Peak Oil und Deutschlands "Stabilität light"
Bundeswehr-Think-Tank erarbeitete Studie über "sicherheitspolitische Implikationen knapper Ressourcen"
Von René Heilig *
»Niemand soll für die Wirtschaftsinteressen Deutschlands sterben – nirgendwo«, erklärte die LINKE
zum gestrigen Weltfriedenstag und steht damit nicht allein. Doch die Zukunft könnte ganz anders
aussehen – liest man aus einer Studie des Zentrums für Transformation der Bundeswehr heraus.
Sie handelt vom Erdöl.
Das Zentrum für Transformation der Bundeswehr in Strausberg nahe Berlin ist eine Art Think Tank
der Bundeswehr. Hier entsteht die Studie »Streitkräfte, Fähigkeiten und Technologien« – kurz SFT
21. Darin werden »langfristige sicherheitspolitische Herausforderungen in einem Zeithorizont von 30
Jahren« beschrieben. Das Ergebnis soll »dem Bundesministerium der Verteidigung ermöglichen,
frühzeitig langfristige und sicherheitspolitisch relevante Fragestellungen zu identifizieren, um diese
ggf. an interne oder externe Stellen zur vertieften Untersuchung zu übergeben«. Auch die jüngste,
knapp hundertseitige Teilstudie zum Thema Peak Oil erfüllt diese Zielsetzung. Unter Peak Oil
verstehen Energieexperten jenen Zeitpunkt, zu dem der globale Vorrat an Erdöl den steigenden
Bedarf nicht mehr befriedigen kann.
Die Autoren um Dezernatsleiter Thomas Will zeichnen die Folgen der unumkehrbaren
Rohstoffverknappung in dramatischen Bildern. Sie warnen vor Verschiebungen des globalen
Machtgleichgewichts, vor neuen »Abhängigkeitsverhältnissen«, vor einem Bedeutungsverlust
westlicher Industrienationen, vor einem »Komplettversagen der Märkte«. Rohstoffpreise steigen,
Wirtschaftszweige und Banken, ja ganze Staatsgebilde, stürzen ab, die Massenarbeitslosigkeit
wächst, Hungersnöte, soziale Unruhen brechen aus.
Die drei wichtigsten Öllieferanten Deutschlands sind Russland, Norwegen und Großbritannien – und
damit ist auch klar, dass 60 Prozent der deutschen Einkäufe aus Ländern kommen, »die ihre
nationalen Peaks schon hinter sich haben«. Dennoch: Russland beispielsweise bleibt ein
strategischer Partner – notgedrungen.
In Moskau wird man das gerne lesen, in der Hauptstadt des polnischen NATO-Partners könnten
manche Thesen der Autoren für Verstimmung sorgen, wenn man liest, für Deutschland sei die
Sicherung der Ölzufuhr »mit einem Balanceakt zwischen stabilen und privilegierten Beziehungen zu
Russland und den Befindlichkeiten der östlichen Nachbarstaaten verbunden«. Klartext: Um die
eigene Versorgungssicherheit zu gewährleisten, wird man Russland entgegenkommen (müssen),
auch wenn das die Beziehungen mit Polen belastet.
Die Studie sagt ebenso voraus, dass »die Erschließung weiterer und alternativer Energie-
Ressourcen neue sicherheitspolitische Herausforderungen« schaffen wird. Dabei denkt man unter
anderem an internationale Gewässer und die Arktis.
Eine weitere Aufrüstungswelle wird prognostiziert. »Bereits heute sind Bestrebungen zu erkennen,
militärische Fähigkeiten für einen Schutz der eigenen Arktisansprüche auszubauen.« Wie weit die
NATO eine Rolle spielen wird, ist bislang unklar, sagen die Bundeswehrforscher und konterkarieren
ihre Ansicht sogleich durch die Tatsache, dass alle Arktis-Anrainerstaaten – außer Russland – dem
westlichen Militärbündnis angehören. Wohl auch als Lehre aus dem »Krieg gegen den Terror«
mahnen sie an, dass territoriale Streitigkeiten eines oder mehrerer NATO-Mitglieder mit Nicht-NATO-Staaten
»nicht zwingend« zum kollektiven Verteidigungsfall führen müssen.
