"Deutsche Ausfuhren von kleinen Waffen und Munition haben sich seit 1996 vervierfacht" - Hauptabnehmer sind Länder im Nahen Osten und Südasien
Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) legt ihren Rüstungsexportbericht 2011 vor
Am 12. Dezember 2011 legte die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung vor der Bundespressekonferenz in Berlin ihren Rüsgtungsexportbericht 2011 vor. Die GKKE fordert darin, Konsequenzen aus den verheerenden Auswirkungen der Waffenlieferungen an autoritäre und repressive Regime im arabischen Raum zu ziehen, wie sie während der ersten Hälfte des Jahres 2011 im Kontext der arabischen Aufund
Umbrüche drastisch zu Tage getreten seien. Kritisiert wurden vor allem die im Sommer bekannt gewordenen Liefergenehmigungen nach Saudi Arabien sowie in andere Krisenregionen: Es müssten Lehren aus diesen Fehlentwicklungen gezogen werden mit einer tatsächlich restriktiven
Rüstungsexportkontrolle, forderte Prälat Dr. Karl Jüsten. Darüber hinaus sollte sich die Bundesregierung bei der Überprüfung
des Gemeinsamen Standpunkts der EU von 2008 mit Nachdruck für ein strenges und verbindliches europäisches Regelwerk zur Kontrolle von Rüstungsexporten jenseits nationaler Kompetenzen einsetzen.
Prälat Dr. Bernhard Felmberg, der evangelische Vorsitzende der GKKE, wies darauf hin, dass ein großer Teil des Exportumsatzes auf die Lieferung von zwei U-Booten an Portugal und einem U-Boot an Griechenland zurückzuführen gewesen sei. "Auch im Jahr 2010, als das Ausmaß der griechischen Staatsverschuldung bereits bekannt war, hat der
Exportweltmeister Deutschland an der weiteren Verschuldung Griechenlands verdient", sagte er.
Die Liberalisierung des innereuropäischen Rüstungshandels habe mit der Verabschiedung der "Verteidigungsgüterrichtlinie" auch das deutsche Rüstungsexportkontrollregime erreicht. "Für den Kurs einer restriktiven Rüstungsexportpolitik folgen daraus erhebliche Risiken, wenn sich
nicht gleichzeitig die Kontrollen von Ausfuhren an Drittstaaten verstärken", betonte Dr. Moltmann, der Vorsitzende der GKKE Fachgruppe Rüstungsexporte.
Im Folgenden dokumentieren wir die Zusammenfassung des Rüstungsexportberichts 2011 der GKKE.
0. Zusammenfassung
0.1 Die Berichterstattung durch die Gemeinsame Konferenz
Kirche und Entwicklung
(0.01) Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) legt
zum fünfzehnten Mal seit 1997 einen Rüstungsexportbericht vor. Der Bericht wird von der GKKE-Fachgruppe „Rüstungsexporte“ erstellt. Ihr gehören Fachleute wissenschaftlicher Einrichtungen, der kirchlichen Friedens- und Entwicklungszusammenarbeit sowie aus Nichtregierungsorganisationen
an. Der Bericht stellt öffentlich verfügbare Informationen über die
deutschen Ausfuhren von Kriegswaffen und Rüstungsgütern des Vorjahres
(2010) bzw. deren Genehmigungen zusammen und bewertet die Rüstungsexportpolitik
im Zusammenhang der Friedens-, Sicherheits- und
Entwicklungspolitik.
0.2 Deutsche Rüstungsausfuhren im Jahr 2010
Deutsche Rüstungstransfers im internationalen Vergleich
(0.02) Nach Einschätzung des schwedischen Friedensforschungsinstituts
SIPRI hatten die deutschen Ausfuhren von konventionellen Großwaffen
zwischen 2006 und 2010 einen Anteil von 11 Prozent am weltweiten Handel
mit solchen Gütern. Wichtigste Abnehmer waren Griechenland (15
Prozent), Südafrika (11 Prozent) und die Türkei (10 Prozent).
Nach der gleichen Quelle sind die deutschen Rüstungsexporte zwischen
2006 und 2010 um 96 Prozent gegenüber dem Zeitraum zwischen 2001
und 2005 gestiegen. Die Exporte von Kriegsschiffen machen etwa 44 Prozent des Wertes der erfassten Ausfuhren aus. Bei vielen dieser Transfers haben Lieferungen von Materialpaketen zur Fertigung im Empfängerland eine wichtige Rolle gespielt.
