Friedensmacht Europa?
Welchen Beitrag leistet dazu der Europäische Konvent?
Von Sylvia-Yvonne Kaufmann
Rede auf dem Friedensratschlag, Kassel, 7. Dezember 2002
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
auf die mir gestellte Frage: "Welchen Beitrag leistet der Europäische Konvent, um in der künftigen Verfassung der Europäischen Union die Gemeinschaft als 'Friedensmacht' zu verankern", könnte ich mir die Antwort einfach machen und sagen: Bislang keinen wirklichen - eine Konzeption "Friedensmacht Europa" ist kaum erkennbar. Die bisherigen Zwischenergebnisse spiegeln eher weitgehend das wieder, was wir gemeinhin unter "Militarisierung der Europäischen Union" verstehen.
Aber ich will es mir nicht zu einfach machen, denn im Konvent gibt es - wie im normalen Leben zwischen Himmel und Erde - nicht nur die Farben Schwarz und Weiß. Ich bin Mitglied der Arbeitsgruppe VIII "Verteidigung", die eigentlich gar nicht Verteidigung (Defense) heißen dürfte. Denn: die territoriale (Landes)verteidigung der EU ist bislang nur Thema am Rande. Treffender wäre die Bezeichnung AG "Out of Area - Einsätze"!
Arbeitsgegenstand der AG Verteidigung ist die "Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik" (ESVP) - oder, genauer gesagt das, was als "Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik" in die EU-Verfassung hineingeschrieben werden soll. Ich möchte hier heute auf folgende Fragen eingehen:
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einige zentrale Diskussionspunkte im Konvent darstellen,
- meine Positionen dazu erläutern und
- zur jüngsten deutsch-französischen Initiative im Konvent einige Anmerkungen machen.
1. Zu einigen zentralen Diskussionspunkten im Konvent
Zunächst aber einige kurze Vorbemerkungen zur Selbstverständigung und Begriffsbestimmung darüber, was ex officio unter "Europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik" verstanden wird.
Die informelle Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik entwickelte sich außerhalb der Gemeinschaftsstrukturen der EG. Wie Sie wissen, wurde 1987 mit der Einheitlichen Europäischen Akte die Europäische Politische Zusammenarbeit etabliert. Die damals 12 EG-Staaten versprachen sich, "gemeinsam eine europäische Außenpolitik auszuarbeiten und zu verwirklichen" (Artikel 30 Absatz 1 EEA). Damit wurde erstmalig versucht, die Außenpolitik der Mitgliedstaaten im Rahmen einer strukturierten intergouvernementalen Zusammenarbeit zu integrieren. Eine Vergemeinschaftung war dies natürlich nicht, d.h. keine gemeinsame europäische Politik verbunden mit nationaler Souveränitätsaufgabe wie zum Beispiel bei der Währungsunion. Mit Inkrafttreten des Maastrichter EU-Vertrags wurde 1993 ein neuer Rahmen unter der Bezeichnung "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" (GASP) eingeführt. Die GASP wurde die so genannte zweite Säule der damals neu gegründeten Europäischen Union. An der Zwischenstaatlichkeit dieses Politikbereiches änderte sich freilich nichts; auch ihre Ergebnisse blieben bis heute eher mager. Die Außenpolitik wurde im Rahmen der GASP um die Komponente Sicherheitspolitik erweitert.
Weiter entwickelt wurde die GASP dann mit dem Vertrag von Amsterdam, der 1999 in Kraft trat. Mit Artikel 17 Absatz 2 EU-Vertrag wurde die Sicherheitspolitik erstmals definiert. Sie schließt "humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen" ein. Das sind die so genannten Petersberg-Aufgaben, ein Mix von zivilen und militärischen Aufgaben. Die verteidigungspolitische Komponente - im Sinne der Verteidigung des Territoriums der EU - wurde hingegen nur marginal weiter entwickelt. Dazu heißt es im Vertrag lediglich, dass der Übergang zu einer gemeinsamen Verteidigungspolitik durch ein vereinfachtes Vertragsänderungsverfahren ermöglicht werden kann: durch einen Ratsbeschluss statt einer Regierungskonferenz. Das heißt: Mit dem Vertrag von Amsterdam änderte sich der Inhalt der Sicherheitspolitik grundsätzlich! Die klassische Verteidigungspolitik im Unionsrahmen trat weiter in den Hintergrund. Die Sicherheitspolitik der EU wurde zur globalen Krisenbewältigungspolitik im Sinne der Petersberg-Aufgaben - sie firmiert aber weiter unter dem Begriff "Sicherheits- und Verteidigungspolitik" (ESVP). Vor diesem Hintergrund erteilte der Europäische Rat 2001 dem Konvent das Mandat zu prüfen, wie sich eine kohärente gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik entwickeln lassen würde und ob die Petersberg-Aufgaben aktualisiert werden müssten.
