Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Zitate der Woche (63 bis 68)

Januar bis März 2004

Zitat Nr. 68, 8. März 2004

Arbeitszeit: Männer wollen nicht noch länger arbeiten!

Bremen/Kassel/Stuttgart 15. Dezember 2004

Offener Brief
  • an den Bundeskanzler und die Bundesfamilienministerin
  • die Fraktionen des Deutschen Bundestages und Parteivorstände
  • Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA)
  • Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB)
Wir waren auf dem richtigen Weg. Wenn sich anders die Massenarbeitslosigkeit nicht beseitigen lässt, dann muss die vorhandene Arbeit umverteilt werden: Zwischen Erwerbstätigen und Arbeitslosen, zwischen Alten und Jungen und eben auch zwischen Männern und Frauen. Raus aus der alten Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern! Für uns Männer eröffnete sich die Perspektive, uns aus der einseitigen Fixierung auf die Erwerbsarbeit zu lösen, um uns mehr einlassen zu können auf unsere Kinder, unsere Partnerinnen und auf uns selbst. Frauen wird ein gutes Stück vom Vereinbarkeitsdruck genommen, wenn Männer ihre Verantwortung für die familiären Aufgabenbereiche ernst nehmen und sich stärker an den Leiden und Freuden der Familienarbeit beteiligen können.

Alle Untersuchungen zeigen, dass sich gerade die jüngeren von uns auf den Weg gemacht haben. Sie haben sich von den Rollenvorbildern unserer Väter- und Großvätergeneration gelöst und streben partnerschaftliche Lebensentwürfe an, bei der Erwerbsarbeit und auch in der Familie.

Nun rollen die Züge wieder rückwärts. Viele Politiker und Verbandsfunktionäre fordern "länger Arbeiten", weil sie meinen, so Wirtschaftskrise und Defizite in unseren Sozialsystemen bekämpfen zu können. Sie wollen das Arbeitszeitgesetz aufweichen, wollen Feiertage streichen, sie diskutieren über Rente mit 67, beseitigen die als Beschäftigungsbrücke zwischen Alt und Jung dienende Altersteilzeit und streben als Arbeitgeber dauerhafte Mehrarbeit auf 40 und mehr Stunden in der Woche an.

Wir teilen die Kritik von Wissenschaftlern und Gewerkschaften, dass die Politik der Arbeitszeitverlängerung schon jetzt eine der Ursachen für die hohe Arbeitslosigkeit ist und ein Zwang zur Arbeitszeitverlängerung die Probleme auf dem Arbeitsmarkt verschärfen wird. Weil dadurch die Arbeitslosigkeit nicht gesenkt wird, können auch die Finanzierungsprobleme der sozialen Sicherung nicht gelöst werden.

Gleichzeitig ist Arbeitszeitverlängerung ein gesellschaftspolitischer Rückschritt: sie erschwert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf - zu Lasten der Unternehmen, von denen viele das Problem erkannt haben und sich um Verbesserungen bemühen, zu Lasten von Frauen, deren Partner noch weniger Zeit für ihre Familie haben. Kinderwünsche von Frauen und Männern werden noch weniger zu realisieren sein. Ein weiterer Rückgang der Geburtenzahlen ist programmiert und wird aller Diskussion über Demografie zum Trotz die Krise unserer Sozialsysteme weiter verschärfen.

Gerade Männer, die die Morgenluft neuer Männerrollen geschnuppert haben, wehren sich gegen die Politik der Arbeitszeitverlängerung, gegen ein Zurück in alte Muster, einen Rückschritt in die 50er-Jahre. Wir sind uns sicher, damit auch für unsere Partnerinnen, für viele Frauen und vor allem für unsere Kinder und Enkelkinder zu sprechen, die gemerkt haben, wie es gehen könnte und die - zurecht - mehr von uns haben wollen und können, als dass wir Geld nach Hause bringen!

