Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Panzer für Islamisten

Bundesregierung verweigert Stellungnahme zu Medienbericht über geplante "Leopard"-Lieferungen nach Saudi-Arabien

Von Arnold Schölzel *

Da kommt zusammen, was zusammengehört: Die mittelalterlich regierte Ölmonarchie Saudi-Arabien, deren Soldateska im Frühjahr die Revolte im Königreich Bahrain niederschießen half, und der mittlerweile drittgrößte Waffenexporteur der Welt (elf Prozent Weltmarktanteil), die Bundesrepublik Deutschland. Laut einem Bericht des Spiegel billigte der Bundessicherheitsrat in der vergangenen Woche grundsätzlich den Export von »Leopard«-Panzern auf die arabische Halbinsel und änderte damit die bisherige Linie, keine schweren Waffen dorthin zu liefern. Die korrupte saudische Herrscherclique, die ihr Regime mit brutal durchgesetzten religiös-fundamentalistischen Normen und Petrodollars aufrecht erhält, hat laut Spiegel Interesse an mehr als 200 Exemplaren der modernsten »Leopard«-Variante, dem Typ 2A7+. Die deutsche Rüstungsindustrie erhoffe sich ein Milliardengeschäft, da die Prinzengarde neugebaute Panzer wolle und keine gebrauchten. In den vergangenen Jahrzehnten waren Wünsche nach dem »Leopard« mit dem Hinweis auf eine Gefährdung Israels abgelehnt worden. Offenbar erscheint Berlin die mögliche Abschlachtung der Untertanen seiner Majestät von Riad und die der arabischen Nachbarstaaten nun vorrangig.

Am Montag (4. Juli) schaltete die Bundesregierung angesichts eines heftigen Echos in Medien und bei der Opposition auf stumm. Regierungssprecher Steffen Seibert und Außenamtssprecher Andreas Peschke verwiesen auf die strikte Geheimhaltung aller Entscheidungen des Bundessicherheitsrates. Analog verfuhren die Koalitionsparteien: CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe – bekannt für lange Tiraden über Christenverfolgung in muslimischen Staaten – und FDP-Chef Philipp Rösler (»Ab jetzt wird geliefert«) wollten sich auch auf Nachfrage nicht zu dem Thema äußern.

In der Opposition regierten Heuchelei und Empörung. SPD und Grüne, die während ihrer gemeinsamen Regierungszeit für die Verdoppelung deutscher Rüstungsexporte gesorgt hatten, stellten sich an die Spitze der Kritik. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles wußte auf einmal, Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien hätten nichts mit einer wertegebundenen Außenpolitik zu tun. Das Land sei ein »Pulverfaß«. Dorthin dürfe man nicht noch Streichhölzer liefern. Grünen-Chefin Claudia Roth als Repräsentantin der derzeit aggressivsten deutschen Kriegspartei hält eine mögliche Lieferung von schweren Kampfpanzern an Saudi-Arabien für »illegal«. Dies verstoße »eklatant« gegen die deutschen Rüstungsexport­richtlinien.

Linksparteichef Klaus Ernst mahnte, Saudi-Arabien gehöre zu den schlimmsten Menschenrechtsverletzern der Region: »Es waren saudi-arabische Truppen, die den Aufstand in Bahrain niedergeschlagen haben, und zwar mit aller Brutalität.« Nun gebe es »die tödlichsten Panzer für die schlimmsten Unterdrücker«. Die Sprecherin für Internationale Beziehungen der linken Bundestagsfraktion, Sevim Dagdelen, erklärte: »Das Beispiel Saudi-Arabien macht deutlich, daß sich Die Linke für ein vollständiges Verbot von Waffenexporten, Militär- und Polizeihilfe einsetzen muß. Eine entsprechende Verankerung im Parteiprogramm wäre auf der Höhe der Zeit.« Anfang April war bekanntgeworden, daß deutsche Bundespolizisten in Saudi-Arabien eingesetzt werden, um Grenzsicherungsanlagen des Rüstungskonzerns EADS in Betrieb zu nehmen – selbstverständlich ohne Parlamentsbeschluß.

Grüne und Linke haben zu dem Thema eine Aktuelle Stunde im Bundestag beantragt.