Mit dem außen- und sicherheitspolitischen politischen Handeln der Europäischen Union beschäftigte sich der Konvent erstmals auf seiner 6. Plenartagung im Juli. Dabei kristallisierten sich folgende Meinungen heraus, die beachtenswert sind:
So wurde im Hinblick auf die "klassische" Verteidigungspolitik betont, dass diese in erster Linie Sache der NATO bleiben müsse. Die Entwicklung der ESVP könne nur in enger Abstimmung mit der NATO erfolgen. Zur Sicherheitspolitik wurde vorgeschlagen, militärische Maßnahmen der Union auf friedenserhaltende Tätigkeiten zu beschränken, die zudem ein UN-Mandat benötigten. Eine Reihe Konventsmitglieder betonte, Beschlüsse, die die Sicherheit und Verteidigung betreffen, müssten weiterhin einstimmig gefasst werden und ihre Kontrolle falle in erster Linie den nationalen Parlamenten zu. Gefordert wurde allerdings auch, das Instrument der "verstärkten Zusammenarbeit" auf Sicherheit und Verteidigung auszudehnen. Darauf komme ich später noch einmal zurück.
Immer wieder wurde bekräftigt: Erste Voraussetzung für eine wirksame ESVP sei die Sicherstellung angemessener Fähigkeiten im militärischen und im zivilen Bereich. Notwendig sei, sich stärker mit der Interoperabilität der nationalen Streitkräfte zu befassen. Forschung und Entwicklung sowie Beschaffung seien besser zu koordinieren, um eine optimale Mittelverwendung auf europäischer Ebene zu erreichen.
In der Arbeitsgruppe Verteidigung zeichneten sich fünf Problemkreise mit verfassungsrechtlicher Relevanz ab:
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Sollen die Aufgaben der ESVP über die Petersberg-Aufgaben hinaus erweitert werden?
- Wird eine Beistandsklausel benötigt?
- Sollen Mehrheitsentscheidungen und Flexibilitätsregeln eingeführt werden?
- Ist eine Modifizierung der Entscheidungsstrukturen erforderlich?
- Sollen weitere Schritte zum Aufbau eigener militärischer Kapazitäten der EU unternommen werden?
Ich muss sagen, dass zur Zeit noch nicht genau absehbar ist, wie sich der Konvent dazu verhalten wird. Sicherheits- und verteidigungspolitische Fragen sind für alle Staaten die politisch brisantesten. Hinzu kommt, dass es selbstverständlich unterschiedliche Traditionen und Interessenlagen der verschiedenen Länder gibt.
Welche Debatten gab es zu diesen fünf Fragen?
Wie ein roter Faden zog sich durch die Diskussion die Frage nach der Funktionsverteilung zwischen ESVP und NATO. Die meisten Mitglieder der Arbeitsgruppe sind sich darin einig, dass die ESVP eng mit der NATO abgestimmt werden müsse. Beide sollen sich ergänzen und nicht miteinander konkurrieren. Doch welche konkrete Rolle der ESVP neben der NATO zukommen soll, blieb bislang unklar.
