"Der Irak erfüllt seine Abrüstungsverpflichtungen nicht"
Rede des US-Außenministers Colin L. Powell vor dem UN-Sicherheitsrat
Am 5. Februar 2003 hielt US-Außenminister Powell vor dem UN-Sicherheitsrat unter Leitung von Bundesaußenminister Fischer seine Anklagerede gegen den Irak. Wir dokumentieren im Folgenden die Rede in einer von der US-Botschaft autorisierten deutschen Übersetzung.
Einleitung
Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Präsident, Herr Generalsekretär, verehrte
Kollegen, ich möchte Ihnen zunächst meinen Dank für Ihre besonderen
Bemühungen aussprechen, heute hierher zu kommen. Dies ist ein wichtiger Tag
für uns alle, weil wir heute die Situation im Hinblick auf den Irak und
seine Abrüstungsverpflichtungen im Rahmen von Resolution 1441 des
UN-Sicherheitsrats überprüfen
Am 8. November vergangenen Jahres verabschiedete dieser Rat Resolution 1441
einstimmig. Der Zweck dieser Resolution war die Entwaffnung des Irak von
seinen Massenvernichtungswaffen. Der Irak war bereits einer erheblichen
Verletzung seiner Verpflichtungen für schuldig befunden worden, die sich auf
16 bisherige Resolutionen erstrecken und 12 Jahre zurückreichen.
Resolution 1441 befasste sich nicht mit einer unschuldigen Vertragspartei,
sondern einem Regime, das dieser Rat über Jahre hinweg wiederholt für
schuldig erklärt hat.
Resolution 1441 räumte dem Irak eine letzte Chance ein - eine letzte Chance
zur Einhaltung seiner Verpflichtungen, andernfalls muss er mit ernsthaften
Konsequenzen rechnen. Keines der an jenem Tag anwesenden und abstimmenden
Ratsmitglieder hatte irgendwelche Illusionen über den Inhalt und die Absicht
der Resolution oder darüber, was unter ernsthaften Konsequenzen zu verstehen
sei, wenn der Irak seine Verpflichtungen nicht einhält.
Um bei der Entwaffnung des Irak behilflich zu sein, forderten wir den Irak
zur Zusammenarbeit mit den rückkehrenden Inspekteuren der UNMOVIC und der
Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) auf. Wir setzten strenge
Standards, die der Irak einhalten muss, damit die Inspekteure ihre Arbeit
verrichten können.
Dieser Rat legte dem Irak die Last der Einhaltung seiner Verpflichtungen und
der Entwaffnung auf, und nicht den Inspekteuren, das herauszufinden, was der
Irak so lange zu verbergen versucht hat. Inspekteure sind Inspekteure; sie
sind keine Detektive.
Ich habe aus zwei Gründen um die heutige Sitzung gebeten. Erstens, um die
von Dr. Blix und Dr. ElBaradei vorgenommenen Beurteilungen zu untermauern.
Dr. Blix hat am 27. Januar vor diesem Rat festgestellt, dass "der Irak
anscheinend noch nicht einmal bis heute die von ihm geforderte Entwaffnung
wirklich akzeptiert hat".
Und Dr. ElBaradei berichtete, die irakische Erklärung vom 7. Dezember
"enthielt keine neuen Informationen im Zusammenhang mit bestimmten Fragen,
die seit 1998 nicht beantwortet wurden".
Meine zweite Absicht heute besteht darin, Ihnen zusätzliche Informationen zu
geben, Ihnen mitzuteilen, was die Vereinigten Staaten über die
Massenvernichtungswaffen und die Beteiligung des Irak an terroristischen
Aktivitäten wissen, die ebenfalls Gegenstand von Resolution 1441 und anderer
früherer Resolutionen sind.
Ich möchte an diesem Punkt hinzufügen, dass wir den Inspektionsteams alle
relevanten Informationen zur Verfügung stellen, die wir zur Verfügung
stellen können, damit sie ihre Arbeit erledigen können.
Das Material, das ich Ihnen heute vorlege, stammt aus unterschiedlichen
Quellen. Es sind zum Teil amerikanische Quellen, zum Teil Quellen anderer
Länder. Einige der Quellen sind technischer Art, wie die abgehörten
Telefongespräche und die Satellitenfotos. Andere Quellen sind Menschen, die
ihr Leben riskiert haben, damit die Welt erfährt, was Saddam Hussein
wirklich vorhat.
Ich kann Ihnen nicht alles sagen, was wir wissen, aber was ich Ihnen
mitteilen kann, ist - zusammen mit dem, was wir alle über die Jahre hinweg
erfahren haben - zutiefst beunruhigend. Was Sie sehen werden, ist eine
Anhäufung von Fakten und beunruhigenden Verhaltensmustern. Die Fakten und
das Verhalten des Irak beweisen, dass Saddam Hussein und sein Regime
keinerlei Anstrengungen zur Entwaffnung unternommen haben, wie sie die
internationale Gemeinschaft fordert.
In der Tat belegen die Fakten und das Verhalten des Irak, dass Saddam
Hussein und sein Regime ihre Bestrebungen zur Herstellung von weiteren
Massenvernichtungswaffen verschleiern.