* Aus: junge Welt, 5. Juli 2011

Keine Waffen für Diktatoren

Bundessicherheitsrat genehmigt Waffen-Export nach Saudi-Arabien und Algerien

Pressemitteilung vom 4.7.2011

Der Bundessicherheitsrat hat Medienangaben zufolge dem Export von Waffen nach Saudi-Arabien und Algerien zugestimmt. Dabei handele es sich um Rüstungs- und Sicherheitsprojekte in Algerien in Höhe von zehn Milliarden Euro sowie um zweihundert Leopard II-Panzer, die für Saudi-Arabien gebaut werden sollen. Die Kampagne "Aktion Aufschrei: Stoppt den Waffenhandel" appelliert an die Bundesregierung, aufgrund der Missachtung grundlegender Menschen- und Bürgerrechte in beide Länder keine Waffen und Rüstungsgüter zu liefern.

"Es ist skandalös, dass die Bundesregierung Waffen an Diktatoren liefert, die in ihrem Land die Menschenrechte mit Füßen treten. König Abdullah Bin ´Abdul ´Aziz al-Saud gewährt zudem dem gestürzten tunesischen Diktator Ben Ali Asyl und unterstützt das totalitäre Regime in Bahrain bei der Niederschlagung der Demokratiebewegung", kritisiert Kampagnen-Sprecher Paul Russmann.

Laut Rüstungsexportbericht der Bundesregierung gehört Saudi-Arabien seit 2008 zu den Top Ten der Empfängerländer deutscher Waffen. Im Jahr 2009 genehmigte der Bund unter anderem den Export von Teilen für Feuerleiteinrichtungen, Bodenüberwachungsradar, Teile für Kampfflugzeuge, Tankflugzeuge, Teile für Raketen, Granaten, Elektronische Kampfführung und Grenzsicherungssysteme. Der Transfer von Waffen und Rüstungsgütern für Saudi-Arabien umfasste 2009 den Genehmigungswert von 167,9 Millionen Euro. Die Firma EADS erhielt am 30. Juni 2009 die Genehmigung, das saudi-arabische Grenzsicherungsprogramm zu bauen. Mit dem EADS-Grenzsicherungsprogramm lassen sich zum Beispiel Fluchtversuche aus dem Land überwachen und gegebenenfalls unterbinden.

Seit 2005 regiert der saudi-arabische König mit harter Hand. Als Premierminister und militärischer Oberbefehlshaber in Person lässt er keine Opposition zu. "Die Behörden unterdrückten weiterhin das Recht auf freie Meinungsäußerung und andere Grundrechte", bilanziert die Menschenrechtsorganisation amnesty international in ihrem "Report 2010". Tausende Personen, die "aus Sicherheitsgründen" festgenommen wurden, befinden sich in Haft, darunter gewaltlose politische Gefangene. Die Haftbedingungen sind katastrophal: Misshandlungen und Folter werden systematisch angewandt. Frauen leiden "unter schwerer Diskriminierung". Auch wird die Todesstrafe weiterhin angewendet. Laut amnesty international wurden 2009 mindestens 69 Menschen hingerichtet - darunter selbst Jugendliche.



Keine Panzer aus Kassel nach Saudi-Arabien

Rüstungsexporte stoppen - Alternative Produktion diskutieren

Pressemitteilung des Kasseler Friedensforums

Kassel, 5. Juli 2011 - Zur Exportgenehmigung für 200 Leopard-2-Kampofpanzer nach Saudi-Arabien erklärte der Sprecher des Kasseler Friedensforums in einer Stellungnahme:

"Der LEOPARD 2 ist vom Polarkreis über die Alpen und Anden bis an das Mittelmeer und den Pazifik verbreitet - und wird deshalb zurecht auch als 'Global-LEOPARD' bezeichnet."