Dies wird insbesondere in verteidigungspolitischen Fragen deutlich. Betonte der Hohe Vertreter der EU, Javier Solana, noch, dass die Verantwortung der NATO für die kollektive Verteidigung weiterhin unabhängig und losgelöst von der Verantwortung der EU bestehe, so mahnte NATO-Generalsekretär Robertson an, dass die Verteidigung der Europäer in erster Linie Angelegenheit der NATO sei. Es mache keinen Sinn, doppelte Strukturen für gleiche Aufgaben zu schaffen; schon allein der finanzielle Aufwand sei nicht vermittelbar. Auch zu militärischen Krisenbewältigungseinsätzen der EU äußerte sich Robertson skeptisch. Die Ziele der Petersberg-Aufgaben und die Idee einer NATO Response Force (NRF), so Robertson, seien durchaus nicht identisch, sondern könnten komplementär zueinander ausgestaltet werden, auch wenn die beteiligten Truppenteile der europäischen Staaten identisch seien. Vor allem an den Kapazitäten der Europäer für autonome Militäreinsätze äußerte er erhebliche Zweifel. Die EU wäre zwingend auf NATO-Kapazitäten angewiesen. So seien von den 2 Millionen Soldaten der europäischen Streitkräfte für solche Aufgaben letztlich nur 3 Prozent brauchbar. Eklatant sei der Mangel an Luftbetankungs- und Transportflugzeugen.
Genau dies wurde auch von Solana anerkannt. Er verwies auf die Notwendigkeit, mit der NATO Vereinbarungen zu erreichen, die es der EU ermöglichen, auf Mittel und Fähigkeiten der Allianz zurückzugreifen. Sie seien bislang aber noch nicht zustande gekommen (wie Sie wissen: wegen des Streits mit der Türkei).
Bekanntlich wird die ESVP - ich habe versucht, dies eingangs zu verdeutlichen - als Einheit aus gemeinsamer Verteidigungspolitik und sonstiger Sicherheitspolitik, d.h. den Petersberg-Aufgaben, verstanden. Als Ganzes sind sie laut EU-Vertrag integraler Bestandteil der GASP. Im Verfassungsvorentwurf von Konventspräsident Giscard d'Estaing dagegen wird die Verteidigungspolitik als eigenständiger Politikbereich neben der GASP aufgeführt, d.h. Sicherheitspolitik de facto nur noch im Sinne von Krisenbewältigung interpretiert. Damit soll ganz offenbar die Sicherheitspolitik von der eigentlichen Verteidigungspolitik abgekoppelt werden. In der Arbeitsgruppe ist dieser Ansatz nicht von allen Mitgliedern geteilt worden.
Kontrovers waren daher auch die Diskussionen über eine gegenseitige Beistandsklausel. Dazu wurde einerseits ausgeführt, dass die Aufnahme einer solchen Klausel in die Verfassung die ohnehin bereits existierenden Pflichten zur gegenseitigen Solidarität wiederspiegeln würde. Andere Konventsmitglieder hingegen meinten, dass keinesfalls die bestehenden Beistandspflichten aus dem NATO-Vertrag berührt werden dürften. Es wurde auch die Auffassung vertreten, dass ein "opt-in" oder ein "opt-out" in bezug auf die Beistandsverpflichtung in Betracht gezogen werden müsse. Wieder andere halten sie schlicht für politisch inakzeptabel. NATO-Generalsekretär Robertson führte dazu demonstrativ aus, dass die kollektive Verteidigung der europäischen Staaten durch Artikel V des NATO-Vertrages garantiert sei. Ein Wettbewerb zwischen NATO und EU, so Robertson, sei nicht wünschenswert. Er fügte hinzu, er könne sich auch nicht vorstellen, wie der Beitrag der US-Streitkräfte zur kollektiven Sicherheit der Europäer ersetzt werden könnte.
Im Hinblick auf Mehrheitsentscheidungen und eine Flexibilitätsklausel wurde der Gedanke eingebracht, die ESVP künftig mit größerer operativer Flexibilität auszustatten. Die bisherige Regelung der Einstimmigkeit mit der Möglichkeit der konstruktiven Enthaltung (Artikel 23 Absatz 1 Unterabsatz 1 EUV) sei nicht ausreichend. Sie erfordere noch immer Konstruktivität aller Mitgliedstaaten. Das heißt: Gegen den ausdrücklichen Willen eines Mitgliedslandes können auch die anderen keinerlei sicherheits- oder verteidigungspolitische Maßnahmen durchführen. Überlegt wurde deshalb, die Bestimmung des EU-Vertrages abzuschaffen, die die Möglichkeit einer verstärkten Zusammenarbeit in diesem Bereich (Artikel 23 Absatz 2 Unterabsatz 3 EUV) ausschließt.