Unterzeichner (unvollständig)
Michael Breidbach, Betriebsratsvorsitzender Stahlwerke Bremen; Prof. Dr. Olaf-Axel Burow, Erziehungswissenschaftler, Uni Kassel Prof. Dr. Heinrich Dauber, Erziehungswissenschaftler, Uni Kassel Eike Hemmer, ehemaliger Betriebsrat Stahlwerke Bremen; Thomas Gesterkamp, Journalist und Buchautor; Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ; Prof. Dr. Walter Heinz, Psychologe; Prof. Dr. Rudolf Hickel, Wirtschaftswissenschaftler, Uni Bremen; Dr. Eckart Hildebrandt, Wissenschaftszentrum Berlin; Andre Holtrup, Doktorand; Oliver Jäger, IT-Consultant; Franz Lüninghake, Angesteller; Peter Mehlis, zeitweise Hausmann; Prof. Dr. Ulrich Mückenberger, Arbeitsrechtler und Zeitforscher; HWP Hamburg Prof. Dr. Rainer Müller, Arbeitsmediziner; Uni Bremen Dr. Karsten Reineke, Familiensoziologe, Uni Hannover; Martin Rosowski, Männerarbeit der EKD, Kassel Dr. Wolfgang Sachs, Kulturwissenschaftler, Wuppertal-Institut; Dr. Werner Sauerborn, Mitherausgeber PAPS, Zeitschrift für Väter; Prof. Dr. Eberhard Schmidt, Politikwissenschaftlker, Uni Oldenburg; Dr. Fritz Schnapper, Kinder- und Jugendpsychiater; Prof. Dr. Helmut Spitzley, Arbeitswissenschaftler, Uni Bremen; Volker Stahmann, IG Metall Küste; Dr. Peter Strutynski, Politologe, Uni Kassel; Dr. Herbert Stubenrauch, Pädagoge; Prof. Dr. Hannes Stubbe, Psychologe, Uni Köln Peter Wahl, Koordination ATTAC; Dr. Günter Warsewa, Umweltsoziologe


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Zitat Nr. 67, 24. Februar 2004

Fasching in Krähwinkel

Die Friedensinitiative Bad Cannstatt/Hallschlag schickte am 24. Februar 2004 per e-mail eine Erklärung an "Presse, Medien und sonstige geneigte LeserInnen", die wir unseren Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten wollen.

Was bisher geschah:
Verzagt und resigniert hatte sich unsere kleine sympathische Friedensinitative in ihr Cannstatter Friedensbüro geflüchtet. Alle Versuche, die Stadtväter Krähwinkels zu erweichen, waren gescheitert: Mal war ihr die Genehmigung für einen Infostand verweigert worden, mal mit schwindelerregenden Gebühren für's Flugblattverteilen gedroht worden. Am Ende gab's sogar Strafbefehl und schließlich Verurteilung (immerhin halbwegs glimpflich) wegen nicht angemeldeter Versammlung beim Mahnen für den Frieden.
Als unserer Friedensinitiative gerade der Mut zu sinken drohte, kam die Fasnetszeit ...

Plötzlich war alles ganz anders: Auf allen Straßen und Plätzen versammelten sich spontan bizarr vermummte Gestalten. (Die Vermummung hatte bisher in Krähwinkel als eines der schlimmsten Verbrechen gegolten). Sie riefen laute Sprechchöre, holten merkwürdige Tröten und Klappern aus ihren Gewändern, störten die Bürgerruhe und waren oftmals, so schnell wie sie gekommen waren, wieder verschwunden, um sich an anderer Stelle erneut zusammenzufinden. Angemeldet, das wußten unsere Friedensfreunde, konnten diese Versammlungen nicht sein. War doch niemals ein Polizeieinsatzkommando mit Stöcken und Helmen zu sehen, wie es sonst bei angemeldeten Friedensversammlungen der Brauch war.

Unangemeldet aber schienen diese Versammlungen auch nicht zu sein, fand sich doch häufig auch ein Uniformierter dazu, lachte und scherzte mit den Versammelten, ohne jedoch seinen Notizblock zu zücken und die Personalien festzustellen.

