Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Mit SAR-Lupe in neue Dimensionen

Deutschland und die EU beteiligen sich an der Militarisierung des Weltraums

Im Folgenden dokumentieren wir drei Artikel, die sich mit dem Start eines deutschen Spionagesatelliten in den Weltraum und den damit zusammen hängenden Problemen einer weiteren Aufrüstung im All befassen. Grundlage für den zweiten Beitrag ist eine Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag, die hier im Original dokumentiert ist: "Der erste deutsche Militärspionagesatellit startet von Russland aus in den Weltraum".
Den Anfang machen aber zwei aktuelle Agenturmeldungen über den erfolgreichen Start der Rakete und das Erreichen der Umlaufbahn.



Deutscher Satellit SAR-Lupe erreicht seine Umlaufbahn

Der erste deutsche Aufklärungssatellit des SAR-Lupe-Systems wurde erfolgreich in seiner Umlaufbahn ausgesetzt. Die russische Cosmos 3M-Trägerrakete startete planmäßig um 15.00.19 Uhr MEZ vom russischen Weltraumbahnhof Plesetsk südlich von Archangelsk und hat den ersten von insgesamt fünf Radarsatelliten planmäßig eine halbe Stunde später in seinen erdnahen Orbit in ca. 500 km Höhe gebracht.
Der erste Kontakt zwischen Kontrollzentrum und Satellit kam um 16.04 Uhr MEZ zustande. Eine erste Überprüfung aller wichtigen Funktionen zeigte nach Unternehmensangaben, dass die Inbetriebnahme des Satelliten beginnen kann. Die Satellitenkontrolle liegt derzeit in Händen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt DLR in Oberpfaffenhofen. Die Bodenstation der Bundeswehr in Gelsdorf verfolgt den Satelliten parallel und übernimmt den Betrieb Mitte Januar. Von dort wird das Radarsystem zur Aufnahme von SAR-Bildern in Betrieb genommen.

Firmenmeldung: Zit. n. GSC Research, 19. Dezember 2006 (www.gsc-research.de)

Russland schießt deutschen Aufklärungssatelliten SAR-Lupe ins All

MOSKAU, 19. Dezember (RIA Novosti). Ein deutscher Aufklärungssatellit ist am Dienstag mit einer russischen Trägerrakete vom Typ Kosmos-3M vom nördlichen Weltraumbahnhof Plessezk gestartet, teilte der Sprecher der russischen Weltraumtruppen, Alexej Kusnezow, Journalisten mit. Die Rakete mit dem Raumapparat SAR-Lupe an Bord sei plangemäß um 15.00 Uhr MEZ abgehoben, sagte Kusnezow. Russland starte erstmals einen Satelliten im Auftrag des deutschen Bundesverteidigungsministeriums, teilte er mit.
2003 hatte der russische Rüstungsexporteur Rosoboronexport am Rande der Luftschau MAKS in Schukowski (bei Moskau) mit der COSMOS International Satellitenstart GmbH einen Vertrag abgeschlossen, wonach Russland bis 2009 insgesamt fünf SAR-Lupe-Satelliten ins All starten soll.
Kosmos-3M ist eine leichte zweistufige Trägerrakete, die Satelliten in niedrige, mittlere und hohe Umlaufbahnen bringen kann. Sie wurde in der Produktionsvereinigung Poljot (Omsk) gebaut. Bei einer Startmasse von 109 Tonnen kann die Rakete bis zu 1 500 Kilogramm schwere Fracht ins All bringen. Zum ersten Mal war eine Kosmos-3M-Rakete 1967 gestartet worden. Seit 1971 steht sie im Dienst der russischen Weltraumtruppen.

Aus: RIA Novosti, 19. Dezember 2006 (http://de.rian.ru)



733 Millionen ins All gejagt

»Krisenmanagement auf qualitativ neuer Stufe«: Bundeswehr ließ eigenes Weltraum-Spionagesystem entwickeln

Von Frank Brendle


Die Bundeswehr erobert den Weltraum: Gestern nachmittag wurde im russischen Plesezk der erste deutsche Spionagesatellit des SAR-Lupe-Systems gestartet. Vier weitere sollen bis zum Jahr 2008 folgen. Die Bundeswehr kann damit bei der Planung ihrer Einsätze erstmals auf eigene Aufklärungsbilder zurückgreifen. Die Bewegungen gegnerischer Truppen können auf diese Weise ebenso wie die von Flüchtlingsströmen wesentlich schneller und zuverlässiger erfaßt und zur Grundlage deutscher Kriegführung gemacht werden.

733 Millionen Euro hat die Bundeswehr für das Produkt lockergemacht. Die Herstellerfirma »Orbitale Hochtechnologie AG« (OHB) aus Bremen preist die Ware folgendermaßen an: »Für die Bundesregierung ist es unerläßlich, krisenhafte Entwicklungen weltweit frühzeitig zu erkennen und dabei einseitige Abhängigkeiten von Aufklärungsbildern Dritter zu vermeiden.« Während des Jugoslawien-Krieges war aus der Truppe Kritik vor allem an den USA laut geworden, die ihre Satellitenbilder verzögert und zum Teil zensiert zur Verfügung gestellt hatten.