Überhaupt gehen die Autoren (die angesichts des Rücktritts des ehemaligen Bundespräsidenten
Köhler wissen, dass »sich die Bundesrepublik besonders schwer tut, ihre Interessen zu definieren«)
davon aus, dass man nicht zu viel deutsches Blut für Öl oder andere Bodenschätze opfern sollte.
Man wolle mit der Studie »ausdrücklich nicht auf eine mögliche militärische Ressourcensicherung«
orientieren. Dennoch wird sich Deutschland zur Sicherung seiner Ölversorgung »an der
Stabilisierung der betreffenden Regionen beteiligen und damit State-Building in innerstaatlichen oder
transnationalen Konflikten mit vielfältigen nicht-staatlichen Akteuren betreiben müssen«.
Zu prüfen sei, ob »ein gezielter Ausbau der Befähigung zur konzentrierten Ausbildung von
Sicherheitskräften der zu unterstützenden Staaten eine ausreichende Befähigung bei der
Unterstützung von Stabilisierungsbemühungen darstellt. Dies könnte als ›Stabilisierung light‹ die
Zahl der einzusetzenden Streitkräfte möglicherweise insgesamt erheblich verringern«.
* Aus: Neues Deutschland, 2. September 2010
Einfach pragmatischer
Von René Heilig **
Gestern (1. Sept.) hat »KT-Superman« – so wird Karl-Theodor zu Guttenberg inzwischen leicht achtungsvoll verspöttelt – dem Verteidigungsausschuss des Bundestages erklärt, wie die Bundeswehr in fünf, sechs, vielleicht auch zehn Jahren aussehen wird. Er sagte kaum mehr als das, was schon in der Presse stand. Viel mehr dagegen sagen die Autoren einer Studie, die im Zentrum für Transformation der Bundeswehr entstanden ist. Die Sicherheitsexperten schauen über den Tellerrand der Bundeswehrreform hinaus, interessieren sich also überhaupt nicht für die Anzahl der ohne Wehrpflicht noch notwendigen Kreiswehrersatzämter.
Sie richten ihren Blick mindestens 30 Jahre voraus und ihr Thema ist jener Schmierstoff, der die westliche Welt am Laufen hält: Öl. Der Bedarf steigt, der Vorrat schwindet. Die gesamte Politik der Förder- wie der Abnehmerstaaten wird zunehmend pragmatischer, noch interessengesteuerter und auf die Befriedigung der großen Gier nach Rohstoffen aller Art ausgerichtet. Außen- wie innenpolitisch. Neue Konflikte werden sich auftun und Deutschland wird innerhalb seiner Bündnisse darauf reagieren.
Auch wenn »KT-Superman« das gestern so nicht gesagt hat, im Kern geht es darum, auch das deutsche Militär beizeiten fit zu machen für solche neuen Herausforderungen. Wer bei der Bundeswehrreform nur das Anti-Terror-Debakel in Afghanistan vor Augen hat, dem Minister Sicherheitspolitik nach Kassenlage vorwirft oder Standorte im eigenen Wahlkreis retten will, hat das strategische Konzept noch immer nicht begriffen, das bereits seit der Jahrtausendwende durch die Aufstellung der NATO-Response Force und der EU-Battle Groups realisiert wird.
** Aus: Neues Deutschland, 2. September 2010 (Kommentar)
Dokumentiert: Das "Fazit" der Studie
5. Fazit
Anschaulich ist, an was man sich gewöhnt hat. Das Durchdenken der Konsequenzen des Peak Oil wird nicht von den alltäglichen Erfahrungen und nur partiell von historischen Parallelen geleitet. Entsprechend schwierig ist es sich vorzustellen, welche Bedeutung ein sukzessiver Entzug einer der wichtigsten Energiequellen unserer Zivilisation haben kann. Psychologische Barrieren sorgen für das Ausblenden an sich unbestreitbarer Fakten und führen zu fast instinktiver Ablehnung einer eingehenden Auseinandersetzung mit dieser schwierigen Thematik.
