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Quellenschutz statt Opferschutz

Die Bundesregierung verspricht, Konsequenzen aus der NSU-Mordserie zu ziehen

Von Aert van Riel *

Lange nach der Veröffentlichung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses kündigte die Koalition nun einige Maßnahmen an. V-Leute sollen aber weiter einen besonderen Schutz genießen.

Im Sommer letzten Jahres legte der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags 47 Empfehlungen vor. Als Konsequenz aus der rechten Mordserie sollten Justiz, Polizei und Verfassungsschutz reformiert werden. Passiert ist seitdem wenig. Deswegen forderten in der vergangenen Woche alle Bundestagsfraktionen gemeinsam eine schnelle Umsetzung der Ausschussempfehlungen.

Um den Vorwurf der Tatenlosigkeit zu entkräften, beschloss das Kabinett nun einen Bericht über den »Umsetzungsstand der Empfehlungen des Untersuchungsausschusses«. Vor Journalisten sagte Innenminister Thomas de Maizière (CDU), künftig müsse der Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern verbessert werden. Ein neues Verfassungsschutzgesetz wolle er im Konsens mit den Ländern ausarbeiten.

Es seien aber auch »schon Lehren gezogen worden«, behauptete der CDU-Politiker. Dabei bezog er sich auch auf das kurz nach dem Auffliegen der NSU-Terroristen im Dezember 2011 eröffnete Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus. Dort tauschen sich Polizei und Geheimdienst von Bund und Ländern aus. Inzwischen ist die Rechtsterrorismusabwehr in dem Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum integriert, in dem sich Bundes- und Landesbehörden mit »Rechtsextremismus, Linksextremismus, Ausländerextremismus und Spionage« beschäftigen. Bei der Gründung des Zentrums Ende 2012 wies die Grünen-Politikerin Renate Künast darauf hin, dass angesichts der akuten rechten Terrorbedrohung ein Terrorabwehrzentrum, das sich mit »Linksextremismus« beschäftigt, »skurril« anmute.

Um den Anschein zu erwecken, auch zivilgesellschaftlich gegen Neonazis vorzugehen, verwies de Maizière auf das Programm »Zusammenhalt durch Teilhabe« seines Ministeriums, das seit 2010 existiert. Das Programm unterstützt Vereine und Initiativen, um »extremistischen und verfassungsfeindlichen Strömungen entgegenzuwirken«.

Kern des Problems sind indes die V-Leute in der rechten Szene, auf die die Innenministerien nicht komplett verzichten wollen. Der Quellenschutz müsse eingehalten werden, wenn er den V-Leuten zugesichert wurde, so de Maizière. Mit diesen Zusagen müsse man aber vorsichtig sein. Bei der Aufarbeitung der NSU-Morde wurde den Sicherheitsbehörden vorgeworfen, sie hätten dem Schutz von V-Leuten Vorrang vor der Aufklärung gegeben. Wenn es nach de Maizière geht, wird sich an diesem Missstand also nichts ändern. Aus Sicht der LINKEN sind die Verfassungsschutzämter nicht reformierbar und sollten als Geheimdienste aufgelöst werden. Zudem fordert die LINKE ebenso wie einige Grünen-Politiker den Verzicht auf V-Leute in Polizei und Nachrichtendiensten. »V-Leute der Sicherheitsbehörden sind keine netten Informanten, sondern vom Staat gekaufte Spitzel und bezahlte Täter«, sagte die LINKE-Politikerin Petra Pau.

Auch im Bereich der Justiz soll es Veränderungen geben. Justizminister Heiko Maas (SPD) kündigte eine Stärkung des Generalbundesanwalts an. Künftig soll dieser bei schweren Staatsschutzdelikten die Zuständigkeit an sich ziehen können, von Landesbehörden über relevante Fälle informiert und bei Streitigkeiten zwischen Behörden über die Zuständigkeit entscheiden können. Bis Ende März will Maas zudem einen Gesetzesentwurf vorlegen, wonach fremdenfeindliche Motive bei der gerichtlichen Aufarbeitung von Straftaten stärker berücksichtigt werden.

