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"Wir wollen Skepsis in Widerstand verwandeln"

Trotz Entscheidung des EU-Parlaments: Der Widerstand gegen TTIP geht weiter. Großdemo am 10. Oktober. Ein Gespräch mit Uwe Hiksch *


Uwe Hiksch ist Mitglied im Bundesvorstand der »NaturFreunde Deutschlands e. V.« und Anmelder der Großdemonstration am 10. Oktober in Berlin.

Am Mittwoch wurde im EU-Parlament (EP) erstmalig über TTIP abgestimmt, das Freihandelsabkommen mit den USA. Die ursprünglich im Rahmen des Abkommens vorgesehenen privaten Schiedsgerichte sollen nunmehr doch nicht eingeführt werden. Können Sie jetzt doch noch mit TTIP leben?

Wir Naturfreunde lehnen Freihandelsabkommen und die dahinterstehende neoliberale Logik grundsätzlich ab. Solche Abkommen führen zu weiterer Armut in den Ländern des globalen Südens und zerstören soziale und ökologische Standards, die über viele Jahrzehnte erkämpft worden sind. Auch die jetzt vom Parlament vorgeschlagene Form der Schiedsgerichte wird die ordentliche Gerichtsbarkeit aushebeln – zugunsten der transnationalen Konzerne.

Sie sind also grundsätzlich gegen TTIP – warum?

Mit der Entscheidung des EP hat sich ein Großteil der sozialdemokratischen und konservativen Abgeordneten zu Vollstreckern der internationalen Großkonzerne degradiert. Auf der anderen Seite lehnt aber die große Mehrheit der EU-Bürger die geplanten Freihandelsabkommen ab.

Mit ihrer Hilfe soll Fracking in den Ländern der EU ermöglicht werden, gentechnisch veränderte Nahrungsmittel sollen noch einfacher auf den Markt kommen. Letztlich sollen die Interessen der globalen Agrarindustrie gegen die bäuerliche Landwirtschaft durchgesetzt werden. Rechte und Interessen der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften werden aber ausgehebelt.

Freihandelsabkommen sind Turbobeschleuniger für die weitere Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von der Arbeit zum Kapital in Zeiten der kapitalistischen Überakkumulation. Ziel dieser Abkommen ist es, die Deregulierung und Privatisierung von Leistungen der Daseinsvorsorge im Interesse privater Profite zu beschleunigen. Diese Abkommen sind also ein Instrument des Klassenkampfes von oben.

Sind derlei Gefahren der Mehrheit der Bevölkerung bewusst?

Ich denke ja. Mehr als 2,3 Millionen Menschen haben die selbstorganisierte Bürgerinitiative »TTIP stoppen« mit ihrer Unterschrift unterstützt und damit ihre Ablehnung ausgedrückt. In dem europaweiten Bündnis arbeiten mehr als 460 Organisationen aus allen 28 Ländern der EU zusammen. Meinungsumfragen zeigen, dass eine große Mehrheit der Menschen Schiedsgerichte ablehnt und generell skeptisch gegenüber den Freihandelsabkommen ist. Unsere Aufgabe als Naturfreunde sehen wir darin, diese Skepsis in Widerstand zu verwandeln. Wir wollen die Menschen aufrütteln und sie zum aktiven Widerstand gegen diese neoliberale Freihandelsideologie bringen. Dafür brauchen wir Ausdrucksformen, die das möglich machen.

Am 10. Oktober ist eine Großdemonstration gegen Freihandelsabkommen in Berlin geplant. Wie ist der Stand der Vorbereitung?

Sie laufen auf vollen Touren. Die Naturfreunde haben für das Bündnis die Demonstration angemeldet und das Demobüro eingerichtet. Mit einem breiten Bündnis aus Umweltorganisationen, dem DGB, Entwicklungsorganisationen, Sozial- und Verbraucherschutzverbänden sowie Parteien werden wir eine Großdemonstration organisieren, die die Regierung überraschen wird. Dazu erwarten wir mehr als 350 Busse aus ganz Deutschland, es werden sechs Sonderzüge nach Berlin fahren und Zehntausende Menschen auf die Straße gehen. In spätestens zwei Wochen können die Tickets für die Sonderzüge über die Naturfreunde bestellt werden.

Der Widerstand gegen TTIP scheint stetig zu wachsen. Gehen Sie davon aus, dass das Abkommen doch noch zu stoppen ist?

Kurz und bündig: ja! Dabei setzen wir nicht auf die Einsicht der Regierenden. Wir müssen dieser Koalition aus regierender Politik, Großunternehmen, Finanzindustrie und den politischen Eliten Widerstand entgegensetzen. Wir müssen die Herrschenden zwingen, ihre menschenverachtende und umweltzerstörende Politik zu beenden. Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie EU-Kommission, Bundesregierung und US-Regierung mit Hilfe von TTIP weiter systematisch Arbeitnehmerrechte aushöhlen und die Demokratie zerstören.

Interview: Markus Bernhardt

* Aus: junge Welt, Freitag, 10. Juli 2015


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