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Der Spagat des Ministers

Verfassungsschutzreform regelt die Straffreiheit von Straftaten, die V-Leute begehen dürfen. Thüringen wegen Verzicht auf "Quellen" dieser Art in der Kritik

Wie weit V-Leute des Inlandsgeheimdienstes im Einzelfall wirklich gehen dürfen, wenn sie sich »szenetypisch verhalten«, hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Mittwoch in den Räumen der Bundespressekonferenz nicht verraten. Das »Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes« war am Mittwoch im Kabinett beschlossen worden – angeblich als Konsequenz aus dem Ermittlungsdesaster und dem V-Leute-Unwesen rund um das rechte Terrornetzwerk »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU). Es dient aber freilich dem »Kampf gegen Extremismus« allgemein, also auch im Bereich linker Gruppen.

Mit mehr Befugnissen wird die Behörde ausgestattet, die wenige Tage nach Bekanntwerden des NSU Akten über V-Leute im Bereich Rechtsextremismus schreddern ließ: Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) soll den verstärkten Informationsaustausch koordinieren, zu dem die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern verpflichtet werden. Ausführlicher als bisher sollen sie eigene Erkenntnisse in die gemeinsame Datenbank NADIS (»Nachrichtendienstliches Informationssystem«) einspeisen. Das BfV soll diese Erkenntnisse zentral auswerten.

Bei »gewaltorientierten Bestrebungen« in den Ländern soll das Bundesamt selbst in die Beobachtung einsteigen können. Mit Blick auf Thüringen, das als erstes Bundesland entschieden hatte, auf den Einsatz von V-Leuten zu verzichten, sagte de Maizière am Mittwoch: »In der Sache halte ich die Entscheidung für falsch«. Ob der Einsatz von V-Leuten des Bundesamtes in Thüringen tabu sei, könne er noch nicht beantworten – das müsse man zuerst »durchdeklinieren«. Es könne aber keine »Rosinenpickerei« geben: »Wer sich in einem Verbund bewegt, der muss geben und nehmen.«

Das Imageproblem der Klientel, die vom Verfassungsschutz Informantenhonorare bezieht, ist de Maizière durchaus bewusst: »Der Einsatz von V-Leuten ist in der Öffentlichkeit umstritten. Es handelt sich dabei oft um Personen, mit denen man sonst nicht so gerne zusammenarbeiten möchte«, umschrieb er am Mittwoch den Fakt, dass wiederholt überzeugte und gewaltbereite Neonazis verpflichtet worden waren. V-Leute seien aber als Informationsquellen »unverzichtbar«. Von der Strafverfolgung sollen sie folglich bei Delikten verschont bleiben »wenn ein solches Verhalten für die Akzeptanz in der Szene unerlässlich und nicht unverhältnismäßig ist«, so der Minister. Auf Nachfragen zu den neuen Regeln für die Anwerbung und den Einsatz von V-Leuten sprach de Maizière von einem »Spagat«, der »abschließend nicht durch gesetzliche Regelungen« zu bewältigen sei. Es gehe aber auch um dem Schutz der Beamten, die V-Leute führen, vor Strafverfolgung wegen Beihilfe. Im Einzelfall soll der Chef der jeweiligen Landes- oder Bundesbehörde entscheiden. Bei Straftaten »von erheblicher Bedeutung« soll der Einsatz beendet werden, Ausnahmen sind möglich.

Wer zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde, scheidet laut Gesetz aber als Quelle aus. Auch Minderjährige dürfen nicht als V-Leute geführt werden. Niemand soll zudem von Informantenhonoraren leben können.

