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Kriege und bewaffnete Konflikte 2011

Ein erster Überblick. Von Wolfgang Schreiber *


Im Folgenden dokumentieren wir den Überblick über das Kriegsgeschehen 2011, den Wolfgang Schreiber für die AKUF verfasst hat. Er ist am 12. Dezember 2011 veröffentlicht worden (siehe hierzu die Presseerklärung von AKUF). Dieser Überblick kann - zusammen mit einer Reihe von Grafiken und Übersichten - auf der Website der AKUF heruntergeladen werden: pdf-Datei [externer Link].


Erstmals seit sechs Jahren wurden 2011 wieder mehr Kriege und bewaffnete Konflikte [1] geführt als im Jahr zuvor. Die Gesamtzahl erhöhte sich um drei auf nunmehr 36 und auch die Zahl der Kriege stieg um zwei auf 25.[2] Als beendet sind insgesamt drei kriegerische Konflikte zu betrachten. Umgekehrt eskalierten 2011 sechs Kriege und bewaffnete Konflikte neu.

Insgesamt stand das Jahr 2011 vor allem im Zeichen der Proteste in den meisten arabischen Staaten, die häufig als „Arabischer Frühling“ bezeichnet wurden. Allerdings resultierten daraus bislang lediglich zwei kriegerische Konflikte, nämlich in Libyen und im Jemen. In vielen anderen Staaten der Region wurde Gewalt im Wesentlichen einseitig durch Polizei und Militär angewandt. Vor allem in Syrien, aber auch in Ägypten, lag dabei die Zahl der Todesopfer höher, als dies 2011 in vielen Kriegen oder bewaffneten Konflikten der Fall war.

Der Höhepunkt des Kriegsgeschehens seit 1945 wurde nach den Daten der AKUF 1992 mit damals 55 Kriegen erreicht. Diese Zahl hat sich bis 2010, wo noch 23 Kriege gezählt wurden, mehr als halbiert. Nicht ganz so deutlich sank die Gesamtzahl der Kriege und bewaffneten Konflikte, die 1993 erstmals mit 63 erfasst wurde auf 33 im Jahr 2010 zurückging. Dieser Rückgang ist trotz einiger Schwankungen vergleichsweise kontinuierlich verlaufen. 2011 war nach 1997 und 2005 erst das dritte Mal seither, in dem ein zwischenzeitlicher Anstieg der Zahl der kriegerischen Konflikte zu verzeichnen war.

In den Jahren 1997 und 2005 war auch im jeweiligen Folgejahr ein weiterer Anstieg zu beobachten. Ob dies auch 2012 der Fall sein wird oder ob die Zahlen der Kriege und bewaffneten Kriege wieder weiter zurückgehen, lässt sich nicht prognostizieren. Einerseits lässt sich das Entstehen neuer Kriege kaum verlässlich voraussagen. Andererseits wurden zwei der neuen Kriege des Jahres 2011 – in Libyen und in der Côte d’Ivoire bereits wieder beendet. In anderen Kriegen und bewaffneten Konflikten ließen die Kampfhandlungen nach oder es gab Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien. Die Vergangenheit lehrt aber, dass aus solchen positiven Signalen nicht unbedingt die weitere Entwicklung gefolgert werden kann.

Veränderungen gegenüber dem Vorjahr

Drei kriegerische Konflikte wurden 2010 beendet und finden sich daher nicht in mehr in dieser Übersicht für das Jahr 2011. Mitte Februar 2010 schlossen die Regierung des Jemen und die sogenannten Huthi-Rebellen einen Waffenstillstand. In den 2004 begonnenen Krieg mit den schiitischen Rebellen im Nordosten des Landes hatte in den letzten Kriegsmonaten Saudi-Arabien massiv eingegriffen, sodass den Aufständischen keine andere Wahl mehr blieb, als die Bedingungen der Regierung für einen Waffenstillstand zu akzeptieren.

