch eine sozial und politisch fortschrittliche Antwort geben kann. Die Anschläge in den USA widersprechen jedoch jeglicher emanzipatorischer Regung nicht nur wegen ihrer bereits voll in Anspruch genommenen Instrumentalisierbarkeit in den Metropolen zum Ausbau des repressiven Staatsapparats, sondern vor allem wegen der Ununterscheidbarkeit der menschenverachtenden Kriegsmethoden der Angreifer und der Angegriffenen. Insofern sind die Täter der Terroranschläge in New York pathologische Kopien derjenigen, die im vollen Bewußtsein ihrer unvermeidlichen Niederlage Vietnam mit Napalm-Bomben besät haben (vgl. Burchett 1980). Das Verbrechen vom 11. September ist auf alle Fälle ein willkommenes Geschenk für die chauvenistische und hurrapatriotische Rechte nicht nur in den USA. So könnte man allein an den Reaktionen der politischen "Elite" Deutschlands mit Leichtigkeit analysieren, wozu die Anschläge und die dadurch entstandene Angst instrumentalisiert wurden. Das sagt Schröder selbst unverblümt: Seine Regierung habe "nämlich in so kurzer Zeit so fundamentale Veränderungen durchgesetzt", also z. B. nicht nur innenpolitisch das Migrationsregime restriktiv modernisiert und die "Sicherheit" z. B. durch Rasterfahndung erhöht, sondern vor allem auch den Verwandlungsprozeß der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee beschleunigt. "Wir haben in den letzten drei Jahren ... deutsche Außen- und Sicherheitspolitik fundamental verändert... Militärische Interventionen darf man ... nicht tabuisieren... Wir sind an diesem Konflikt im sehr existenziellen Sinne beteiligt... Wer als Terrorist, ohne daß er über ein Land vollständig verfügt, einem anderen Land den Krieg erklärt ..., der führt Krieg" (Schröder 2001:3). Und Deutschland muß sich dann an der Seite des Weltpolizisten Nr. 1 in die Welt bewegen, um einen solchen "Terroristen" zu bestrafen und nebenbei auch die eigenen ökonomischen und geopolitischen Interessen durchsetzen. Dabei gibt es natürlich unterschiedliche Wege in den Krieg: einen "deutschen Weg" (Schröder) und den Weg Bushs.
"Solidarität mit Amerika": Vertrauen in die Friedfertigkeit der Normalität
Trauer und Betroffenheit wurden nach den Anschlägen in New York weltweit regelrecht verordnet, "Solidarität mit Amerika" wurde überall gefordert. "Wir alle" waren, so die Reden der Spitzenpolitiker, plötzlich "Amerikaner" geworden. So ehrlich jedoch das Entsetzen über das Grauen von New York bei vielen Menschen war, so verlogen klangen die Betroffenheitsfloskeln aus dem Munde von Politikern, die Massaker und Völkermord mit noch viel mehr Opfern für gewöhnlich achselzuckend zur Kenntnis nehmen, ja sogar zivile Opfer wie in Jugoslawien und Afghanistan als "Kollateralschäden" in einem "humanitären Krieg" rechtfertigen. Nach den Reaktionen hätte man meinen können, Amerika sei "ein schlafender Riese" und keine hochgerüstete Militärmacht, die fast ständig Krieg führt. Einmalig in ihrer Brutalitätsdimension waren wohl nicht nur die Terroranschläge. Unweigerlich drängte sich die an sich inhumane Frage auf, ob denn ein amerikanisches Leben mehr wert sei als ein afghanisches, kurdisches, ein palästinensisches... Allein diese Frage, die durch die unglaubliche Tatsache beunruhigend beantwortet wird, daß für die Opfer der Anschläge in den USA bisher mehr Spendenaufkommen zu verzeichnen sind als beispielsweise für die Flüchtlinge in Afghanistan oder zum Aufbau dieses Landes, zwingt sozialkritisches Denken dazu, sich der demonstrativen Solidarität mit Amerika zu verweigern. Diese human motivierte Verweigerung steht - anders als die Krokodilstränen der politischen Trittbrettfahrer und der Geschäftemacher mit der Trauer - auf jeden Fall im Interesse eines aufrichtigen Mitfühlens mit den Angehörigen der Opfer in New York und Afghanistan.
