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SMS vom Verfassungsschutz

Immer häufiger orten deutsche Geheimdienste und Behörden die Handys von Verdächtigen

Von Fabian Lambeck *

Mit Hilfe sogenannter stiller SMS können Behörden den Standort von Handy-Besitzern ermitteln. Die Methode ist beliebt. Verfassungsschutz, BKA und Polizei setzen sie immer häufiger ein.

Eine SMS, weiß der Duden, ist ein »Kurznachrichtendienst, über den man Texte auf das Display des Empfängers schicken kann«. Auch deutsche Geheimdienste und Behörden verschicken SMS an Menschen, die sie überwachen. Allerdings bekommt der Empfänger davon nichts mit. Denn Verfassungsschutz, Zoll und Polizei nutzen sogenannte stille SMS. Diese verraten den ungefähren Aufenthaltsort und auch die Identität des Handybesitzers, selbst wenn dieser das Gerät ausgeschaltet hat. So lassen sich auch Bewegungsprofile erstellen. Diese diskrete Form der Überwachung wird bei den Behörden immer beliebter. Allein das Bundesamt für Verfassungsschutz verschickte im ersten Halbjahr 2014 fast 53 000 stille SMS. Das sind fast doppelt so viele wie in den ersten sechs Monaten des Jahres 2013. Die Zahlen ergeben sich aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion.

Auch beim Bundeskriminalamt (BKA) erfreut sich das klandestine Ortungsverfahren immer größerer Beliebtheit. Zwischen Januar und Juli 2014 wurden 35 000 solcher Überwachungs-SMS versendet. Bei der Bundespolizei gingen rund 69 000 lautlose SMS raus. Beide Behörden kommen somit im Vergleich zum ersten Halbjahr 2013 auf ein Plus von jeweils 3000 stillen SMS.

Wie viele stille SMS der Zoll verschickte, konnte die LINKE nicht ermitteln. Die Bundesregierung stufte die entsprechenden Angaben als »geheime Verschlusssache« ein.

Insgesamt zählte man bei den Bundesbehörden im ersten Halbjahr mehr als 150 000 stille SMS.

Bei den direkten Abhörmaßnahmen war hingegen keine derartige Steigerung zu verzeichnen. Insgesamt 704 Mal setzte das BKA im ersten Halbjahr auf »Maßnahmen zur Telekommunikationsüberwachung«. Im selben Zeitraum des Vorjahrs zählte man 710 solcher Eingriffe. Der Gebrauch sogenannter IMSI-Catcher zum Abhören von Telefongesprächen ging bei BKA, Bundespolizei und Bundesamt für Verfassungsschutz leicht zurück. Nur der Zoll hörte häufiger mit als 2013. Der LINKE-Abgeordnete Andrej Hunko, der die Anfrage gestellt hatte, äußerte sich besorgt über den »ausufernden Versand von Spionage-SMS«. Auf diese Weise würden Mobiltelefone zu einer Ortungswanze, »ohne dass die Betroffenen etwas davon merken«. Besonders fragwürdig sei dies beim Verfassungsschutz. Der Inlandsgeheimdienst sei so zum »elektronischen Spitzelapparat geworden, der vor allem unliebsame politische Bewegungen bekämpft«.

Noch leichtfertiger werden die stillen SMS bei Landesbehörden eingesetzt. Allein in Berlin verschickte die Polizei 2013 mehr als 250 000 dieser Kurznachrichten. Im bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen kam man bereits im Jahr 2011 auf diesen Wert. Aber auch in anderen Bundesländern wird eifrig versendet: In Mecklenburg-Vorpommern waren es im letzten Jahr 23 000 stille SMS.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 7. August 2014


… und der Verfassungsschutz schützt die Verfassung

Bundesbehörden spitzeln vermehrt per Telefon und Internet. Inlandsgeheimdienst verdoppelt Anzahl von »stillen SMS«. Regierung gibt sich wortkarg

Von Roland Zschächner **


Die deutschen Polizei- und Geheimdienstbehörden haben im ersten Halbjahr 2014 in bisher nie dagewesenem Ausmaß auf digitale Überwachung zurückgegriffen. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion hervor, die am Mittwoch öffentlich wurde. Auffällig ist die massive Zunahme von sogenannten stillen SMS. Die Technologie, bei der Kurznachrichten ohne Inhalt und ohne daß der Handybesitzer den Empfang bemerkt, verschickt werden, wurde von der Bundespolizei 68832 Mal verwendet. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat mit 52978 gegenüber dem Vorjahr doppelt so viele »Ortungsimpulse« verschickt. Andrej Hunko von der Linksfraktion dazu: »Der Inlandsgeheimdienst ist so zum elektronischen Spitzelapparat geworden, der vor allem unliebsame politische Bewegungen bekämpft.« Er forderte als »einzig richtige Konsequenz die Auflösung der Behörde«.

