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Umstrittene Grenzgänge

Friedensorganisationen diskutieren über weitere Unterstützung des Friedenswinters

Von Ines Wallrodt *

Es ist anscheinend ein Bündnis auf Probe. Nach Ausfällen gegenüber dem Geschäftsführer der DFG-VK fühlen sich viele in der Friedensbewegung bestätigt in ihren Vorbehalten gegenüber den Mahnwachen.

Nach dem Ausstieg der DFG-VK denken auch andere Organisationen über ihre Unterstützung des Friedenswinters nach. Im Kern geht es für einige nur noch um die Frage, wie die Friedensbewegung am besten aus der Sache rauskommt. In der vergangenen Woche hatte sich der seit Monaten schwelende Streit um die Zusammenarbeit mit Teilen des Mahnwachenspektrums zugespitzt. Bei einer Aktionskonferenz konnte ein Eklat in letzter Minute noch verhindert werden. Sie endete mit der Verabredung, gemeinsam für den 10. Mai eine bundesweite Demonstration anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus in Berlin zu organisieren. Erst danach wollte man grundsätzlich über die Fortsetzung einer Zusammenarbeit reden. Dass dies nun doch viel früher geschieht, ist Ken Jebsen, einem der Köpfe der Mahnwachenbewegung, zu verdanken.

Der ehemalige Radiomoderator hatte bei der Mahnwache in Berlin Klartext geredet und den Politischen Geschäftsführer der DFG-VK, Monty Schädel, der sich kritisch über den Friedenswinter geäußert hatte, als »von der NATO gekauft«, als »Querfrontler« und »Feind« bezeichnet. Seine Organisation, die traditionsreichste deutsche Friedensorganisation, zog die Konsequenz und meldete wenige Tage später knapp: »Die DFG-VK zieht ihre Unterstützung des Friedenswinters zurück.«

Daran konnte auch nichts ändern, dass sich zahlreiche Friedensorganisationen, die den Friedenswinter mittragen, unmissverständlich hinter Schädel stellten. »Eine solche Sprache und ein solches Denken sind Ausdruck einer politischen Kultur, die nicht die der Friedensbewegung ist«, verurteilte die Kooperation für den Frieden die Angriffe auf den profilierten Friedensaktivisten. Monty Schädel ist zufrieden mit der Erklärung des Dachverbands, in dem neben der DFG-VK mehr als 50 weitere Organisationen vertreten sind. Die Positionierung schaffe die Grundlage für ihn, darin weiterzuarbeiten. Ganz sicher war er sich dessen offenbar nicht. Einer der Sprecher der Kooperation hatte sich in einem Interview mit der »jungen Welt« zuvor weniger deutlich auf seine Seite gestellt. So hatte Reiner Braun Jebsens Aussage zwar als demagogisch kritisiert, aber auch Schädel und anderen vorgehalten, mit ihrer Wortwahl nicht zu einer sachlichen Diskussion beigetragen zu haben. Braun wirbt seit Monaten für eine Öffnung der alten Friedensbewegung hin zu der Mahnwachenbewegung und muss dafür heftige Attacken bis hin zu Querfrontvorwürfen einstecken.

Unter dem Label Friedenswinter laufen seit Dezember verschiedene Anti-Kriegsaktionen in der Bundesrepublik. Die Initiative dafür ging von der traditionellen Friedensbewegung aus, die damit in die Offensive kommen wollte, nachdem sie während der Eskalation in der Ukraine wenig präsent war und stattdessen den neu entstandenen Mahnwachen die Straße überlassen hatte. Mit dem »Friedenswinter« versuchte sie, mit den Teilen dieses Spektrums zusammenzuarbeiten, die sich von rechts abgegrenzt habe und zugleich darauf hinzuwirken, dass eine klare Trennlinie zu rechten Publizisten wie Jürgen Elsässer und rechtsoffenen Initiativen wie Endgame (»Engagierte Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas«) gezogen wird.

Innerhalb der Friedensbewegung glauben jedoch immer weniger Menschen, dass es den Willen dazu im Mahnwachenspektrum wirklich gibt. Dass eine Band beim Ostermarsch in Duisburg spielen soll, die auch bei Endgame aufgetreten ist, wirft Fragen auf. Ebenso eine Hamburger Mahnwachenaktivistin, die beim Friedenswinter mitmachen soll, und zugleich bei rechten Veranstaltungen ans Mikro tritt, von denen es angeblich eine klare Distanzierung gibt. Ähnliche Grenzgänger gibt es etliche.

Die Kooperation für den Frieden will nach den Ostermärschen entscheiden, wie es weitergehen soll. Der 15. April steht seit Langem fest für das Treffen. Auch die DFG-VK wollte ursprünglich bis dahin warten. Die Angriffe auf ihren Geschäftsführer haben die Entscheidung nun beschleunigt. Der Ausstieg einer der wichtigsten Friedensorganisationen hat Gewicht. Auch andere Organisationen überlegen nun, ob sie folgen sollten. Für das Grundrechtekomitee steht fest: »Es darf keine Verlängerung geben«, sagt Martin Singe. Unentschieden ist man in Köln eigentlich nur, ob man das Bündnis noch bis zum 10. Mai laufen oder vorher platzen lässt. Darüber will man in den nächsten Wochen innerhalb der Kooperation für den Frieden reden. Die Position der DFG-VK ist ebenfalls klar. »Der Friedenswinter ist gescheitert. Er hat in der Friedensbewegung nicht gegriffen«, sagt Monty Schädel. Nach einem halben Jahr müsse man deshalb sagen, »es ist vorbei«.

Andere wichtige Organisationen stehen weiter dazu. Pax Christi und IPPNW sehen, dass die Auseinandersetzung die Friedensbewegung belastet. Die IPPNW-Vorsitzende rät jedoch zu mehr Gelassenheit: Der Friedenswinter habe die alte Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen von Zusammenarbeit »an vielen Beispielen konkret und konflikthaft gestellt«, sagt Susanne Grabenhorst. Diese Frage müsse regional bzw. lokal und auf die jeweilige Aktion bezogen beantwortet werden. Eine Aufkündigung vor dem 10. Mai ist von dieser Friedensorganisation nicht beabsichtigt.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 25. März 2015

Siehe auch:

"Damit das 'Nie wieder!' auch in Zukunft Bestand hat"
Frieden und Antifaschismus: Rund um den Ostermarsch Gedenken an widerständige Menschen und Zwangsarbeiter in Dortmund. Ein Gespräch mit Willi Hoffmeister (25. März 2015)
Wie wieder mehr werden?
Vor den Ostermärschen 2015: Fünf Thesen zur Stärkung der deutschen Friedensbewegung. Von Karl-Heinz Peil (23. März 2015)
"Der 'Friedenswinter' macht die Friedensbewegung kaputt"
Gespräch mit Monty Schädel. Über die Schwäche der antimilitaristischen Kräfte in der BRD, organisierte Einflussversuche von rechts und fragwürdige Bündnisse mit den sogenannten Montagsmahnwachen (23. März 2015)
Formierte Gegenaufklärung
Protagonisten in Die Linke sind im Begriff, sich von den antimilitaristischen Grundsätzen der Partei zu verabschieden. Protest auf der Straße ist nicht immer fortschrittlich (23. März 2015)




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