In der Arbeitsgruppe zeichnet sich eine Mehrheit dafür ab, im Bereich der Krisenbewältigung eine zügigere Beschlussfassung zu ermöglichen, da es derzeit zu viele Verfahren gibt. Diskutiert wird vor allem die Frage der Einführung des so genannten "Doppelhuts", d.h. die Verschmelzung der Aufgaben des Hohen Vertreters für Außenpolitik (Javier Solana) und mit denen des für die Außenbeziehungen der EU zuständigen EU-Kommissars (Chris Patten). Vorgeschlagen wurde auch, die Krisenbewältigung dadurch effizienter zu gestalten, dass dem Hohen Vertreter mehr direkte Befugnisse übertragen werden, indem ihm beispielsweise das Initiativrecht zur Krisenbewältigung eingeräumt wird.
Hinsichtlich der militärischen Fähigkeiten der EU wird in erster Linie auf die Inanspruchnahme von Infrastruktur, Truppen und Waffen orientiert, die die EU-Mitgliedstaaten oder die NATO bereit stellen sollen. Unabhängig davon gibt es spätestens seit den Beschlüssen des Gipfels der Staats- und Regierungschefs von Helsinki im Dezember 1999 die klare Orientierung, eigene militärische Kapazitäten der EU aufzubauen. Die erforderlichen Entscheidungsstrukturen, damit die ESVP funktionieren kann, sind laut Solana inzwischen aufgebaut (d.h. das Politische und Sicherheitspolitische Komitee - PSK; der Militärausschuss; der Militärstab). Nunmehr gehe es darum, der Union die notwendigen militärischen Fähigkeiten zur Verfügung stellen, was bedeute:
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deutliche Steigerung der Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten,
- verbesserte Zusammenarbeit im Rüstungsbereich und
- Abschluss von Vereinbarungen über den Rückgriff der EU auf Mittel und Fähigkeiten der NATO.
Das Hauptziel sei, so Solana, Europas Streitkräfte (die bis vor kurzem noch für die kollektive Verteidigung konzipiert gewesen seien) so anzupassen, dass sie außerhalb ihres Territoriums eingesetzt werden können. Dafür seien neue Fähigkeiten, vor allem in den Bereichen Transport, Kommunikation und logistische Unterstützung erforderlich.
Verfassungsrelevant, so zahlreiche Mitglieder der Arbeitsgruppe, sei auch die Zusammenarbeit im Rüstungsbereich. Mehrere Mitglieder der Gruppe erklärten zwar, dass eine gemeinsame Rüstungspolitik noch verfrüht wäre, solange nicht eine voll ausgereifte GASP (und insbesondere ESVP) operationell sei. Andere unterbreiteten Vorschläge zur stärkeren Rüstungszusammenarbeit - ausgehend davon, dass die Schwäche der Europäer in bezug auf ihre militärischen Kapazitäten darin begründet sei, dass die Rüstungsmärkte national segmentiert wären und der Industrie ein Ansprechpartner fehle. Welche Vorschläge gab es?
Erstens wurde vorgeschlagen, den Waffenmarkt für größeren Wettbewerb zu öffnen. Zweitens solle eine Bündelung der Nachfrage durch Festlegung einer unabhängigen Rüstungspolitik erfolgen, die in die Zuständigkeit der EU-Kommission fallen könnte. Es sei drittens über eine gemeinsame Rüstungsagentur nachzudenken, die auch das Beschaffungswesen einschließen könnte. Viertens könne alternativ die Zusammenarbeit auf der Grundlage spezifischer Vereinbarungen zwischen den daran Interessierten weiter entwickelt werden - möglicherweise auch über das Instrument der verstärkten Zusammenarbeit.
Soweit im Wesentlichen der gegenwärtige Stand.
2. Meine Vorschläge im Konvent
Die Arbeitsgruppe Verteidigung hat am 21. November ein erstes vorläufiges schriftliches Resümee gezogen (WD 22). Meine alternativen Positionen dazu habe ich ausgehend von meinen Vorstellungen für ein europäisches Sicherheitskonzept eingebracht. Ich möchte Sie hier zusammengefasst vorstellen.
