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Der erste deutsche Militärspionagesatellit startet von Russland aus in den Weltraum

Friedensbewegung befürchtet Rüstungswettlauf im All - "Verstoß gegen Resolution der UN-Generalversammlung"

Im Folgenden dokumentieren wir eine Presseerklärung des "Bundesausschusses Friedensratschlag" zum Start des ersten deutschen Militärspionagesatelliten am 19. Dezember 2006. Im Anhang dokumentieren wir eine Pressemitteilung der an dem Satellitenprojekt beteiligten Firma OHB-System AG vom 1. Dezember 2006.



"SAR-Lupe": Deutschland startet in die Weltraumrüstung

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
  • SAR-Lupe: Lupenreines Militärprojekt
  • Deutscher Einstieg in die EU-Weltraumrüstung
  • Neue Rüstungsspirale droht
  • Verstoß gegen Resolution der UN-Generalversammlung
  • Friedensbewegung fordert "Entmilitarisierung" des SAR-Lupe-Programms
Hamburg/Kassel, 19. Dezember 2006 - Anlässlich des Starts des ersten deutschen Militärspionagesatelliten am 19. Dezember 2006 erklären die Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag Lühr Henken (Hamburg) und Peter Strutynski (Kassel):

Mit dem Start des ersten von fünf Satelliten des Radarsatellitensystems SAR-Lupe im russischen Plesetsk am heutigen Dienstag steigt Deutschland in die militärische Nutzung des Weltraums ein. Die Ausrichtung der deutschen Außenpolitik auf eine weltweite militärische Einsatz- und Angriffsfähigkeit erhält durch eine permanente und gezielte Bodenbeobachtung aus dem Weltraum neue Schubkraft. Federführend bei der Herstellung des Satellitensystems ist die Bremer Firma "Orbitale Hochtechnologie AG" (OHB), die mit zwei Mitgliedern in der Arbeitsgruppe Luft- und Raumfahrt des Deutsch-Russischen Kooperationsrates vertreten ist. Das Satellitensystem SAR-Lupe ist samt Bodenstation im rheinland-pfälzischen Grafschaft-Gelsdorf auf einen 10 Jahre langen nationalen Betrieb ausgelegt. Gezielt kann binnen eineinhalb Tagen jeder Ort auf der Erde mit dieser licht- und wetterunabhängigen Radartechnik ausspioniert werden. Objekte von einem halben Meter Größe werden so aus dem All identifizierbar. Die Technologie (Kosten 733 Mio. Euro) ist so ausgereift, dass ihre Bilder mit denen der USA vergleichbar werden und im Tausch angeboten werden können. Deutschland wird damit zum Global Player.

Nach dem Start der anderen vier Satelliten in Abständen von vier bis sechs Monaten soll SAR-Lupe 2008 voll funktionsfähig sein und in drei Jahren mit dem optischen und auf Infrarotbasis arbeitenden französischen Helios-II- Satelliten verkoppelt werden. Dies wiederum wird von offizieller Seite als erster Schritt hin zu einem europäischen Verbund von Aufklärungssatelliten betrachtet. OHB-System AG betonte in einer Mitteilung vom 1. Dezember 2006: "Die Nutzung der beiden Satellitensysteme im Verbund gilt als erster Meilenstein für eine europäische strategische Aufklärung."

Damit wird der Einstieg in die EU-Weltraumrüstung unter deutsch-französischer Führung vollzogen. Der autonome Einsatz der schnellen Eingreiftruppen der EU und ihrer Speerspitze, den Battlegroups, wird effektiviert, und zwar unabhängig von den USA. In der Produktbeschreibung des Herstellers heißt es über SAR-Lupe unmissverständlich: "Für die Bundesregierung ist es unerlässlich, krisenhafte Entwicklungen weltweit frühzeitig zu erkennen, und dabei einseitige Abhängigkeiten von Aufklärungsbildern Dritter zu vermeiden."

Die Länder der Welt müssen sich nun auch von der EU bedroht fühlen. Dies wird zu Gegenmaßnahmen führen, die letztlich auch die Bekämpfung dieser Satelliten einbezieht. Dabei wird es nicht nur um die Störung von Satelliten, sondern auch um deren Zerstörung gehen. Militärische Satelliten werden Weltraumwaffen nach sich ziehen. Die logische Konsequenz ist dann die Herstellung von Anti-Satelliten-Waffen und Anti-Anti-Satellitenwaffen usw. – auch der Weltraum bliebe von Waffen nicht verschont.