(0.03) Die renommierte US-amerikanische Studie Conventional Arms
Transfers to Developing Nations, 2003 – 2010 beziffert die deutschen Rüstungstransfers im Jahr 2010 auf 2,6 Milliarden US-Dollar. Damit rangiert Deutschland als Waffenexporteur an dritter Stelle hinter den USA (12,2 Milliarden US-Dollar) und Russland (5,2 Milliarden US-Dollar). An Staaten, die nicht der NATO bzw. der EU angehören oder diesen gleichgestellt sind, sind im Jahr 2010 deutsche Rüstungsgüter im Wert von 500 Millionen US-Dollar geliefert worden. Im Jahr 2010 eingeworbene Neuaufträge für
deutsche Rüstungshersteller werden in Höhe von 100 Millionen US-Dollar
beziffert.
Während die Angaben zu den getätigten Exporten für 2010, verglichen mit
dem Vorjahr, nur gering zurückgegangen sind, fällt das Absinken der Neuaufträge
im Jahr 2010 gegenüber dem Vorjahr (4,2 Milliarden US-Dollar)
gravierend aus, selbst wenn die Daten in den Folgejahren noch korrigiert
werden. Dies rührt vermutlich aus dem Ausbleiben von kostenintensiven
Schiffsaufträgen im Berichtsjahr her. Dennoch ist anzunehmen, dass deutsche Rüstungshersteller durchaus noch ein kräftiges Auftragspolster haben.
Veränderungen auf dem Weltrüstungsmarkt
(0.04) Verfügbare Daten zur Entwicklung des Weltrüstungshandels verweisen
auf ein Abflauen vorjähriger Wachstumstrends. Das betrifft auch
deutsche Rüstungsgeschäfte. Bisherige Großabnehmer haben mit wirtschaftlicher
und finanzieller Rezession zu kämpfen. In Industriestaaten
zwingen Budgetrestriktionen dazu, Militärausgaben und damit auch Neuanschaffungen
von Rüstungsgütern einzuschränken. Das gilt ebenfalls für
Bestellungen der Bundeswehr, die als Referenzprodukte für Exporte dienen.
Andere traditionelle Empfängerländer haben eigene Rüstungsindustrien
aufgebaut, teilweise mit früherer deutscher Hilfe. Sie sind in der Lage,
ihre Streitkräfte zu versorgen oder als weitere Anbieter auf dem Weltrüstungsmarkt aufzutreten.
(0.05) In Reaktion auf die nachlassende externe wie interne Nachfrage
ändern deutsche Rüstungshersteller ihre Unternehmensstrategie. Außerdem
drängen sie die Bundesregierung, die Rüstungsexporte zu erleichtern
und ihre Geschäfte politisch wie finanziell zu unterstützen.
Demgegenüber fordert die GKKE, sinkende Auslastungen hiesiger Produktionskapazitäten
nicht durch eine Ausweitung von Rüstungsausfuhren zu
kompensieren. Das widerspricht allen Bemühungen, technologische Innovationsfähigkeit
und hochwertige Arbeitsleistungen zu einer wirksamen
Konversion von Rüstungsunternehmen zu nutzen. Die Bundesregierung
sollte angesichts von Krisenmomenten des Weltrüstungshandels internationale
Bemühungen zur Rüstungskontrolle wiederbeleben, um Rüstungstransfers
insgesamt zu verringern.
Außerdem wiederholt die GKKE ihren Appell, Rüstungsgeschäfte mit Drittstaaten
nicht durch staatliche Ausfallbürgschaften („Hermes-Kredite“) abzusichern.
Damit mindert die staatliche Seite unternehmerische Risiken
und fördert indirekt den Rüstungshandel.
Einzelausfuhrgenehmigungen
(0.06) Im Jahr 2010 hat die Bundesregierung insgesamt 16.145 Einzelausfuhrgenehmigungen
für Rüstungsgüter im Wert von 4,754 Mrd. € erteilt.
Im Jahr 2009 hatten 16.202 Einzelausfuhrgenehmigungen ein wertmäßiges
Volumen von 5,043 Mrd. € erreicht.
Die größten Werte erreichten im Jahr 2010 Ausfuhrgenehmigungen für
Kriegsschiffe im Wert von 1 Mrd. €, für Ketten- und Radfahrzeuge im Wert
von 998,5 Mio. und für militärische Elektronik im Wert von 453,6 Mio. €.
Ausfuhr von Kriegswaffen
(0.07) Im Jahr 2010 sind Kriegswaffen im Wert von 2,119 Mrd. € exportiert
worden. Im Jahr 2009 hatten diese Transfers einen Wert von 1,34
Mrd. € erreicht
Sammelausfuhrgenehmigungen
(0.08) Im Jahr 2010 ergingen Sammelausfuhrgenehmigungen für staatenübergreifende
gemeinsame Rüstungsprojekte im Wert von rund 737
Millionen Euro, darunter eine an Israel und zwei an Südafrika. Die übrigen
bezogen sich auf Kooperationen mit Produzenten in NATO- und EUStaaten
bzw. diesen gleichgestellten Ländern.