Ich sehe die zentrale Aufgabe der ESVP darin, für die EU, die selbst ein Beispiel der Krisenverhütung mit friedlichen Mitteln ist, für ihre Mitgliedstaaten und weltweit Frieden und Sicherheit dauerhaft zu gewährleisten. Das ist aber nur realistisch, wenn die ESVP auf dem Konzept einer globalen, gemeinsamen und umfassenden Sicherheit beruht, die durch eine auf den Prinzipien Gleichheit, Gerechtigkeit und Gegenseitigkeit beruhende Zusammenarbeit erreicht wird und die Kooperation, vertrauensbildende Maßnahmen, Transparenz, schrittweise Abrüstung, Konversion und Entmilitarisierung voraussetzt.
Dies macht es erforderlich, von dem militärisch dominierten Sicherheitskonzept auf ein ziviles Sicherheitssystem überzugehen, das die wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen, ethnischen und kulturellen Ursachen von Konflikten berücksichtigt. Es muss einen präventiven Ansatz verfolgen, um die Ursachen vorhersehbarer und akuter Konfliktsituationen in und außerhalb Europas entschlossen zu bekämpfen, bevor sie in bewaffnete Gewalt umschlagen. Zu den entscheidenden Aspekten der Krisenverhütung gehören
-
die Beseitigung wirtschaftlicher und sozialer Ungleichgewichte,
- Stärkung der Demokratie,
- Schutz der Menschenrechte sowie der Minderheitenrechte in Europa und weltweit.
Den geeignetesten Rahmen für ein umfassendes europäisches Sicherheitssystem stellt die OSZE dar. Es sollte deshalb zu den zentralen Pfeilern der ESVP gehören, die OSZE auszubauen.
Frieden und Sicherheit sowie Stärkung ihrer internationalen Positionen erreichen die EU und ihre Mitgliedstaaten m. E. dann, wenn sie auf ihre wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Stärke, auf die Werte ihrer Zivilgesellschaften und auf ihre historisch gewachsenen Auslandsbeziehungen und nicht auf vorrangige Stärkung ihrer militärischen Fähigkeiten und Rüstungspotentiale setzen. Es wäre verhängnisvoll, wenn sie sich an einem Rüstungswettlauf mit den USA beteiligten.
Leider finden derartige Überlegungen in den vorläufigen Schlussfolgerungen der Arbeitsgruppe Verteidigung vom 21. November so gut wie keine Berücksichtigung. Die ESVP wird dort fast ausschließlich militärisch definiert, zivile Konfliktbearbeitungsstrategien und Konfliktprävention hingegen sind absolut nachgeordnet. Auch eine klare Verpflichtung der EU auf Abrüstung, Konversion und Rüstungskontrolle sucht man oder frau vergebens.
Ich bin für die europäische Integration. Aber um sie voranzubringen, benötigt Europa weder globale Kriegsführungsfähigkeiten und eine weltweit agierende Interventionstruppe noch den Einstieg in eine Rüstungsspirale. Für ein friedliches Europa, das sich an geltendes Völkerrecht gebunden fühlt, ist eine ausdrückliche Verpflichtung auf die UN-Charta unverzichtbar. Für ein wirklich friedensbewahrendes Europa, das zudem auf jegliche militärische Machtprojektion nach außen verzichtet, ist außerdem die Aufnahme kriegsverbietender und friedensverpflichtender Bestimmungen in den Verfassungsvertrag zwingend geboten.
Deshalb habe ich folgende Forderungen im Hinblick auf die Verfassung gestellt:
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Aufnahme einer Friedensverpflichtung der EU in den Verfassungsvertrag.
- Aufnahme der Verpflichtung für die EU, Geist und Buchstaben der UNO-Charta einzuhalten.
- Fixierung des ausnahmslosen Verbots von Angriffs- und Präventivkriegen sowie der Androhung oder Anwendung militärischer Gewalt in den internationalen Beziehungen.
- Ausbau der Zusammenarbeit mit der OSZE als zentrale Säule der GASP und der ESVP.
In der Arbeitsgruppe gab es faktisch keine Debatte darüber, ob und wenn ja, wie, die Sicherheit der EU militärisch bedroht sei. Es wurde lediglich konstatiert, die EU sei bedroht. Es gebe eine "globale Unsicherheit", "Konflikte außerhalb der EU" und insbesondere seit dem 11. September das Problem des Terrorismus.