Manche der vermummten Gestalten zogen sogar mit Trommeln und Trompeten laut spielend durch die Straßen. Am Abend versammelten sich einige wenige auf dem Cannstatter Marktplatz. Sie hatten eine große und laute Lautsprecheranlage mitgebracht und spielten darauf bis nachts um halb zwei unentwegt und ohne jede Pause fröhliche Lieder.

Auch das verwunderte unsere Friedensfreunde nicht wenig: War ihnen doch an jedem Ostermarsch von den Krähwinkelschen Behörden das Abspielen von Friedensliedern selbst unter Tage untersagt worden, mit dem Hinweis, Anwohner und Passanten könnten sich gestört fühlen. Überhaupt dürfe eine Lautsprecheranlage auch bei Kundgebungen auf dem Schloßplatz erst für mehr als 50 Personen in Betrieb genommen werden, die Schallrichtung müsse auf unbebautes Gebiet eingestellt werden und Musik dürfe höchstens 20 Minuten pro Stunde gespielt werden - Vorschriften über die die 25 Narren, die sich nächtens auf dem Marktplatz vergnügten, nur gelacht hätten.

Darüber hinaus taten sich die Narren ungehemmt an Würsten, Wein und anderen Spezereien gütlich, die unmittelbar neben der Schallquelle von findigen Händlern zu profitlichen Preisen feilgeboten wurden. Auch diese Vergünstigung war den Friedensfreunden oftmals mit Hinweis auf die Gesetze versagt worden. Es sei ihnen, den weither angereisten Friedensdemonstranten, durchaus zuzumuten, den Weg zur nächsten Gaststätte einzuschlagen um Durst und Hunger zu stillen, auch wenn diese wie zuletzt in Vaihingen, mindestens 3 Kilometer entfernt läge. Den Narren auf dem Cannstatter Marktplatz indessen schien gar schon der Weg zu den ungezählten Dönerbuden und Schänken, die den Cannstatter Markplatz in nächster Nähe umgaben, zu mühselig zu sein.

Zur größten Verwunderung unserer Friedensfreunde aber verteilten die Narren kleine bunte Papierschnipselchen, wo immer sie gingen und standen. Mit vollen Händen warfen sie diese Flugschriften den Passanten zu. Die Gebühren zur Genehmigung für diese Flugblattverteilung mußte die Narren ein Vermögen gekostet haben - zumal eintrat, was die Stadtväter von Krähwinkel auch beim Verteilen von Friedensflugblätter immer befürchteten: Viele dieser Papierschnipsel wurden achtlos weggeworfen und fielen dann der ohnehin arg beanspruchten Stadtreinigung anheim.

Zum Schluss aber ereignete sich etwas vollkommen Ungewöhnliches: Am Dienstag nachmittag, mitten unter der geschäftigen Woche, zogen zahlreiche vermummte Gestalten mitten durch die Stuttgarter Königsstraße - eine Strasse die für Friedensdemonstranten immer zum Sperrgebiet erklärt worden war, weil jede Friedensbekundung dort die Flüssigkeit und Leichtigkeit des Verkehrs zu beeinträchtigen geeignet sei. Die Narren jedoch focht diese verschlungene Argumentation nicht an.

Staunend sahen unsere Friedensfreunde diesem munterem Treiben zu. Und dann entrang sich ein Stoßseufzer ihrer Brust:

Ach, könnt's doch nur immer Fasnet sein!

Doch dann kam der Aschermittwoch. In der Post lag ein Schreiben der Behörde für öffentliche Ordnung: "... teilen wir ihnen mit, daß die von Ihnen angemeldete Versammlung nicht wie angemeldet stattfinden kann"

Es kann halt doch nicht immer Fasnet sein. Schade eigentlich.