»Die Tätigkeit der V-Leute kontrolliert weiterhin nur das BfV selbst«, kritisierte der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele am Mittwoch. »Illegale Praktiken« würden eben nicht konsequent verboten, »sondern können von der Spitze des BfV gedeckt und so faktisch straflos gestellt werden«. Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff äußerte derweil verfassungsrechtliche Bedenken wegen der verstärkten Datenspeicherung und Informationsweitergabe zwischen Bund und Ländern.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 26. März 2015


Die Datenkrake wird größer

Verfassungsschutzreform der Bundesregierung steht in der Kritik

Von Aert van Riel **


Der Verfassungsschutz hat bei der Mordserie des rechtsradikalen NSU versagt. Nun beschloss das Bundeskabinett eine Reform des Inlandsgeheimdienstes.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) meint, den staatlichen Kampf gegen Neonazis vor allem durch Veränderungen in der Verwaltung verbessern zu können. Ein am Mittwoch gefasster Kabinettsbeschluss soll die Zusammenarbeit der sogenannten Verfassungsschützer in Bund und Ländern ändern. Sie werden demnach zu einem intensiveren Informationsaustausch verpflichtet. Vorgesehen ist zudem, die Rolle des Bundesamtes für Verfassungsschutz als Zentralstelle zu stärken und ihm eine koordinierende Funktion im Netz der Behörden zu geben. Das Bundesamt soll auch gegen den Willen des betroffenen Bundeslandes Beobachtungen anordnen können.

Für den Einsatz von V-Leuten sind neue Regeln geplant. Die Spitzel sind in der rechten Szene aktiv und haben die Aufgabe, Informationen an den Verfassungsschutz weiterzugeben. Wer etwa zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde, scheidet nach dem Willen der Bundesregierung künftig als Spitzel aus. Der Einsatz von V-Leuten soll zudem auf »extremistische« Gruppen begrenzt werden, von denen Gewalt ausgeht oder ausgehen könnte. Allerdings sieht der Gesetzentwurf auch mögliche Straffreiheit bei kleineren, »szenetypischen« Delikten vor. Ein Beispiel ist das Zeigen des Hitlergrußes. De Maizière räumte ein, dass V-Leute oft Menschen seien, »mit denen man sonst nicht so gerne zusammenarbeiten möchte«. Der Minister nannte sie aber für Einblicke in »extremistische Milieus« unverzichtbar.

Die Bundesregierung sah sich zu Änderungen beim Verfassungsschutz gezwungen, weil die rassistischen Morde des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) ein schlechtes Licht auf die Arbeit der Sicherheitsbehörden geworfen hatten. Die Terroristen sollen zehn Morde und mehrere Sprengstoffanschläge in den Jahren 1999 bis 2007 begangen haben.

Debatten über die Reform dürfte es wegen des föderalen Systems noch zwischen Bund und Ländern geben. Letztere sind für Polizei und Verfassungsschutz zuständig. Daran erinnerte nun der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, der rheinland-pfälzische Ressortchef Roger Lewentz (SPD). »Diese Kompetenzen haben die Väter des Grundgesetzes aus guten Gründen den Bundesländern und nicht zentralistisch dem Bund übertragen. An dieser Aufteilung wollen wir auch in Zukunft festhalten«, sagte Lewentz.

Auch die ansonsten eher zurückhaltende Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff meldete sich kritisch zu Wort. Die CDU-Politikerin hatte »erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken«. Denn die Reform weiche den Datenschutz bei den Nachrichtendiensten auf. Die Auswirkungen auf den Schutz persönlicher Daten wären »gravierend«. Mit der Reform sollen nämlich im Rahmen des Datenaustausches zwischen dem Bundesamt und den Landesämtern für Verfassungsschutz Daten zu sogenannten Extremisten umfangreicher als bisher in einer gemeinsamen Datenbank gespeichert werden.