Im Berichtsentwurf der Arbeitsgruppe erfolgt weder eine geographische Lokalisierung der Gefährdung der EU, noch werden konkrete Konflikte und ihr unmittelbares militärisches Bedrohungspotential benannt. Auch wie die Konflikte beschaffen sind, in die militärisch eingegriffen werden soll, um die Sicherheit der Europäischen Union zu gewährleisten, wird nicht ausgeführt. Ich frage mich daher, worin sich die erstrebte Einsatzreichweite der 60.000 Mann starken EU-Truppe (die innerhalb von 60 Tagen verlegungsfähig sein soll) von 4000 km rund um das Gebiet der EU begründet ist. Ist damit etwa die Absteckung von politisch-ökonomischen Interessensphären der Union intendiert?
Die meisten Mitglieder der Arbeitsgruppe waren sich darüber einig, dass die EU mit dem 11. September 2001 einer Bedrohungslage gegenüberstehe, wie sie den bisherigen Zielen und Aufgaben der ESVP nicht zugrunde gelegt worden sei. Ohne Begründung wird in besagtem Bericht festgestellt, dass nach dem 11. September "die Bedrohung nicht mehr durch das Risiko von Konflikten zwischen Staaten oder ethnischen Gruppen definiert ist. Sie ist vielmehr gekennzeichnet durch globale Unsicherheit infolge eher diffuser Risiken in Verbindung mit internationalen terroristischen Organisationen oder der Anwendung von Massenvernichtungswaffen, wodurch die Maßnahmen zur Konfliktbewältigung im traditionellen Sinne ausgehöhlt werden."
Ich habe dazu erklärt, dass diese Argumentation eher das Eingeständnis enthält, dass internationaler Terrorismus nicht mit militärischen Mitteln und schon gar nicht mit einer EU-Eingreiftruppe bekämpft werden kann. Ich habe grundsätzlich in Frage gestellt, dass sich einem terroristischen Anschlag wie dem des 11. Septembers mit militärischen Mitteln begegnen lässt. Und: Ich habe die Frage aufgeworfen, wie denn eine militärische Antwort auf mit chemischen und biologischen Waffen verübte terroristische Anschläge aussehen soll; inwieweit geprüft würde, ob das Know-how für derartige vermutete Angriffe aus EU-Mitgliedstaaten stammt oder ob überhaupt geprüft wird, ob und wenn ja wie Waffenexporte aus EU-Staaten in die Hände von Terroristen gelangen können.
Ich habe erklärt, dass es aus meiner Sicht keine Notwendigkeit gibt, der EU über die Petersberg-Aufgaben hinaus weitere Aufgaben im Verteidigungsbereich zu übertragen. Vielmehr habe ich mit Blick auf den Verfassungsvertrag dafür plädiert:
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Die Petersberg-Aufgaben sind nicht zu erweitern, sondern aus Artikel 17 Absatz 2 EU-Vertrag ist die Führung von "Kampfeinsätzen bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen" zu streichen.
- Ein Einsatz von EU-Kampftruppen gegen "terroristische Bedrohungen" ist abzulehnen - außerhalb und im Inneren der Union.
- Der Auftrag der Streitkräfte der EU-Mitgliedstaaten im Rahmen der ESVP ist strikt auf territoriale Landesverteidigung zu beschränken.
Darüber hinaus habe ich gefordert:
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Verzicht auf ein Abkommen EU-NATO über den Zugriff auf NATO-Interventionskapazitäten.
- Vertragliche Fixierung der strikten Anerkennung und Wahrung der Neutralität von Österreich, Finnland, Schweden und Irland.
- Aufnahme einer vertraglichen Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten auf strukturelle Nichtangriffsfähigkeit ihrer militärischen Kapazitäten.
- Vertraglich fixiertes Verbot der Herstellung, Lagerung und Anwendung von ABC-Waffen im Rahmen der ESVP.
