Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Energieimperialismus gegen "Peak Oil"?

Die Bundeswehr entwirft eine Strategie für das Ende des Ölzeitalters

Von Claus Schreer *

Unter dem Titel "PEAK-OIL – Sicherheitspolitische Implikationen knapper Ressourcen" hat die Bundeswehr im Juli 2010 eine umfangreiche Studie herausgegeben, die sich mit den Konsequenzen des absehbaren Peak- Oil, mit der strategischen Bedeutung der Ressourcensicherung und der sich daraus ergebenden zukünftigen Ausrichtung der Bundeswehr befasst.

Die Bundeswehr-Studie habe den Zweck, so die Autoren, "Entscheidungsträger für die möglichen sicherheitspolitischen Konsequenzen zu sensibilisieren, die durch ein Überschreiten des globalen Erdöl-Fördermaximums entstehen können".


Herausgeber dieser ersten Studie aus der Serie "Streitkräfte, Fähigkeiten und Technologien im 21.Jahrhundert" (SFT 21) ist das "Zentrum für Transformation der Bundeswehr". Es unterstützt das Bundesministerium der Verteidigung bei der zentralen Steuerung der Planungs-, Führungs- und Entscheidungsprozesse für die Streitkräfte. Das "Zentrum" analysiert langfristige sicherheitspolitische Herausforderungen in einem Zeithorizont von 30 Jahren und entwickelt Zukunftsanalysen für die Streitkräfteplanung und für das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr im 21. Jahrhundert. An der Spitze dieser Bundeswehreinrichtung steht als "Kommandeur des Zentrums" Brigadegeneral Axel Binder.



Ausgangspunkt für die Studie ist die kaum noch bestrittene Tatsache, dass die Verfügbarkeit von Erdöl rapide zurückgeht und der vorhersehbare Peak-Oil nicht nur die Sicherheit der Energieversorgung, sondern auch die gesamte industrielle Produktion hochentwickelter Industriestaaten, ihre Lebens- und Konsumtionsweise bedroht.

"Bei der drohenden Gefahr", sagen die Autoren der Studie, "geht es nicht um das Ende des Öls, sondern um das Ende des billigen Öls und damit gleichzeitig um das Ende unserer Gesellschaft, die auf der Verwendung billigen Öls beruht". (Seite 86) Mittelfristig, so prophezeien sie, "bricht das globale Wirtschaftssystem und jede marktwirtschaftlich organisierte Volkswirtschaft zusammen".

Deutschland und den westlichen Staaten drohe ein dramatischer Einfluss- und Machtverlust bis hin zur Erpressbarkeit durch die Ölförderländer, weil sich "neue oder wieder erstarkende regionale oder sogar globale Führungsmächte etablieren" werden. Sie würden die Peak-Oil-induzierte Verschärfung der Konkurrenz um Erdöl "zur Durchsetzung politischer, wirtschaftlicher oder ideologischer Ziele nutzen können", was "massive Auswirkungen, insbesondere auf die Versorgungssicherheit der westlichen Industrieländer" hätte. (S. 15)

Die Autoren schreiben zwar, dass sie "ausdrücklich nicht auf eine mögliche militärische Ressourcensicherung" orientieren, gleichzeitig betonen sie jedoch die Notwendigkeit einer stärker von Interessen geleiteten Sicherheitspolitik sowie die Effektivierung staatlicher Instrumente zum Schutz und zur Sicherung der Öl- Infrastruktur. Besonders wichtig dafür seien hochseefähige Marinekräfte für Geleit- und Schutzaufgaben und zur Offenhaltung internationaler Seewege. Außerdem seien besondere Anstrengungen erforderlich, um – gerade unter Peak-Oil-Bedingungen – die Mobilität und die weltweite Interventionsfähigkeit der Bundeswehr aufrecht zu erhalten.

