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Ausverkauf Europas eingeleitet

EU-Parlament beschließt Resolution zur weiteren Verhandlung von TTIP. Private Schiedsgerichte dürfen künftig Staaten verklagen

Von Simon Zeise *

Demokratie schafft sich selbst ab. Konservative, Liberale und Teile der europäischen Sozialdemokraten stimmten am Mittwoch für eine Resolution zu weiteren Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Im Parlament wurde sie mit 436 Ja- gegen 241 Neinstimmen durchgeboxt. Breite Bevölkerungsschichten hingegen lehnen die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) vor allem wegen der privaten Schiedsgerichte (ISDS) ab, mit deren Hilfe Unternehmen ihre Profitinteressen in juristischen Parallelinstanzen zum öffentlichen Recht einklagen könnten.

Bernd Lange (SPD), der den Resolutionsentwurf federführend erarbeitet hatte, hatte vor der heutigen Abstimmung bekanntgegeben, dass die ISDS-Schiedsgerichte durch ein »neues System zur Streitbeilegung« ersetzt werden sollten: Raider heißt jetzt Twix. Oder, etwas konzilianter, in den Worten des Linken-EU-Abgeordneten Helmut Scholz: »Wenn es nach den Sozialdemokraten geht, soll der ISDS-Mechanismus nun durch den ISDS-Mechanismus ersetzt werden.« Die Befürworter im Parlament »verständigten sich darauf, den Menschen zu sagen, man nehme ihre Sorgen ernst, während sie im selben Moment der Kommission sagen, sie solle unbeirrt weiterverhandeln«, ergänzte Scholz. Über einen weitergehenden Antrag, der ein klares Verbot der privaten Schiedsstellen gefordert hatte, wurde nicht einmal abgestimmt. Die Entscheidung hierzu mündete in einen Streit zwischen mehreren Grünen-Abgeordneten und Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD). Die Grünen warfen Schulz vor, die Geschäftsordnung zu verbiegen. Nur dadurch habe Schulz zuerst über den Antrag seines Parteifreundes Lange entscheiden lassen. Lange urteilte nach der Abstimmung, das »Europaparlament beerdigt private Schiedsstellen«.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) übte sich in einem ja, aber: »Als Schritt in die richtige Richtung«, dem aber Nachbesserungen beim Investorenschutz folgen müssten, bezeichnete Vorstandsmitglied Stefan Körzell die Entscheidung. Die gesetzten Maßstäbe müsse das Europaparlament nun auch an das mit Kanada geschlossene CETA-Abkommen anlegen, so Körzel. Wenn dort nicht ebenso nachverhandelt werde, wie es bei TTIP der Fall gewesen sei, dann »könne dies nur eins bedeuten: ein klares Nein zu CETA!«

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sah das anders: »Mit dieser Resolution macht das EU-Parlament vor Großkonzernen einen Kotau«, erklärte deren Vorsitzender Hubert Weiger. Obwohl beiderseits des Atlantiks der Widerstand gegen TTIP wachse und Millionen Europäer sich in einer Bürgerinitiative gegen TTIP ausgesprochen hätten, werde »ein fauler Kompromiss als Erfolg verkauft«, so Weiger. Der BUND und das Bündnis »Stop TTIP« rufen für den 10. Oktober nach Berlin zu einer Großdemonstration gegen das Freihandelsabkommen auf. Der DGB dürfte dafür keine größeren Anstrengungen unternehmen. Doch liegen die Chancen für eine Ablehnung von TTIP nicht bei null. Mehr als 2,3 Millionen Unterschriften hat das Bündnis bereits gegen den Ausverkauf Europas gesammelt. Peter Fuchs vom Bündnis »TTIPunfairHandelbar« sagte, es sei »bemerkenswert, dass einige sozialdemokratische Abgeordnete, unter anderem aus den Niederlanden, Belgien, Frankreich, Österreich und Großbritannien, sich dem Druck von Martin Schulz und Bernd Lange nicht gebeugt und den ISDS-Kompromiss abgelehnt haben«.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 09. Juli 2015


Tolle Volksvertreter

EU-Parlament winkt TTIP durch

Von Klaus Fischer **


Es macht sich für »Europa« bezahlt, eine Art Parlament an der Hand zu haben. Am Mittwoch winkten die Abgeordneten dieser Einrichtung in Strasbourg – man war wieder auf Reisen zwischen Brüssel und der französischen Stadt – die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) durch. Das sogenannte Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA hat damit eine wichtige Hürde genommen. Zwar musste das »Parlament« nicht »entscheiden«, doch die Abgeordneten werden von der Kommission und deren Auftraggebern gerne als eine Art moralische Instanz vorgeschoben. So geht Europa, soll uns das suggerieren.

Doch die Bürger der Europäischen Union ticken anders, als die Jasager von Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen auf den Bänken des seltsamen Hauses vorgeben. Der Widerstand gegen das Abkommen ist groß. So haben sich beispielsweise Großstädte wie Brüssel, Amsterdam oder Köln zu TTIP-freien Orten erklärt. Eine Bürgerinitiative hat EU-weit bereits mehr als 2,3 Millionen Unterschriften gegen das Vertragswerk gesammelt. Gegen TTIP zu sein gilt vielen als emanzipatorischer Akt.

Volksvertreter wie den umtriebigen Parlamentspräsidenten Martin Schulz ficht so etwas nicht an. Der SPD-Vorzeigeeuropäer und frühere »Spitzenkandidat« hat lieber »seinen Job gemacht«: Als im Vorfeld der heutigen Entscheidung die Zustimmung zu TTIP wegen der Klauseln zum »Investorenschutz« und der »Schiedsgerichte« in eine Ablehnung zu kippen drohte, griff er ein. Mit Hilfe des Handelsausschussvorsitzenden Bernd Lange (SPD) lancierte er einen Kompromissvorschlag, nicht zuletzt um Bedenkenträger in den Reihen der Sozialdemokraten einzufangen. Das Konzept ist aufgegangen, so geht in Brüssel Demokratie. Und ganz nebenbei werden Verbraucherschutz, Arbeitsrechte sowie Umweltschutz zugunsten der großen Konzerne geschleift.

Investorenschutz ist die heilige Kuh der Neoliberalen. Sie predigen das barrierefreie kapitalistische Handeln nicht nur, sie setzen es rigoros um. Die Gesetze dazu sind zum großen Teil längst gemacht. Jetzt fehlt nur noch der letzte Schliff, den sollen TTIP und weitere ähnliche Vorhaben liefern.

Neoliberale findet man fast überall. In den Führungsetagen der Großunternehmen, den »Denkfabriken« und Lobbyorganisationen sind sie aber besonders häufig anzutreffen. Wen überrascht es noch, dass auch im »Europa-Parlament« diese Spezies in der Mehrheit ist.

Es ist keine Propaganda, die EU »Konzerneuropa« zu nennen. Ein »Europa der Völker«, wie der linke Traum genannt wird, war nie vorgesehen. Das war und ist offensichtlich, insbesondere zuletzt beim Griechenland-Drama. In Brüssel wird alles von oben geplant und dann exekutiert. Lobbyisten dürfen mitmischen, die Bevölkerung hat zu konsumieren. Oder zu hungern, wie derzeit nicht nur in Griechenland. So gesehen ist es nicht leicht, die Hoffnung auf ein Scheitern von TTIP zu bewahren.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 09. Juli 2015 (Kommentar)


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