Energieimperialismus gegen "Peak Oil"?
Die Bundeswehr entwirft eine Strategie für das Ende des Ölzeitalters
Von Claus Schreer *
Unter dem Titel "PEAK-OIL – Sicherheitspolitische Implikationen
knapper Ressourcen" hat die Bundeswehr im Juli 2010 eine umfangreiche Studie herausgegeben, die sich mit den Konsequenzen des absehbaren Peak-
Oil, mit der strategischen Bedeutung der Ressourcensicherung
und der sich daraus ergebenden zukünftigen Ausrichtung der Bundeswehr befasst.
Die
Bundeswehr-Studie habe den Zweck, so die Autoren, "Entscheidungsträger für die möglichen sicherheitspolitischen Konsequenzen zu sensibilisieren, die durch ein Überschreiten des globalen Erdöl-Fördermaximums entstehen können".
Herausgeber dieser ersten Studie aus der Serie "Streitkräfte,
Fähigkeiten und Technologien im 21.Jahrhundert" (SFT 21) ist
das "Zentrum für Transformation der Bundeswehr". Es unterstützt das Bundesministerium der Verteidigung bei der zentralen Steuerung der Planungs-, Führungs- und Entscheidungsprozesse für die Streitkräfte. Das "Zentrum" analysiert langfristige sicherheitspolitische Herausforderungen in einem Zeithorizont von 30 Jahren und entwickelt Zukunftsanalysen für die Streitkräfteplanung und für das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr im 21. Jahrhundert. An der Spitze dieser Bundeswehreinrichtung steht als "Kommandeur des Zentrums"
Brigadegeneral Axel Binder.
Ausgangspunkt für die Studie ist die kaum noch bestrittene
Tatsache, dass die Verfügbarkeit von Erdöl
rapide zurückgeht und der vorhersehbare Peak-Oil
nicht nur die Sicherheit der Energieversorgung, sondern
auch die gesamte industrielle Produktion hochentwickelter
Industriestaaten, ihre Lebens- und Konsumtionsweise
bedroht.
"Bei der drohenden Gefahr", sagen die Autoren der
Studie, "geht es nicht um das Ende des Öls, sondern
um das Ende des billigen Öls und damit gleichzeitig
um das Ende unserer Gesellschaft, die auf der Verwendung
billigen Öls beruht". (Seite 86) Mittelfristig, so
prophezeien sie, "bricht das globale Wirtschaftssystem
und jede marktwirtschaftlich organisierte Volkswirtschaft
zusammen".
Deutschland und den westlichen Staaten drohe ein
dramatischer Einfluss- und Machtverlust bis hin zur
Erpressbarkeit durch die Ölförderländer, weil sich
"neue oder wieder erstarkende regionale oder sogar
globale Führungsmächte etablieren" werden. Sie würden
die Peak-Oil-induzierte Verschärfung der Konkurrenz
um Erdöl "zur Durchsetzung politischer, wirtschaftlicher
oder ideologischer Ziele nutzen können",
was "massive Auswirkungen, insbesondere auf die Versorgungssicherheit
der westlichen Industrieländer"
hätte. (S. 15)
Die Autoren schreiben zwar, dass sie "ausdrücklich
nicht auf eine mögliche militärische Ressourcensicherung"
orientieren, gleichzeitig betonen sie jedoch
die Notwendigkeit einer stärker von Interessen geleiteten
Sicherheitspolitik sowie die Effektivierung staatlicher
Instrumente zum Schutz und zur Sicherung der Öl-
Infrastruktur. Besonders wichtig dafür seien hochseefähige
Marinekräfte für Geleit- und Schutzaufgaben
und zur Offenhaltung internationaler Seewege. Außerdem
seien besondere Anstrengungen erforderlich, um
– gerade unter Peak-Oil-Bedingungen – die Mobilität
und die weltweite Interventionsfähigkeit der Bundeswehr
aufrecht zu erhalten.
Die Klimaschädlichkeit ölbasierter CO2-Emissionen
spielt in der Bundeswehrstudie überhaupt keine Rolle,
obwohl der größte Anteil der weltweiten CO2-Emissionen
durch die Ölverbrennung verursacht wird. Jährlich
über 10 Milliarden Tonnen, das entspricht etwa
41 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes, werden
durch die Verbrennung von Öl zur Energiegewinnung
und durch Treibstoffe im Transport- und Verkehrssektor
freigesetzt. Erdölverbrennung gehört damit zu den
Hauptverursachern der Klimakatastrophe. In Deutschland
beträgt der Anteil von Erdöl am Primärenergieverbrauch
und am CO2-Ausstoß jeweils 36 Prozent, und
ist damit auch hierzulande der größte Klimakiller. Für
die Bundeswehrforscher ist das jedoch kein Thema.