Die Klimaschädlichkeit ölbasierter CO2-Emissionen spielt in der Bundeswehrstudie überhaupt keine Rolle, obwohl der größte Anteil der weltweiten CO2-Emissionen durch die Ölverbrennung verursacht wird. Jährlich über 10 Milliarden Tonnen, das entspricht etwa 41 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes, werden durch die Verbrennung von Öl zur Energiegewinnung und durch Treibstoffe im Transport- und Verkehrssektor freigesetzt. Erdölverbrennung gehört damit zu den Hauptverursachern der Klimakatastrophe. In Deutschland beträgt der Anteil von Erdöl am Primärenergieverbrauch und am CO2-Ausstoß jeweils 36 Prozent, und ist damit auch hierzulande der größte Klimakiller. Für die Bundeswehrforscher ist das jedoch kein Thema. Anstelle ölbasierter CO2-Emissionen behandeln sie relativ ausführlich die Beschleunigung des Klimawandels durch vermehrten Einsatz von Kohle und Gas (z.B. Kohle- und Gasverflüssigung) und die drohende Nahrungsmittelknappheit durch Bio-Energieproduktion als Ersatz für das knapper werdende Erdöl. Tatsächlich sind Kohle-, Gas- und Biotreibstoffe, keine akzeptablen Alternativen zu den heute ölbasierten Kraftstoffen. Den Bundeswehrforschern jedoch dient diese Tatsache als Argument, um die Sicherung der Ölversorgung zu einer ihrer zentralen Aufgaben zu erklären.

Im Folgende werden die Kernaussagen der knapp hundertseitigen Studie etwas genauer vorgestellt:

Wirtschaftliche Folgen des Peak-Oil

Unter "Peak-Oil" verstehen Energieexperten jenen Zeitpunkt, zu dem das globale Maximum bei der Erdölförderung erreicht sein wird und gleichzeitig die weltweiten Ölvorräte allmählich zurückgehen. Ab diesem Zeitpunkt droht eine dauerhafte Versorgungskrise, weil die Förderquote sinkt und den weltweit steigenden Ölbedarf nicht mehr decken kann.

Völlig korrekt wird in der neuen Bundeswehr-Studie die herausragende wirtschaftliche Bedeutung von Erdöl, insbesondere für die hochentwickelten Industriestaaten beschrieben. Durch seine vielseitige Verwendbarkeit als Energieträger und als chemischer Grundstoff werde so gut wie jedes gesellschaftliche Subsystem von seiner Knappheit betroffen sein.

"95 % aller industriell gefertigten Produkte hängen heute von der Verfügbarkeit von Erdöl ab", heißt es in der Studie. "Erdöl ist nicht nur der Ausgangsstoff für die Produktion von Treib- und Schmierstoffen, sondern in Form von Rohbenzin auch für alle organischen Polymere (Kunststoffe). Es ist damit der wichtigste Rohstoff bei der Herstellung von so unterschiedlichen Produkten wie Pharmazeutika, Farbstoffen oder Textilien ... Erdöl ist außerdem die Grundvoraussetzung für den Transport großer Warenmengen über lange Strecken. Containerschiffe, Lastkraftwagen und Flugzeuge bilden neben der Informationstechnologie das Rückgrat der Globalisierung". Auch regional und lokal habe "die ölbasierte Mobilität unseren Lebensstil geprägt. Das Leben in Vorstädten wäre für viele Menschen ohne die Verfügbarkeit eines Autos nicht möglich". Es sei jedoch vorhersehbar, "dass Erdöl in absehbarer Zukunft nicht mehr den zu erwartenden Bedarf decken kann". (S. 7)

Die internationale Gemeinschaft, aber auch jeder Einzelstaat hätten deshalb "ein vitales Interesse an der Sicherung des Zugangs zu Öl". Heute sei dies "relativ leicht über den Weltmarkt möglich", was wohl nichts anderes heißen soll, als: Solange Erdöl im Überfluss zur Verfügung steht und das Versorgungsmonopol die westlichen Ölkonzerne nicht angetastet wird, ist auch die kapitalistisch Produktions- und Konsumtionsweise in keiner Weise bedroht. Eine Verknappung jedoch, heißt es in der Studie und damit "eine starke Verteuerung des Erdöls stellt ein systemisches Risiko dar". (S. 5)

Es drohen, so die Studie, steigende Transportkosten, Einschränkungen des Individual- und Güterverkehrs, rapide Preissteigerungen in allen Bereichen mit sinkendem Konsum, Massenarbeitslosigkeit und der Gefährdung der Nahrungsmittelsicherheit. "Mittelfristig", schreiben die Autoren, "bricht das globale Wirtschaftssystem und jede marktwirtschaftlich organisierte Volkswirtschaft zusammen". (S. 49)

