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Ausufernde Spitzelei

"Verfassungswidrig": Datenschutzbeauftragte warnt vor Folgen der Geheimdienstreform und ist von Expertenanhörung ausgeschlossen

Von Ulla Jelpke *

Die von der Bundesregierung geplante Reform des Verfassungsschutzes hat deutliche Kritik der Bundesdatenschutzbeauftragten ausgelöst. Das Vorhaben verstoße in mehrfacher Hinsicht gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, schreibt Andrea Voßhoff in einer Stellungnahme an den Innenausschuss des Bundestages. Der führt am Montag eine Expertenanhörung zum Thema durch – von der Voßhoff auf Druck von CDU/CSU ausgeschlossen bleibt. Zu den Kernelementen des Gesetzentwurfs gehören die erweiterte Beobachtungstätigkeit, die Stärkung des Bundesamtes und die erhebliche Erweiterung des Informationsaustausches zwischen Geheimdienst und Polizei sowie Staatsanwaltschaften.

Obwohl das Bundesverfassungsgericht erst vor zwei Jahren in seinem Urteil zur Antiterrordatei ein »informationelles Trennungsprinzip« festgeschrieben hatte, also die grundsätzliche Trennung von polizeilich und geheimdienstlich erhobenen Daten, sieht der Gesetzentwurf nun praktisch das Gegenteil vor. Einerseits soll die Polizei dem Geheimdienst Auskünfte über alle möglichen extremistischen Bestrebungen mitteilen – bislang war diese Übermittlungspflicht auf Gewalt- und Spionagedelikte beschränkt, andererseits soll auch das Bundesamt der Polizei mehr Informationen übermitteln. Dazu gehören Daten, die weit im Vorfeld einer Straftat erhoben wurden. Sie sollen, so heißt es in der Gesetzesbegründung, der Polizei zur Erstellung von Gefährdungslagebildern dienen, um zu analysieren, »ob das Entstehen von Gefahren zu erwarten ist und welche vorbeugenden Maßnahmen daraus abzuleiten sind«. Bisherige Beschränkungen auf bestimmte Phänomenbereiche wie Neofaschismus und Spionage entfallen. Damit seien, so Voßhoff, »die Barrieren für einen umfassenden, fast voraussetzungslosen und verfassungswidrigen Datenfluss gefallen«. Übermittelt werden könnten nach der geplanten Regelung auch Informationen, die vom Geheimdienst durch Abhöraktionen gewonnen wurden, zu deren Erkenntnis die Polizei aber gar nicht kommen dürfte. Das widerspreche ebenfalls der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur informationellen Trennung. Der Gesetzentwurf gebe den Nachrichtendiensten »faktisch die Rolle einer Sicherheitsbehörde, die ihnen das Bundesverfassungsgericht aber inhaltlich versagt hat«, so Voßhoff.

Heftige Kritik übt sie auch an der geplanten Befugnis des Geheimdienstes, unbegrenzte Volltextdateien anzulegen. Das bedeute, dass »jedes beliebige Dokument in die Datei eingestellt werden« könne, das dann zugleich Hinweise auf »Randpersonen« enthalte, über die nach bisherigem Recht überhaupt keine Personenakten geführt werden dürfen.

Weiterhin beinhaltet der Gesetzentwurf die Ausweitung der Befugnisse des Bundesamtes gegenüber den Landesämtern. Das Bundesamt soll verstärkt auch selbst in den Ländern spitzeln dürfen. Das lässt sich als Drohung zum Beispiel gegen den Freistaat Thüringen verstehen, der einen Rückbau der Befugnisse seines Landesamtes angekündigt hat. Für die Auswertung der zusätzlichen Informationen soll das Bundesamt um 261 Planstellen aufgestockt werden.

An der Praxis, V-Leute etwa in Neonazikreisen anzuwerben, soll weiterhin festgehalten werden. Erstmals wird nun ausdrücklich im Gesetz festgehalten, dass die V-Leute straffrei »szenetypische Straftaten« begehen dürfen. Auch Delikte wie Landfriedensbruch könnten im Einzelfall legitim sein, heißt es in der Regierungsvorlage.

* Aus: junge Welt, Samstag, 6. Juni 2015


Schlag gegen Grundrechte

Gastkommentar von Ulla Jelpke **

Die Bundesregierung zieht ihre eigenen Schlussfolgerungen aus den Verwicklungen des Verfassungsschutzes in die NSU-Verbrechen: Der Inlandsgeheimdienst soll noch mehr spitzeln, und seine V-Leute sollen ganz legal Straftaten begehen dürfen.

Stehen eingangs euphemistische Formulierungen von einem »zukunftsausgerichteten Verfassungsschutz« im Gesetzentwurf, wird hinten in der Begründung Tacheles geredet und von der »Abrundung«, also dem Ausbau der Beobachtungstätigkeit, gesprochen. »Eigentlich«, so steht da wörtlich, sei die »Übermittlung aller Informationen zur zentralen Auswertung« an das Bundesamt erforderlich, um »das Risiko von Erkenntnisausfällen« zu minimieren. Das betrifft zum einen den Austausch der Daten zwischen Bundesamt und Landesämtern. Bisher war das nur erlaubt, wenn die Informationen für die jeweilige Aufgabenerfüllung »erforderlich« waren. In Zukunft soll es genügen, wenn sie für »relevant« gehalten werden. Außerdem soll diese Praxis zwischen Geheimdienst und Polizei deutlich ausgeweitet werden.

Davon betroffen sind dann keineswegs nur politische »Extremisten« und solche Menschen, die dazu erklärt werden. Es geht auch um herkömmliche Strafverfolgung. Die als »ganzheitliche Terrorismusbekämpfung« umschriebene informationstechnische Aufrüstung des Verfassungsschutzes ermöglicht den Abgleich der Daten von Personen, die in keiner Weise als Extremisten oder Gewalttäter auffällig geworden sind. Die Ausweitung der Geheimdienstbefugnisse bedeutet eine faktische Beschneidung der Bürgerrechte. Ein Recht auf Auskunft über die erfolgten Speicherungen haben selbst am Rande erwähnte Personen aber nicht – die entsprechende Recherche würde den Geheimdienst doch zu sehr in Anspruch nehmen.

Es will schon etwas heißen, dass selbst die in der CDU sozialisierte Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff an praktisch jedem einzelnen Punkt des Vorhabens deutliche Kritik übt. Was sich hinter den größtenteils vagen Formulierungen des Gesetzestextes verbirgt, bringt Voßhoff auf den Punkt: Hier würden die Geheimdienste faktisch zur »Sicherheitsbehörde« aufgerüstet, obwohl ihnen die Verfassung das genauso verbiete wie die »operative«, sprich polizeiliche, Gefahrenabwehr. Zusammengefasst heißt das politisch: Die Grenzen zwischen Verfassungsschutz und Polizei werden eingerissen. Das wiederum bedeutet nicht weniger als große Schritte in Richtung eines geheim operierenden, zentralstaatlichen Polizeiapparates.

Was da vorbereitet wird, im Schatten der – viel zu geringen – öffentlichen Empörung über Geheimdienstmachenschaften von BND und NSA sowie im Schatten der ebenfalls geplanten Vorratsdatenspeicherung, ist ein veritabler Schlag gegen die Grundrechte und die Abkehr von Lehren aus der Nazizeit.

** Aus: junge Welt, Samstag, 6. Juni 2015 (Kommentar)


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