Anstelle ölbasierter CO2-Emissionen behandeln sie relativ
ausführlich die Beschleunigung des Klimawandels
durch vermehrten Einsatz von Kohle und Gas (z.B.
Kohle- und Gasverflüssigung) und die drohende Nahrungsmittelknappheit
durch Bio-Energieproduktion als
Ersatz für das knapper werdende Erdöl. Tatsächlich
sind Kohle-, Gas- und Biotreibstoffe, keine akzeptablen
Alternativen zu den heute ölbasierten Kraftstoffen.
Den Bundeswehrforschern jedoch dient diese Tatsache
als Argument, um die Sicherung der Ölversorgung zu
einer ihrer zentralen Aufgaben zu erklären.
Im Folgende werden die Kernaussagen der knapp hundertseitigen
Studie etwas genauer vorgestellt:
Wirtschaftliche Folgen des Peak-Oil
Unter "Peak-Oil" verstehen Energieexperten jenen Zeitpunkt,
zu dem das globale Maximum bei der Erdölförderung
erreicht sein wird und gleichzeitig die weltweiten
Ölvorräte allmählich zurückgehen. Ab diesem Zeitpunkt
droht eine dauerhafte Versorgungskrise, weil
die Förderquote sinkt und den weltweit steigenden
Ölbedarf nicht mehr decken kann.
Völlig korrekt wird in der neuen Bundeswehr-Studie
die herausragende wirtschaftliche Bedeutung von Erdöl,
insbesondere für die hochentwickelten Industriestaaten
beschrieben. Durch seine vielseitige Verwendbarkeit
als Energieträger und als chemischer Grundstoff
werde so gut wie jedes gesellschaftliche Subsystem
von seiner Knappheit betroffen sein.
"95 % aller industriell gefertigten Produkte hängen
heute von der Verfügbarkeit von Erdöl ab", heißt es in
der Studie. "Erdöl ist nicht nur der Ausgangsstoff für
die Produktion von Treib- und Schmierstoffen, sondern
in Form von Rohbenzin auch für alle organischen Polymere
(Kunststoffe). Es ist damit der wichtigste Rohstoff
bei der Herstellung von so unterschiedlichen Produkten
wie Pharmazeutika, Farbstoffen oder Textilien
... Erdöl ist außerdem die Grundvoraussetzung für den
Transport großer Warenmengen über lange Strecken.
Containerschiffe, Lastkraftwagen und Flugzeuge bilden
neben der Informationstechnologie das Rückgrat
der Globalisierung". Auch regional und lokal habe "die
ölbasierte Mobilität unseren Lebensstil geprägt. Das
Leben in Vorstädten wäre für viele Menschen ohne die
Verfügbarkeit eines Autos nicht möglich". Es sei jedoch
vorhersehbar, "dass Erdöl in absehbarer Zukunft nicht
mehr den zu erwartenden Bedarf decken kann". (S. 7)
Die internationale Gemeinschaft, aber auch jeder Einzelstaat
hätten deshalb "ein vitales Interesse an der
Sicherung des Zugangs zu Öl". Heute sei dies "relativ
leicht über den Weltmarkt möglich", was wohl nichts
anderes heißen soll, als: Solange Erdöl im Überfluss
zur Verfügung steht und das Versorgungsmonopol die
westlichen Ölkonzerne nicht angetastet wird, ist auch
die kapitalistisch Produktions- und Konsumtionsweise
in keiner Weise bedroht. Eine Verknappung jedoch,
heißt es in der Studie und damit "eine starke Verteuerung
des Erdöls stellt ein systemisches Risiko dar".
(S. 5)
Es drohen, so die Studie, steigende Transportkosten,
Einschränkungen des Individual- und Güterverkehrs,
rapide Preissteigerungen in allen Bereichen mit sinkendem
Konsum, Massenarbeitslosigkeit und der Gefährdung
der Nahrungsmittelsicherheit. "Mittelfristig",
schreiben die Autoren, "bricht das globale Wirtschaftssystem
und jede marktwirtschaftlich organisierte
Volkswirtschaft zusammen". (S. 49)
Die Bedrohung des Westens durch geopolitische Machtverschiebungen
Einige Länder mit nur noch geringen Lagerstätten werden
bereits in den nächsten Jahren als Öllieferanten
ausscheiden. Mit der Verknappung der Ölreserven,
entstehe "eine dauerhafte geografische Konzentration
der Erdöllagerstätten und der Transportinfrastrukturen
und damit auch eine geopolitische Machtverschiebung."