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Zitat(e) Nr. 66, 12. Februar 2004

Immanuel Kant: Zum Ewigen Frieden

3. Präliminarartikel:
"Stehende Heere (miles perpetuus) sollen mit der Zeit ganz aufhören."

Denn sie bedrohen andere Staaten unaufhörlich mit Krieg durch die Bereitschaft, immer dazu gerüstet zu erscheinen; (...) wozu kommt, dass, zum Töten oder getötet zu werden in Sold genommen zu sein, einen Gebrauch von Menschen als bloßen Maschinen und Werkzeugen in der Hand eines andern (des Staats) zu enthalten scheint, der sich nicht wohl mit dem Rechte der Menschheit in unserer eigenen Person vereinigen lässt.
5. Präliminarartikel:
"Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines anderen Staats gewalttätig einmischen."

Denn was kann ihn dazu berechtigen?
Erster Definitivartikel:
Die bürgerlische Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein.

Die erstlich nach Prinzipien der Freiheit der Glieder einer Gesellschaft (als Menschen), zweitens nach Grundsätzen der Abhängigkeit aller von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung (als Untertanen) und drittens die nach dem Gesetz der Gleichheit derselben (als Staatsbürger) gestiftete Verfassung - die einzige, welche aus der Idee des ursprünglichen Vertrags hervorgeht, auf der alle rechtliche Gesetzgebung eines Volks gegründet sein muss - ist die republikanische.
Zweiter Definitivartikel:
Das Völkerrecht soll auf einen Föderalism freier Staaten gegründet sein.

Für Staaten im Verhältnisse untereinander kann es nach der Vernunft keine andere Art geben, aus dem gesetzlosen Zustande, der lauter Krieg enthält, herauszukommen, als dass sie ebenso wie einzelne Menschen ihre wilde (gesetzlose) Freiheit aufgeben, sich zu öffentlichen Zwangsgesetzen bequemen und so einen (freilich immer wachsenden) Völkerstaat (civitas gentium), der zuletzt alle Völker der Erde befassen würde, bilden.

Vor 200 Jahren, am 12. Februar 1804, starb Immanuel Kant. Neun Jahre vorher hatte er sein Aufsehen erregendes Werk "Zum ewigen Frieden" veröffentlicht, das bis heute weder an Brillanz noch an politischer Aktualität eingebüßt hat.

Das ganze Werk können Sie hier lesen: Zum ewigen Frieden
(Vgl. auch den Beitrag von Wolfgang Beutin:
Kants Projekt "zum ewigen Frieden" - "keine leere Idee, sondern eine Aufgabe".)


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Zitat Nr. 65, 18. Januar 2004

"Unser Saddam: Wir haben ihm alles gegeben"


Von Michael Moore

Gott sei dank, Saddam ist endlich zurück in amerikanischen Händen. Er muss uns wirklich sehr vermisst haben. Schlecht sah er aus. Aber immerhin - er bekam eine kostenlose Zahnuntersuchung. Die meisten Amerikaner können davon nur träumen.

Früher war Amerika von Saddam sehr angetan. Wir liebten ihn. Mit viel Geld haben wir ihn bewaffnet und ihm geholfen, iranische Truppen zu vergasen. Aber dann hat er alles durcheinander gebracht mit seinem Überfall auf die in Kuwait herrschende Diktatur. Damit hat er das Schlimmste getan, was man sich vorstellen kann - er bedrohte einen noch größeren Freund von uns, nämlich die Diktatur in Saudi-Arabien und seine reichen Ölreserven. Der Bush-Clan und die saudische Königsfamilie waren und sind enge Geschäftspartner. Damals im Jahre 1990 beging Saddam einen schweren Fehler, indem er etwas zu nah an das Vermögen der Saudis herankam. Von da an ging es abwärts mit ihm.

Das war nicht immer so. Saddam war unser guter Freund und Verbündeter, wir unterstützten sein Regime. Einem Mörder zur Seite zu stehen, Doktor Frankenstein zu spielen, war uns immer sehr angenehm. Und so haben wir eine Reihe von Monstern hervorgebracht: Den Schah von Iran, Somoza in Nicaragua und Pinochet in Chile. Später dann taten wir so, als wären wir schockiert und hätten nichts gewusst, als diese Leute Amok liefen und ihre Völker massakrierten.