Das Erstaunen und die Empörung über die als außerordentlich wahrgenommene Brutalität der Anschläge in New York in den Bevölkerungen der Metropolen und die lähmende Passivität gegen den jüngsten Afganistan-Krieg deuten auf zweierlei: Einerseits sind sie aufrichtige Zeichen berechtigter Verabscheuung von massenhafter Vernichtung von Menschenleben. Und andererseits speisen sie sich aus dem naiven Vertrauen in die Friedfertigkeit der Normalität des kapitalistischen Weltsystems und dessen politischer Verfassung. Groß und verbreitet ist die Annahme, dass Gewalt und Krieg, dass Terror und Barbarei von außen in die "westliche Welt" einbrechen, dass diese in sich die seelige Friedfertigkeit auf der scheinbar bisher höchsten Stufe von Zivilisation trägt, auch wenn diese eine bis an die Zähne hochbewaffnete Friedfertigkeit ist. Die massenmedial vermittelte Scheingewißheit über die Alternativlosigkeit der kapitalistischen Weltwirtschafts(un)ordnung mit deren bürgerlich-demokratisch verfaßten Regimen in den Metropolen und den Menschenrechten als moralischem Exportgut verbündet sich mit dem individuellen Interesse nach Aufrechterhaltung und Fortsetzung des eigenen Lebens zur Erleichterungs- und Ermöglichungskulisse der brutalen Kriegsführung der eigenen Herrschaften, wobei die Angst, dass die Normalität des eigenen Lebens ebenfalls permanent bedroht ist, im Untergrund ihre Fäden zieht. Nicht nur an der scheinbar und teilweise real fehlenden Perspektive zur Umwälzung der weltweiten Verhältnisse und der fundamentalen Veränderung des eigenen individuellen Lebens liegt es, dass es der Supermacht des imperialistisch-kapitalistischen Weltsystems gelingt, nicht nur passiven, sondern auch aktiven Konsens massenhaft zu erzeugen. Auch überwiegt das angstdominierte Bewußtsein um die eigene Komplizenschaft mit dem Bestehenden, also das Bewußtsein, von den krassen Mißverhältnissen zwischen der "westlichen Zivilisation" und dem "Rest" zu profitieren, so wie sie sind, im "Westen" gegenwärtig das unterschwellige Wissen um die "Ungerechtigkeit" in der Welt und vereitelt jede Regung zum verändernden Handeln. Groß ist die Zahl der Profiteure und Verwalter einer bis zum Himmel stinkenden ungerechten Weltwirtschaftsordnung in den Metropolen und breit die Schichten ihrer intellektuellen und moralischen Rechtfertigungsakrobaten in der Zivilgesellschaft.
Die Gewalt kommt von innen: Zur Dialektik von Gewalt und Kapitalismus
Wer in den Koran und die Bibel geschaut hat, um irgendeine Plausibilität für die Anschläge von New York und den Krieg in Afghanistan zu entdecken, der hat sich für weitere Verblendung entschieden. Wenn es überhaupt eine Erklärung für solche Verbrechen geben kann, dann liegt sie in der offen vor uns liegenden Sprache der zunehmend irrationaler werdenden Realität der kapitalistischen Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse, die da immer mehr blinde Gewalt und Zerstörung produzieren. Es gab einen inneren Zusammenhang zwischen den Streubomben und den Nahrungsmittelpaketen, die über Afghanistan geworfen wurden und deren Nährwert unter ihrem Propagandawert lag. Es gibt einen inneren Zusammenhang zwischen der strukturellen Gewalt des Systems gegenüber den Peripherien, der brutalen Unterdrückung fortschrittlicher Antworten darauf und der massenhaft erzeugten Angst im "Westen". Überhaupt ist der Kapitalismus, überhaupt ist die kapitalistisch vermittelte Zivilisation des "Westens" eine Angstkultur, eine Kultur permanenter Kultivierung von Angst und Schrecken. Dies gilt auch für die Phase, in der der Kapitalismus am Ende des Realsozialismus den Triumph des Übriggebliebenen, ja sozusagen den Glanz der Scheindauer genießt, Scheindauer deswegen, weil der Seinsmodus des Kapitalismus die permanente Vernichtung der menschlichen Lebensgrundlagen und damit seiner eigenen Bedingungen ist. Bei ungebrochner Fortdauer materieller Ursachen wie Krieg, Hunger, Armut, Krankheit, Verschuldung, Drogen, Umweltverschmutzung, Entwurzelung ganzer Völker und internationale Migration tut Ernüchterung not angesichts der aktuellen Heilsversprechen der Missionare der Hochtechnologie, der Biowissenschaften und der Politik. Der in den Peripherien milliardenfach erfahrene Weltzustand als das Imperium der