(S. 5)
Die internationale Bedeutung der wenigen verbleibenden
Öl-Förderländer werde wachsen. Sie würden ihre
Position nutzen, um "sich als neue oder wieder erstarkende
regionale, gegebenenfalls sogar globale Führungsmächte
zu etablieren". (S. 14)
Der Anteil des auf dem globalen, frei zugänglichen
Ölmarkt gehandelten Erdöls werde zugunsten des
über binationale Kontrakte gehandelten Öls abnehmen.
Es drohe die Gefahr "einer gezielten Einschränkung des
Angebots"; und je knapper Öl wird, "desto stetiger"
würden die "Preise des Erdöls und damit die Gewinne
der Förderländer steigen". Durch die "abnehmende
Zahl relevanter Ölexporteure und die wachsende Bedeutung
der ’New Seven Sisters’" (der Ölkonzerne der
Schwellenländer) würde es zu einer "erneuten Bildung
von Monopolen" kommen, die diese "zu einer offensiveren
Durchsetzung eigener Interessen und zur Durchsetzung
politischer, wirtschaftlicher oder ideologischer
Ziele nutzen können". (S. 14/15) Wenn es vorher nicht
gelänge, die Abhängigkeit von den Erdölreserven der
"Strategischen Ellipse" im Nahen und Mittleren Osten
durch Herkunftsdiversifizierung zu reduzieren, würde
es zu massiven politischen Einschränkungen für die
Importländer, bis hin zur Erpressbarkeit kommen.
Die Handlungsfähigkeit Deutschlands und der Bundeswehr
hänge jedoch von funktionierenden Infrastrukturen
ab. Die Gefahr eines Entzugs von Energie müsse
deshalb minimiert werden.
Die chinesische Gefahr
Zunehmende Bedrohungen sehen die Autoren der
Bundeswehr-Studie bereits heute im "Abschluss neuer
strategischer Bündnisse, wie beispielsweise der ’Shanghai-
Organisation für Zusammenarbeit’ oder dem Forum
Gas exportierender Länder ... diese könnten angesichts
einer Peak-Oil induzierten Verschärfung der
Konkurrenzsituation um Erdöl und des Aufstiegs von
großen Schwellenländern massive Auswirkungen, insbesondere
auf die Versorgungssicherheit von westlichen
Industrieländern haben". (S. 19)
"Schwellenländer" (gemeint ist vor allem China) würden
bereits heute in internationalen Gremien wie dem
UN-Sicherheitsrat "zunehmend als Sprachrohr für die
Interessen ressourcenreicher Länder" auftreten und
"Entscheidungsprozesse zu ihren Gunsten beeinflussen
oder blockieren". Auf diese Weise würden einige Staaten,
"gezielt die Bildung eines politischen Gegengewichtes
zu den USA" vorantreiben. (S. 19)
Um den enormen Energiehunger seiner rasant wachsenden
Volkswirtschaft zu stillen, würde insbesondere
China sein "Engagement in ölreichen Ländern weiter
verstärken, als Handelspartner, als Investor, Technologie-
und Waffenlieferant, als Kreditgeber oder Entwicklungshelfer"
Chinas pragmatische Außenpolitik
würde zur "Unterminierung" der von den "westlichen
Demokratien" praktizierten "werteorientierten" zwischenstaatlichen
Beziehungen führen. Der so genannten westlichen Wertegemeinschaft drohe dadurch "ein massiver Einflussverlust im Wettbewerb um das knappe
Öl". Die Förderländer dagegen könnten "die Verfügungsgewalt über Energie zunehmend in globale Gestaltungskraft
und die Mitbestimmung internationaler
Regeln übersetzen". Dies gelte "umso mehr, je kleiner
der Anteil des auf dem globalen Ölmarkt gehandelten
Erdöls wird". (S. 20)
Auch Länder wie Russland könnten ihren Einfluss
durch den eigenen Ressourcenreichtum weiter ausbauen,
da vor dem Hintergrund des Peak-Oil insbesondere
die Bedeutung von Gas für die globale Energieversorgung
rasant wächst. Erdgas werde zu einem der wichtigsten
fossilen Energieträger der Zukunft und zumindest
in einer Übergangsphase das Erdöl in erheblichem
Maße ersetzen müssen.
