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Gesellschaft, Herrschaft und Bewußtsein

Symbolische Gewalt und das Elend der Zivilisation. Buchvorstellung

Thomas Mies, Karl Hermann Tjaden (Hrsg.):
Gesellschaft, Herrschaft und Bewußtsein
Symbolische Gewalt und das Elend der Zivilisation

Verlag Winfried Jenior: Kassel 2009, 474 S. gebunden. Fadenheftg. € 22.-; ISBN 978-3-934377-47-9

Klappentext:
Gegenstand des Sammelbands ist das machtbestimmte Gefüge von Gesellschaft und Bewußtsein, das sich in der westlichen Zivilisation entwickelt hat. Vierzehn Autor/inn/en analysieren das Ineinandergreifen von gewalttätigem Handeln und Verhalten und verdinglichtem Denken und Fühlen aus verschiedenen Blickwinkeln und Erfahrungsbereichen. Versucht werden die Klärung gesellschafts- und bewußtseinstheoretischer Begriffe wie diejenige historischer und aktueller Sachverhalte, bis hin zu der Frage, ob gesellschaftliche Planung heutzutage Sinn hat.

Kurzbeschreibung:

Die Begriffe "Gesellschaft" und "Bewußtsein", deren Vieldeutigkeit die Herausgeber/innen einleitend aufzeigen, erhalten eindeutige Inhalte, wenn "Sein und Bewußtsein" (oder wie immer man das Leib-Seele-Duo nennen will) in realen Kontexten betrachtet werden. Das zeigt dieses Buch. Die Gesellschafts- und Bewußtseinsgeschichte der westlichen Zivilisation läßt dann deren Grundmuster, ein fortschreitend überhebliches Denken und ausnutzendes Tätigsein, erkennen. Und die realitätsorientierte Kritik des cartesianischen Dualismus läßt erkennen, daß unsere Bewußtsein genannten Gedankengebilde, und mehr noch unser Unbewußtes, in der körperlichen Lebenswelt miteinander vermittelter Individuen und Kollektive verankert sind, in der sie oft genug als symbolische Gewalt wirken. Diese dient auch der Stigmatisierung von Menschen, die unter Verwirrungen des Bewußtseins und Störungen ihres leiblichen Seins leiden, Phänomene, die nicht zuletzt in den zivilisierten Verhältnissen wurzeln.

Die Macht, welche Fiktionen in unserer Zivilisation seit ihren altorientalischen und alteuropäischen Anfängen zukommt, zeigt sich etwa in der Rolle der abstrakten Denkfiguren "Geschlecht" und "Geschlechterverhältnis", durch die die realen Gewaltverhältnisse in der patriarchal konstruierten Familie dem Blick entzogen werden. Entsprechendes gilt für die ebenfalls altgediente Verherrlichung des Staats als Gemeinwesen, durch welche Polizei und Militär als Wohlfahrts- und Menschenrechtsagenturen erscheinen. Von all dem wissen die modischen erlebnis-, zivil- und wissensgesellschaftlichen Konzepte der Soziologie nichts. Mithilfe eines historischen Materialismus war dagegen versucht worden, dem zivilisatorischen Zauber, den der moderne Kapitalismus darstellt, durch Klassenbewußtsein und Klassenkampf ein Ende zu bereiten, aber die Einstellungen des Proletariats zu seinem Klassensein glichen, wenn sie über Unbewußtsein hinausgingen, meistens eher einem bloßen Lagebewußtsein ohne Ansätze, es zu überwinden. Muß man nun die Vorstellung einer vernünftig geplanten Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse zu den Akten legen? Hierzu äußern sich im Schlußteil des Buches sechs Fachleute. Ein editorisches Postskriptum zu diesem Sammelband benennt Fragen zum Thema "Gesellschaft, Herrschaft und Bewußtsein", die offen geblieben sind - mit Hinweisen auf weiterführende Literatur.

Inhalt:

Gesellschaft und Bewußtsein: Annäherungen an zwei Begriffe. Einleitung der Herausgeber/innen

Arroganz und Exploitation: Menschen und ihre Um- und Mitlebewelten im Progreß der west-europäischen Zivilisation
Karl Hermann Tjaden

Das gesellschaftliche Unbewusste. Zur Kritik der carte-sianischen Bewusstseinsauffassung: Begriffsgeschichtliche und theoretische Anmerkungen
Thomas Mies

Wahnsinn, Psychiatrie und gesellschaftliches Bewußtsein: Wie aus den "Irren" Psychiatriepatienten wurden und was mit ihnen auf diesem Weg geschah
Urte Sperling

Schadstoffinduzierte Störungen des individuellen "Seins" und "Bewusstseins"
Kathrin Otte

Fiktives Geschlecht, patriarchale Familie und sexuelle Dienstbarkeit der Frauen
Margarete Tjaden-Steinhauer