Saddam mochten wir vor allem, weil er bereit war, gegen die Ayatollahs zu kämpfen. Deshalb gaben wir ihm Milliarden Dollar für Waffenkäufe. Und wohlgemerkt: Es ging um Massenvernichtungswaffen. In der Tat, er hatte sie. Wir müssen es ja ganz genau wissen, denn wir haben sie ihm gegeben.

Amerikanische Unternehmen hatten nicht nur die Erlaubnis, mit Saddam in den achtziger Jahren Geschäfte zu machen; sie wurden sogar ausdrücklich ermuntert. Auf diese Weise hat er chemische und biologische Substanzen erhalten, die dann für C-und B-Waffen verwendet wurden. Dabei ging es, wie in einem Bericht des US-Senats aus dem Jahre 1994 nachzulesen ist, um folgende Erreger und hochtoxische Stoffe: Bacillus Anthracis, Clostridium Botulinum, Histoplasma Capsulatam, Brucella Melitensis, Clostridium Perfringens und Clostridium Tetani. Engste Verbindungen unterhielt Saddam auch zu Unternehmen aus anderen Branchen, darunter viele bekannte Namen: AT&T, Bechtel, Caterpillar, Dow Chemical, Dupont, Kodak, Hewlett-Packard und IBM.

Wir waren mit Saddam so innerlich verbunden, dass wir ihm sogar die Satellitenaufnahmen zuspielten, mit denen er die iranischen Truppen exakt lokalisieren konnte. Wir wussten genau, was er mit den Informationen machen würde. Und so geschah es dann: Unmittelbar nach Erhalt der Spionagefotos vergaste er iranische Soldaten. Ein Jahr nach Beginn dieses Massenmords wurden die diplomatischen Beziehungen mit ihm vollständig wiederhergestellt. Spätestens als er dann einen Teil des irakischen Volkes, die Kurden, vergaste, hätte es doch, so könnte man meinen, zu einem Bruch zwischen ihm und uns kommen müssen. Tatsächlich versuchte der Kongress, Sanktionen gegen Saddam zu verhängen. Aber die Reagan-Regierung wies dieses Vorhaben sofort zurück.

Genau so wie der Frankenstein aus der Mythologie geriet Saddam dann allerdings außer Kontrolle. Er tat nicht mehr das, was sein Meister ihm vorgab und musste wieder eingefangen werden. Und jetzt, da er aus der Wildnis zurückgekehrt ist, wird er möglicherweise etwas sagen wollen, nicht zuletzt über seine Schöpfer, seine treuen Verbündeten von damals.

Aus: Freitag, 26.12.2003

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Zitat Nr. 64, 6. Januar 2004

Sklavenfonds Global

Ein Verkaufsprospekt
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Aus: Deutscher Einhei(t)Z-Textdienst, Satire-Rundbrief Ausgabe 1/2004

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Zitat Nr. 63, 1. Januar 2004

Bis dann im jüdischen Café!

Von Wolfgang Machreich

Das Geschäft geht schlecht, sagt der Betreiber eines jüdischen Cafés in Wien. Nicht erst seit den Bombenanschlägen vom Samstag auf zwei Synagogen in Istanbul, schon seit dem 11. September 2001, ja schon seit dem Spaziergang Ariel Sharons auf den Tempelberg und der so ausgelösten zweiten Intifada. „Jüdische Einrichtungen sind Zielscheiben geworden“, sagt er, „wer setzt sich da ins Café?“

Bei den Anschlägen in Istanbul musste man gar nicht in den Synagogen sitzen, um von den Bomben getötet zu werden. So ist unter den Opfern der Bäcker, der in der Straße sein Brot auslieferte. „Ob Muslime oder Juden, die Opfer sind Türken. Und Terror ist Terror“, verbietet sich der türkische Innenminister jede Unterscheidung.