Unfreiheit untergräbt real die Propaganda für das amerikanisch-europäische Gesellschaftsmodell als Treuhänder der Freiheit, so dass die strukturell vom Boden Europas und der USA ausgehende Gewalt langsam auf den "Westen" zurückschlägt. Niemand will mehr angesichts dessen von der "Einen Welt" hören, obwohl nach 1989 doch kaum noch wirklich getrennte wirtschaftsgeographische Räume existieren, wenn man von den nur militärisch und polizeilich mühsam aufrechterhaltenen Mauern der Festung Europa und anderer Grenzen des kapitalistischen Reichtums absieht (vgl. Lutz 2001). Die Annahme, die Gewalt komme von außen, trügt, da es keinen externen Raum für menschenfeindliche Handlungen gibt. Die Gewalt und der Terror kommen nicht von außen auf die "Zivilisation", wie der raumbestimmte Machtbegriff der realistischen politischen Schule suggeriert, sondern werden in ihr und durch sie erzeugt und freigesetzt. Überall auf der Erde folgen dem Weltmarkt und seinen Finanz- und Wissensströmen auch plötzliche ökonomische Zusammenbrüche, hochgefährliche Waffen, Viren im Cyberspace, riskante Seuchen wie neuerdings Milzbrand, ökologische Katastrophen, blutige Bürgerkriege, Verbrechen und Staats- und Wirtschaftsterrorismus sowie individueller Terrorismus. Die Vorstellung, irgendeine Gesellschaft könnte sich gegen diese Folgen isolieren, ist abwegig. Niemand, der nicht einer hypermoralischen Illusion verfallen ist, kann den fundamentalistichen Terror erklären, ohne einen Blick auf das entgrenzte Eigene zu werfen, auf die ökonomisch-kulturelle und militärische Kolonisierung, die vom globalisierten "Westen" ausgeht. Wie Piraten fallen die Mächte der kapitalistischen Moderne unter dem Banner der Menschenrechte und im Schlepptau NATO und Holywood in das "Andere" ein und plündern den Schatz der alten Imaginationen und alten Weltbilder. Die kapitalistische Moderne ist somit per se eine landnehmende Macht, aber auch eine Macht der Benennung, die die alten Namen und Traditionen auslöscht. Nach Said geht die kulturelle Kodierung und Narrativierung dem materiallen Ausgreifen der imperialen Gesellschaften und ihrer Systeme sogar voraus: "Die Kraft, zu erzählen oder andere Erzählungen in der Entstehung oder Entfaltung zu behindern, ist für Kultur und Imperialismus hoch bedeutsam" (Said 1994:15). Mit regelmäßigen Ausbrüchen von Hass antworten die "Elenden" dieser Welt auf die unendliche Gleichgültigkeit der Metropolen, mit Haß, weil sie angesichts der ökonomischen Barbarei des Imperialismus zu anderen Gefühlsregungen nicht imstande sind. So waren auch die Gesetze der Taliban durch kapitalistische Modernisierung vermittelt; sie waren lediglich die brutalisierte und radikalisierte Version des aus Singapur und anderen "Tigerstaaten" bekannten Modells: Kapitalismus mit "asiatischen Werten" (vgl. Rüland 2001). Gerade weil der "Westen" ein Weißwaschen der Gewalt im Interesse des unbesiegbar erscheinenden Bündnisses aus kapitalistischer Ökonomie und liberalem Konsenszwang betreibt, träumt die Gegenseite von nichts anderem, als eine heftige Feindschaft wachzurufen. Die Metropolen kultivieren in verstärktem Maße seit dem Ende des Kalten Krieges die einfältige Beschwörung des Realitätsprinzips und eine Wut auf das Un-Mögliche und Un-Denkbare; unablässig wird das Ende der Geschichte und aller Utopie verkündet, um die letzten Zweifel an den Litaneien der Deregulierung und Zurichtung aller Lebensverhältnisse durch die "Religion des Kapitals" (Derrida) zu beseitigen. Nur greift dieser Propagandafeldzug nicht wirklich, da die unterschlagene Wirklichkeit des Kapitalismus immer wieder in seiner medial abgeschirmten Scheinwelt aufblitzt. Mit der unterschlagenen Wirklichkeit sind mehr Seattle, Genua und Florenz und weniger die Aktivitäten der islamistischen Bewegungen gemeint, die in ihrem Milieu eine hochgradig gefährliche Mischung aus politischen Wahnvorstellungen, selbstzerstörerischer Energie und weit entwickelten technischen Fertigkeiten im Interesse eines scheinbaren Direktdurchgriffs der Religion auf das Leben und des Hangs zur Gottesstaatlichkeit und Glaubensdiktatur unterhalten und damit Verarmte und Verzweifelte in die Irre führen, indem sie ihnen durch magisches Denken schnelle und blutige Lösungen versprechen.