Gegenüber 2009 (1,996 Milliarden Euro) ist dieser Wert um 62,6 Prozent
gesunken. Das Ausmaß dieses Rückganges fällt im Vergleich zu den Vorjahresdaten
überraschend hoch aus. Das könnte auf Mängel in der Erfassung
zurückzuführen sein.
Sammelausfuhrgenehmigungen haben eine mehrjährige Geltungsdauer.
So ist davon auszugehen, dass im Jahr 2010 auch bereits in den Vorjahren
erteilte Genehmigungen dieser Art ausgeschöpft worden sind.
Komplementärgenehmigungen
(0.09) Komplementärgenehmigungen stellen eine vereinfachte Form des
Genehmigungsverfahrens dar. In deren Genuss kommen Genehmigungsanträge,
wenn bereits in einem vorangegangenen Fall die Ausfuhr von
Kriegswaffen gestattet worden war. Im Jahr 2010 profitierten Transfers in 29 Staaten davon, darunter relevante Abnehmer in der Gruppe der Drittstaaten.
„Offizielle“ Weitergabe von Rüstungsgütern
(0.10) Im Jahr 2010 sind Waffen, Rüstungsgüter und Gerätschaften aus
Lagern der Bundeswehr im Wert von 43 Millionen Euro veräußert worden
(2009: 138 Mio. €). Die größten Abnehmer waren Südkorea (ca. 23 Mio.
€) und Griechenland gewesen (223 Panzerhaubitzen im Wert von ca. 10
Millionen Euro). Der Vollzug des Transfers von sechs ausgemusterten U8
Booten an Thailand mit einem geschätzten Verkaufspreis von 180 Millionen
Euro ist noch offen.
Dual-use-Güter
(0.11) Das starke Gewicht der deutschen Rüstungshersteller bei der Zulieferung von Komponenten zeigt sich anhand der Genehmigungswerte für
die Ausfuhr von Gütern mit doppeltem (zivil oder militärisch) Verwendungszweck, den sogenannten „Dual-use-Gütern“. Im Jahr 2010 waren
Güter dieser Art im Wert von circa 4,8 Mrd. Euro genehmigt worden -
einem Wert, der in etwa 0,5 Prozent des gesamten deutschen Außenhandels
entspricht. Den gleichen Anteil erreichen in der Regel auch die jährlichen Werte der Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter.
Hermes-Bürgschaften für Rüstungsexporte
(0.12) Staatliche Ausfallbürgschaften („Hermes-Kredite“) haben im Jahr
2010 sieben Rüstungsgeschäfte in Höhe von 32 Millionen Euro abgesichert.
Sie bezogen sich auf Lieferungen an Pakistan (ca. 30 Millionen Euro)
und Kanada (2 Millionen Euro).
Die Angaben für 2010 sind gegenüber den Vorjahren zurückgegangen,
weil keine kostspieligen Exporte von Kriegsschiffen oder von Materialpaketen für deren Bau im Empfängerland abzusichern waren.
Empfänger deutscher Rüstungslieferungen
(0.13) An Staaten, die der EU bzw. der NATO angehören oder diesen
gleichgestellt sind, sind im Jahr 2010 Rüstungsausfuhren im Wert von
3,371 Mrd. € genehmigt worden (2009: 2,551 Mrd. €). Das entspricht 71
Prozent aller Einzelausfuhrgenehmigungen.
An alle übrigen Staaten („Drittstaaten“) sind Rüstungsausfuhren in Höhe
von 1,38 Mrd. € genehmigt worden. (2009: 2,49 Mrd. €). Unter diesen
waren die relevantesten Abnehmer Südkorea (270 Mio. €), die Vereinigten
Arabischen Emirate (262,5 Mio. €), Saudi-Arabien (152,5 Mio. €), Indien
(96,8 Mio. €), Pakistan (96,7 Mio. €), Irak (54,3 Mio. €) und Singapur (54 Mio. €).
(0.14) An Staaten, die die OECD als Empfänger offizieller Entwicklungshilfe einstuft, sind im Jahr 2010 Einzelgenehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern im Wert von 747,3 Mio. € erteilt worden. Das entspricht 15,6 Prozent aller erteilten Einzelausfuhrgenehmigungen (2009: 920,33 Mio. € = 18,2 Prozent).