Außenpolitische und militärstrategische Herausforderungen
Konfliktpotential Arktis:
"Die strategische Bedeutung der Ressourcensicherung
durch die Erschließung umstrittener und neuer Gebiete"
werde die "Wahrscheinlichkeit einer weiteren militärischen
Aufrüstung erhöhen". Das gelte beispielsweise
für die Antarktis. "Bereits heute" seien "Bestrebungen
zu erkennen, militärische Fähigkeiten für einen
Schutz der eigenen Arktisansprüche auszubauen". (S. 23)
Inwieweit die NATO in möglichen bei territorialen
Streitfällen eingreifen würde, sei "bislang unklar", sagen
die Bundeswehrforscher, konterkarieren ihre Ansicht
aber sogleich durch die Tatsache, dass alle Arktis-
Anrainerstaaten – außer Russland – dem westlichen
Militärbündnis angehören und die Aussage, dass eine
Befassung der NATO zu erwarten sei, wenn eines der
Bündnisländer seine Souveränität bedroht sieht. (S. 64)
Die"Strategische Ellipse:
"Die absehbar bedeutendste sicherheitspolitisch relevante
Veränderung für Deutschland" werde "die Aufwertung
des Nahen Ostens, Afrikas und des Kaspischen
Raumes für die deutsche Ressourcensicherheit
sein", heißt es in der Bundeswehr-Studie. (S. 78)
Der Großteil der Reserven für die zukünftige Öl-, aber
auch für die Gasversorgung konzentriere sich auf die
"Strategische Ellipse" des Nahen und Mittleren Ostens.
"Die anhaltend hohe Ölabhängigkeit", heißt es in der
Studie, müsse deshalb "zu einer verstärkten Einflussnahme"
in der strategischen Ellipse führen, "um die
Energieversorgung aufrecht zu erhalten und ein günstiges
Umfeld für eine stabile Förderung und Lieferung
zu schaffen". (S. 36)
Die Bundeswehr-Studie geht davon aus, dass "die Auseinandersetzungen
um Verlauf, Aufbau und Sicherheit
von (Gas- und Öl-) Pipelines tendenziell zunehmen"
werden. (S. 24) Dies beträfe "nicht nur die Umgehung
von als unsicher geltenden Staaten, sondern auch den
Umgang mit Staaten, die nicht an der wirtschaftlichen
Erschließung der Vorkommen respektive dem Pipelinebau
beteiligt werden sollen". Und angesichts des bevorstehenden
Peak-Oil könnten sich diese Konflikte noch weiter verschärfen.
"Die Attraktivität von Öl- und Gasinfrastruktur als Ziel
gewaltsamer Auseinandersetzungen und politischer
Erpressung" werde in Zukunft "rapide steigen" Insgesamt
werde daher "der Bedarf an direkten und indirekten
Schutzmaßnahmen" deutlich zunehmen. (S. 68)
Öl- und Gaspipelines, die Transportrouten der Öltankerflotten
und in zunehmenden Maß auch Leitungsnetze
für den Transport elektrischer Energie würden
gerade in Zeiten der Ölknappheit eine zentrale Stellung
einnehmen, heißt es in der Studie. Zur Sicherung
dieser "Kritischen Infrastruktur" seien "hochseefähige
Marinekräfte für Geleit- und Schutzaufgaben ... zur
Offenhaltung internationaler Seewege von erheblicher
Bedeutung". (S. 69) Dies erfordere eine enge multilaterale
Kooperation. "Die Bundeswehr" werde sich "als
wichtiger Teil der sicherheitspolitischen Landschaft
diesen Veränderungen nicht entziehen können". (S. 71)
Vorrang für interessengeleitete Außen- und Militärpolitik
Die Bundeswehr-Experten befürchten nicht zu Unrecht,
dass zukünftig "ein wie auch immer begründetes
und notwendiges weltweites Engagement der
Streitkräfte politisch und finanziell noch stärker umstritten
und durchzusetzen sein" wird.
Deshalb plädieren sie für "eine grundlegende sicherheitspolitische
Interessendefinition". Im Zusammenhang
mit Peak-Oil, sei "Interessenpolitik mit Ausrichtung
auf das Ziel der Versorgungssicherheit eine besondere
Herausforderung für deutsche Sicherheitspolitik".
