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Ferien beim Holocaust-Leugner

NSU-Prozess: Abermals flog ein Neonazi als V-Mann des Verfassungsschutzes auf, Gericht legt Zwangspause zum Aktenverteilen ein

Von René Heilig *

Die Verhandlung am Donnerstag wurde überraschend abgesagt, die erneute Vernehmung eines mutmaßlichen »Hammerskins« vertagt. Das Münchner Gericht kommt mit dem Aktenverteilen nicht nach.

Am Mittwochabend stellte sich heraus, dass die Mitarbeiter des Oberlandesgerichts in München mehrere Tausend Seiten Akten nicht mehr rechtzeitig digitalisieren und an die Verteidiger und die Anwälte der Nebenkläger verteilen konnten. Zwangspause, am Dienstag wird weiter gegen die mutmaßlich NSU-Terroristin Beate Zschäpe und vier Helfer der Neonazi-Zelle verhandelt.

Die Zeit kann helfen, einige neue Erkenntnisse aus dieser Woche zu bewerten. So hatte sich am Mittwoch ein weiterer Zeuge als Quelle des Verfassungsschutzes geoutet. Er sei im März 1997 als Häftling in der Justizvollzugsanstalt Gotha angesprochen worden und habe sich dann mehrfach mit Geheimdienstlern aus Thüringen getroffen. Mit denen habe er nur »Small Talk« gehabt, sagte der heute 42-jährige Bauleiter R. aus Thüringen.

Und dafür 3000 Mark kassiert? Seltsam. Immerhin war der Mann mit nahezu allen Neonazi-Aktivisten in Thüringen bekannt. An den Thüringer Heimatschutz kann er sich erinnern, auch an Zschäpe sowie ihre beiden Kameraden Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, wie er nach langem zähen Befragen zugab. Auch den Angeklagten Ralf Wohlleben kannte er »flüchtig«.

Die Doppeldeutigkeit dieses Wortes ist angebracht. Wohlleben soll dem NSU-Trio für dessen Flucht sein Auto geliehen haben. Mit dem gab es bei Dresden einen Unfall. Der Zeuge sei dann mit Wohlleben zu einem Parkplatz an der Autobahn A4 gefahren und habe den Wagen auf den Hänger geladen. Unmittelbar darauf hätten sich die Verfassungsschützer ein weiteres Mal bei ihm gemeldet.

Wie nah der Zeuge dem rechtsextremistischen Milieu war, lässt sich auch an anderen Beispielen belegen. Einmal sei er wegen eines Haftbefehls nach Dänemark geflohen. Natürlich war es reiner Zufall, dass er bei diesem Ferienhausvermieter landete. Er hieß Thies Christoffersen und war ein weltweit bekannter Verfechter der »Auschwitz-Lüge«.

R. ging zu Veranstaltungen, auf denen »Konzentrationslager für Asylanten« gefordert und »Sieg Heil« gebrüllt wurde. In ehemaligen NVA-Gebäuden trainierte man den Häuserkampf. Schließlich setzte er sich damals für das »biologische Überleben des deutschen Volkes« ein, gab er zu Protokoll. Als Beistand brachte der Zeuge einen Szeneanwalt mit, der selbst schon als Zeuge befragt worden war. Vermutlich hatte dieser Thomas J. ihn auf »Erinnerungslücken« programmiert. Dass die Aussagen dann doch an Wert gewannen, ist den Anwälten der Nebenklage zu danken.

Ein weiterer Zeuge war am Mittwochmorgen nicht zur Befragung erschienen. Das ist das Gericht von ihm gewohnt. Diesmal, so gab er an, sei er ja schon auf dem Weg nach München gewesen. Doch habe er erst einmal »etwas trinken müssen« und sich ein Wirtshaus gesucht.

Auf Antrag der Bundesanwaltschaft soll er nun zum neuen Termin zwangsweise vorgeführt werden. Der Mann gehörte in den 90er Jahren derselben Neonazi-Clique wie Böhnhardt an. Bei der polizeilichen Vernehmung hatte er einen weiteren Freund Böhnhardts mit einem bis heute ungelösten Kindermord in Jena in Verbindung gebracht.

* Aus: neues deutschland, Freitag 25. Juli 2014


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