»Stille SMS« oder »Ortungsimpulse« werden von den Repressionsorganen zur Feststellung des Aufenthaltsorts von Personen genutzt. So lassen sich etwa Bewegungsprofile erstellen. Die Behörden sind um keine Ausrede verlegen, die Schnüffelei zu rechtfertigen. Der Versand solcher Nachrichten sei gar keine Kommunikation, falle somit nicht unter das Fernmeldegeheimnis. Trotzdem braucht es dazu eine richterliche Genehmigung – aber im Falle von »Gefahr in Verzug« reicht eine staatsanwaltliche Anordnung. Auch für das BfV ist die G-10-Kommission, ein Gremium des Bundestags, zuständig. Sie muß Maßnahmen wie die »stille SMS« erlauben.

Hunko kritisierte die Praxis der »stillen SMS«, da es »ein aktiver Vorgang« sei. »Ich gehe deshalb davon aus, daß hier das Gesetz gebrochen wird«, stellte Hunko am Mittwoch dazu fest. »Auf diese Weise wird das Mobiltelefon zur Ortungswanze, ohne daß die Betroffenen davon etwas merken.«

Einen Gutteil der Linksfraktion-Fragen beantwortete die Bundesregierung nicht. So auch die bezüglich der Anzahl der »stillen SMS«, die durch den Zoll versendet werden. Begründet wurde dies damit, daß sonst die Repres­sionsorgane bei ihrer »Auftragserfüllung erhebliche Nachteile zur Folge haben« würden. Hunko sprach diesbezüglich von »Geheimniskrämerei«.

Wortkarg gab sich die Bundesregierung beispielsweise auf die Frage über die Überwachungsprojekte im »Strategie- und Forschungszentrum Telekommunikation«. Es wurde 2011 von BKA, Bundespolizei und BfV gemeinsam eingerichtet. Ziel ist die Weiterentwicklung der technischen Überwachungsmethoden. Doch welche das sind, beantwortete die Regierung nur unter dem Siegel »VS – Nur für den Dienstgebrauch«. Der Stufe »Geheim« unterliegt die Antwort auf die brisante Frage, ob die Behörden »in der Lage sind«, Mikrofone von Mobiltelefonen zu aktivieren, um sie als Wanze zu verwenden.

Von der Überwachung profitieren vor allem private Firmen. Nicht nur die technische Ausrüstung, auch die anfallenden Lizenzgebühren sind ein lohnendes Geschäft. Was bundesdeutsche Behörden zum Bespitzeln benutzen, läßt sich gut exportieren: Die Firmen Rohde & Schwarz und Syborg durften ihre Abhörsysteme an Lettland, Brasilien, Montenegro und das Kosovo liefern.

Neben den Bundesbehörden nutzen »stille SMS« und andere Überwachungsmaßnahmen auch Polizei- und Verfassungsschutzämter der Länder. Es kann davon ausgegangen werden, daß sie in der BRD den Großteil »stiller SMS« verschicken. So wurden allein im Jahr 2010 in Nordrhein-Westfalen 255784 sogenannte Ortungsimpulse versandt.

** Aus: junge Welt, Donnerstag 7. August 2014


Spion in der Hosentasche

Fabian Lambeck über den Einsatz von Überwachungstechniken ***

Die Polizei verweist gern auf Ermittlungserfolge, wenn sie den Einsatz technischer Überwachungsmaßnahmen rechtfertigen muss. Mit Hilfe von stillen SMS oder Funkzellenabfragen habe man Großdealern, Autoschiebern oder islamischen Terroristen das Handwerk gelegt, hieß es etwa in Nordrhein-Westfalen, als die dortige Landtagsfraktion der Piraten kritische Anfragen zum Thema stellte. Auch wenn stille SMS präziser als Funkzellenabfragen sind, weil sie nur eine Zielperson treffen: Die neuen Überwachungsmethoden bergen kaum zu leugnende Gefahren.