Für die Regierung des Tschad zahlte sich eine Vereinbarung mit dem Sudan aus, mit der beide Seiten darauf verzichteten, Rebellengruppen im jeweils anderen Land zu unterstützen. Im Laufe des Jahres 2010 ließen Rebellenaktivitäten im Tschad deutlich nach und für 2011 lagen keine entsprechenden Berichte mehr vor. Dies war für den Tschad damit das erste Jahr seit 1966 ohne kriegerische Auseinandersetzungen.

In Peru erreichte die kurzzeitige Neueskalation zwischen Sicherheitskräften und dem Leuchtenden Pfad in den Jahren 2009 und 2010 nie die Intensität der 1980er und 1990er Jahre. Aufgrund ausbleibender Kampfhandlungen scheint der bewaffnete Konflikt nach zwei Jahren wieder beendet zu sein.

Den drei beendeten kriegerischen Auseinandersetzungen standen 2011 sechs neue gegenüber. Von den neuen Kriegen des Jahres 2011 erhielt der in Libyen nicht nur die größte Aufmerksamkeit, sondern forderte auch die weitaus meisten Todesopfer. Aus den Übergriffen von Sicherheitskräften gegen Demonstranten im Februar ging relativ schnell eine Rebellenbewegung hervor, die ihre Basis zunächst vor allem im östlichen Teil des Landes hatte. Bereits ab Mitte März fanden nach einer UN-Resolution zum Schutz der Zivilbevölkerung NATO-geführte Luftangriffe gegen Regierungseinheiten statt. Wenige Tage nach der Tötung des bisherigen Machthabers Muammar al-Ghaddafi am 20. Oktober endete der Krieg nach etwa acht Monaten Dauer.

In der Côte d’Ivoire hatte Amtsinhaber Laurent Gbagbo Ende November 2010 die Präsidentschaftswahl verloren, sich jedoch geweigert abzutreten. In den folgenden Monaten starben über 200 Anhänger des Wahlsiegers Alassane Ouattara durch die Gewalt von Polizei und Militär. Ende Februar wurde schließlich der seit sechs Jahren bestehende Waffenstillstand zwischen den beiden Konfliktparteien gebrochen. Mitte April wurde Gbagbo schließlich – mit Unterstützung der UN-Mission ONUCI – von den Rebellen gefangen genommen und der Krieg wenige Tage später beendet.

Dagegen dauert der dritte neue Krieg des Jahres 2011 weiterhin an. Einige Wochen vor der offiziellen Unabhängigkeit des Südsudan am 9. Juli eskalierten Auseinandersetzungen zwischen Sudan und Kämpfern der ehemaligen südsudanesischen Rebellenbewegung Sudan People’s Liberation Army (SPLA) beziehungsweise Sicherheitskräften des Südsudan zunächst in der Provinz Abyei. Während beide Seiten hier einige Einigung erzielen konnten, dauerten die Auseinandersetzungen zwischen sudanesischen Soldaten und Kämpfern der SPLA-North in den beiden Provinzen Südkordofan und Blauer Nil an und intensivierten sich im Laufe des Jahres.

Im Jemen wurden Proteste wie in vielen anderen arabischen Ländern zunächst mit Gewalt durch Polizei und Militär unterdrückt. Im Mai und noch einige weitere Male im Laufe des Jahres griffen jedoch Kämpfer verschiedener Stämme sowie abtrünnige Teile des Militärs gegen die Regierung ein, sodass sich ein bewaffneter Konflikt entwickelte. Offen bleibt, ob der nach schwierigen Verhandlungen erreichte schrittweise Rückzug von Präsident Ali Saleh den Konflikt befrieden wird.

Anfang Februar fanden Kämpfe zwischen Truppen Thailands und Kambodschas in einem strittigen Grenzgebiet um den zum Weltkulturerbe zählenden Hindu-Tempel Preah Vihear statt. Nachdem zunächst ein Waffenstillstand geschlossen wurde, ereigneten sich neue Kämpfe Ende April/Anfang Mai in einem 150 Kilometer entfernten Grenzgebiet. Obwohl Thailand eine internationale Beobachtung ablehnte, konnte auch diese zweite Phase der Kämpfe nach einigen Tagen beendet werden.