Die USA und der Fundamentalismus: Die Logik des Entweder-Oder
Wir sind in einer weltpolitischen Phase, in der die These vom Kampf der Kulturen über größtmögliche Erklärungskraft zu verfügen scheint (Huntington 1996; zur Kritik Caglar 2001). Huntington sprach auch jüngst von der drohenden Gefahr eines Kriegs der Zivilisationen, bezeichnete die Angriffe auf New York als Attentat "gemeiner Barbaren gegen die Zivilisation" forderte einen unerbittlichen Kampf gegen die "Kräfte des Bösen" (Huntington 2001:2). Angesichts massenhafter medialer Bemühung dieser These muss man sich heute fragen, wie fundamentalistisch und kulturkämpferisch eigentlich die USA sind? Bush sprach in seiner Rede an die Nation in einer fundamentalistischen Logik: "Wir werden jedes Mittel in unserer Macht einsetzen - jedes Mittel der Diplomatie, jede Möglichkeit der Geheimdienste, jedes Instrument der Strafverfolgung, jeden finanziellen Einfluß und jede notwendige Wafe des Krieges... Amerikaner sollten nicht eine einzelne Schlacht erwarten, sondern einen langen Feldzug, wie wir ihn bisher noch nicht erlebt haben... Ob wir unsere Feinde der Gerechtigkeit ausliefern oder ob wir Gerechtigkeit zu ihnen tragen, es wird Gerechtigkeit geben... Unser Feind ist ein radikales Netzwerk von Terroristen und jede Regierung, die sie unterstützt... Jede Nation, in jeder Region, muß sich nun entscheiden: Entweder sind sie mit uns oder mit den Terroristen... Das ist allerdings nicht nur Amerikas Kampf... Das ist der Kampf der Welt. Das ist der Kampf der Zivilisation" (Frankfurter Rundschau, 22.09.2001).
Diese Sätze Bushs, seine Rede vom "Kreuzzug" sowie die mit Bibelzitaten geschmückten Trauerreden, die regelmäßig mit "Gott schütze Amerika" endeten (FAZ, 15.9.2001), verkündeten eine in islamischen Kreisen genaustens verstandene Botschaft. Die bewußte Erzeugung von Verschwommenheit zwischen Islam und Islamismus diente der Koppelung des Mythos des Westens als Hort einer offenen Gesellschaft an das Feindbild Islam. Das Motiv eines monumentalen Kampfes zwischen Gut und Böse (Gott versus Teufel) wird bemüht, um das Grauen der Gegenwart zu erklären und die innenpolitische und außenpolitische Oppposition zu terrorisieren. Was ist das eigentlich, wenn nicht regierender religiöser Fundamentalismus an der Spitze der USA, die sich anmaßen, ganze Länder zu Staaten voller Schurken zu erklären? Sollte nicht die Redeweise von "historischer Zäsur", "Zeitenwende", "radikalem Einschnitt" usw. einen absoluten quasi-religiösen Neubeginn verkünden? Wozu diente die systematische Erzeugung einer apokalyptischen Erwatung, nichts unter der Sonne werde nun mehr so sein, wie es vor dem 11. September gewesen sei? Deutete nicht die Ankündigung, die USA würden Gerechtigkeit in die Welt bringen, gemeinsam mit dem ersten Namen des Afghanistanfeldzuges, der da anfänglich indefinite justice lautete, auf ein fundamentalistisches Denken an der Spitze der Weltmacht, die sich damit anschickte, Gottes irdischer Sachwalter und Vollstrecker zu sein? Der religiöse Fundamentalismus in den USA spielt eine enorme Rolle, die bisher noch nicht ausreichend erforscht wurde. Fest steht, daß die USA inzwischen in hohem Maße auch ein Land des "protestantischen Fundemantalismus" mit all ihren Organisationen wie Moral Majority, Christian Coalition, Family Research Council und Concerned Women For America sind, die vor allem auf die Politik der Republikaner großen Einfluß haben (vgl. Mertin 2001:63).