Staatstätigkeit als gewalttätige Politik
Margarete Tjaden-Steinhauer, Karl Hermann Tjaden

Rechtfertigung und Beschwichtigung: Gesellschafts-konzepte in der heutigen Soziologie
Lothar Peter

Sind die Begriffe "Klassenbewusstsein" und "Klassen-kampf" überholt?
Georg Fülberth

Ist gesellschaftliche Planung ein sinnvolles Vorhaben?
Stellungnahmen von Rolf Czeskleba-Dupont, Jochen Hanisch, Karl-Otto Henseling, Thomas Kuczynski, Jörg Roesler und Karl Georg Zinn

Editorisches Postskriptum

Register

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um Band 4 der Reihe:
Studien zu Subsistenz, Familie, Politik
Herausgegeben von Lars Lambrecht, Thomas Mies, Urte Sperling, Karl Hermann Tjaden, Margarete Tjaden-Steinhauer

Früher erschienene Bände dieser Reihe:

Band 1
Gesellschaft von Olduvai bis Uruk. Soziologische Exkursionen
Von Lars Lambrecht, Karl Hermann Tjaden, Margarete Tjaden-Steinhauer
Kassel 1998 ISBN 978-3-928172-82-0; 280 S. gebunden, Fadenheftung, Farbfotos, € 17,-

Behandelt werden Subsistenzstrategien, Familie und Politik in den Anfängen menschlicher Gesellschaft, in Ostafrika, im steinzeitlichen Kantabrien und Anatolien sowie in frühen Hochkulturen im Süden Mesopotamiens. Dabei werden Ansätze eines gesellschaftswissenschaftlichen theoretischen Rahmens entwickelt, wonach ein gewalthaltiges Zusammenwirken von ökonomischen, patriarchalen und staatlichen Verfügungsgewalten ein Grundmuster der westeurasischen Gesellschaftsgeschichte bildet, deren Anfänge im Vorderen Orient liegen.

Band 2
Gesellschaft von Rom bis Ffm. Ungleichheitsverhältnisse in West-Europa und die iberischen Eigenwege
Von Margarete Tjaden-Steinhauer und Karl Hermann Tjaden, mit einer Diskussion über Anfänge gesellschaftlicher Ungleichheit von Frigga Haug, Lars Lambrecht und den Verfasser/inne/n
Kassel 2001 ISBN 978-3-934377-60-8; 464 S. gebunden , Fadenheftung, Farbfotos, € 22,-

Zur Diskussion stehen ökonomische, patriarchale und staatliche Machtverhältnisse in antiken, mittelalterlichen und modernen Gesellschaften West-Europas und die iberische Eigenentwicklung unter den Römern, Goten, Muslimen und Kastiliern. In systematischen historisch-theoretischen Analysen wird das Zusammenspiel der Verfügungsgewalten in diesen drei Dimensionen gesellschaftlicher Herrschaft auf dem Weg von der altrömischen zur modernen deutschen Gesellschaft entschlüsselt und mit der Gesellschaftsgeschichte auf der iberischen Halbinsel konfrontiert, die dem historisch-materialistischen Muster einer "gesetzmäßigen Formationsfolge" nicht entspricht.

Band 3
Gesellschaft von Tikal bis irgendwo. Europäische Gewaltherrschaft, gesellschaftliche Umbrüche, Ungleichheitsgesellschaften neben der Spur
Hrg. v. Urte Sperling und Margarete Tjaden-Steinhauer. Mit Beiträgen von Rolf Czeskleba-Dupont, Karl-Rainer Fabig, Lars Lambrecht, Thomas Mies, Bernd Reef, Urte Sperling, Karl Hermann Tjaden, Margarete Tjaden-Steinhauer
Kassel 2004 ISBN 978-3-934377-70-7; 359 S. gebunden, Fadenheftung, Farbfotos, 2 Karten € 20,-

Tikal war bis zu seinem Untergang im späten ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung ein glänzendes Herrschaftszentrum einer altamerikanischen Hochkultur, derjenigen der heute so genannten Maya. Deren Nachfahren gerieten nach der spanischen Conquista unter Gewaltherrschaften europäischen Typs, die in dieser oder jener Form bis heute andauern. In dem Buch werden historische wie aktuelle Facetten insbesondere dieses Typs gesellschaftlicher Herrschaft - nicht nur am Beispiel Amerikas, sondern auch Europas selber - betrachtet. Die europäischen und außereuropäischen Aus-prägungen zivilisatorischer Gewalt und die Geschichten ihrer Opfer werden als historische Phänomene behandelt, die aus frühgeschichtlichen Umbrüchen hervorgegangen sind und die zu beenden, neuen gesellschaftlichen Umbrüchen gleichkäme.


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