Diese Klarstellung ist wichtig – gerade für Israel, das sich gern von der eigenen Verantwortung abputzt und schnell mit Schuldzuweisungen für das „antisemitische“ Europa bei der Hand ist. Nicht die Welt hat Sharon den Ruf verpasst, den er hat – er tat es selbst. Eine Generalvollmacht für Israels Politik, genauso wie das Ende jeglicher Kritik, darf es nicht geben.
Dieser Terror unterscheidet nicht zwischen Muslimen, Juden und anderen Religionen. Darauf muss auch aus einem zweiten Grund gepocht werden: um der – in diesem Fall tatsächlich – antisemitischen Umkehrung Einhalt zu gebieten, die besagt, dass die Juden selbst schuld am Unglück seien, das sie trifft. Terroropfer zu werden ist keine Frage von Schuld, sondern von Ursachen.

Und Ursachen für den Terror lassen sich beseitigen – auch wenn derzeit das Gegenteil passiert: im Irak, in Palästina… Es gibt keine Alternative. Wenn jüdische Einrichtungen Zielscheiben sind, hilft nur eins: Die Schützen dazu zu bringen, ihre Waffen zu senken. Schon aus ureigenstem Interesse: Heute Nachmittag habe ich eine Verabredung – im jüdischen Café.

Der Kommentar von Wolfgang Machreich, der uns so gut gefallen hat, erschien in der österreichischen Wochenzeitung "Die Furche", 22. November 2003



In Kürze


Ein System von Superreichen
Die USA verhält sich wie ein Machtsystem, das andere dominiert - mit allen Mitteln. Sie hat Mechanismen, um Dominanz zu etablieren, und sie versucht sie zu nutzen. Es sind selbstverständlich nicht "die USA", es sind die Kräfte, die die USA regieren. Sie wollen auch ihr eigenes Land dominieren, in der selben Art und Weise. Der Hauptfeind fast jeder herrschenden Gruppe ist seine eigene Bevölkerung. Die Regierung muss den Irak kontrollieren. Aber viel wichtiger ist es noch, die Amerikaner zu kontrollieren. Und das ist nicht einfach. Während die Leute ihre Aufmerksamkeit auf Bushs Nationale Sicherheitsstrategie richten, wird versucht, die Erfolge der fortschrittlichen Kämpfe des letzten Jahrhunderts zu zerstören. Das Land soll in ein System verwandelt werden, das beherrscht wird von Superreichen. Es hat schon eine dramatische Erosion der demokratischen Kultur gegeben.
Noam Chomsky, von der New York Times als "der wohl wichtigste lebende Intellektuelle" tituliert, in einem Interview in der taz, 15. März 2003


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Keine Zeit
"Bei seinem Besuch in Haiti hat US-Generalstabschef Richard Myers ein konsequentes Vorgehen gegen Rebellen und Gewalttäter angekündigt. Die multnationale Truppe werde weder Gewalt gegen die eigenen Reihen noch gegen die haitianische Bevölkerung tolerieren, und sie entsprechend damit umgehen, sagte Myers am Samstag in Port-au-Prince. Der US-Generalstabschef traf sich während seines rund zweieinhalbstündigen Aufenthalts in dem Karibikstaat mit den Befehlshabern der etwa 2600 Soldaten aus den USA, Frankreich, Chile und Kanada. Zu einem Gespräch mit haitianischen Vertretern fehle ihm dagegen die Zeit, wie Myers sagte."
Meldung der Nachrichtenagentur AFP, 14. März 2004, 8.54 Uhr
(Siehe auch unsere aktuelle Haiti-Chronik)

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Was lehrt uns Haiti?
"Zwei wichtige Lehren können aus Haiti gezogen werden. Die erste besteht darin, dass militärische Gewalt nicht unbedingt das wichtigste Element in der US-Außenpolitik ist; sie steht am Anfang und am Ende der Politik. (...) Die zweite Lehre ist, dass die USA eine Demokratie unterstützen, wenn sie ihrerseits die USA unterstützt. Wenn sie aber unbequem wird - wie im Fall Haiti -, dann wendet sich Washington in Sekundenschnelle von ihr ab."
Kommentar von Gary Younge im britischen "Guardian", 8. März 2004