Die Bedrohung des Westens durch geopolitische Machtverschiebungen

Einige Länder mit nur noch geringen Lagerstätten werden bereits in den nächsten Jahren als Öllieferanten ausscheiden. Mit der Verknappung der Ölreserven, entstehe "eine dauerhafte geografische Konzentration der Erdöllagerstätten und der Transportinfrastrukturen und damit auch eine geopolitische Machtverschiebung." (S. 5)

Die internationale Bedeutung der wenigen verbleibenden Öl-Förderländer werde wachsen. Sie würden ihre Position nutzen, um "sich als neue oder wieder erstarkende regionale, gegebenenfalls sogar globale Führungsmächte zu etablieren". (S. 14)

Der Anteil des auf dem globalen, frei zugänglichen Ölmarkt gehandelten Erdöls werde zugunsten des über binationale Kontrakte gehandelten Öls abnehmen.

Es drohe die Gefahr "einer gezielten Einschränkung des Angebots"; und je knapper Öl wird, "desto stetiger" würden die "Preise des Erdöls und damit die Gewinne der Förderländer steigen". Durch die "abnehmende Zahl relevanter Ölexporteure und die wachsende Bedeutung der ’New Seven Sisters’" (der Ölkonzerne der Schwellenländer) würde es zu einer "erneuten Bildung von Monopolen" kommen, die diese "zu einer offensiveren Durchsetzung eigener Interessen und zur Durchsetzung politischer, wirtschaftlicher oder ideologischer Ziele nutzen können". (S. 14/15) Wenn es vorher nicht gelänge, die Abhängigkeit von den Erdölreserven der "Strategischen Ellipse" im Nahen und Mittleren Osten durch Herkunftsdiversifizierung zu reduzieren, würde es zu massiven politischen Einschränkungen für die Importländer, bis hin zur Erpressbarkeit kommen. Die Handlungsfähigkeit Deutschlands und der Bundeswehr hänge jedoch von funktionierenden Infrastrukturen ab. Die Gefahr eines Entzugs von Energie müsse deshalb minimiert werden.

Die chinesische Gefahr

Zunehmende Bedrohungen sehen die Autoren der Bundeswehr-Studie bereits heute im "Abschluss neuer strategischer Bündnisse, wie beispielsweise der ’Shanghai- Organisation für Zusammenarbeit’ oder dem Forum Gas exportierender Länder ... diese könnten angesichts einer Peak-Oil induzierten Verschärfung der Konkurrenzsituation um Erdöl und des Aufstiegs von großen Schwellenländern massive Auswirkungen, insbesondere auf die Versorgungssicherheit von westlichen Industrieländern haben". (S. 19)

"Schwellenländer" (gemeint ist vor allem China) würden bereits heute in internationalen Gremien wie dem UN-Sicherheitsrat "zunehmend als Sprachrohr für die Interessen ressourcenreicher Länder" auftreten und "Entscheidungsprozesse zu ihren Gunsten beeinflussen oder blockieren". Auf diese Weise würden einige Staaten, "gezielt die Bildung eines politischen Gegengewichtes zu den USA" vorantreiben. (S. 19)

Um den enormen Energiehunger seiner rasant wachsenden Volkswirtschaft zu stillen, würde insbesondere China sein "Engagement in ölreichen Ländern weiter verstärken, als Handelspartner, als Investor, Technologie- und Waffenlieferant, als Kreditgeber oder Entwicklungshelfer" Chinas pragmatische Außenpolitik würde zur "Unterminierung" der von den "westlichen Demokratien" praktizierten "werteorientierten" zwischenstaatlichen Beziehungen führen. Der so genannten westlichen Wertegemeinschaft drohe dadurch "ein massiver Einflussverlust im Wettbewerb um das knappe Öl". Die Förderländer dagegen könnten "die Verfügungsgewalt über Energie zunehmend in globale Gestaltungskraft und die Mitbestimmung internationaler Regeln übersetzen". Dies gelte "umso mehr, je kleiner der Anteil des auf dem globalen Ölmarkt gehandelten Erdöls wird". (S. 20)

Auch Länder wie Russland könnten ihren Einfluss durch den eigenen Ressourcenreichtum weiter ausbauen, da vor dem Hintergrund des Peak-Oil insbesondere die Bedeutung von Gas für die globale Energieversorgung rasant wächst. Erdgas werde zu einem der wichtigsten fossilen Energieträger der Zukunft und zumindest in einer Übergangsphase das Erdöl in erheblichem Maße ersetzen müssen.