Der letzte neue bewaffnete Konflikt ist in Burundi eskaliert. Nachdem der Krieg von 1993-2006 beendet wurde, regierte der aus der stärksten Rebellenbewegung stammende Präsident zunehmend autokratisch. In diesem Jahr kam es wiederholt zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen nicht eindeutig identifizierbaren Gruppen und staatlichen Sicherheitskräften.

Regionale Verteilung

Aufgrund der Veränderungen gegenüber dem Vorjahr war Afrika mit 13 kriegerischen Konflikten die 2011 von organisierten Kämpfen zahlenmäßig am stärksten betroffene Weltregion. Dahinter folgten Asien und der Vordere und Mittlere Orient mit jeweils 11 kriegerischen Konflikten. In Lateinamerika war ein Krieg zu verzeichnen.

Kriegerische Konflikte in Afrika

In Afrika wurden im Vorjahr ein bewaffneter Konflikt beendet und drei neu begonnen. Damit wurden 2011 in Afrika 13 kriegerische Auseinandersetzungen geführt, davon neun Kriege und vier bewaffnete Konflikte.

In Somalia gelang es der von einer Truppe der Afrikanischen Union (AU) unterstützten Übergangsregierung in mehreren Offensiven die islamistischen Rebellen der Al-Shabaab aus Teilen der Hauptstadt Mogadischu zurückzudrängen. An einer weiteren Militäraktion gegen die Rebellen im Süden des Landes beteiligten sich erstmals auch Truppen des Nachbarlands Kenia. Im Sommer war die Lage in Somalia darüber hinaus durch eine schwere Hungersnot gekennzeichnet. Nahrungsmittellieferungen konnten wegen des Krieges nicht in alle Teile des Landes gebracht werden, insbesondere nicht in von den Rebellen kontrollierte Gebiete.

Im benachbarten Äthiopien blieb die an Somalia grenzende und von ethnischen Somalis bewohnte Ogaden-Region umkämpft. Über die Intensität der Kämpfe zwischen den Rebellen der Ogaden National Liberation Front (ONLF) und der äthiopischen Armee herrscht aufgrund einer massiven Informationsblockade seitens der Regierung wenig Klarheit. Unter anderem wurden zwei schwedische Journalisten, die im Kriegsgebiet recherchierten, wegen Unterstützung von Terrorismus angeklagt. Beendet wurde der Konflikt jedenfalls trotz einer Spaltung der Rebellen bislang nicht.

Im Osten der Demokratischen Republik Kongo werden weiter große Gebiete von den Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (FDLR) kontrolliert, die aus Milizen hervorgegangen sind, die für den Völkermord in Ruanda von 1994 verantwortlich waren. Von Kämpfen betroffen waren auch 2011 die beiden Provinzen Nord- und Südkivu, aus denen auch Massevergewaltigungen gemeldet wurden.

Auf dem Gebiet der Demokratischen Republik Kongo ebenso wie in der Zentralafrikanischen Republik und dem Südsudan kämpft die ugandische Armee in Zusammenarbeit mit den Streitkräften der betroffenen Staaten gegen die Lord’s Resistance Army (LRA). Der 1995 begonnene Krieg gegen die LRA wurde 2006 vorübergehend beendet und die Rebellen zogen sich für Friedensverhandlungen in Lager im Kongo und Südsudan zurück. Allerdings eskalierte der Krieg im Dezember 2008 erneut, kehrte allerdings nicht wieder nach Uganda zurück, sondern wird seither ausschließlich auf fremden Territorium ausgetragen. Mitte Oktober 2011 boten die USA an, sich mit etwa 100 Soldaten an der Verfolgung von LRA-Kämpfern zu beteiligen.