Abweichend von entsprechenden Angaben der Bundesregierung schließen
diese Zahlen auch Lieferzusagen an NATO-Staaten wie Albanien, Kroatien
und die Türkei ein, die gleichzeitig nach OECD-Kriterien offizielle Entwicklungshilfe enthalten. Auch Lieferungen an VN-Missionen und verbündete Streitkräfte in Afghanistan sind in die Berechnungen eingegangen.
Ausfuhren von kleinen und leichten Waffen
(0.15) Die Bundesregierung hat im Jahr 2010 die Ausfuhr von 41.537 kleinen
und leichten Waffen genehmigt. Diese Zahlen bewegen sich auf dem
Niveau der Vorjahre. Die Angaben entstammen den deutschen Meldungen
an das VN-Waffenregister. Die Bundesregierung sollte nach Einschätzung
der GKKE diese Informationen auch in die jährliche Berichterstattung zu
ihrer Rüstungsexportpolitik aufnehmen.
Jenseits dessen stellt die GKKE fest, dass Deutschland zu den wichtigsten
Anbietern für dieses Waffensegment auf dem Weltrüstungsmarkt zählt.
Allein die Werte für die Genehmigungen für deutsche Ausfuhren von kleinen Waffen und Munition haben sich seit 1996 vervierfacht.
(0.16) Relevante Abnehmer deutscher kleiner und leichter Waffen sowie
von Munition unter den Drittstaaten finden sich vor allem im Nahen und
Mittleren Osten sowie in Südasien. Wichtige Empfängerländer wie Saudi-
Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate beteiligen sich jedoch
nicht an dem VN-Waffenregister und stehen wie Indien dem VN-Aktionsprogramm zur Bekämpfung des illegalen Handels mit kleinen und
leichten Waffen skeptisch, wenn nicht ablehnend gegenüber.
Die GKKE fordert deshalb von der Bundesregierung, die Genehmigungen
für die Ausfuhr von kleinen und leichten Waffen sowie von Munition mit
der Auflage an die Abnehmer zu versehen, sich ihrerseits am VN-Waffenregister zu beteiligen und das VN-Aktionsprogramm zu unterstützen.
(0.17) Im Berichtsjahr sind erneut kleine und leichte Waffen deutscher
Herkunft in Staaten aufgetaucht, die von Gewaltkonflikten erschüttert
werden. Prominente Fälle bezogen sich auf Waffen, die in Mexiko und Libyen gefunden wurden, abgesehen von der ungeklärten Herkunft von
deutschen Waffen in den Händen georgischer Sicherheitskräfte, die im
Jahr 2008 identifiziert worden waren. Diese Vorgänge verweisen auf Defizite der Regelungen für einen gesicherten Endverbleib von Waffenlieferungen.
Kontrolldefizite im Umgang mit Lizenzen
(0.18) Weitere Lücken zeigen sich bei der Umsetzung von Lizenzen, die
deutsche Unternehmen zur Produktion von Waffen und Munition in Drittländern
erteilen. Entsprechend undurchsichtig sind die Vorgänge um eine
Gewehrfabrik, die zwischen 2005 und 2009 nach Saudi-Arabien geliefert
worden ist. Die Bundesregierung bleibt die Auskunft schuldig, ob ein Weiterexport dieser Waffen ohne deutsche Zustimmung ausgeschlossen ist.
Solange dieser Zustand anhält, plädiert die GKKE dafür, keine Ausfuhrgenehmigungen für Herstellungsanlagen an Drittländer zu erteilen, wenn der Endverbleib der hier produzierten Waffen nicht gesichert ist.
0.3 Kontroversen um deutsche Rüstungsausfuhren
Anlässe
(0.19) Eine Reihe höchst kontroverser Fälle kennzeichnet die politische
und öffentliche Auseinandersetzung des Jahres 2011 über Rüstungsexporte
aus Deutschland.
Im Frühjahr trat unter dem Vorzeichen des „arabischen Frühlings“ zutage,
in welch großem Umfang in den vergangenen Jahren deutsche Rüstungslieferungen
Regime im nördlichen Afrika und im arabischen Raum erreicht
hatten, die nun ins Wanken gerieten oder gestürzt wurden. Neben früheren
Exporten nach Ägypten waren es vor allem Transfers nach Libyen in
der Ära des Machthabers Gaddafi, die die Aufmerksamkeit auf sich zogen.
Im Sommer informierten Medien die Öffentlichkeit, dass die Bundesregierung
den Export von über zweihundert Panzern des Typs „Leopard“ nach
Saudi-Arabien genehmigen wolle. Gleichzeitig drangen Einzelheiten des
Vorhabens des Rüstungsherstellers EADS ans Licht, dem Land umfangreiche
Anlagen zur Überwachung und Sicherung seiner Grenzen zu liefern.