Die Landesämter sollen künftig alle »relevanten Daten« an das Bundesamt als Zentralstelle übermitteln. Bislang waren die Landesämter nur dazu verpflichtet, jene Daten weiterzugeben, die nach ihrem Ermessen für das Bundesamt »erforderlich« waren. Voßhoff monierte, dass »bisherige Schranken für die Datenverarbeitung in zentralen Dateien zu großen Teilen wegfallen«. Sie verlangte eine grundsätzliche gesetzliche Klärung, über welchen Personenkreis die Nachrichtendienste überhaupt Daten erheben und speichern dürfen.

Grundsätzliche Kritik an den Vorhaben der Großen Koalition kam von der Linkspartei. André Hahn, Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Kontrolle der Nachrichtendienste, wies darauf hin, dass auch weiterhin der Einsatz von V-Leuten möglich sein wird. »Von ihnen begangene Straftaten rechtlich absichern zu wollen, ist mit Sicherheit der falsche Weg und schon gar nicht die Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Ausschusses«, erklärte der LINKE-Politiker. Er forderte, dass der Bund die V-Leute schnellstmöglich abschalten sollte - so wie es Rot-Rot-Grün in Thüringen kürzlich angekündigt hat.

Zahlreiche Spitzel hatten auch im direkten Umfeld des NSU agiert. Trotzdem konnten die Nazis in den Untergrund abtauchen und Migranten in Deutschland ermorden, ohne dabei aufzufliegen. Skandalös war etwa die Rolle des Thüringer V-Mannes Tino Brandt. Er hatte während des NSU-Prozesses in München ausgesagt, vom Verfassungsschutz vor Polizeidurchsuchungen gewarnt worden zu sein. Zudem hatte Brandt Geld des Landesamtes für Verfassungsschutz an die untergetauchten Terroristen weitergegeben. Der Inlandsgeheimdienst glaubte, dass sich Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe mit dem Geld falsche Pässe besorgen. Die Behörde wollte so an die »Tarnidentitäten« des Trios herankommen. Dieser Plan schlug aber fehl.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 26. März 2015


Sie haben gewonnen

Reform des Verfassungsschutzes

Von Sebastian Carlens ***


Es waren wilde Tage im November 2011. Die BRD wurde gewahr, dass eine rechtsterroristische Killerbande mehr als zehn Jahre lang mordend durchs Land ziehen konnte, ohne dass die staatlichen Stellen nur einen Finger krumm gemacht hätten, um des »Nationalsozialistischen Untergrundes« habhaft zu werden. Mehr noch: Ohne die Heerscharen an sogenannten Vertrauensleuten, die im Auftrag der diversen Inlandsgeheimdienste um den »NSU« herumscharwenzelten, wäre es wohl nie zur Attentatsserie der Neonazis gekommen. Der erste Sprengstoff: von »V-Leuten« besorgt. Die erste konspirative Wohnung: von einem Spitzel angemietet. Das Geld für neue Pässe: vom Verfassungsschutz bezahlt. Die ganze Geschichte war von vorne bis hinten so anrüchig, dass kurzzeitig sogar die alte Tante FAZ in den Ruch des Linksradikalismus geraten konnte: »Die großen, durch niemanden kontrollierten Apparate schaffen sich den Gegenstand, der ihre Existenz rechtfertigt, irgendwann selbst«, erschraken die tapferen Herrschaftsjournalisten vor der Kreatur. »Die Dienste dienen nur sich selbst«, erkannte das Blatt. »Es ist deshalb richtig, sie aufzulösen«. Wie gesagt, es waren wilde Tage.

Die Verwirrung fing sich rasch. Das, was der FAZ da passiert war, kennt die Psychologie als projektive Identifikation. Ein unbewusster Schutzmechanismus, der nicht integrierbare, »böse« oder »schmutzige« Aspekte der eigenen Persönlichkeit auf andere überträgt, vom Selbstbild abspaltet, um subjektiv unbeschadet bestehen zu können. So etwas wie der »NSU« kann, darf nicht als Produkt dieser Gesellschaft begriffen werden, selbst wenn die Erkenntnis dämmert, dass es sich dabei um ein Gezücht der eigenen Geheimdienste handeln könne: Sie »schaffen sich den Gegenstand, der ihre Existenz rechtfertigt«. Wie eine Feuerwehr, die selbst die Brände legt, um anschliessend mehr Geld und Personal zu fordern.