Der Krieg in der Zentralafrikanischen Republik dauerte auch 2011 noch an. Zwar hatten die meisten der ursprünglichen Rebellen im Dezember 2008 ein Friedensabkommen mit der Regierung geschlossen. Doch das Auftauchen neuer Gruppierungen erwies sich als Hindernis für die Beendigung des Krieges. Aktiv blieb die Convention des Patriotes pour la Justice et la Paix (CJCP), mit der schließlich Mitte 2011 ebenfalls ein Waffenstillstand geschlossen werden konnte. Ob dieser sich als dauerhaft erweist oder aber neue Gruppen in Erscheinung treten werden, bleibt abzuwarten.

Der Sudan konnte im Gegensatz zum Tschad nicht von einer Übereinkunft zur Beendigung der Unterstützung von Rebellengruppen im jeweils anderen Land profitieren. Die Kämpfe in der Region Darfur vor allem mit Rebellen der Justice and Equality Movement (JEM) dauerten das ganze Jahr über an, auch wenn im Verlauf des Jahres 2011 ein Nachlassen der Intensität festzustellen war. Neben Darfur entwickelte sich in den beiden südlichen Provinzen Südkordofan und Blauer Nil nach der Unabhängigkeit des Südsudan noch ein zweiter Kriegsschauplatz im Sudan.

Im Südsudan eskalierte bereits 2010, also ein Jahr von der Unabhängigkeit, ein bewaffneter Konflikt. Gegen die von ehemaligen SPLA-Kämpfern gebildete Regierung rebellierten gleich mehrere ehemalige SPLA-Generäle. Daraus ging 2011 unter anderem die South Sudan Liberation Army (SSLA) hervor. Diese Spaltung der SPLA war 2011 nicht der einzige gewaltsam ausgetragene Konflikt im Südsudan. Lokale Konflikte mit zum Teil hohen Opferzahlen bildeten eine weitere Herausforderung für den noch jungen Staat.

Im Norden Nigerias hatte im Juli 2009 ein nur einwöchiger Krieg gegen die islamistische Gruppe Boko Haram mit einem militärischen Sieg der Regierungstruppen geendet. Im September 2010 gelang dann etwa 150 Rebellen die Flucht aus einem Gefängnis.[3] Spätestens seit Mai 2011 intensivierten sich die Kämpfe soweit, dass erneut von einem Krieg gesprochen werden muss. Dabei weitete sich der Aktionsradius der Rebellengruppe auch auf andere Landesteile aus. Darüber hinaus verübte Boko Haram zwei spektakuläre Anschläge in der Hauptstadt Abuja, im Juni auf das Hauptquartier der Polizei und Ende August auf Einrichtungen der UN. Ein zweites Krisengebiet in Nigeria blieb das Nigerdelta. Nachdem das Militär Ende 2010 noch eine größere Offensive durchführte, wurden 2011 keine größeren Auseinandersetzungen berichtet. Ähnlich wie im Südsudan ereigneten sich auch in Nigeria andere Gewaltkonflikte mit vielen Todesopfern.

Im Senegal hatte 2011 eine Beruhigung des Konflikts mit den nach Unabhängigkeit strebenden Rebellen der Mouvement des Forces Démocratiques de la Casamance (MFDC) Bestand. Trotzdem ereigneten sich wie im Vorjahr mehrere, wenn auch kleinere Zusammenstöße.

Neu eskaliert ist 2011 ein Krieg in der Côte d’Ivoire. Hier standen sich Anhänger des Siegers der Präsidentenwahl aus dem Vorjahr und seines abgewählten aber nicht zum Rücktritt bereiten Amtsvorgängers gegenüber.

Ebenfalls neu zu verzeichnen war 2011 ein bewaffneter Konflikt in Burundi. Hier blieb zum Teil unklar, welche Gruppe oder Gruppen für mehrere bewaffnete Aktionen gegen Polizei und Militär verantwortlich waren.

