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Zahl der Kriege steigt wieder

Weltweit 36 gewaltsame Konflikte / Deutsche Waffenexporte scharf kritisiert

Von Olaf Standke *

Nach Untersuchungen Hamburger Friedensforscher wurden 2011 erstmals wieder mehr kriegerische Konflikte ausgetragen als im Jahr zuvor. Wie der auch am Montag vorgelegte Rüstungsexportbericht der beiden großen christlichen Kirchen belegt, befördern Waffenlieferungen in Spannungsgebiete die Gewalt nachhaltig.

25 Kriege, insgesamt 36 bewaffnete Konflikte - erstmals seit sechs Jahren sei die Zahl der kriegerischen Auseinandersetzungen weltweit wieder gestiegen, so die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) der Universität Hamburg in ihrer diesjährigen Analyse. Zudem beobachteten die Wissenschaftler eine ganze Reihe weiterer gewaltsam ausgetragener Konflikte, die noch unterhalb ihrer Definitionsschwelle verlaufen.

2011 habe vor allem im Zeichen der Proteste in den meisten arabischen Staaten gestanden, häufig als »Arabischer Frühling« bezeichnet. Daraus resultierten bislang zwar lediglich zwei kriegerische Konflikte, in Libyen und in Jemen. In vielen anderen Staaten der Region wurde Gewalt im Wesentlichen einseitig durch Polizei und Militär angewandt. Doch dürfe man nicht übersehen, wie AKUF-Leiter Wolfgang Schreiber betont, dass dabei vor allem in Syrien, aber auch in Ägypten die Zahl der Todesopfer höher lag als in vielen Kriegen und bewaffneten Konflikten.

Die von organisierten Kämpfen zahlenmäßig am stärksten betroffene Weltregion war auch 2011 Afrika mit 13, gefolgt von Asien und dem Nahen und Mittleren Orient mit jeweils elf kriegerischen Konflikten. Während die in Tschad oder Peru beendet werden konnten, eskalierten sechs im abgelaufenen Jahr erneut. Auch in Sudan, wo sich einige Wochen vor der offiziellen Unabhängigkeit des Südens im Juli die Auseinandersetzungen mit Kämpfern der ehemaligen Rebellenbewegung SPLA zuspitzten und seitdem in den Provinzen Südkordofan und Blauer Nil andauern.

Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) hat bei der Vorstellung ihres jährlichen Rüstungsexportberichts am Montag (12. Dez.) in Berlin einen Stopp von Waffenlieferungen an repressive Regime gefordert. Hier müsse auch Deutschland endlich Konsequenzen aus den verheerenden Auswirkungen der Ausfuhr von Kriegsgütern in den arabischen Raum ziehen. Während der Umbrüche hätten die legal und illegal in die Region gelangten Waffen ein hohes Gewaltpotenzial freigesetzt. Der häufig hergestellte Zusammenhang zwischen autoritären Regimen und von ihnen angeblich erzeugter Stabilität und Sicherheit habe sich einmal mehr als Trugschluss erwiesen.

Prälat Dr. Karl Jüsten kritisierte vor diesem Hintergrund auch eine mögliche Lieferung von über 200 Kampfpanzern an Saudi-Arabien. Die Menschenrechte dort würden auf das Gröbste verletzt, die Rüstungsdynamik in der Region weiter angeheizt. Deutschland verzeichnete im Vorjahr einen Rüstungsrekordumsatz, der Export von Kriegswaffen stieg um 60 Prozent auf 2,1 Milliarden Euro.

* Aus: neues deutschland, 13. Dezember 2011


Eine Bilanz des Todes

Erstmals seit sechs Jahren ist die Zahl der kriegerischen Konflikte wieder gestiegen

Von Olaf Standke **


Durchschnittlich 55 000 Tote fordern die bewaffneten Konflikte und Kriege jedes Jahr weltweit.

Seit vielen Jahren untersuchen Friedensforscher der Hamburger Universität das globale Kriegsgeschehen. Ob Antiregime-Kriege, in denen um den Sturz von Regierungen oder politische Veränderungen gekämpft wird, ob Autonomie- und Sezessionskriege für größere regionale Selbstständigkeit oder Abspaltung vom Staatsverband, ob von geostrategischen Interessen bestimmte zwischenstaatliche Kriege - sie alle haben verheerende Auswirkungen auf die jeweiligen Gesellschaften, schon durch die Zahl der dabei getöteten Menschen.

Unabhängige Experten haben in diesem Jahr im Auftrag des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) den Zeitraum 2004 bis 2009 analysiert: In diesen Jahren starben im Durchschnitt 55 000 Menschen in bewaffneten Konflikten oder an den Folgen von Terrorismus. Die gefährlichste Region ist demnach das südliche Afrika. Dort kommen jedes Jahr pro 100 000 Einwohner fast 40 Menschen durch Gewalteinwirkung ums Leben.