Menschenrechtsverletzungen
Liebe Freunde, dies war ein langer und detaillierter Vortrag, und ich danke
Ihnen für ihre Geduld, aber es gibt noch ein Thema, das ich kurz anschneiden
möchte, und dieses Thema sollte diesen Rat zutiefst und anhaltend
beunruhigen: Saddam Husseins Menschenrechtsverletzungen.
Meinen gesamten Ausführungen, allen Fakten und von mir ausgemachten
Verhaltensmustern liegt eines zugrunde: Saddam Husseins Missachtung des
Willens dieses Rats, seine Missachtung der Wahrheit und - am
verachtenswertesten von allem - seine vollständige Missachtung menschlichen
Lebens. Saddam Husseins Einsatz von Senfgas gegen die Kurden im Jahr 1988
war eine der schrecklichsten Gräueltaten des 20 . Jahrhunderts. 5.000
Männer, Frauen und Kinder kamen ums Leben. Bei seinem Feldzug gegen die
Kurden von 1987 bis 1989 wurden Massenexekutionen vorgenommen, Menschen
verschwanden, wurden willkürlich verhaftet, es wurden ethnische Säuberungen
durchgeführt und ungefähr 2.000 Dörfer zerstört.
Er hat auch ethnische Säuberungen unter den irakischen Schia und den in den
Marschen ansässigen Arabern durchgeführt, deren Kultur seit über einem
Jahrtausend blüht und gedeiht. Saddam Husseins Polizeistaat eliminiert
gnadenlos jeden, der es wagt, anderer Meinung zu sein. Im Irak verschwinden
mehr Menschen gewaltsam als in jedem anderen Land - Berichten zufolge
verschwanden in den letzten zehn Jahren Zehntausende.
Nichts weist deutlicher auf Saddam Husseins gefährliche Absichten und die
Bedrohung hin, die er für uns alle darstellt, als seine kalkulierte
Grausamkeit gegenüber seinen eigenen Bürgern und Nachbarn. Zweifelsohne
machen Saddam Hussein und sein Regime vor nichts halt - bis ihn jemand
stoppt.
Seit über 20 Jahren hat Saddam Hussein mit Worten und Taten seine Absicht
zur Beherrschung des Irak und des weiteren Mittleren Ostens unter Einsatz
der einzigen Mittel, die er kennt, verfolgt: Einschüchterung, Nötigung und
Vernichtung all derer, die ihm im Weg stehen könnten. Für Saddam Hussein ist
der Besitz der todbringendsten Waffe der Welt die Trumpfkarte, die er in der
Hand halten muss, um seinen Ehrgeiz zu befriedigen.
Wir wissen, dass Saddam Hussein entschlossen ist, seine
Massenvernichtungswaffen zu behalten und weitere herzustellen. Sollten wir -
angesichts von Saddam Husseins Geschichte der Aggression, angesichts dessen,
was wir von seinen grandiosen Plänen wissen, angesichts dessen, was wir über
seine terroristischen Verbindungen wissen und angesichts seiner
Entschlossenheit, sich an seinen Gegnern zu rächen - das Risiko eingehen,
dass er eines Tages diese Waffen zu einer Zeit und an einem Ort und in einer
von ihm gewählten Weise einsetzt, zu einer Zeit, in der die Welt in einer
sehr viel schwächeren Position ist zu reagieren?
Die Vereinigten Staaten können und werden dieses Risiko für das
amerikanische Volk nicht eingehen. Saddam Hussein weitere Monate oder Jahre
im Besitz von Massenvernichtungswaffen zu lassen, ist keine Option - nicht
in einer Welt nach dem 11. September.
Liebe Kollegen, vor über drei Monaten erkannte dieser Rat, dass der Irak
nach wie vor eine Bedrohung des internationalen Friedens und der
internationalen Sicherheit darstellt und dass der Irak seine
Abrüstungsverpflichtungen erheblich verletzt hat und weiterhin verletzt.
Heute stellt der Irak noch immer eine Bedrohung dar und verletzt seine
Vertragsverpflichtungen weiterhin erheblich. In der Tat hat der Irak, weil
er diese letzte Chance nicht genutzt hat, die Wahrheit zu sagen und zu
entwaffnen, seine Vertragsverpflichtungen noch erheblicher verletzt und sich
dem Tag genähert, an dem er sich ernsthaften Konsequenzen für seine
anhaltende Missachtung dieses Rats gegenübersieht.
Liebe Kollegen, wir haben eine Verpflichtung gegenüber unseren Bürgern. Wir
haben eine Verpflichtung gegenüber diesem Gremium sicherzustellen, dass
unsere Resolutionen eingehalten werden. Wir haben 1441 nicht verfasst, um in
den Krieg zu ziehen. Wir haben 1411 verfasst, um zu versuchen, den Frieden
zu bewahren. Wir haben 1441 verfasst, um dem Irak eine letzte Chance zu
geben.
Bisher nutzt der Irak diese letzte Chance nicht.
Wir dürfen nicht vor dem zurückschrecken, was vor uns liegt. Wir dürfen
unsere Pflicht und Verantwortung gegenüber den Bürgern der Länder nicht
vernachlässigen, die von diesem Gremium vertreten werden.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Originaltext: Secretary of State Addresses the U.N. Security Council
(http://usinfo.state.gov)
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