Kriegerische Konflikte in Asien

In Asien war im Vergleich zum Vorjahr ein zusätzlicher bewaffneter Konflikt zu verzeichnen. Damit wurden 2011 in Asien elf kriegerische Auseinandersetzungen, davon sieben Kriege und vier bewaffnete Konflikte, geführt.

Indien blieb das Land mit den meisten kriegerischen Auseinandersetzungen weltweit. Im Jahr 2011 wurden dort noch zwei Kriege und zwei bewaffnete Konflikte ausgetragen. Zum bedeutendsten Krieg in Indien entwickelten sich in den letzten Jahren die Auseinandersetzungen mit den als Naxaliten bezeichneten maoistischen Rebellen. Diese waren 2011 in 7 der 28 Unionsstaaten Indiens aktiv, vor allem in Chhattisgarh und Jharkhand. Im Vergleich zum Vorjahr ging die Gewalt aber deutlich zurück. Trotzdem wurden in diesem Krieg 2011 bislang fast 600 Menschen getötet. Der nicht zuletzt wegen seiner Verbindung zum indisch-pakistanischen Konflikt bekannteste unter den Kriegen in Indien ist der Kaschmirkrieg. Mittlerweile wird das Kriegsgeschehen von Gruppen wie der Lashkar e-Toiba dominiert, deren Mitglieder im Wesentlichen nicht mehr aus Kaschmir selbst stammen, sondern sich zu einem nicht geringen Teil aus ausländischen, in Afghanistan oder Pakistan ausgebildeten Kämpfern zusammensetzen. Trotz dieser Brisanz hat sich der Konflikt in den letzten Jahren stetig abgeschwächt. Im Vergleich zum Vorjahr an Intensität verloren haben ebenfalls die gewaltsamen Auseinandersetzungen im Nordosten Indiens. Sowohl in Assam als auch in Manipur sind die Kampfhandlungen 2011 nur noch als bewaffnete Konflikte und nicht mehr als Kriege einzustufen.[4]

Auch Indiens Nachbarland Pakistan verzeichnete 2011 weiterhin mehr als nur einen kriegerischen Konflikt. Zum in mehrerer Hinsicht bedeutendsten Krieg in Asien haben sich in den letzten Jahren die Auseinandersetzungen in den Grenzregionen zu Afghanistan entwickelt. Dabei kämpfen mehrere Gruppen, die unter dem Namen Taliban zusammengefasst werden, gegen pakistanische Sicherheitskräfte. Die Kämpfe haben 2011 bislang nahezu 6.000 Menschen das Leben gekostet. Neben den Taliban sind in der Provinz Belutschistan auch noch mehrere Rebellengruppen aktiv, die keine islamistischen Ziele verfolgen, sondern für die Unabhängigkeit Belutschistans kämpfen und damit einen zweiten kriegerischen Konflikt in Pakistan begründen.

Ebenfalls zwei kriegerische Konflikte waren auch 2011 noch auf den Philippinen zu verzeichnen. Diese beiden Kriege begannen jeweils bereits 1970. Im Süden des Landes kämpfen Rebellen der philippinischen Muslime für mehr Autonomie der Region Mindanao. Die Moro Islamic Liberation Front (MILF) als größte Rebellengruppe führte bis August Friedensverhandlungen mit der Regierung. Kompliziert wird eine Lösung dieses Konflikts allerdings dadurch, dass ein Großteil der MILF-Kämpfer sich der Kontrolle ihrer Führung entzogen hat. So spaltete sich 2011 eine Gruppe unter dem Namen Bangsamoro Islamic Freedom Fighters (BIFF) von der MILF ab. Weiterhin aktiv blieb darüber hinaus die islamistische Abu Sayyaf. Im zweiten Krieg ist die New People’s Army (NPA) als militärischer Arm der Communist Party of the Philippines (CPP) aktiv. Lediglich während Gesprächen zwischen den kommunistischen Rebellen und der Regierung im Februar wurde ein Waffenstillstand eingehalten.