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums bestätigte gestern gegenüber junge Welt, die Satelliten höben die »Fähigkeiten der Bundeswehr zum Krisenmanagement auf eine qualitativ neue Stufe«. Unter »Krisenmanagement« versteht die Bundeswehr aktive Kriegführung.

Das SAR-Lupe-System basiert auf Radartechnologie, so daß es im Unterschied zu optischen Satelliten auch bei schlechtem Wetter und während der Nacht gegnerische Gebiete ausspionieren kann. Die fünf Satelliten sollen auf drei verschiedenen Umlaufbahnen in 500 Kilometer Höhe um den Globus kreisen. So sollen von jedem Ort der Welt innerhalb von höchstens 36 Stunden hochaufgelöste Bilder geliefert werden können, auf denen Gegenstände von weniger als einem Meter Länge zu erkennen sind.

Langfristig soll es nicht bei einem deutschen Alleingang bleiben: Die Kooperation mit dem französischen Helios-II-Satellitensystem ist fest eingeplant. Bei der französischen Variante handelt es sich um ein optisches System. SAR-Lupe und Helios II sollen sich zu einem eigenständigen europäischen Aufklärungsverbund ergänzen, der ernsthaft mit den US-amerikanischen Fähigkeiten konkurrieren kann. Die Europäische Union wäre damit auf ihrem Weg zur eigenständigen Militärmacht einen entscheidenden Schritt weiter.

»Damit wird der Einstieg in die EU-Weltraumrüstung unter deutsch-französischer Führung vollzogen«, kritisierten gestern Lühr Henken und Peter Strutynski vom Bundesausschuß Friedensratschlag. Andere Länder müßten sich nun ernsthaft von der EU bedroht fühlen und könnten sich zu Gegenmaßnahmen veranlaßt sehen. »Militärische Satelliten werden Weltraumwaffen nach sich ziehen«, heißt es in der Erklärung des Friedensbündnisses, das eine Entmilitarisierung des Satellitensystems fordert: SAR-Lupe müsse der Kontrolle des Militärs entrissen, der internationalen Gemeinschaft zugänglich gemacht und zivilen Zwecken wie der Umweltforschung gewidmet werden.

* Aus: junge Welt, 20. Dezember 2006


"SAR-Lupe"

Deutschland soll wegen Weltraumrüstung gegen UN-Resolution verstoßen

20. Dez. 2006

Nach Darstellung des Bundesausschusses Friedensratschlag steigt Deutschland mit dem Start des ersten von fünf Satelliten des Radarsatellitensystems "SAR-Lupe" im russischen Plesetsk in die "militärische Nutzung des Weltraums" ein. Damit verstoße Deutschland gegen eine UN-Resolution. Die Ausrichtung der deutschen Außenpolitik auf eine "weltweite militärische Einsatz- und Angriffsfähigkeit" erhalte durch eine "permanente und gezielte Bodenbeobachtung" aus dem Weltraum neue Schubkraft. Federführend bei der Herstellung des Satellitensystems sei die Bremer Firma "Orbitale Hochtechnologie AG" (OHB), die mit zwei Mitgliedern in der Arbeitsgruppe Luft- und Raumfahrt des Deutsch-Russischen Kooperationsrates vertreten sei. Das Satellitensystem SAR-Lupe sei samt Bodenstation im rheinland-pfälzischen Grafschaft-Gelsdorf auf einen 10 Jahre langen nationalen Betrieb ausgelegt. Gezielt könne binnen eineinhalb Tagen jeder Ort auf der Erde mit dieser licht- und wetterunabhängigen Radartechnik "ausspioniert" werden.

Objekte von einem halben Meter Größe würden so aus dem All identifizierbar. Die Technologie mit Kosten von 733 Millionen Euro sei so ausgereift, dass ihre Bilder mit denen der USA vergleichbar würden und im Tausch angeboten werden könnten. Deutschland werde damit zum Global Player in diesem Bereich, so die Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Lühr Henken und Peter Strutynski.

Nach dem Start der anderen vier Satelliten in Abständen von vier bis sechs Monaten solle SAR-Lupe 2008 voll funktionsfähig sein und in drei Jahren mit dem optischen und auf Infrarotbasis arbeitenden französischen Helios-II- Satelliten verkoppelt werden. Dies wiederum werde von offizieller Seite als erster Schritt hin zu einem europäischen Verbund von Aufklärungssatelliten betrachtet. Die OHB-System AG habe in einer Mitteilung vom 1. Dezember 2006 betont: "Die Nutzung der beiden Satellitensysteme im Verbund gilt als erster Meilenstein für eine europäische strategische Aufklärung."