Außenpolitische und militärstrategische Herausforderungen

Konfliktpotential Arktis:

"Die strategische Bedeutung der Ressourcensicherung durch die Erschließung umstrittener und neuer Gebiete" werde die "Wahrscheinlichkeit einer weiteren militärischen Aufrüstung erhöhen". Das gelte beispielsweise für die Antarktis. "Bereits heute" seien "Bestrebungen zu erkennen, militärische Fähigkeiten für einen Schutz der eigenen Arktisansprüche auszubauen". (S. 23) Inwieweit die NATO in möglichen bei territorialen Streitfällen eingreifen würde, sei "bislang unklar", sagen die Bundeswehrforscher, konterkarieren ihre Ansicht aber sogleich durch die Tatsache, dass alle Arktis- Anrainerstaaten – außer Russland – dem westlichen Militärbündnis angehören und die Aussage, dass eine Befassung der NATO zu erwarten sei, wenn eines der Bündnisländer seine Souveränität bedroht sieht. (S. 64)

Die"Strategische Ellipse:

"Die absehbar bedeutendste sicherheitspolitisch relevante Veränderung für Deutschland" werde "die Aufwertung des Nahen Ostens, Afrikas und des Kaspischen Raumes für die deutsche Ressourcensicherheit sein", heißt es in der Bundeswehr-Studie. (S. 78)

Der Großteil der Reserven für die zukünftige Öl-, aber auch für die Gasversorgung konzentriere sich auf die "Strategische Ellipse" des Nahen und Mittleren Ostens. "Die anhaltend hohe Ölabhängigkeit", heißt es in der Studie, müsse deshalb "zu einer verstärkten Einflussnahme" in der strategischen Ellipse führen, "um die Energieversorgung aufrecht zu erhalten und ein günstiges Umfeld für eine stabile Förderung und Lieferung zu schaffen". (S. 36)

Die Bundeswehr-Studie geht davon aus, dass "die Auseinandersetzungen um Verlauf, Aufbau und Sicherheit von (Gas- und Öl-) Pipelines tendenziell zunehmen" werden. (S. 24) Dies beträfe "nicht nur die Umgehung von als unsicher geltenden Staaten, sondern auch den Umgang mit Staaten, die nicht an der wirtschaftlichen Erschließung der Vorkommen respektive dem Pipelinebau beteiligt werden sollen". Und angesichts des bevorstehenden Peak-Oil könnten sich diese Konflikte noch weiter verschärfen.

"Die Attraktivität von Öl- und Gasinfrastruktur als Ziel gewaltsamer Auseinandersetzungen und politischer Erpressung" werde in Zukunft "rapide steigen" Insgesamt werde daher "der Bedarf an direkten und indirekten Schutzmaßnahmen" deutlich zunehmen. (S. 68) Öl- und Gaspipelines, die Transportrouten der Öltankerflotten und in zunehmenden Maß auch Leitungsnetze für den Transport elektrischer Energie würden gerade in Zeiten der Ölknappheit eine zentrale Stellung einnehmen, heißt es in der Studie. Zur Sicherung dieser "Kritischen Infrastruktur" seien "hochseefähige Marinekräfte für Geleit- und Schutzaufgaben ... zur Offenhaltung internationaler Seewege von erheblicher Bedeutung". (S. 69) Dies erfordere eine enge multilaterale Kooperation. "Die Bundeswehr" werde sich "als wichtiger Teil der sicherheitspolitischen Landschaft diesen Veränderungen nicht entziehen können". (S. 71)

Vorrang für interessengeleitete Außen- und Militärpolitik

Die Bundeswehr-Experten befürchten nicht zu Unrecht, dass zukünftig "ein wie auch immer begründetes und notwendiges weltweites Engagement der Streitkräfte politisch und finanziell noch stärker umstritten und durchzusetzen sein" wird.