Die bewaffneten Auseinandersetzungen in Myanmar, dem früheren Birma, begannen bereits 1948. Der Konflikt eskalierte nach einer kurzen Phase des Rückgangs der Kampfhandlungen 2003 erneut zum Krieg. Diverse Rebellenbewegungen ethnischer Gruppen kämpfen dabei für die Unabhängigkeit. Die drei aktuell wichtigsten Gruppen sind die Karen National Union (KNU), die Shan State Army – South (SSA-S) und die Kachin Independence Organization (KIO). Wie auch in den Vorjahren fand dieser weltweit am längsten andauernde kriegerische Konflikt weniger Beachtung als die allgemeine Menschenrechtslage in Myanmar. Ob die zuletzt positiven Signale in dieser Beziehung auch eine Beendigung des Krieges in den östlichen Regionen des Landes ermöglichen, lässt sich derzeit aber noch nicht abschätzen.

In Thailand streben muslimische Rebellen die Unabhängigkeit des Südens des Landes an. Neben – eher seltenen – offenen Kampfhandlungen verübten die Rebellen vor allem Bombenanschläge und Überfälle auf ziviles staatliches Personal. Nach einem Rückgang im Vorjahr war 2011 ein Wiederanstieg der Zahl der Gewalthandlungen zu verzeichnen, sodass die Regierung dem Militär im Oktober größere Machtbefugnisse bei der Bekämpfung des Aufstands einräumte. Neben diesem innerstaatlichen Krieg eskalierten Grenzstreitigkeiten zeitweise auch zu einem bewaffneten Konflikt mit dem Nachbarland Kambodscha.

Kriegerische Konflikte im VMO

Im Vorderen und Mittleren Orient (VMO) wurde im Vorjahr ein Krieg beendet. Dafür begannen in diesem Jahr zwei kriegerische Auseinandersetzungen neu. Damit wurden 2011 im VMO elf kriegerische Auseinandersetzungen, davon acht Kriege und drei bewaffnete Konflikt, geführt.

Von allen Kriegen im VMO erhielt der in Libyen 2011 die größte Aufmerksamkeit. Hier eskalierten die Proteste, die auch in vielen anderen arabischen Staaten zu beobachten waren, schnell zu einem Bürgerkrieg, in dem NATO-geführte Luftangriffe de facto die Rebellen beim Sturz Muammar al-Ghaddafis unterstützten.

Der Krieg in Afghanistan stand 2011 vor allem auch im Zeichen von für die nächsten Jahre angekündigten Truppenabzügen der International Security Assistance Force (ISAF). Die Zahl der getöteten Zivilisten stieg gegenüber dem Vorjahr nochmals an. Für den Krieg ohne direkte Folgen blieb die Tötung des Al-Qaida-Führers Osama bin Laden durch US-Soldaten am 2. Mai in Pakistan. Allerdings verschlechterte sich das Verhältnis der USA zu dem für eine Konfliktlösung nicht unwichtigen Pakistan im Laufe des Jahres soweit, dass Pakistan seine Teilnahme an der Afghanistan-Konferenz im Dezember in Deutschland absagte.

Im Irak bestand zwischen den politischen Parteien Uneinigkeit über den Verbleib der immer noch 50.000 US-Soldaten im Land über das Jahresende hinaus. Diese sollen nach dem Abzug der eigentlichen Kampftruppen im Vorjahr die irakische Regierung und die Sicherheitskräfte beraten und unterstützen. Ansonsten hielt die Gewalt im Land an. Bei Selbstmordanschlägen und bewaffneten Auseinandersetzungen starben mehrere Hundert Menschen.

Ein weiterer Konflikt im Vorderen und Mittleren Orient, der traditionell größere Aufmerksamkeit erhält, ist der Krieg zwischen Israel und verschiedenen palästinensischen Gruppen. In diesem war – nach einem Rückgang im Vorjahr – wieder ein Anstieg gewaltsamer Auseinandersetzungen zu verzeichnen. Regelmäßige Angriffe mit Raketen aus dem Gazastreifen beantwortete die israelische Armee mehrfach mit Vergeltungsaktionen.