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Pre-emptive fire
Eine von den US-Truppen in Tikrit abgefeuerte Mörsergranate hat drei irakische Zivilisten getötet, unter ihnen ein zehnjähriges Mädchen. Die Granate sei im Hof eines Hauses in der Nähe des Militärstützpunktes von Tikrit eingeschlagen, sagte ein US-Soldat der Nachrichtenagentur AFP. Warum sie ihre Flugbahn verlassen habe, sei noch nicht geklärt. Die US-Truppen in Tikrit sind im Palast des ehemaligen Staatschefs Saddam Hussein stationiert. Sie feuern mehrmals am Tag Mörsergranaten ab, nach den Worten des örtlichen Kommandos zur Abschreckung, damit sie nicht aus den Sümpfen jenseits des Flusses Tigris beschossen werden.
Meldung der Nachrichtenagentur AFP am 17. Februar 2004

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Verrückte im Weißen Haus
Einstweilen vermute ich, dass der Bayerische Hof und das Zentrum von München in eine Festung ähnlich dem Hauptquartier der Besatzungsmacht in Bagdad verwandelt werden. Mir fällt dazu eine Reise nach Washington ein, die ich einmal unternommen habe, um an Anti-Vietnamkriegsdemonstrationen teilzunehmen. Neben mir im Flugzeug saß ein geschätzter Kollege einer anderen Universität. Er sei, so der Professor, unterwegs nach Washington, um sich mit dem Secret Service wegen der richtigen Bewertung von verrückten Briefen ans Weiße Haus zu beraten. Darauf gab ich zurück, das Problem seien wohl weniger die Briefe Verrückter an das Weiße Haus als solche aus dem Weißen Haus.
Nun, die Sicherheitskonferenz wird von Demonstranten abgeschirmt werden. Doch angesichts der beklagenswerten Politik, die frühere Konferenzteilnehmer in den vergangenen 50 Jahren betrieben haben, ist die Frage nicht ganz unberechtigt: Wer wird die Welt eigentlich vor einer manichäischen Sicherheitspolitik schützen?

Der US-amerikanische Soziologe Norman Birnbaum in der Süddeutschen Zeitung, 5. Februar 2004.

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Täuschen und Lügen - Denkwürdig: 5. Februar 2003
Beim Täuschen und Lügen könne er Premier Tony Blair nichts mehr beibringen, lästert der Berater in der neuesten Folge der BBC-Satireserie "Absolute Power", die am 5. Februar in der BBC ausgestrahlt wird. Das Datum ist gut gewählt. Denn am 5. Februar 2003 hielt US-Außenminister Colin Powell seine denkwürdige Lügenrede vor dem UN-Sicherheitsrat. Hier ein paar Auszüge:
"Ich kann Ihnen nicht alles sagen, was wir wissen, aber was ich Ihnen mitteilen kann, ist - zusammen mit dem, was wir alle über die Jahre hinweg erfahren haben - zutiefst beunruhigend. Was Sie sehen werden, ist eine Anhäufung von Fakten und beunruhigenden Verhaltensmustern. Die Fakten und das Verhalten des Irak beweisen, dass Saddam Hussein und sein Regime keinerlei Anstrengungen zur Entwaffnung unternommen haben, wie sie die internationale Gemeinschaft fordert.
In der Tat belegen die Fakten und das Verhalten des Irak, dass Saddam Hussein und sein Regime ihre Bestrebungen zur Herstellung von weiteren Massenvernichtungswaffen verschleiern."
"Wir wissen, dass Saddam Hussein entschlossen ist, seine Massenvernichtungswaffen zu behalten und weitere herzustellen. Sollten wir - angesichts von Saddam Husseins Geschichte der Aggression, angesichts dessen, was wir von seinen grandiosen Plänen wissen, angesichts dessen, was wir über seine terroristischen Verbindungen wissen und angesichts seiner Entschlossenheit, sich an seinen Gegnern zu rächen - das Risiko eingehen, dass er eines Tages diese Waffen zu einer Zeit und an einem Ort und in einer von ihm gewählten Weise einsetzt, zu einer Zeit, in der die Welt in einer sehr viel schwächeren Position ist zu reagieren? Die Vereinigten Staaten können und werden dieses Risiko für das amerikanische Volk nicht eingehen. Saddam Hussein weitere Monate oder Jahre im Besitz von Massenvernichtungswaffen zu lassen, ist keine Option - nicht in einer Welt nach dem 11. September."