Die Bombardierung Afghanistans durch USA und England war kein Krieg im traditionellen Sinne. Das Etikett Krieg für diese Aggression diente eher zur Verschleierung des Charakters der Racheaktion, der darin bestand, daß die USA an der Grammatik des Wahns weiterschrieben, diesmal auch mit der Unterstützung Rußlans und Chinas. Der mit der Bestrafung Afghanistans begonnene lange "Krieg gegen das Böse" ist ein einseitig erklärter Angriffskrieg, also eine offene Aggression, mit der "die zivilisierten Nationen zeigen, dass ihre Art zu leben ihnen sehr viel Wert ist" (Joffe 2001). Er ist eine regelrechte Traumatherapie für den "Westen" und sein höchst persönlich getroffenes, ach so armes Individuum, das sich endlich in einer Katharsis als Teil der "Wir-Gemeinschaft!" fühlen durfte, die dazu noch die Solidarität der ganzen Welt brauchte. So titelte Die Zeit einen Bericht zum neuen Bündnis: "Die Terror-Therapie. Soldaten, Banker, Diplomaten: Allianz gegen das Verbrechen" (Die Zeit, 4.10.2001). Die USA sprachen von einer neuartigen Bedrohung, auf die mit neuen Mitteln reagiert werden müsse. Die Rede war von "asymetrischer Kriegsführung" oder "irregulärem Krieg", der geheim, gemein, ohne Flagge und Absender geführt werde. Muß man denn zuerst ein Gegengift gegen die Gesetzmäßigkeiten der US-amerikanischen Gedächtnisbeschränkungen erfinden, um ihnen klar zu machen, dass sie doch selbst die Erfinder der Doktrin vom "Krieg niedriger Intensität" waren, mit der sie befreundete Militärs z. B. in der Türkei geschult haben (cgl. Caglar 2000) , dass sie doch mit den Contras in Nicaragua genau jenen "irregulären Krieg" geführt haben, "geheim" und "gemein"? Kann denn ein solcher Rechtfertigungsversuch mehr sein als der Versuch eines Carl Schmitt, der zur Relativierung der verbrecherischen Kriegsführung der nationalsozialistischen deutschen Armee eine ganze "Theorie des Partisanen" dichtete, dem er besondere Grausamkeit unterjubelte? (Schmitt 1963). Ist denn bin Laden nicht ein von der CIA selbst großgezogener grüner Mordprediger? (vgl. Pohly / Duran 2001; Duran 2001:10; Benjamin/Simon 2001:2; Keppek 2001:2). Haben die USA nicht den blutrünstigen pakistanischen Diktator Ziya Ül Hak unterstützt, der seinerseits in den Korankursen und religiösen Schulen die Taliban großzog?
Heute ist es gewisser denn je: Ohne eine Fundamentalveränderung der ungerechten Weltwirtschaftsordnung wird es keine umfassende und wirkliche Sicherheit auf diesem Planeten geben. Daher wird der US-Feldzug, dessen nächste Etappe Irak ist, keinen Frieden mit sich bringen, sondern zu weiterer Eskalation führen, selbst wenn man einen brutalen Herrscher wie Saddam zur Verantwortung zöge, da mit allergrößter Wahrscheinlichkeit weitere Bin Ladens und Saddams sofort nachwachsen würden. Noch eines ist gewiß: Wirkliche internationale Sicherheit liegt heute in den Protesten gegen die menschenverachtende Politik der G8 und nicht in den Kriegen, die die USA führen (vgl. Klein 2001:25). Wenn die Gewalt auf unserem Planeten solche Formen angenommen hat, dann ist es höchste Zeit, darüber nachzudenken, welche Verantwortung hierfür diejenigen tragen, die systematisch die Reorganisation unseres Planeten auf der Grundlage von Solidarität, Selbstverwaltung und ökonomischer und sozialer Gerechtigkeit verhindern. Es ist höchste Zeit, mit der fundamentalistischen Stimme des Raubkapitalismus zu brechen und weltweit zu einem effektiven kollektiven Widerstand zu finden.