Der Eintritt des Peak Oil ist jedoch unvermeidlich. Diese Teilstudie zeigt, dass das sehr ernst zu nehmende Risiko besteht, dass eine durch nachhaltige Knappheit von wichtigen Rohstoffen ausgelöste globale Transformationsphase von Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen nicht ohne sicherheitspolitische Friktionen vonstatten gehen wird. Die Desintegration komplexer Wirtschaftssysteme inklusive ihrer interdependenten Infrastrukturen hat direkte, teilweise schwerwiegende Auswirkungen auf viele Lebensbereiche, auch und insbesondere in Industrieländern.
Nach den hier vorliegenden Ergebnissen sind die auf den Peak Oil folgenden Entwicklungen für Deutschland mit großen Unsicherheiten behaftet. Die Benennung konkreter Gefahren ist zwar möglich, soll aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass der Großteil der auf uns zukommenden Herausforderungen im Dunkeln liegt. Die wahrscheinlich wirkungsvollsten Lösungsstrategien - neben einer nicht nur auf hochindustrialisierte Länder abzielenden frühzeitigen Umstellung von Wirtschaft und Energieversorgung - befassen sich deshalb nicht mit der Entwicklung zielgerichteter Gegenmaßnahmen, sondern mit systemischen „Grundtugenden“ wie Unabhängigkeit, Flexibilität und Redundanz.
Die absehbar bedeutendste sicherheitspolitisch relevante Veränderung für Deutschland wird die Aufwertung des Nahen Ostens, Afrikas und des Kaspischen Raumes für die deutsche Ressourcensicherheit sein. Den politischen Dialog mit Förder- und Transitländern auch im multilateralen Rahmen zu führen, erhöht Möglichkeiten und Gewicht der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Hierfür müssten jedoch (1) deutsche Interessen klar definiert sein, (2) innereuropäisch traditionell stark divergierende Ansätze insbesondere vis-à-vis den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens sowie Afrikas überwunden und (3) die Chancen einer Einbindung einflussreicher Akteure wie China bei der Suche politischer Lösungen für die Region und eine entsprechende Beteiligung an Verhandlungsforen und regionalen Sicherheitsarrangements genutzt werden. Parallel müssen bilaterale Möglichkeiten der engeren Zusammenarbeit ausgebaut werden.
Auch gegenüber Russland wird eine zwischen europäischen und nationalen Interessen ausgewogene Energieaußenpolitik wichtiger. Moskau sollte die Möglichkeit einer differenzierenden Energieaußenpolitik auch gegenüber den Staaten der EU eingeräumt werden, wenn als Alternative für Deutschland eine Verschlechterung der bilateralen Beziehungen zu befürchten wäre. Gleichzeitig darf dieser Kurs nicht dazu führen, dass Russland Europa in entscheidenden Fragen der Energiesicherheit über Gebühr spaltet. Die bisherige Strategie der Förderung der Verflechtungen auf Unternehmensebene scheint hier weiterhin erfolgversprechend, sollte aber in einen größeren europäischen Kontext gesetzt werden.
Ressort- und ebenenübergreifend müssen Anstrengungen unternommen werden, um die komplexen Abhängigkeiten von Infrastrukturen und ausdifferenzierten Wertschöpfungsketten besser verstehen und steuern zu können. Hier ist ein Umdenken bezüglich der Bewertungsmaßstäbe erforderlich: Nicht nur Effizienz, sondern zunehmend auch Robustheit wird ein Kriterium nachhaltiger Politik.
Die Transformation zu post-fossilen Gesellschaften hängt in besonderem Maße von der Verfügbarkeit nicht-fossiler Technologien ab. Auch hier scheinen nachhaltige Lösungen problematisch. Die Substitution einer Abhängigkeit durch eine andere, beispielsweise durch seltene Metalle, ist langfristig nicht zielführend. In jedem Fall werden aber nicht-fossile Antriebstechnologien zu einer Schlüsselkompetenz post-fossiler Gesellschaften.
Der Peak Oil birgt auch für einsatzwichtige Fähigkeiten von Streitkräften erhebliche Gefahren. Dabei müssen die Gewährleistung einer strategischen Verlegefähigkeit und taktischen Mobilität sowie die Vermeidung einer Funktionseinschränkung als Ganzes auf Grund systemischer Abhängigkeiten im Zentrum des Interesses stehen. Für einen Erhalt ihrer möglichst umfassenden Einsatzfähigkeit reicht es daher nicht, die bestehenden Versorgungsketten und Verfahren von Streitkräften zu optimieren und weiterzuentwickeln, um eine verringerte Abhängigkeit der Mobilität von Öl zu erreichen.