Insbesondere die Funkzellenabfragen sehen Datenschützer mit großer Sorge. Aus gutem Grund, wie sich im Februar 2011 in Dresden zeigte, als die Polizei Hunderttausende Verbindungsdaten vor allem unbescholtener Bürger erfasste und auswertete, um ein paar Randalierern auf die Spur zu kommen. In Berlin durchforstete man 2009 den Handyverkehr ganzer Stadteile auf der Suche nach einem Autobrandstifter. Auch wenn die Polizei gern anderes behauptet: Die technische Überwachung bleibt oft erfolglos. Das gilt insbesondere für die Funkzellenabfragen, die jedes Handy in einem Areal erfassen.

Die steigenden Fallzahlen machen deutlich, dass die Behörden hier immer weniger Bedenken haben, die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel auch einzusetzen. Die Hemmschwelle sinkt. Hier sollte der Gesetzgeber nachbessern und den entsprechenden Paragrafen 100 der Strafprozessordnung enger fassen.

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag 7. August 2014 (Kommentar)


Digitaler Spitzelapparat

Verfassungsschutz: Mehr Überwachung. Gastkommentar

Von Andrej Hunko ****


Mit knapp 53000 stillen SMS hat der Inlandsgeheimdienst, der »den euphemistischen Tarnnamen ›Verfassungsschutz‹« (Rolf Gössner) trägt, im ersten Halbjahr 2014 fast doppelt so viele Funkzellenabfragen angewandt wie im Vorjahreshalbjahr. Damit offenbart sich, daß die kritische gesellschaftliche Diskussion angesichts des NSA-Skandals offenbar am Geheimdienst und anderen Sicherheitsbehörden völlig vorbeigegangen ist.

Besonders pikant dabei: Die heimlichen Ortungsimpulse durch »stille SMS« werden auf die Mobiltelefone der Betroffenen geschickt, damit diese gegenüber den Funkmasten ihre Position verraten. Auf diese Weise wird das Handy zur Ortungswanze, ohne daß die Betroffenen etwas davon merken. Es handelt sich dabei um einen aktiven Kommunikationsvorgang, der im Unterschied zur passiven Telekommunikationsüberwachung meines Erachtens vom Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis geschützt ist. Damit agieren die entsprechenden Behörden in einem rechtlich höchst zweifelhaften Raum.

Besorgniserregend ist zudem, daß das Auskunftsverhalten der Bundesregierung sich entgegengesetzt zum Anstieg der Überwachung verhält: Viele Antworten auf Fragen, die mir in der Vergangenheit noch öffentlich gegeben wurden, liegen nun nur in der Geheimschutzstelle des Bundestages vor und sind somit der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Ihre Veröffentlichung würde das »Staatswohl« der Bundesrepublik Deutschland gefährden.

Man muß sich angesichts der Dimension des NSA-Skandals auch einmal die Frage stellen, wie es über viele Jahre möglich war, daß in der vermeintlichen Demokratie USA ein derartiger Überwachungsapparat aufgebaut werden konnte, ohne daß die dortigen Abgeordneten davon Kenntnis hatten oder auch nur versucht hätten, die parlamentarische Kontrolle über diese Entwicklungen herzustellen. Es blieb dem Whistleblower Edward Snowden vorbehalten, die Öffentlichkeit unter Aufgabe seiner beruflichen Existenz und dem Einsatz seines Lebens über die Praktiken der NSA zu informieren. Die parlamentarische Kontrolle hat hier offenbar versagt.

Genau das ist aber eine zentrale Aufgabe kritischer Abgeordneter einer Opposition, die diesen Namen verdient: gesellschaftliche Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen, nachzubohren und das Licht der Öffentlichkeit darauf zu lenken. Ein Inlandsgeheimdienst, der sich zunehmend zu einem digitalen Spitzelapparat entwickelt, ist eine solche Fehlentwicklung. Er ist ein Fremdkörper in einer Demokratie und sollte besser aufgelöst werden, wie es das Programm der Linken fordert.

**** Der Autor ist Mitglied des Bundestages (Fraktion Die Linke) und Mitglied im Ausschuß für Angelegenheiten der Europäischen Union

Aus: junge Welt, Donnerstag 7. August 2014 (Kommentar)



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