Damit handeln Bundesregierung und EU eklatant gegen die Forderung der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die in einer Resolution (der damals auch Deutschland zustimmte) "alle Staaten, insbesondere die führenden Raumfahrtnationen (nachdrücklich auffordert), aktiv zu dem Ziel der Verhütung eines Wettrüstens im Weltraum beizutragen". (Res. A 51/123: "Internationale Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung des Weltraums" vom 13. Dezember 1996, Ziff. 33)

In diesem Sinn fordert die Friedensbewegung: Das SAR-Lupe-Projekt muss "entmilitarisiert werden". Dies heißt, dass Aufklärungssatelliten ausschließlich zivilen Zwecken dienen sollen (es gäbe viele Bereiche von der Umweltforschung bis zur Verkehrsüberwachung). SAR-Lupe muss demnach dem Geschäftsbereich des Bundesverteidigungsministeriums entzogen und der internationalen Gemeinschaft öffentlich zugänglich gemacht werden. Niemand in der Welt soll sich bedroht fühlen und zu "Gegenmaßnahmen" veranlasst werden.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Hamburg (Sprecher)
Peter Strutynski, Kassel (Sprecher)



D o k u m e n t a t i o n

Europäisierung des Aufklärungsverbundes wird realisiert

OHB-System erhält Auftrag über insgesamt 87 Mio. Euro zur Umsetzung des geplanten europäischen Aufklärungverbundes

Bremen, 01.12.2006

Das Bremer Raumfahrtunternehmen OHB-System AG wurde heute vom Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung BWB, Koblenz, damit beauftragt, die Europäisierung des satellitengestützen Aufklärungsverbundes zu realisieren. Der entsprechende Vertrag wurde im Hauptsitz des BWB in Koblenz von dessen Vizepräsident Harald Stein und Prof. Manfred Fuchs, Vorstandsvorsitzender der OHB-System AG, unterzeichnet.

Für ein Auftragsvolumen von insgesamt rund 87 Mio. Euro (zzgl. Umsatzsteuer) inklusive aller Optionen, das anteilig von Deutschland und Frankreich finanziert wird, schafft OHB-System die technischen Voraussetzungen, um Frankreich eine Mitnutzung des deutschen Radarsystems SAR-Lupe zu ermöglichen. Deutschland erhält im Gegenzug den Zugriff auf das optische System HELIOS II. Die Nutzung der beiden Satellitensysteme im Verbund gilt als erster Meilenstein für eine europäische strategische Aufklärung. Die Verteidigungsministerien von Frankreich und Deutschland hatten ein entsprechendes Abkommen im Rahmen eines deutsch-französischen Gipfeltreffens vor vier Jahren in Schwerin beschlossen.

Die OHB-System, die SAR-Lupe als Hauptauftragnehmer entwickelt und baut, hat bereits in den Vorstudien E-SGA und FSLGS das Konzept für den Systemverbund erarbeitet. E-SGA steht für „Europäisierung der satellitengestützten Aufklärung“ und FSLGS für „French SAR-Lupe Ground Segment“.

Genau bedeutet das: Deutschland erhält Zugriff auf das HELIOS II System, welches optische und infrarote Aufnahmen liefern kann. Im Gegenzug erhält Frankreich Zugriff auf das deutsche SAR-Lupe-System, welches unabhängig vom Wetter und der Tageszeit hochaufgelöste Radarbilder liefern wird. Um dieses Konzept zu realisieren, sind diverse Modifikationen am deutschen SAR-Lupe-Bodensegment notwendig. So werden Schnittstellen geschaffen, damit der Partner Frankreich Bilder der SAR-Lupe beauftragen und erhalten kann. Außerdem wird das System dahingehend erweitert, dass zukünftig auch weitere Partner eingebunden werden können.

Quelle: Pressemitteilung der OHB-System AG vom 1. Dezember 2006;
http://www.ohb-system.de/News/presse/0112_06.html





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