Die US-Präsenz im Nahen und Mittleren Osten: Friedensmission?
Angesichts einer Welt, die durch die zügellose imperialistische Außenpolitik der USA und ihrer engsten Verbündeten regelrecht destabilisiert und verwüstet wurde, ist die gegenwärtige Phrase von der "westlichen Zivilisation" und der "orientalischen Barbarei" eine grenzenlose Anmaßung. Diese Anmaßung, die angesichts des Wegfalls des kommunistischen Ostens nunmehr aus dem Osten endlich wieder den islamischen Orient machen kann, wird vollends zur tragikomischen Farce durch das Faktum, dass die USA mit ihrer Politik der grünen Einkreisung der Sowjetunion, also der Förderung einer islamischen Erhebung in den islamischen sowjetischen Republiken gegen das damalige "Reich des Bösen" genau die Kraft sind, die den Djihadismus ins Leben gerufen hat. In diesen Zusammenhang antikommunistischer Umtriebe der USA mit Hilfe Allahs gehören ja Osama Bin Laden und ca. 100 000 und mehr Mudjaheddin, die von den USA finanziert wurden und schließlich in Tschetschenien, in Kosovo, in Algerien und Kaschmir im Dienste einer aufzubauenden islamistischen Weltfront unterwegs waren (vgl. Powers 1980; Chomsky 1995; Biermann 2000).
Die Geschichte der US-Präsenz im Nahen und Mittleren Osten gibt Anhaltspunkte zur Erklärung für den großen Haß gegen die Usa. Diese Geschichte, die entlang des schmierigen Öls zu lesen ist, spricht für sich: US-Amerikanische Firmen hatten bereits in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts Beteiligungen und Konzessionen für die Ölproduktion erworben, doch politisch und wirtschaftlich dominierten damals noch Großbritannien und Frankreich, die nach dem Ersten Weltkrieg, in dessen Verlauf das Osmanische Reich aufgeteilt wurde, große Teile der Region als Völkerbundsmandate an sich gerissen hatten (vgl. zum folgenden Berg 2001:92; Khella o. J.). Spätestens im Zweiten Weltkrieg war die enorme Bedeutung der Ölquellen des Mittleren Ostens offenkundig geworden, und mit dem Beginn des Kalten Krieges und der Frontbildungen der bipolaren Welt sowie der Gründung Israels im Jahre 1948 veränderten sich die strategischen Interesen der USA. Von da an bestimmten drei primäre Ziele die Politik der Vereinigten Staaten in der Region: "unbeschränkter und dauerhafter Zugang" (so der Direktor des Five College Program in Peace and World Security Studies Klare 2001:23) zum Öl als dem Lebenselexier der insdistrialisierten Länder, die Begrenzung der Einflußsphären der Sowjetunion und die Bekämpfung sozialistisch orientierter Bewegungen sowie der Schutz Israels, der übrigens nicht vertraglich fixiert wurde und für eine permanente Belastung des Verhältnisses zur arabisch-islamischen Welt sorgte. Der Konflikt zwischen Palästina und Israel, welcher bis heute das Epizentrum der Gewalt in der Region bleibt , spielte daher eine Schlüsselrolle in der amerikanischen Nahost-Politik.
Dass sie entschlossen waren, eine sozialistisch orientierte Entwicklung im Nahen Osten zu verhindern, demonstrierten die Vereinigten Staaten bereits 1946 in der Krise um den Iran. Die USA mobilisierten gegen die Sowjetunion die Vereinten Nationen, die die iranische Regierung dabei unterstütze, einen Rückzug der Roten Armee aus dem Iran durchzusetzen. 1953 inszenierte die CIA den Sturz des populären Ministerpräsidenten Mohammed Mosadeg, der die Ölindustrie verstaatlicht hatte und von den USA und ihren Verbündeten als Marionette Moskaus diffamiert wurde. US-Geheimdienste berieten und unterstützten Schah Reza Pahlewi dabei, Mossadeg zu entlassen und zahlreiche seiner Unterstützer ins Gefängnis zu werfen. Unter Pahlewi wurde der Iran zu einem Pfeiler der amerikanischen Interessen.