(S. 58)
Voraussetzung für die Akzeptanz einer "stärker von
Interessen geleitete Sicherheitspolitik" sei jedoch, wie
die Diskussionen um die Auslandseinsätze der Bundeswehr
und um den Rücktritt des ehemaligen Bundespräsidenten
Horst Köhler gezeigt hätten, "eine umfassende
politische und gesellschaftliche Debatte". Nur
dann könne "eine ressourceneffiziente und verantwortungsvolle
Prioritätensetzung vorgenommen werden".
Abschließend heißt es: "Nur wenn Deutschland seine
Interessen kennt und klar definiert, kann es versuchen,
diese in Einklang mit seinen Werten zu bringen. ... Eine
klare Festlegung nationaler Interessen und eine Ausbalancierung
werteorientierter und pragmatischer Politik
wird bei Eintreten des Peak-Oil von entscheidender
Bedeutung für eine kohärente und zielorientierte
Außenpolitik sein." (S. 59)
Dies gelte nicht nur in Bezug auf das militärische Engagement
Deutschlands. Der bevorstehende Peak-Oil
hätte für die deutsche Nahost-Politik erhebliche Folgen.
"Eine durch das Ziel der Versorgungssicherheit
motivierte Neujustierung deutscher Nahost-Politik zugunsten
intensiverer Beziehungen mit Förderländern,
wie Iran und Saudi-Arabien mit den größten konventionellen
Erdölreserven der Region, dürfte die deutschisraelischen
Beziehungen je nach Intensität des Politikwechsels
entsprechend belasten." (S. 55)
Für die Gasversorgung, sei vor allem das Verhältnis zu
Russland von entscheidender Bedeutung, heißt es in
der Studie. "Für Deutschland ist dies mit einem Balanceakt
zwischen stabilen und privilegierten Beziehungen
zu Russland und den Befindlichkeiten seiner östlichen
Nachbarstaaten verbunden".
Sicherung der Interventionsfähigkeit der Streitkräfte
"Die Infrastruktur, die zur Förderung und zum Verkauf
von Öl notwendig ist, setzt ein stabiles (staatliches)
Umfeld voraus", schreiben die Bundeswehrforscher. "Es
reicht nicht, das Ölfeld zu beherrschen, auch der
Transportweg und etwaige Umschlagplätze wie Seehäfen
müssen frei zugänglich sein." (S. 8)
Zu befürchten sei jedoch, dass "zusammen mit den
wirtschaftlichen Schwierigkeiten auch die Handlungsfähigkeit
der Streitkräfte grundsätzlich infrage gestellt
werden" könnte.
"Die Streitkräfte" hätten insbesondere in den Auslandseinsätzen
"einen hohen Anteil am Verbrauch fossiler
Treibstoffe". Betroffen von einem massiven Rückgang
der Ölversorgung wären "vor allem schnelle Operationen
hochmobiler Kräfte, die regelmäßig auf dem Luftweg
verlegt werden und die Einsätze von Luftstreitkräften".
"Eine massive Einschränkung der Mobilität in
Folge des Peak-Oil hätte erhebliche Auswirkungen auf
die Ausrüstung, Ausbildung und vor allem die (globale)
Projektions- und Interventionsfähigkeit von Streitkräften",
heißt es in der Bundeswehr-Studie. (S. 72)
Man wolle zwar "ausdrücklich nicht auf eine mögliche
militärische Ressourcensicherung" orientieren, behaupten
die Bundeswehrforscher. Doch die Aufrechterhaltung
der weltweiten Interventionsfähigkeit Deutschlands
ist für sie – gerade angesichts zukünftiger Ölknappheit
– von entscheidender Bedeutung und soll
auf keinen Fall gefährdet werden.
"Das Gros der militärisch genutzten Mobilität der Bundeswehr"
schreiben sie, werde "in absehbarer Zeit noch
von flüssigen Treibstoffen abhängen" und "angesichts
der Größe und Komplexität vieler Transport- und Waffensysteme
bei gleichzeitig hohen Anforderungen z.B.
an die Robustheit im Einsatz" würden "alternative Antriebe
und Energiesysteme kaum im erforderlichen
Umfang zur Verfügung" stehen. Wenn aber "eine Einschränkung
der Fähigkeiten und der Einsatzmöglichkeiten
der Bundeswehr vermieden werden soll", heißt
es in der Studie weiter, seien zur Versorgung der
Streitkräfte "kurzfristige Ersatzlösungen für ölbasierte
Treibstoffe (z.B. Kohleverflüssigung) notwendig" und –
wie das historische Beispiel Deutschlands im 2. Weltkrieg
gezeigt hätte – auch möglich. (S. 30, S. 72)
Grundsätzlich aber stünden nicht nur alle Volkswirtschaften
weltweit, sondern "auch die Streitkräfte vor
der Herausforderung einer technologischen Transformation
zur postfossilen Mobilität, die mittel- bis langfristig
erreicht werden" müsse.