Beides wird der Verfassungsschutz nun bekommen. Und mehr Kompetenzen auch, teilte Innenminister Thomas de Maizière am Mittwoch mit. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wird als Zentralstelle aufgewertet. Nun ist endlich auch klar geregelt, welche Straftaten »V-Leute« ganz offiziell begehen dürfen. Staatsanwälte können davon absehen, Verbrechen zu verfolgen, die »im Einsatz« verübt wurden. Hätte es das 2011 schon gegeben, vielleicht müsste sich Frau Zschäpe dann nicht seit bald zwei Jahren vor Gericht verantworten.

Die aggressive Ausbau der Geheimdienste entspricht dem expansiven Programm der Herrschenden – deshalb Belohnung statt Abwicklung, Ausbau statt Zerschlagung. Was der BND für den Rest der Welt, ist der Verfassungsschutz für die Heimatfront. Die Chuzpe der Dienste, ihre Hochrüstung nun ausgerechnet mit dem Hausgebräu »NSU« zu rechtfertigen, kann man zynisch finden. Noch schlimmer ist: Sie haben gewonnen, und zwar restlos.

*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 26. März 2015 (Kommentar)


Sie dienen nicht

Von Tom Strohschneider ****

Mit dem, was die Koalition eine Reform des Verfassungsschutzes nennt, wollen Union und SPD angeblich»Klarheit für den Einsatz von V-Leuten« schaffen. Das klingt nach dem viel kritisierten Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall der Nazi-Mörderbande NSU, nach all den Enthüllungen über gedungene Spitzel, versuchte Vertuschungen von Staats wegen, nicht weitergereichte Informationen und so fort sinnvoll.

In Wahrheit handelt es sich aber um einen Versuch, mit untauglichen Mitteln eine noch untauglichere Behörde vor ihren Kritikern und vor allem vor wirksamen Veränderungen zu bewahren. Was kommt jetzt? Ein bisschen mehr Zentralismus gegen irrlichternde Landesämter, ein paar schlaffe Regeln für fragwürdige Dienste von Demokratiefeinden und mehr Informationsaustausch, bei dem Deutschlands oberste Datenschützerin »erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken« hat.

Dieser Einwand ist geradezu symbolisch. Auch wenn der Name anders weismachen will: Mit diesem Verfassungsschutz lässt sich weder die Verfassung schützen noch ein Beitrag für gesellschaftliche Sicherheit leisten, der dem Selbstanspruch dieser Gesellschaft angemessen ist. Anders formuliert: Es geht nicht darum, real existierende Bedrohungen zu bestreiten. Man darf gegen diese aber nicht ein System in Stellung bringen, dessen Geheimniskrämerei, Unkontrollierbarkeit, dessen fragwürdige Mitteln mit Demokratie als Prinzip unvereinbar sind.

Thüringen hat einen kleinen Schritt auf dem Weg gemacht, den eine grundlegende Kritik am System Verfassungsschutz vorzeichnet. Die Kritik, die Rot-Rot-Grün damit auf sich gezogen hat, fällt auf jene zurück, die sie äußern: Die Entscheidung der Landesregierung, V-Leute abzuschalten, »dient nicht dem Kampf gegen Extremismus«, sagt der Bundesinnenminister. In einem Polizeistaat mag das die höchste Norm sein. Diese Republik hat aber andere Maßstäbe als die nackte Effizienz von Sicherheitsmaßnahmen. Was die Koalition nun als »Reform« des Verfassungsschutzes verkauft, dient weder dem Rechtsstaat, dem Grundgesetz noch der Demokratie.

**** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 26. März 2015 (Kommentar)


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