Vielmehr müssen zukünftige Veränderungen darauf ausgerichtet sein, systemische Abhängigkeiten zu verringern und in neuen Strukturen möglichst gänzlich zu vermeiden. Deren Aufdeckung erfordert grundlegend neue Methoden und bedarf unbedingt der weiteren vertieften Analyse.
Von einer thematisch fokussierten Studie wie der hier vorliegenden auf allgemeine, veränderte Rahmenbedingungen zukünftiger Einsätze der Bundeswehr zu schließen, greift sicherlich zu kurz. Dennoch spricht einiges dafür, dass der Peak Oil zu zunehmender Fragilität von Staaten und humanitären Krisen führen wird. Eine regionale Eingrenzung ist aufgrund des globalen Charakters des Peaks schwierig. Der Nahe Osten und Teile Afrikas stechen jedoch in mehreren Beziehungen hervor. Während Teile des Nahen Ostens vom globalen Peak Oil profitieren dürften und an Bedeutung gewännen, würden vor allem ressourcenarme und ölabhängige Staaten im zentralafrikanischen Raum mit massiven Problemen zu kämpfen haben. Partielle oder komplette Zusammenbrüche von Wirtschaftskreisläufen, Unterversorgung und humanitäre Notlagen würden mit hoher Wahrscheinlichkeit länderübergreifend zu schweren politischen Verwerfungen führen. Schwache staatliche Strukturen erhöhen diese Gefahr weiter, der auf Grund der Rahmenbedingungen des Peak Oil auch von den Industriestaaten nur schwer begegnet werden kann. Die Studie hat diesbezüglich (1) eine besondere Gefährdung im Nahrungsmittelbereich dieser Regionen konstatiert, (2) auf die vorhandenen politischen Instabilitäten hingewiesen und (3) die Notwendigkeit einer engeren ressourcenpolitischen Anbindung dieser Regionen angesprochen. Zudem befinden sich Nordafrika und der Nahe Osten an den NATO- und EU-Außengrenzen und sind damit generell von hoher sicherheitspolitischer Bedeutung für Deutschland.
Die vorliegenden Ergebnisse geben Ansatzpunkte für weiteren Forschungsbedarf. Dies sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die maßgeblichen Hürden einer Vorbereitung auf drastische Verknappungen der Ressourcenbasis der deutschen Volkswirtschaft wahrscheinlich im Bereich der Implementierung geeigneter präventiver Maßnahmen liegen werden. Der mit diesen verbundene Paradigmenwechsel – weniger Effizienz, mehr Robustheit – widerspricht ökonomischer Logik und kann deswegen nur in begrenztem Umfang Marktkräften überlassen werden.
Auch wenn die in dieser Studie dargestellten Entwicklungen nicht zwangsläufig so wie hier beschrieben eintreffen werden, ist eine Vorbereitung auf den Peak Oil doch notwendig und sinnvoll. Der Faktor Zeit kann für den Erfolg der Transformation zu postfossilen Gesellschaften dabei entscheidend sein. Um diesbezügliche demokratische Entscheidungsprozesse zu beschleunigen, müssen die Gefahren einer erodierenden Ressourcenbasis im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert werden. Nur so kann das notwendige Problembewusstsein für anstehende Weichenstellungen entstehen. Gleichzeitig müssen eigene Möglichkeiten der Vorbereitung geprüft und ergriffen werden. Dezentrale Lösungsansätze können zwar von zentraler Stelle gefördert, aber in der Regel nicht entwickelt und implementiert werden.
Quelle: Zentrum für Transformation der Bundeswehr, Dezernat Zukunftsanalyse: Streitkräfte, Fähigkeiten und Technologien im 21. Jahrhundert - Umweltdimensionen von Sicherheit - Teilstudie 1: PEAK OIL. Sicherheitspolitische Implikationen knapper Ressourcen, Strausberg, Juli 2010, S. 78-80; http://peak-oil.com [externer Link, pdf-Datei]
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