Die Vereinigten Staaten hatten 1947 die Resolution der UNO zur Teilung Palästinas begrüßt und Israel unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung offiziell anerkannt, was auch die Sowjetunion tat. Bis zum Sechstagekrieg von 1967 existierte keine vorbehaltlose Bindung zwischen Israel und den USA. Sie befürchteten damals, dass eine einseitige Unterstützung Israels den arabischen Nationalismus stärken und die arabischen Staaten zu Bündnissen mit der Sowjetunion treiben könnte. Als die israelische Armee im Bündnis mit England und Frankreich 1956 Ägypten angriff, nachdem Gamal Abdel Nasser den Sueskanal verstattlicht hatte, und die Sinai-Halbinsel besetzte, kritisierten die USA öffentlich diese Aktion. Israel räumte schließlich den Sinai. Dem wachsenden Einfluß der Sowjetunion in der Region traten die US-Amerikaner mit der agressiven Eisenhower-Doktrin entgegen, die allen Staaten des Mittleren Ostens nicht nur Wirtschafts- und Militärhilfe versprach, sondern ihnen auch den Einsatz von US-Truppen im Konflikfall in Aussicht stellte. Bereits ein Jahr später schon, im Juli 1957, rückte die amerikanische Marine in den Libanon ein, um scheinbar einem möglichen Sturz des proamerikanischen Staatspräsidenten Chamoun vorzubeugen, nachdem sich Ägypten und Syrien zur Vereinigten Arabischen Republik zusammengeschlossen hatten. Auch war die irakische Monarchie von nasserfreundlichen Militärs gestürzt worden, die von einem Dritten Weg träumten. Mit dem Sechstagekrieg vom Juni 1967 und dem Jom-Kippur-Krieg vom Oktober 1973 rückte der Konflikt zwischen Israel und Palästina ins Zentrum der Weltpolitik. Die massive politische und militärische Unterstützung für Israel machte die USA zum Objekt offenen Hasses in der arabisch-islamischen Welt. Dabei zeigte die Hegemonie des Imperialismus eine doppelte Verwundbarkeit. Erstens war Amerika spätestens um 1970 zum weltgrößten Rohölimpeurteur geworden. Mit der Gründung der OPEC 1960 hatten die Hauptförderländer eine größere Marktmacht aufgebaut, die mit dem Öl-Embargo als politische Waffe von der OPEC 1973 erstmals eingesetzt wurde. Zweitens waren die Vereinigten Staaten 1970, als Angehörige der Volksfront zur Befreiung Palästinas ein Flugzeug der Trans World Airlines nach Jordanien entführten, selbst zur Zielscheibe geworden. Die amerikanische Intervention in Libanon trug ebenfalls dazu bei, dass nicht nur ein Antiimperialismus im Sinne sozialer Emanzipationsbewegungen, sondern auch ein Antiamerikanismus immer mehr in der Region zunahmen. Dass der persische Schah unter dem Namen der "weißen Revolution" eine scheinbare Modernisierungspolitik mit Hilfe eines von den USA mitaufgebauten blutrünstigen und gnadenlosen Unterdrückungsapparates sicherte, übersah man in den USA gern. Saudi Arabien - Luftwaffenstüttzpunkt seit 1946 - wurde ebenso hochgerüstet. Zwar beiteiligten sich die Saudis 1973 an dem Ölembargo, setzten aber bereits März 1974 das Ende der Liefersperre durch. Dass sich die nahezu absolutistische saudische Monarchie gegen jegliche Demokratisierung konsequent und bis heute abschottet, war für die USA ebenfalls nebensächlich, solange sie ihre Funktion als antikommunistisches Bollwerk gegen die Bedrohung durch säkularnationalistische und später radikalislamistische Kräfte erfüllte.
Khomeinis Revolution im Iran machte aus dem treuesten Vasallen Washingtons im Mittleren Osten über Nacht einen auf Allah eingeschworenen Feind, der die imperialistische Supermacht während der Geiselkrise teilweise als hilflosen Riesen vorführte. Die islamistische Revolution im Iran und der Sturz des Schahs, dessen Regime Präsident Carter noch Ende 1977 als "Insel der Stabilität" gepriesen hatte, bedeuteten die bislang schwerste Niederlage für die vitalen strategischen und ökonomischen Interessen der USA. Zugleich trat mit dem Islamismus eine neue antiamerikanische Kraft auf die politische Bühne.