Deshalb plädieren sie für "eine grundlegende sicherheitspolitische Interessendefinition". Im Zusammenhang mit Peak-Oil, sei "Interessenpolitik mit Ausrichtung auf das Ziel der Versorgungssicherheit eine besondere Herausforderung für deutsche Sicherheitspolitik". (S. 58)

Voraussetzung für die Akzeptanz einer "stärker von Interessen geleitete Sicherheitspolitik" sei jedoch, wie die Diskussionen um die Auslandseinsätze der Bundeswehr und um den Rücktritt des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler gezeigt hätten, "eine umfassende politische und gesellschaftliche Debatte". Nur dann könne "eine ressourceneffiziente und verantwortungsvolle Prioritätensetzung vorgenommen werden". Abschließend heißt es: "Nur wenn Deutschland seine Interessen kennt und klar definiert, kann es versuchen, diese in Einklang mit seinen Werten zu bringen. ... Eine klare Festlegung nationaler Interessen und eine Ausbalancierung werteorientierter und pragmatischer Politik wird bei Eintreten des Peak-Oil von entscheidender Bedeutung für eine kohärente und zielorientierte Außenpolitik sein." (S. 59)

Dies gelte nicht nur in Bezug auf das militärische Engagement Deutschlands. Der bevorstehende Peak-Oil hätte für die deutsche Nahost-Politik erhebliche Folgen. "Eine durch das Ziel der Versorgungssicherheit motivierte Neujustierung deutscher Nahost-Politik zugunsten intensiverer Beziehungen mit Förderländern, wie Iran und Saudi-Arabien mit den größten konventionellen Erdölreserven der Region, dürfte die deutschisraelischen Beziehungen je nach Intensität des Politikwechsels entsprechend belasten." (S. 55)

Für die Gasversorgung, sei vor allem das Verhältnis zu Russland von entscheidender Bedeutung, heißt es in der Studie. "Für Deutschland ist dies mit einem Balanceakt zwischen stabilen und privilegierten Beziehungen zu Russland und den Befindlichkeiten seiner östlichen Nachbarstaaten verbunden".

Sicherung der Interventionsfähigkeit der Streitkräfte

"Die Infrastruktur, die zur Förderung und zum Verkauf von Öl notwendig ist, setzt ein stabiles (staatliches) Umfeld voraus", schreiben die Bundeswehrforscher. "Es reicht nicht, das Ölfeld zu beherrschen, auch der Transportweg und etwaige Umschlagplätze wie Seehäfen müssen frei zugänglich sein." (S. 8)

Zu befürchten sei jedoch, dass "zusammen mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten auch die Handlungsfähigkeit der Streitkräfte grundsätzlich infrage gestellt werden" könnte.

"Die Streitkräfte" hätten insbesondere in den Auslandseinsätzen "einen hohen Anteil am Verbrauch fossiler Treibstoffe". Betroffen von einem massiven Rückgang der Ölversorgung wären "vor allem schnelle Operationen hochmobiler Kräfte, die regelmäßig auf dem Luftweg verlegt werden und die Einsätze von Luftstreitkräften". "Eine massive Einschränkung der Mobilität in Folge des Peak-Oil hätte erhebliche Auswirkungen auf die Ausrüstung, Ausbildung und vor allem die (globale) Projektions- und Interventionsfähigkeit von Streitkräften", heißt es in der Bundeswehr-Studie. (S. 72)

Man wolle zwar "ausdrücklich nicht auf eine mögliche militärische Ressourcensicherung" orientieren, behaupten die Bundeswehrforscher. Doch die Aufrechterhaltung der weltweiten Interventionsfähigkeit Deutschlands ist für sie – gerade angesichts zukünftiger Ölknappheit – von entscheidender Bedeutung und soll auf keinen Fall gefährdet werden.

"Das Gros der militärisch genutzten Mobilität der Bundeswehr" schreiben sie, werde "in absehbarer Zeit noch von flüssigen Treibstoffen abhängen" und "angesichts der Größe und Komplexität vieler Transport- und Waffensysteme bei gleichzeitig hohen Anforderungen z.B. an die Robustheit im Einsatz" würden "alternative Antriebe und Energiesysteme kaum im erforderlichen Umfang zur Verfügung" stehen. Wenn aber "eine Einschränkung der Fähigkeiten und der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr vermieden werden soll", heißt es in der Studie weiter, seien zur Versorgung der Streitkräfte "kurzfristige Ersatzlösungen für ölbasierte Treibstoffe (z.B. Kohleverflüssigung) notwendig" und – wie das historische Beispiel Deutschlands im 2. Weltkrieg gezeigt hätte – auch möglich. (S. 30, S. 72)

Grundsätzlich aber stünden nicht nur alle Volkswirtschaften weltweit, sondern "auch die Streitkräfte vor der Herausforderung einer technologischen Transformation zur postfossilen Mobilität, die mittel- bis langfristig erreicht werden" müsse.