Überlegungen und Vorschläge der Studie reichen von
Teilelektrifizierung der Antriebe für Gefechts- und Transportfahrzeuge,
über Fernsteuerung und Autonomisierung
von Aufklärungs- und Waffensystemen bei gleichzeitiger
Gewichtsreduktion, bis zum vermehrten Einsatz
von Biotreibstoffen.
Zwar werden im ersten Teil der Studie die Konsequenzen
eines verstärkten Anbaus nachwachsender Energierohstoffe
ausführlich beschrieben, (z.B. die globale
Konkurrenz um landwirtschaftliche Nutzflächen für die
Nahrungsmittelproduktion, die zwangsläufigen Preissteigerungen
und Versorgungskrisen bei Lebensmitteln,
bis hin zur Klimaproblematik) die zahlreichen Bedenken
gelten jedoch offensichtlich nicht, wenn es um
die Aufrechterhaltung der Kriegsführungsfähigkeit der
Bundeswehr geht.
Im Abschnitt zur postfossilen Mobilität der Bundeswehr
heißt es: "Unter den Bedingungen von Peak-Oil
wird die Nutzung von Kraftstoffen aus Biomasse immer
interessanter ... Ein weitreichender Einsatz von
Biotreibstoffen hätte den Vorteil, dass die Antriebe einer
Vielzahl von Transport- und Waffensystemen – von
Flugzeugen über Schiffe bis hin zu Kampf- und Schützenpanzern
– nicht grundsätzlich geändert, sondern
lediglich weiterentwickelt werden müssten". (S. 75)
Schlussbemerkung
Dass die Bundeswehr mit ihrer Studie ernsthaft Alternativen
zum ölbasierten, Energieverbrauch entwickelt,
war natürlich nicht zu erwarten.
Die Militärexperten verstehen alle Probleme, die im
Zusammenhang mit der zukünftigen Ölknappheit auftreten
werden und die sie weitgehend richtig beschreiben,
ausschließlich als Sicherheitsrisiken und als Bedrohung
für Deutschland. Sie befürchten den Zusammenbruch
von Infrastrukturen und globalen Wirtschaftskreisläufen,
ökonomische und politische Krisen und schließlich den Zusammenbruch der bestehenden Wirtschaftsordnung. Denn das Ende des billigen Öls sei
gleichzeitig das Ende unserer Gesellschaft.
Wäre die Ölversorgung Deutschlands trotz des zu erwartenden
geringeren Angebots weiterhin garantiert,
dann wäre Peak-Oil für die Bundeswehr sicher kein
Thema. Über den sparsamen Umgang oder die weltweite
gerechte Verteilung der knapper werdenden Ölressourcen
findet man in der Bundeswehrstudie kein
Wort. Auch die Klimaschädlichkeit der Ölverbrennung
findet keine Erwähnung und erst recht nicht die Alternativen
zu einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung,
die auf Ressourcenverschwendung beruht.
"Energiesicherheit" heißt in der Logik der wirtschaftlich
und politisch Herrschenden, und natürlich auch der
Bundeswehr, nichts anderes als "Sicherstellung der
Versorgung Deutschlands" mit den für unser Wirtschaftssystem
überlebenswichtigen Öl- und Gasressourcen. "Energiesicherheit, sichere Rohstoffzufuhr und sichere Transportwege" sind deshalb schon seit Jahren
Bestandteil der Militärstrategie Deutschlands. Versorgungssicherheit
soll notfalls mit Hilfe von Militärinterventionen
und auf Kosten anderer Länder garantiert
werden. Die Peak-Oil-Studie der Bundeswehr liefert
jetzt die wissenschaftliche Begründung für diesen
Energieimperialismus.
* Der Beitrag von Claus Schreer ist im Oktober-Heft der isw-information erschienen. Herausgeber: isw - institut für sozial-ökologische wirtschaftsforschung e.V., München; www.isw-muenchen.de
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