In Algerien ging die Zahl der Anschläge und bewaffneten Zusammenstöße zwischen den islamistischen Rebellen der Al-Qaïda au Maghreb Islamique (AQMI) und staatlichen Sicherheitskräften zurück. Allerdings setzte sich die Vergrößerung des Operationsgebiets der AQMI fort. Zusammenstöße mit Sicherheitskräften sowie Anschläge und Entführungen seitens der AQMI fanden 2011 verstärkt auch in Mauretanien, Mali und Niger statt.

Der Krieg in den nordkaukasischen Republiken der Russischen Föderation ist weiter eskaliert. Die Gewalt in der gesamten Region, in der islamistische Rebellen für ein Kaukasisches Emirat kämpfen, nahm 2011 zu und dehnte sich auch geografisch weiter aus, sodass neben Dagestan, Inguschetien und Tschetschenien auch Kabardino-Balkarien verstärkt von dem Konflikt betroffen wurde. Das spektakulärste Ereignis fand jedoch im Januar auf dem Moskauer Flughafen Domodedovo statt. Bei einem Selbstmordanschlag starben fast 40 Menschen und etwa 180 wurden verletzt.

Im Krieg zwischen der Partiya Karkeren Kurdistan (PKK) kam es weiter zu Kämpfen zwischen PKK-Kämpfern und Regierungstruppen. Auch griff das türkische Militär im Laufe des Jahres wiederholt PKK-Basen im Nordirak an. Der schwerste Angriff der PKK seit 1992 erfolgte Mitte Oktober: 200 PKK-Kämpfer griffen einen türkischen Militärposten nahe der Grenze zum Irak an und töteten dabei 26 Soldaten. Darauf reagierten die türkischen Streitkräfte nicht nur mit Luftangriffen auf PKK-Stützpunkte im Irak, sondern drangen auch mit 600 Soldaten auf irakisches Territorium vor.

Weniger bekannt als der Kurdenkonflikt in der Türkei ist der im Iran. Hier fanden auch 2011 nach einige Zusammenstöße zwischen Rebellen der eng mit der PKK zusammenarbeitenden Partiya Jiyana Azada Kurdistanê (PJAK) und iranischen Sicherheitskräften im Grenzgebiet zum Irak statt.[5]

Der im Vorjahr im Jemen eskalierte Krieg mit der Al-Qaida in the Arabian Peninsula (AQAP) dauerte an. Jemen diente bereits seit längerem als Rückzugsgebiet für Al-Qaida-Mitglieder – insbesondere nachdem die Gruppe im benachbarten Saudi-Arabien 2006 weitgehend zerschlagen wurde. 2011 gelang es AQAP-Kämpfern zeitweise die Kontrolle in verschiedenen Gebieten vor allem im Süden und Osten des Landes zu erlangen. Neben diesem Krieg eskalierten die Proteste gegen die Regierung in der Hauptstadt Sanaa durch das Eingreifen von Stammesmilizen und eine Spaltung des Militärs zu einem bewaffneten Konflikt.

In Tadschikistan war im September 2010 im Distrikt Rascht ein Militärkonvoi überfallen worden. Die Regierung machte dafür ehemalige Angehörige der United Tajik Opposition (UTO) verantwortlich. Diese Rebellengruppe war von 1992 bis 1998 aktiv gewesen. Als Reaktion auf den Angriff gestartete Militäroperationen in dem betroffenen Gebiet fanden bis Mitte 2011 statt.

Kriegerische Konflikte in Lateinamerika

In Lateinamerika war 2011 nach der Beendigung eines bewaffneten Konflikts nur noch ein Krieg zu verzeichnen.