Im Berichtsentwurf der Arbeitsgruppe Verteidigung heißt es mit Blick auf Rüstungsbeschaffung, es müssten "nicht nur Anstrengungen auf der Ebene der Verteidigungshaushalte unternommen werden, sondern auch auf der Ebene des Beschaffungswesens, um Größenvorteile zu erzielen, und auf der Ebene der Forschung und der Entwicklung im Rüstungsbereich." Was das konkret für die Entwicklung welcher Waffensysteme bedeutet, blieb in der gesamten Diskussion der Arbeitsgruppe völlig offen. Dennoch wird gefordert, einen Mechanismus "qualitativer und quantitativer Konvergenzziele" für die Mitgliedstaaten einzuführen, um "die der Union zur Verfügung stehenden militärischen Fähigkeiten zu stärken." Vorgeschlagen wird, eine europäische Rüstungsagentur zu schaffen.
Im Gegensatz dazu habe ich vorgeschlagen, folgende Bestimmungen in den Verfassungsvertrag aufzunehmen:
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Verfassungsrechtliche Verpflichtung zu Abrüstung, Rüstungskontrolle und Konversion.
- Vertragliche Fixierung eines europäischen Pakts für degressive Militärausgaben der Mitgliedstaaten.
- Einrichtung einer europäischen Agentur für Rüstungskontrolle.
- Einrichtung eines europäischen Amtes für Abrüstung und Rüstungskonversion.
- Vertragliche Festschreibung eines Europäischen Programms für Konversion und Beschäftigung und Einrichtung eines Europäischen Konversionsfonds.
Bisher ist eine demokratische Einflussnahme und Kontrolle der ESVP durch das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente kaum gewährleistet. Im Berichtsentwurf der Arbeitsgruppe spielt diese zentrale Frage ebenfalls nur eine Nebenrolle. Das Europäische Parlament soll lediglich durch den Rat und den Präsidenten des Europäischen Rates über weitere Entwicklungen informiert und durch den Hohen Vertreter über den Fortschritt und die Entscheidungen in diesem Bereich auf dem Laufenden gehalten werden. Zudem soll es das Recht haben, Resolutionen zu verfassen, die der Rat bei seinen Treffen berücksichtigen soll. Das bedeutet, dass dem Europäischen Parlament weder ein Kontroll- noch ein Zustimmungs- oder Mitentscheidungsrecht im Bereich der ESVP zugestanden werden soll.
Zwar wird wenigstens erwähnt, dass den nationalen Parlamenten ein permanentes Kontrollrecht ihrer Regierungen auf dem Gebiet der nationalen Verteidigungspolitik zukommt und dass in den meisten Mitgliedstaaten das nationale Parlament über den Einsatz nationaler Streitkräfte in einer Militäroperation entscheiden muss. Dies ist m. E. aus demokratischen Erwägungen jedoch nicht ausreichend. Zum einen erstreckt sich der nationale Parlamentsvorbehalt regelmäßig nur auf die Entscheidung über die Truppenentsendung. Zudem kann der Verweis auf die nationalen Parlamente nicht die Funktion des Europaparlaments entkräften. Wie in jeder parlamentarischen Demokratie muss auch in der EU die Verfassung so ausgestaltet sein, dass in grundlegenden Bereichen des Gemeinwesens keine wesentliche Entscheidung ohne oder gegen das unmittelbar legitimierte Parlament getroffen werden kann - und dies gilt auch für wesentliche Entscheidungen im Bereich der ESVP, für die die Zustimmung durch das Europäische Parlament verlangt werden muss und die der Kontrolle durch das EP zu unterwerfen sind.
3. Zu den jüngsten gemeinsamen deutsch-französischen Vorschlägen für den Konvent in Sachen Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik
Joschka Fischer und sein französischer Amtskollege Dominique de Villepin unterbreiteten dem Konvent vor wenigen Tagen überraschend ein Strategiepapier (CONV 422), das überschrieben ist mit "Fortentwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) zu einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion". Dieses Papier ist m. E. in mehrfacher Hinsicht brisant, weil sich damit im Konvent eine zweite Richtung in der EU-Sicherheitspolitik auftut:
Erstens soll mit dem Fischer-de Villepin-Vorstoß die europäische Integration erstmalig auch auf den Militär- und Rüstungsbereich ausgedehnt werden. Davon war bislang im Konvent nicht die Rede. Frühere Initiativen in diese Richtung sind immer daran gescheitert, dass EU-Mitgliedstaaten wie Großbritannien oder Frankreich Fragen der Verteidigung und Sicherheit als souveräne nationalstaatliche Aufgaben ansahen und nicht aus der Hand zu geben bereit waren. Diese Bereiche verblieben daher auf europäischer Ebene strikt in der Regierungszusammenarbeit und wurden nicht als Gemeinschaftsaufgabe wahrgenommen. Aber damit nicht genug.