Ein Statistik, die sich mit den Untersuchungen der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung deckt: In keiner Weltregion gibt es seit geraumer Zeit so viele Kriege und bewaffnete Konflikte wie auf dem schwarzen Kontinent; auch in diesem Jahr war er mit 13 organisierten Kämpfen zahlenmäßig am stärksten betroffen, neben Asien und dem Nahen Osten mit jeweils 11 kriegerischen Konflikten. In Lateinamerika ist ein Krieg verzeichnet.

Zwar konnten die Hamburger Wissenschaftler 2011 drei kriegerische Konflikte von ihrer Liste streichen. So schlossen Jemens Regierung und die sogenannten Huthi-Rebellen einen Waffenstillstand. Für die Regierung Tschads zahlte sich eine Vereinbarung mit Sudan aus, weil beide Seiten darauf verzichteten, Rebellengruppen im jeweils anderen Land zu unterstützen. Und in Peru klang die kurzzeitige erneute Eskalation zwischen Sicherheitskräften und dem Leuchtenden Pfad wieder ab. Doch standen dem auch sechs neue kriegerische Auseinandersetzungen gegenüber. Dabei fanden die von der NATO mit Luftangriffen forcierten Kämpfe in Libyen bis hin zum Regimewechsel nicht nur die größte politische und mediale Aufmerksamkeit, sondern forderten auch die weitaus meisten Todesopfer.

Insgesamt erfassten die Friedensforscher weltweit 36 bewaffnete Konflikte, 25 davon werden als regelrechte Kriege eingestuft, weil hier reguläre Streitkräfte von Regierungen beteiligt sind, auf beiden Seiten ein Mindestmaß an zentralgelenkter Organisation der Kriegführenden und des Kampfes gegeben ist und die bewaffneten Operationen von einer gewissen Kontinuität geprägt sind. Erstmals seit sechs Jahren ist damit ihre Zahl gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Trauriger Höhepunkt des Kriegsgeschehens seit 1945 war nach den AKUF-Daten das Jahr 1992 mit 55 erfassten Kriegen. Diese Zahl hatte sich bis 2010 mehr als halbiert.

Eine Entwicklung für das Jahr 2012 lasse sich nicht prognostizieren, wie AKUF-Leiter Wolfgang Schreiber betont. So wurden zwei der neuen Kriege des Jahres 2011 - in Libyen und in Côte d’Ivoire - bereits wieder beendet. In anderen Kriegen und bewaffneten Konflikten ließen die Kampfhandlungen nach oder es gab Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien. »Die Vergangenheit lehrt aber, dass aus solchen positiven Signalen nicht unbedingt die weitere Entwicklung gefolgert werden kann.« Und das Entstehen neuer Kriege lasse sich kaum verlässlich voraussagen - obwohl man sich angesichts der Entwicklungen in und um Syrien oder Iran nicht wundern darf, wenn diese Länder in der Kriegsstatistik der Hamburger Wissenschaftler im nächsten Jahr Platz finden müssen.

** Aus: neues deutschland, 13. Dezember 2011


Krieg und Kleinwaffen

Von Olaf Standke ***

Es mag zeitlicher Zufall gewesen sein, dass die beiden Untersuchungen am selben Tag öffentlich wurden, zusammendenken muss man sie allemal. Denn wenn die beiden großen christlichen Kirchen hierzulande Waffenexporte kritisieren, dann verurteilen sie auch Brandbeschleuniger für Kriege und Konflikte. Deren Zahl, so Friedensforscher, ist in diesem Jahr nach längerer Zeit wieder gestiegen. Und die Rüstungsindustrie ist mit Rekordumsätzen dabei. Auch und gerade deutsche Waffenschmieden verdienen gut am Geschäft mit dem Tod. Ihre Erzeugnisse tauchen immer wieder auf Schauplätzen der Gewalt auf, von Libyen bis Mexiko. So gehört die Bundesrepublik zu den drei größten Exporteuren sogenannter Kleinwaffen, die in vielen Konflikten eine verheerende Rolle spielen. Trotzdem wurde auch im Vorjahr die Ausfuhr von über 40 000 genehmigt, Menschenrechte hin, Menschenrechte her. Profitraten und geostrategische Interessen zählen mehr. Auch die geplante Lieferung von Kampfpanzern an Saudi-Arabien verstoße gegen gültige Exportrichtlinien, rügen die Kirchen. Hinzu kommt, dass der Genehmigungswert von Dual-Use-Produkten, die zivil wie militärisch genutzt werden können, fast so groß ist wie jener reiner Rüstungsgüter. Hier ist dringend Umdenken gefordert, vor allem im Interesse der Menschen in den zahlreicher gewordenen Konflikt- und Kriegsgebieten in aller Welt.

* Aus: neues deutschland, 13. Dezember 2011 (Kommentar)


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