Maas und de Maizière sprachen sich außerdem für die Einstellung von mehr Migranten bei Polizei und Justiz aus. Ob dies umgesetzt wird, ist aber fraglich. Die Einführung einer Quote lehnte de Maizière ab.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 27. Februar 2014


Noch mehr Kompetenzen

Mit Verweis auf NSU-Morde: Regierung stärkt den Verfassungsschutz

Von Sebastian Carlens **


Die Bundesregierung plant, die Arbeit von Sicherheitsbehörden und Justiz zu straffen und dem Inlandsgeheimdienst mehr Möglichkeiten zu eröffnen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte am Mittwoch in Berlin, daß eine Novelle des entsprechenden Gesetzes geplant sei, um die Zusammenarbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) mit den entsprechenden Landesbehörden zu verbessern. Laut Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) soll der Generalbundesanwalt künftig zudem leichter Ermittlungen zu Taten mit möglichem rechtsextremen Hintergrund an sich ziehen können.

Ein Entwurf für ein Verfassungsschutzgesetz soll laut de Maizière »zügig« vorgelegt werden. Der Minister kündigte einen »Wandel in der Arbeitskultur« der Behörde an, insbesondere solle die »zentrale Zusammenfassung von Analyse und Information« beim Bundesamt gestärkt werden. »Ich möchte das im Konsens mit den Ländern machen und nicht gegen sie«, sagte der Innenminister – eine Aufwertung des BfV würde den Landesämtern Kompetenzen nehmen; dem müssen die Landesinnenminister zustimmen.

Täter sollten künftig nicht mehr von unklaren Zuständigkeiten profitieren können, sagte Justizminister Maas. Der Generalbundesanwalt, der für Staatsschutzdelikte zuständig ist, solle künftig früher eingeschaltet werden. Bei Fällen mit unklarer Zuständigkeit soll die Bundesanwaltschaft zudem entscheiden, welche Behörde die Ermittlungen zu führen hat. Darüber hinaus sei geplant, daß rassistische und fremdenfeindliche Tatmotive bei der konkreten Strafzumessung stärker berücksichtigt werden, so Maas. Das deutsche Strafrecht sei nach 1949 allerdings bewußt »behutsam bei der Suche nach Motiven« formuliert worden: Motive dürften an sich nicht strafbar sein; »diese Lehre haben wir aus dem Nationalsozialismus gezogen«, so Maas.

Begründet wird die Ausweitung der Rechte des BfV mit der Terrorserie des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU), der zehn Tote forderte. Der Untersuchungsausschuß des Bundestages, der die Rolle der Behörden beim Abtauchen der rechten Terrorgruppe prüfte, hatte mit seinem Abschlußbericht im September 2013 auch 47 Reformempfehlungen abgegeben. Diese würden nun »Stück für Stück abgearbeitet«, sagte Maas. Ein Zwischenbericht zur Umsetzung wurde am Mittwoch vom Bundeskabinett verabschiedet.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 27. Februar 2014


Nicht ohne meinen V-Mann

René Heilig wundert sich über die Vergesslichkeit mancher NSU-Aufklärer ***

Die Bundesregierung plant eine schnelle Verfassungsschutzreform. Noch eine? Oh ja, denn man wolle – wie vom Parlament gefordert – die Lehren aus dem Staatsversagen gegenüber dem rechtsextremistischen Terrornetzwerk NSU ziehen, sagen Union und SPD wie aus einem Munde. Toll! Wer wollte die Regierung daran hindern, Reue zu zeigen und alles zu tun, dass solche rassistischen Verbrechen nicht mehr passieren? Tatsächlich will die Regierung mehr Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden, die Analysefähigkeit verbessern, neue Regeln für den Einsatz von V-Leuten durchsetzen und dem Generalbundesanwalt mehr Kompetenzen zuweisen. Auch das klingt prima – und bedeutet mehr Geheimdienst.

Den Zustand haben wir bereits. Denn lange bevor der NSU-Untersuchungsausschuss seine 47 Empfehlungen aussprach, hatte die Regierung ihre Pflöcke eingeschlagen. So gibt es bereits jede Menge vernetzte Strukturen von Diensten und Behörden. Doch nicht eine Möglichkeit mehr, um das Treiben der Geheimen einer demokratischen, geschweige öffentlichen Kontrolle zu unterwerfen. Allzu schnell haben auch manche Oppositionelle Positionen aufgegeben. Man schaue sich die Grünen im NSU-Ursprungsland Thüringen an. Die fordern die Abschaffung von V-Leuten. Knallhart – probeweise. Nach den Wahlen kann man ja noch mal drüber reden.

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 27. Februar 2014 (Kommentar)


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