Zweitens soll auch das Prinzip der "verstärkten Zusammenarbeit" auf den Militärbereich, so "in bezug auf multinationale Streitkräfte mit integrierten Führungskapazitäten" oder "bei der Rüstung und den Fähigkeiten" ausgedehnt werden. Dies bedeutet, dass EU-Mitgliedstaaten, die sich noch nicht an einer Verteidigungsunion beteiligen wollen, andere Staaten, die dazu bereit wären, nicht länger durch ein Veto blockieren könnten. Noch auf dem EU-Gipfel von Nizza im Jahre 2000 hatte London durchgesetzt, dass die gesamte ESVP von der "verstärkten Zusammenarbeit" ausgenommen bleibt.
Drittens zielt der Vorschlag darauf ab, Europa von den USA und der NATO im militärischen Bereich sowie bei der Terrorismusbekämpfung unabhängiger, Europas Außen- und Sicherheitspolitik möglicherweise "selbstbewusster" zu machen. Dazu wird ausgeführt, dass die EU künftig "die Sicherheit ihres Gebiets und ihrer Bevölkerung gewährleisten" soll. Bislang ist dafür die NATO zuständig. Auch im Konvent wurde bislang mehrheitlich bekräftigt, - ich habe eingangs dazu gesprochen - dass die "kollektive Verteidigung" Sache der NATO sei, während sich die EU mit der Schaffung von so genannten Eingreiftruppen auf die weltweite Krisenbewältigung im Sinne der Petersberg-Aufgaben (also von "humanitären Einsätzen" bis hin zur militärischen "Friedenserzwingung") konzentrieren müsse.
Noch ist völlig ungewiss, welches Konzept im Konvent eine Mehrheit und damit Eingang in den Verfassungsentwurf findet. Beiden ist gemeinsam: Sie setzen aufs Militärische und kosten viel Geld. Das dies aufgrund der allgemein angespannten Haushaltslage schwierig ist - darauf wurde auch in der Arbeitsgruppe Verteidigung hingewiesen. Mit Blick auf die eigenen und offenbar auch die deutschen Haushaltslöcher entwickelte die französische Verteidigungsministerin jüngst einen "Königsweg" aus der Misere. Michčle Alliot-Marie schlug jüngst im Gespräch mit dem Nachrichten-Magazin "Der Spiegel" vor, Militärausgaben bei der jährlichen Berechnung des Maastrichter Drei-Prozent-Defizitkriteriums künftig nicht mehr zu berücksichtigen. Angesichts der heutigen Weltlage müsse die Sicherheit "Vorrang vor den Budgetregeln" des EU-Stabilitätspakts haben. Er wurde einst von der Regierung Kohl mit der Begründung durchgeboxt, die Geldwertstabilität des Euro auf Dauer zu sichern. Nun soll er einer Verteidigungsunion nicht mehr länger im Weg stehen, sie werde - so die Ministerin - "in kürzerer Zeit als die Währungsunion geschaffen".
Ich komme zum Schluss: Mein Ziel bleibt die Festschreibung einer alternativen, einer zivilen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in einer europäischen Verfassung. Dafür werde ich weiter streiten. Noch wichtiger aber ist, dafür in Zukunft gemeinsam zu streiten. Die Friedensbewegung ist vor dem Hintergrund dieser aktuellen Debatten in neuer Weise gefragt, Alternativen zu entwickeln und vor allem deutlich hörbar öffentlichkeitswirksam zu agieren. Am 20. Dezember werden die Ergebnisse der Arbeitsgruppe Verteidigung im Konventsplenum diskutiert, ab Januar wird der Konvent daran gehen, konkrete Formulierungen für die europäische Verfassung zu erarbeiten. Da ist höchste Aufmerksamkeit, vor allem aber gezielte politische Einmischung gefordert. Ich bin mir bewusst, wie schwierig das ist. Aber: Es muss jetzt agiert werden! Die europäische Verfassung muss garantieren, dass Europa eine Friedensmacht wird!
* Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, PDS, ist Mitglied des Europäischen Parlament
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