Damit wird nach Auffassung von Henken und Strutynski "der Einstieg in die EU-Weltraumrüstung unter deutsch-französischer Führung" vollzogen. Der autonome Einsatz der schnellen Eingreiftruppen der EU und ihrer Speerspitze, den Battlegroups, werde effektiviert, "und zwar unabhängig von den USA". In der Produktbeschreibung des Herstellers heiße es über SAR-Lupe unmissverständlich: "Für die Bundesregierung ist es unerlässlich, krisenhafte Entwicklungen weltweit frühzeitig zu erkennen, und dabei einseitige Abhängigkeiten von Aufklärungsbildern Dritter zu vermeiden."

Die Länder der Welt müssen sich nun auch von der EU bedroht fühlen, so Henken und Strutynski. Sie vermuten, dass dies zu "Gegenmaßnahmen" führen werde, "die letztlich auch die Bekämpfung dieser Satelliten einbezieht". Dabei werde es nicht nur um die Störung von Satelliten, sondern auch um deren Zerstörung gehen. "Militärische Satelliten werden Weltraumwaffen nach sich ziehen. Die logische Konsequenz ist dann die Herstellung von Anti-Satelliten-Waffen und Anti-Anti-Satellitenwaffen usw.", so Henken und Strutynski.

UN-Generalversammlung: Verhütung eines Wettrüstens im Weltraum

Damit handeln Bundesregierung und EU Henken und Strutynski zufolge "eklatant gegen die Forderung der Generalversammlung der Vereinten Nationen", die in der Resolution A 51/123 "alle Staaten, insbesondere die führenden Raumfahrtnationen" nachdrücklich auffordert, "aktiv zu dem Ziel der Verhütung eines Wettrüstens im Weltraum beizutragen". Dieser Resolution mit dem Titel "Internationale Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung des Weltraums" vom 13. Dezember 1996 habe damals auch Deutschland zugestimmt.

In diesem Sinne fordert der Bundesausschuss Friedensratschlag, das SAR-Lupe-Projekt zu "entmilitarisieren". Die Aufklärungssatelliten sollten ausschließlich zivilen Zwecken dienen wie etwa der Umweltforschung oder der Verkehrsüberwachung. SAR-Lupe solle daher auch dem Geschäftsbereich des Bundesverteidigungsministeriums entzogen und der internationalen Gemeinschaft öffentlich zugänglich gemacht werden.

** Aus: Internetmagazin ngo-online.de, 20. Dezember 2006;
www.ngo-online.de



Zur Sache

BND bekommt fünf "Sputniks" geschenkt

Was ist Entspannungspolitik auf höchster Umlaufbahn? Russischen Raketen, die einst stinkgeheim nur eigene Spionagesatelliten in den Orbit beförderten, schießen nun deutsche Schnüffelmaschinen ins All. Am Dienstag startete eine Kosmos-3M den ersten deutschen Radarsatelliten aus der SARLupe- Serie. Vier weitere sollen in Abständen von wenigen Monaten folgen. Tageszeit- und wetterunabhängig können diese Flugkörper jeden Punkt der Erde per Radarwellen »abscannen«. Nicht umsonst trägt das System den Namen »Lupe«, denn seine Auflösung ist so exquisit, dass selbst USamerikanische Space-Spione respektvoll mit den Augen rollen.

Man sollte nicht vergessen, was als Auslöser der Systementwicklung herhalten musste: Es war der NATO-Überfall auf Jugoslawien. Deutschland hatte zwar einen »sehenden« Verteidigungsminister, doch was Scharping so vor Augen hatte, war alles andere als real. Das realistische Aufklärungsmonopol lag bei den US-Partnern. Die deutsche Regierung schickte also mehr oder weniger blind Bomberbesatzungen zum Morden über den Balkan. Die »Lupen« werden einiges an diesem Knappenverhältnis ändern. Denn fortan hat Deutschland Informationen, die man gegen andere eintauschen kann. Man ist global Mitglied im Verbund der Wissenden. Und zwar nicht nur im militärischen Bereich.

Bislang werden die Aufklärungsprioritäten der »Lupen« vom Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr bestimmt. Das ist der im rheinland-pfälzischen Ort Grafschaft-Gelsdorf angesiedelte, bislang kaum beachtete und daher völlig unkontrollierte vierte Geheimdienst Deutschlands. Demnächst, so ist geplant, wird das Zentrum für Nachrichtenwesen im Bundesnachrichtendienst (BND) aufgehen. Der bekommt also fünf »Sputniks« geschenkt. Das bietet ungeahnte Chancen, denn zur bisherigen Spezialität der Pullacher Behörde – das Abhören von Telefon- und Funkverbindungen – kommt nun ein wertvolles Wissens- und Handelsgut hinzu.

René Heilig

Aus: Neues Deutschland, 21. Dezember 2006


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