Obwohl die Guerilla in Kolumbien in den letzten Jahren geschwächt wurde, dauerte der Krieg zwischen der Regierung, paramilitärischen Gruppen und den Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) an. Das bedeutendste Ereignis des Jahres 2011 war die Tötung des Rebellenführers Guillermo León Sáenz alias Alfonso Cano Anfang November. Da dies nicht der erste Verlust eines führenden Rebellenkommandanten in den letzten Jahren ist, bleibt allerdings fraglich, wie sich dies auf den weiteren Verlauf des Konflikts auswirken wird.

Weitere Gewaltkonflikte

Auch 2011 war eine ganze Reihe von gewaltsam ausgetragenen Konflikten zu beobachten, die nicht unter die Definitionen von Krieg und bewaffnetem Konflikte fallen. Die folgenden Beispiele sind rein exemplarisch zu verstehen und erheben insbesondere keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

An erster Stelle zu nennen ist dabei die vor allem auch gewaltsame Unterdrückung der Proteste in fast allen arabischen Staaten. Die meisten Todesopfer – abgesehen von dem Krieg in Libyen – gab es dabei in Syrien, wo die Gewalt auf hohem Niveau andauert. Ebenfalls mehrere Hundert der Protestierenden wurden in Ägypten und Tunesien getötet, bevor die jeweiligen Präsidenten abdanken mussten.

In Nigeria soll Gewalt nach den Präsidentschaftswahlen Mitte April vor allem im Norden des Landes über 500 Menschen das Leben gekostet haben. Wie in den letzten Jahren waren vor allem in der Stadt Jos in Zentralnigeria auch 2011 wieder Gewaltakte von Christen gegenüber Muslimen und umgekehrt zu beobachten, denen 200 Menschen zum Opfer fielen.

Im Südsudan sollen allein Mitte August bei lokalen Auseinandersetzungen um Vieh in der Provinz Jonglei über 600 Menschen getötet worden sein.

Dauerhaft von Gewalt geprägt blieben weiterhin die von Drogenbanden beherrschten Gebiete in Mexiko.

Anmerkungen

* Dieser Überblick basiert im Wesentlichen auf Informationen von AKUF-Mitgliedern, die an dieser Stelle nicht alle genannt werden können. Sie wirken als Autorinnen und Autoren an dem Jahrbuch „Das Kriegsgeschehen 2011“ mit und werden dort namentlich mit ihren Beiträgen zu einzelnen Konflikten genannt werden.

[1] Bewaffnete Konflikte werden von der AKUF erst seit 1993 erfasst. Von daher sind Aussagen über die Entwicklung der Gesamtzahl von Kriegen und bewaffneten Konflikten auch erst seitdem möglich. Die AKUF-Definition der beiden Begriffe findet sich auf S. 8. Der Begriff „kriegerischer Konflikt“ dient hier als Oberbegriff beider Phänomene.

[2] Die im Vorjahr genannten Zahlen (vgl. AKUF Analysen Nr. 9) mussten in der endgültigen Betrachtung des Jahres 2010 leicht korrigiert werden. Ein Konflikt eskalierte erst gegen Ende des Jahres, zwei weitere wurden nicht mehr als Kriege, sondern lediglich als bewaffnete Konflikte eingestuft.

[3] Danach wurde die Gruppe wieder soweit aktiv, dass die Auseinandersetzungen nachträglich für 2010 als bewaffneter Konflikt eingestuft wurden.

[4] Der Konflikt in Assam wurde dabei nachträglich bereits für 2010 nicht mehr als Krieg sondern als bewaffneter Konflikt eingestuft.

[5] Der Konflikt zwischen der PJAK und Iran wurde dabei nachträglich bereits für 2010 nicht mehr als Krieg sondern als bewaffneter Konflikt eingestuft.

Das Buch zum Thema:

Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF): Das Kriegsgeschehen 2011. Daten und Tendenzen der Kriege und bewaffneten Konflikte, hrsg. von Wolfgang Schreiber.
Wiesbaden: VS-Verlag 2012 (in Vorbereitung)




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