Irritierend war hier die Rolle, die den zeitlich parallel entsandten deutschen
Bundespolizisten bei dem Training saudischer Sicherheitskräfte zukommt.
Erst in Umrissen ist das Projekt zahlreicher deutscher Rüstungshersteller
bekannt, sich um einen komplexen Auftrag zur Modernisierung der algerischen
See- und Landstreitkräfte zu bewerben. Hier sind Technologiepartnerschaften
ebenso im Gespräch wie Lieferungen für Herstellungsanlagen
von Fahrzeugen und Schiffen in Algerien selbst.
Auch das Drängen der israelischen Regierung auf deutsche Mitfinanzierung
des Baus eines weiteren U-Boots auf deutschen Werften steht weiter im
Raum.
Mit der Ankündigung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, der angolanischen
Marine bei deren „Ertüchtigung“ durch deutsche Schiffslieferungen
zu helfen, offenbaren sich einmal mehr alle Fallstricke von Rüstungsausfuhren in Entwicklungsländer.
(0.20) Das vermutete Panzergeschäft mit Saudi-Arabien, der Ausbau von
Grenzsicherungsanlagen im gleichen Land durch deutsche Unternehmen
und das Angebot von Schiffslieferungen nach Angola stellen nach Ein11
schätzung der GKKE markante Beispiele für aktuelle Herausforderungen
an die Normen und Verfahren der deutschen Rüstungsexportkontrolle dar.
Folgt man den Kriterien, wie sie die GKKE für die Beurteilung von Rüstungsausfuhren nahelegt, verbieten sich Lieferungen von Rüstungsgütern und Sicherheitsdienstleistungen nach Saudi-Arabien. Auch die Vorgaben der Politischen Grundsätze der Bundesregierung für ihre Rüstungsexportpolitik und des Gemeinsamen Standpunkts der EU für die Ausfuhr von Militärgütern und Militärtechnologie von 2008 werden mit diesen Transfers in Frage gestellt. Sie fordern unter anderem, die innere Lage des Empfängerlandes,
die Menschenrechtssituation, den Respekt internationaler Konventionen
und mögliche Konsequenzen für die regionale Sicherheit bei den
Genehmigungen zu berücksichtigen. Die Weitergabe und Installierung von
Grenzsicherungsanlagen bewegen sich im Graubereich des Transfers von
Dual-use-Gütern, gekoppelt mit möglichen offiziellen Dienstleistungen und der Einbindung einer Organisation, die als prominenter deutscher Akteur der Entwicklungszusammenarbeit tätig ist.
(0.21) Im Fall von Angola geraten Interessen von schutzwürdigen Fischgründen
und der Bekämpfung von Piraterie in den Hintergrund angesichts
des Anliegens, eine aufstrebende Regionalmacht zu befähigen, militärische
Sicherheit in ihrem Umfeld zu gewährleisten. Davon abgesehen sollte
Skepsis gegenüber Rüstungsgeschäften mit Angola wecken, dass das Land
trotz seines Reichtums an Rohstoffen und des wirtschaftlichen Aufschwungs
zu den ärmsten Entwicklungsländern gehört, von einem repressiven
Regime beherrscht wird und gleichzeitig in Grenzkonflikte verstrickt
ist. Friedliche Verhältnisse nach dem vorangegangenen Bürgerkrieg sind
noch nicht gegeben.
Darüber hinaus haben Rüstungstransfers nach Angola, aber auch nach
Saudi-Arabien bereits in früheren Zeiten Anlass für justitielle Ermittlungen
wegen Korruptionsverdacht geboten.
0.4 Parlamentarische Kontrolle der Rüstungsexportpolitik
(0.22) Im Jahr 2011 haben die inhaltlichen und verfahrensmäßigen Dilemmata der deutschen Rüstungsexportpolitik mit dem Plenum des Deutschen Bundestages das Forum gefunden, das einer parlamentarischen
Demokratie angemessen ist. Getrieben von einer Fülle parlamentarischer
Anfragen und Anträgen hat sich das deutsche Parlament in drei Plenardebatten
mit umstrittenen Rüstungsgeschäften beschäftigt. Dabei erschlossen
sich drei Problemkreise: die fehlende Transparenz, die unzureichenden
Begründungen der Rüstungstransfers und, vor allem, die parlamentarische
Kontrolle des exekutiven Handelns.
(0.23) Das prekäre Maß an Transparenz in der Rüstungsexportpolitik ist
schon seit Jahren für die GKKE Anlass, auf eine Verbesserung des offiziellen
Berichtswesens und dessen inhaltlichen Zuschnitts zu drängen. Hinzu
kommt die weiterhin begründete Klage über nicht abgestellte Verzögerungen
bei der Vorlage der Daten. Beispiele aus europäischen Ländern, die im
Bundestag erläutert wurden, zeigen, dass andere EU-Mitgliedstaaten hier
sehr viel offener und zügiger als die Bundesregierung handeln.