Die Rede kann hier noch einmal nachgelesen werden: "Der Irak erfüllt seine Abrüstungsverpflichtungen nicht"

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Friedensnobelpreis für Bush und Blair?
US-Präsident George W. Bush und der britische Premier Tony Blair wurden von dem rechtsgerichteten norwegischen Abgeordneten Jan Simonsen für ihre Irak-Politik für den Friedensnobelpreis 2004 vorgeschlagen. Bush und Blair hätten es "gewagt, die notwendigen Entscheidungen für einen Irak-Krieg ohne Unterstützung der UNO zu treffen", begründete Simonsen seinen Vorschlag. "Dieser Krieg hat zahllose Leben gerettet." Andernfalls hätte Saddam Hussein womöglich Atomwaffen entwickelt und eine "Katastrophe" ausgelöst.
AFP-Meldung vom 1. Februar 2004

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Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker zu Guantánamo
Mit erstaunlicher Geschwindigkeit wurde überall in der Welt das Wort Guantánamo zu einem Kürzel für amerikanische Arroganz und Unilateralismus. Wir bestehen darauf, dass unsere Kriegsgefangenen und Andere nach universell anerkannten Regeln behandelt werden, zum Beispiel nach der Genfer Konvention. Aber wenn wir manche Menschen gefangen nehmen, sagen wir, auf diese träfen die alten Regeln nicht zu. (...) Ich habe diesbezüglich im vergangenen Oktober eine Lektion erhalten, als ich den deutschen Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker in seinem Haus in Berlin besuchte. Weizsäcker - sowohl pro-amerikanisch als auch beharrlich in seinem Insistieren, dass sich Deutschland seiner Vergangenheit stellt - beantwortete alle meine Fragen, um schließlich selbst eine zu stellen: Guantánamo. "Was ist die Rechtsgrundlage und was ist mit den Menschenrechten?", fragte er. Das sind ausgezeichnete Fragen - die sich nicht an mich richten, sondern an den Präsidenten und den Kongress. Beide Fragen sind schrecklich schleppend beantwortet worden. Für Weizsäcker verkörpert Guantánamo ein Amerika, das sich von seinen eigenen Werten verabschiedet hat.
Richard Cohen in der Washington Post, 20. Januar 2004

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Ein freundlicher Hund
"Amerika ist ein großer, freundlicher Hund in einem sehr kleinen Zimmer. Jedesmal wenn er mit dem Schwanz wedelt, wirft er einen Stuhl um."
Arnold Toynbee, amerik. Historiker und Philosoph (1889-1979)

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Die ganze Welt?
"Mögliches Einsatzgebiet für die Bundeswehr ist die ganze Welt."
Bundesverteidigungsminister Struck am 13. Januar 2004.

"Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf."
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Art. 87a Abs.1

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Doris Lessing über Tony Blair
Nouvel Observateur: "Sie haben vor kurzem Tony Blair mit sehr scharfen Worten kritisiert. Warum?"
Doris Lessing: "Weil er nicht auf der Höhe seines Jobs ist. Er ist ein Kleingeist. Warum hat er sich zu diesem Krieg ködern lassen? Ich denke, dass er nicht sehr brillant ist. Er ist ein Kind der Hippiezeit. Es gibt ein Foto von ihm mit langen Haaren und einem Banjo - das ist zum Weinen. Ich glaube nicht, dass er jemals ein Buch gelesen hat. Das schlimmste ist, dass er von wichtigen Leuten geliebt wird."

Der "Nouvel Observateur" (24.12.2003) im Gespräch mit der britischen Schriftstellerin Doris Lessing.




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