So bewirbt das in Kassel und München ansässige Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei Wegmann sein wichtigstes Produkt. Mit der Liefer-Genehmigung von 200 Leopard 2 an Saudi-Arabien durch den Bundessicherheitsrat kann der schwere Kampfpanzer nun auch an eines der schlimmsten Regime im Nahen Osten verkauft werden. Ein einträgliches Geschäft für den Konzern - eine Katastrophe für die Golf-Region! Vor kurzem halfen saudische Truppen bei der Niederschlagung der Oppositionsbewegung im Nachbarland Bahrain. Und im Inneren des absolutistisch regierten Königreichs am Persischen Golf herrschen Unterdrückung und Willkür. amnesty international schreibt in seinem jüngsten Länderbericht über Saudi-Arabien u.a.:

"Es kamen neue Informationen über Foltermethoden und andere Misshandlungen gegen Häftlinge, die aus Gründen der Sicherheit inhaftiert waren, ans Licht. Gerichte verhängten erneut grausame, unmenschliche und erniedrigende Strafen, die auch ausgeführt wurden, vor allem Auspeitschungen. Frauen und Mädchen litten weiterhin unter Diskriminierung und Gewalt."

Sowohl die Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung aus dem Jahr 2000 als auch der "Code of Conduct" der Europäischen Union verlangen, dass bei Rüstungsexporten die Menschenrechtslage in den Empfängerländern berücksichtigt werden müsse. Dagegen hat die Bundesregierung schon häufig verstoßen, in diesem Fall aber besonders eklatant.

Teile des Leopard-Kampfpanzers werden in Kassel gefertigt. Hier sind ca. 1.700 Mitarbeiter/innen mit der Produktion von tödlichen Waffen beschäftigt (neben dem Leopard z.B. noch die Panzerhaubitze 2000). Ob sie das gern machen oder ob sie ihre Qualifikation und Arbeitskraft nicht lieber für die Herstellung sinnvoller ziviler Produkte einsetzen würden, können wir nur ahnen. Leider haben die Beschäftigten keinen Einfluss darauf, was für wen produziert wird. Darüber entscheidet allein die Geschäftsleitung. Und die tut alles, um an Regierungsaufträge und Aufträge für den Export heranzukommen.

Die Friedensbewegung fordert seit langem staatliche Programme zur Konversion der Rüstungsindustrie (Umstellung auf zivile Produktion). Es darf nicht sein, dass Tausende Beschäftigte in der Region (neben KMW ist da noch der Panzerhersteller Rheinmetall Landsysteme GmbH) durch die Rüstungsindustrie in Geiselhaft genommen werden.

Das Kasseler Friedensforum wünscht sich von Politik, Gewerkschaften und anderen gesellschaftlichen Gruppen eine offene Diskussion über den Rüstungsstandort Kassel und Alternativen dazu. Rüstungskritiker/innen sind eingeladen zu einer Beratung am kommenden Montag, 11. Juli, 19 Uhr im Büro des Friedensforums (Germaniastr. 14).

Für das Kasseler Friedensforum
Peter Strutynski (Sprecher)

Beiträge zum Panzerdeal mit Saudi-Arabien:

Die Koalition schweigt
Panzerdeal mit Saudi-Arabien bereits beschlossen, 44 "Leopard" bereits verkauft. Aktuelle Stunde im Bundestag kann daran nichts ändern / Arnold Schölzel: Terrorstaaten (8. Juli 2011)
Panzerdeal: LINKE will Aufstand der Anständigen
Jan van Aken fordert Abgeordnete auf, den Beschluss des Bundessicherheitsrates zu blockieren (7. Juli 2011)
Über Leoparden spricht man nicht
Empörung wegen Panzerdeal mit Saudi-Arabien – Bundesregierung schweigt zu Details (6. Juli 2011)
Panzer aus Kassel nach Saudi-Arabien?
Bundesregierung verweigert Stellungnahme zur geplanten "Leopard"-Lieferung / Friedensbewegung: "Rüstungsexporte stoppen - Alternative Produktion diskutieren" (Zwei Erklärungen) (6. Juli 2011)
"Nur U-Boote zu bauen, führt nicht zum Ziel"
Bei ThyssenKrupp stehen 1500, inklusive Zulieferern sogar 4000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Ein Gespräch mit Heino Bade / ThyssenKrupp meldet: U-Boot-Auftrag Türkei (Pressemitteilung im Wortlaut) (6. Juli 2011)
Deutsche Kampfpanzer für Saudi-Arabien
Bundesregierung soll Milliardengeschäft genehmigt haben / LINKE will Verkauf im Bundestag stoppen (5. Juli 2011)




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