(0.24) Die parlamentarischen Debatten förderten erneut zutage, dass die
offiziellen Begründungen für eine Genehmigung von Rüstungstransfers an
Drittstaaten nicht oder unzureichend die deutschen wie europäischen Vorgaben
für die Erlaubnis von Rüstungsgeschäften beachten. Irritierend ist
das Festhalten der deutschen Genehmigungsinstanzen an der alleinigen
Bewertung des Einzelfalles des zu liefernden Rüstungsgutes. Die jeweiligen
politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontexte eines
Empfängerlandes finden keine Berücksichtigung. Das gilt auch für die
Würdigung der langfristigen Auswirkungen des Transfers von Rüstungsgütern.
Rüstungstransfers werden als Angelegenheit des Außenwirtschaftshandels
behandelt.
(0.25) Zudem verspielt die Bundesregierung das Vertrauen in die von ihr
proklamierte „verantwortliche“ Genehmigungspraxis in dem Maße, in dem
sie über die Vorgänge sowie die begleitende politische und finanzielle Unterstützung
der Geschäfte den Schleier des Geheimnisvollen breitet.
Dass sich auch in dem vermuteten Panzer-Geschäft mit Saudi-Arabien die
offiziellen Stellen auf Wahrung von Geheimhaltungsvorschriften zu Vorgängen
im Bundessicherheitsrat zurückgezogen haben, schürt Zweifel, ob
die Praxis dieses „hybriden“ Gremiums bei der Behandlung von Rüstungsexporten
verfassungskonform ist: Es dient einerseits als Beratungsinstanz;
andererseits ist hier das Zentrum der Entscheidungsverantwortung
zu vermuten. In dieser Doppelfunktion ist der Bundessicherheitsrat gegenüber
Parlament und Öffentlichkeit nicht rechenschaftspflichtig.
(0.26) Der missliche Zustand der mangelhaften Transparenz und Skepsis
gegenüber dem Wert von Begründungszusammenhängen rufen Fragen auf
den Plan, ob und inwieweit das exekutive Handeln in diesem Bereich der
parlamentarischen Kontrolle zugänglich ist. Die Kompetenz der Bundesregierung,
hier Entscheidungen zu treffen, ist nicht in Frage zu stellen. Dennoch
offenbart sich hier ein Ungleichgewicht zwischen der Exekutive und
der Legislative als dem Repräsentanten des Souveräns. Die fehlende Ausgewogenheit
zwischen Rechenschaftspflicht und Kontrolle ist einer parlamentarischen
Demokratie unwürdig.
Dabei geht es nach Einschätzung der GKKE nicht darum, wann und wie
der Bundestag in Entscheidungsgänge der Bundesregierung eingebunden
wird. Vielmehr ist eine Neujustierung der Kräfteverhältnisse insgesamt
vonnöten, damit das Parlament seine originäre Überwachungsfunktion des
Regierungshandelns wahrnehmen kann. Auch hier zeigen Beispiele europäischer
Staaten Wege zu einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen der
Exekutive und Legislative, ohne die Handlungsfreiheit von Staaten und
ihrer Regierungen einzuschränken.
(0.27) Die GKKE begrüßt, dass jetzt im Bundestag Initiativen reifen, dem
Parlament in Sachen Rüstungsexport mehr Gewicht zu verleihen. Sie erwartet
dadurch einen Zuwachs an Transparenz des Geschehens ebenso
wie eine effektivere Wirksamkeit der Normen für die Weitergabe von Militärgütern
und Militärtechnologie. Das Bemühen um internationale Sicherheit
und Frieden, um wechselseitiges internationales Vertrauen können
nur davon profitieren, wenn der Rüstungshandel in ein umfassendes Verständnis
von Rüstungskontrolle einbezogen wird. Die Risiken einer ungewollten
Anhäufung von Waffen in Krisenregionen verlangen nach einem
effektiven Instrumentarium und abgestimmtem Vorgehen in der Außen-,
Wirtschafts-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Die GKKE erinnert einmal
mehr daran, dass die Handhabung von Rüstungsgeschäften auch
Ausweis für friedensförderndes Außenverhalten eines Staates wie
Deutschland ist.
0.5 Deutsche Rüstungsexportpolitik im Kontext internationaler
Regelwerke
(0.28) Die deutsche Rüstungsexportpolitik lebt nicht nur im hiesigen politischen
und wirtschaftlichen Biotop. Auf europäischer wie auch auf globaler
Ebene ist sie in Regelwerke einbezogen und internationalen Normen
wie Instanzen verpflichtet. Hier sind nun 2010/ 2011 Veränderungen auf
den Weg gebracht worden, die in bisherige Verfahren eingreifen und politische
Reaktionen verlangen.