Der sowjetische Einmarsch Ende 1979 nach Afghanistan bedeutete eine weitere Bedrohung der strategischen Interessen der USA im Mittleren Osten. Die Amerikaner unsterstützten die Mudschaheddin im Krieg gegen die Sowjetunion. Im Golfkrieg in Folge des Überfalls des Irak auf den Iran im September 1980 unterstützten die USA mehr oder weniger offen den Agressor Irak nach dem realpolitischen Grundsatz, der Feind meines Feindes ist mein Freund, und strichen ihn von der Liste der sogenannten terrorismusverdächtigen Staaten. Der Irak wurde mit Geheeimdienstinformationen versorgt. Allerdings ließ sich Saddam, Bagdads bis heute regierender Diktator, nicht "einbinden." Die irakische Invasion in Kuweit 1990 führte zum ersten Krieg der "neuen Weltordnung" der Bush-Administration. Was aus Sicht der USA als Durchbuch zur neuen Weltordnung gefeiert wurde, empfanden die arabischen Nationalisten und Islamisten als offene Niederlage, da die USA diesen Krieg zu einem weiteren Ausbau ihrer militärischen Präsenz in der Region benutzten. Machtpolitisch haben die USA bis heute ihre strategischen und ökonomischen Interessen in der Region auch über ein Hinhalten einer wirklichen Lösung des Palästinakonfliktes sichern können, da bekanntlich Interessen nicht nur über Stabilisierung befreundeter diktatorischer Regime, sondern auch über Destabilisierungspolitik nicht zuletzt zur Freude der eigenen Waffenindustrie durchgesetzt werden. Der Irak ist heute erneut erklärte Zielscheibe US-amerikanischer Aggression.
Dass der neuerliche Afghanistan-Feldzug der USA jenseits geostrategischer und ökonomischer Interessen bloß nur eine "Zivilisierungsmission" sein soll, können wohl nur diejenigen glauben, deren Gedächtnis von den Eintagsfliegen der Kulturindustrie an die jeweilige Aktualität festgenagelt wird. Das Interesse der Supermacht und der Regionalmächte an den "reichen Öl- und Gasreserven des Kaspischen Meeres" ist seit langem bekannt: "In der Region um das Kaspische Meer vermischen sich ... ökonomische Interessenkonflikte mit Rivalitäten um politischen Einfluss sowie religiös und ethnisch begründete Auseinandersetzungen. Der Kaukasus ist auch deshalb so besonders interessant, weil die Republiken nicht der OPEC angehören. Das könnte die Möglichkeit zur Einflußnahme auf deren Preispolitik eröffenen" (Ott 2001:27f). Im Interesse schmierigen Öls und militärischer Übermacht provozieren und produzieren die USA also weltweit ungeheuren Haß, der sich im Nahen und Mittleren Osten auf besondere Weise verdichtet.
Ob die USA aus dem neuesten "langen Feldzug" eines "John-Wayne-Machismos" (Rorty 2001:21) zur praktisch-militärischen Anwendung vorgeblicher Menschenrechte als Sieger hervorgehen oder in diesem "irregulären Krieg" nur verlieren können, ob also der erklärte permanente Krieg der schnelle Start zum langen Abschied von der Supermachtsrolle sein wird, bleibt offen. Solange die USA nicht fundamental einschwenken und aufhören, ihre Verbrechen im Nahen und Mittleren Osten als Beglückungsprogramm für die islamische Welt hinzustellen, müssen sie wohl immer wieder mit dem Einbruch "plötzlichen" Hasses und dem Terror der Identitätspolitiken rechnen, der jedes Mal nur beweisen kann, dass auch der derzeitige Feind außerhalb jeglicher Ethik handelt, mit dem Unterschied, dass er nicht über internationale Foren verfügt, um seine kriminellen Aktionen zu rechtfertigen. Und solange wird humanes Denken wohl auch um die Opfer skrupelloser ökonomischer Interessen trauern und sich in Solidarität fühlen mit den Menschen, die angesichts der amerikanischen Aggression, deren Eskalationsrisiken und militärischen Ziele zynisch auch den Tod massenhaften amerikanischen Lebens einkalkulieren, massenhaft im Modus des Todes, der Flucht und des Hungers leben müssen.
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* Gazi Caglar, Spzialwissenschaftler, Hannover. Bei dem Text handelt es sich um ein Vortragsmanuskript für den Friedensratschlag 2002, an dem Caglar wegen einer Erkrankung leider nicht teilnehmen konnte.
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