Überlegungen und Vorschläge der Studie reichen von Teilelektrifizierung der Antriebe für Gefechts- und Transportfahrzeuge, über Fernsteuerung und Autonomisierung von Aufklärungs- und Waffensystemen bei gleichzeitiger Gewichtsreduktion, bis zum vermehrten Einsatz von Biotreibstoffen.

Zwar werden im ersten Teil der Studie die Konsequenzen eines verstärkten Anbaus nachwachsender Energierohstoffe ausführlich beschrieben, (z.B. die globale Konkurrenz um landwirtschaftliche Nutzflächen für die Nahrungsmittelproduktion, die zwangsläufigen Preissteigerungen und Versorgungskrisen bei Lebensmitteln, bis hin zur Klimaproblematik) die zahlreichen Bedenken gelten jedoch offensichtlich nicht, wenn es um die Aufrechterhaltung der Kriegsführungsfähigkeit der Bundeswehr geht.

Im Abschnitt zur postfossilen Mobilität der Bundeswehr heißt es: "Unter den Bedingungen von Peak-Oil wird die Nutzung von Kraftstoffen aus Biomasse immer interessanter ... Ein weitreichender Einsatz von Biotreibstoffen hätte den Vorteil, dass die Antriebe einer Vielzahl von Transport- und Waffensystemen – von Flugzeugen über Schiffe bis hin zu Kampf- und Schützenpanzern – nicht grundsätzlich geändert, sondern lediglich weiterentwickelt werden müssten". (S. 75)

Schlussbemerkung

Dass die Bundeswehr mit ihrer Studie ernsthaft Alternativen zum ölbasierten, Energieverbrauch entwickelt, war natürlich nicht zu erwarten.

Die Militärexperten verstehen alle Probleme, die im Zusammenhang mit der zukünftigen Ölknappheit auftreten werden und die sie weitgehend richtig beschreiben, ausschließlich als Sicherheitsrisiken und als Bedrohung für Deutschland. Sie befürchten den Zusammenbruch von Infrastrukturen und globalen Wirtschaftskreisläufen, ökonomische und politische Krisen und schließlich den Zusammenbruch der bestehenden Wirtschaftsordnung. Denn das Ende des billigen Öls sei gleichzeitig das Ende unserer Gesellschaft.

Wäre die Ölversorgung Deutschlands trotz des zu erwartenden geringeren Angebots weiterhin garantiert, dann wäre Peak-Oil für die Bundeswehr sicher kein Thema. Über den sparsamen Umgang oder die weltweite gerechte Verteilung der knapper werdenden Ölressourcen findet man in der Bundeswehrstudie kein Wort. Auch die Klimaschädlichkeit der Ölverbrennung findet keine Erwähnung und erst recht nicht die Alternativen zu einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die auf Ressourcenverschwendung beruht.

"Energiesicherheit" heißt in der Logik der wirtschaftlich und politisch Herrschenden, und natürlich auch der Bundeswehr, nichts anderes als "Sicherstellung der Versorgung Deutschlands" mit den für unser Wirtschaftssystem überlebenswichtigen Öl- und Gasressourcen. "Energiesicherheit, sichere Rohstoffzufuhr und sichere Transportwege" sind deshalb schon seit Jahren Bestandteil der Militärstrategie Deutschlands. Versorgungssicherheit soll notfalls mit Hilfe von Militärinterventionen und auf Kosten anderer Länder garantiert werden. Die Peak-Oil-Studie der Bundeswehr liefert jetzt die wissenschaftliche Begründung für diesen Energieimperialismus.

* Der Beitrag von Claus Schreer ist im Oktober-Heft der isw-information erschienen. Herausgeber: isw - institut für sozial-ökologische wirtschaftsforschung e.V., München; www.isw-muenchen.de


Zurück zur Seite "Erdöl und andere Energieressourcen, Rohstoffe"

Zur Bundeswehr-Seite

Zur Deutschland-Seite

Zurück zur Homepage