Die GKKE ist im Hinblick darauf auf die Wahrung formaler wie inhaltlicher
Standards bedacht. Sie verweist darauf, dass es sich beim Umgang mit
Rüstungstransfers nicht allein um Fragen des Außenhandelns handelt,
sondern die friedens- und sicherheitspolitischen Implikationen solcher Geschäfte
die Rationalität der Entscheidungsfindung bestimmen sollten.
Verteidigungsgüterrichtlinie
(0.29) Ab dem Jahr 2012 werden Rüstungstransfers innerhalb der Europäischen
Union erleichtert, nachdem der Bundestag die EU-Verbringungsrichtlinie als „Verteidigungsgüterrichtlinie“ in deutsches Recht übertragen hat. Über Allgemeingenehmigungen erhalten zertifizierte Unternehmen die Gelegenheit, an andere europäische Unternehmen und Streitkräfte Rüstungsgüter zu liefern, ohne vorab die bisher üblichen Genehmigungen einzuholen.
(0.30) Die GKKE sieht in der gegenwärtigen Phase drei Momente, die zur
Skepsis mahnen:
Das erste betrifft die zukünftige Qualität der Transparenz in der Berichterstattung
über Rüstungstransfers. Innerhalb der EU firmieren sie demnächst
als „Verbringung“ und werden nur beim Passieren der EUAußengrenzen
als „Exporte“ dokumentiert. Insofern besteht die Möglichkeit,
dass das ohnehin schon löchrige deutsche offizielle Berichtswesen
weitere Leerstellen aufweisen wird, die dem Bundestag wie der Öffentlichkeit
eine politische Bewertung der Vorgänge erschweren.
Das zweite kritische Moment gilt der Verlagerung der Kontrollkompetenzen
auf die beteiligten Unternehmen. Von deren Verlässlichkeit wird es
abhängen, wie haltbar die vorgesehenen „Verantwortungsketten“ von
Herstellern bis zu Empfängern tatsächlich sein werden. Schon unter den
gegenwärtigen Bedingungen zeigen sich Defizite bei den Endverbleibskontrollen,
der Verhütung von Re-Exporten und der Überwachung von erteilten
Lizenzen.
Das dritte bedenkliche Moment, das zugleich das schwerwiegendste ist,
bezieht sich darauf, dass mit der Erleichterung des Binnenhandels keine
Stärkung von gesamteuropäischen Regeln und Kontrollinstanzen für Rüstungsexporte
in Drittstaaten einhergeht.
Nationale Interessen versus Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der
Europäischen Union
(0.31) Eigentlich hätte der Gemeinsame Standpunkt der EU zu Exporten
von Militärgütern und Militärtechnologie von 2008, der den seit zehn Jahren
bestehenden Verhaltenskodex aufgewertet hat, ein leistungsfähiges
Regelwerk etablieren können. Seine Rechtsverbindlichkeit erschöpft sich
jedoch in der Verabredung der Mitgliedstaaten, ihn im Rahmen ihrer nationalen
Regeln zu berücksichtigen. Dennoch handhaben die Einzelstaaten
ihre Rüstungsexportpolitik weiterhin nach eigenen Vorgaben. Ein positiver
Effekt des Gemeinsamen Standpunktes ist allein darin zu sehen, dass das
Berichtswesen der Einzelstaaten über ihre Rüstungstransfers an Breite,
wenn auch nicht unbedingt an Tiefe gewonnen hat.
(0.32) Für die im Jahr 2012 fällige Überprüfung des Gemeinsamen Standpunktes
bietet sich nun die Chance, Lehren aus den Erfahrungen der negativen
Folgen von Waffentransfers zu ziehen, wie sie mit den Ereignissen des „arabischen Frühlings“ zutage getreten sind. Waffen aus vielen europäischen Staaten hatten in den Vorjahren nordafrikanische und arabische Regime erreicht, die sich mit Repression und Entwicklungsresistenz als Hort von Instabilität erwiesen haben, obwohl sie den Eindruck von Stabilität vermittelt hatten.
(0.33) Einzelstaatliche Prärogative in der Rüstungspolitik und in der nationalen
Außenpolitik verhindern eine gemeinsame Handhabung der europäischen
Rüstungsexportpolitik. Davon ist auch die deutsche Haltung nicht
frei. Abzulesen ist dies an der Reaktion der Bundesregierung auf Ideen der
EU-Kommission, die Ausfuhrkontrollen für Güter mit militärischem bzw.
zivilem Verwendungszweck („Dual-use-Güter“) aufeinander abzustimmen.
Wieder dienen das Pochen auf nationale Souveränität und die Warnung
vor einer überbordenden Bürokratie der Bundesregierung dazu, einen Ansatz
zu unterlaufen, der auf eine Stärkung europäischer Regelwerke jenseits
nationaler Kompetenzen setzt.
Die GKKE kritisiert den an dieser Stelle europaunfreundlichen Kurs. Er
weckt außerdem den Eindruck, hier würden exportorientierten Interessen
der deutschen Wirtschaft gegenüber den Zielen von Sicherheit und Nichtverbreitung
Vorrang eingeräumt.
Anstrengungen der Staatengemeinschaft
(0.34) Auf der Ebene der Vereinten Nationen werden im Jahr 2012 zwei
Prozesse auf wichtige Wegmarken zusteuern: Das VN-Kleinwaffenaktionsprogramm,
dessen Überprüfung im Jahr 2012 ansteht, und der
Waffenhandelsvertrag (Arms Trade Treaty, ATT), dessen formelle Aushandlung
gleichfalls beginnen soll, suchen international abgestimmte Reaktionen
auf die destruktiven Folgen einer unkontrollierten Anhäufung von
Rüstungsgütern vor allem in Staaten und Gesellschaften, die von regionalen
oder inneren Gewaltkonflikten erschüttert werden.
(0.35) Nach dem Stand der Dinge werden beide Vorgänge wohl kaum zu
einer Abrüstung führen. Die Mehrzahl der Staaten hält an dem Recht zur
Verteidigung fest und wehrt sich gegen jegliche Beschränkungen ihrer
Waffenkäufe. Das VN-Aktionsprogramm und der ATT können aber geeignet
sein, bei Waffentransfers die Transparenz zu vergrößern und illegalem
Handeln Einhalt zu gebieten.
(0.36) Die Bundesregierung hat in den Vorjahren beide Vorhaben aktiv
gefördert. In ihrer Entwicklungszusammenarbeit und Krisenpräventionspolitik
unterstützt sie vor allem afrikanische Staaten bei der Realisierung der
Ziele. Gleichzeitig sind mit deutscher Hilfe überschüssige Rüstungsgüter
zerstört, Bestände von Waffen und Munition gesichert und Schäden frühe16
rer Gewaltkonflikte (z.B. durch die Räumung von Minen) gelindert worden.
Auch gehen entsprechende EU-Programme auf deutsche Initiativen zurück.
(0.37) Die GKKE begrüßt das deutsche Engagement zugunsten des VN-Aktionsprogramms
und eines ATT. Sie wünscht sich darüber hinaus, dass
die Bundesregierung beide Vorhaben in ein internationales Rüstungskontrollkonzept
einbettet und bei befreundeten Staaten dafür wirbt. Die Bekämpfung
von Piraterie und internationalem Terrorismus mögen höher auf
der offiziellen Agenda rangieren. Das mindert aber nicht das friedensgefährdende
und zerstörerische Potential einer unkontrollierten und intransparenten
Weitergabe von konventionellen Rüstungsgütern.
Im Hinblick auf deutsche Rüstungsausfuhren fordert die GKKE zudem,
dass das offizielle Bekenntnis zum VN-Aktionsprogramm und zu einem
ATT auch seinen Niederschlag in der Bewertung von Empfängerstaaten
deutscher Rüstungslieferungen findet, die beiden Projekten reserviert oder gar ablehnend gegenüberstehen. Deren Haltung sollte neben der Beachtung des VN-Waffenregisters in die Entscheidungsfindung über Ausfuhranträge eingehen.
(0.38) Insgesamt hält es die GKKE für geboten, einen ATT nicht nur als
weitere Variante internationaler Handelsabkommen zu behandeln. Seine
Vorbereitung und Implementierung sind als Stimuli der deutschen Außenund
Friedenspolitik zu nutzen. Gerade angesichts der umfangreichen deutschen
Transfers von kleinen und leichten Waffen sowie von Munition und
Herstellungsanlagen ist die Bundesregierung gehalten, auf die Übereinstimmung
zwischen ihrem internationalen Engagement und ihrer Rüstungsexportpolitik
zu achten. Geschieht das nicht, riskiert sie einen hohen
Preis durch den Verlust an Glaubwürdigkeit.
* Aus: Rüstungsexportbericht 2011 der GKKE. Vorgelegt von der
GKKE-Fachgruppe Rüstungsexporte. Vorabdruck für die Bundespressekonferenz am 12.12.2011 in Berlin, Seite 5-16.
Internet: http://www3.gkke.org
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