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V-Mann tot, Quellenführer geladen

NSU-Prozeß. Ein Zeuge soll an Diabetes gestorben sein. Rolle des Verfassungsschutzes weiter Thema

Von Claudia Wangerin *

Unter den verdächtig vielen Zufällen rund um die Mord- und Anschlagsserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) und den Inlandsgeheimdienst mag der eine oder andere echt sein. Am Sonntag vermeldete Spiegel online den Tod des Ex-V-Mannes Thomas Richter alias »Corelli«, der sich im Umfeld des mutmaßlichen NSU-Kerntrios bewegt hatte. Nach vorläufigen Ermittlungen soll es keine Anhaltspunkte für eine »Fremdeinwirkung« geben. Richter starb, so heißt es unter Berufung auf »Sicherheitskreise«, an den Folgen einer nicht erkannten Diabeteserkrankung im Alter von nur 39 Jahren. Er sei bereits Ende März leblos in einer Wohnung in Nordrhein-Westfalen aufgefunden worden. Dies habe sein früherer Auftraggeber, das Bundesamt für Verfassungsschutz, vergangene Woche dem Parlamentarischen Kontrollgremium mitgeteilt. Im Ermittlungsverfahren gegen Beate Zschäpe und mutmaßliche Helfer der Neonaziterrorgruppe war »Corelli« bereits zweimal als Zeuge vernommen worden. Seine Nummer stand auf einer Telefonliste, die 1998 in einer von Zschäpe gemieteten Garage sichergestellt worden war, nachdem sie mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt untergetaucht war. 13 Jahre lang war Richter ab 1994 als V-Mann tätig gewesen – unter anderem im rassistischen »Ku-Klux-Klan«.

Derweil steht dem früheren V-Mann-Führer des hessischen Verfassungsschutzes, Andreas Temme, in dieser Woche seine fünfte Zeugenvernehmung im NSU-Prozeß vor dem Oberlandesgericht München bevor. Am Mittwoch vergangener Woche hatte sein ehemaliger Vorgesetzter Frank Fehling ausgesagt – und bei mehreren Anwälten der Nebenklage den Eindruck hinterlassen, daß er dabei dreiste Lügen verbreitete. Der Beamte wolle verbergen, »daß der hessische Verfassungsschutz die Ermittlungen der Kriminalpolizei ganz erheblich gestört hat«, so Rechtsanwalt Alexander Hoffmann im Anschluß. Fehling sollte im Zeugenstand erklären, was seine Behörde im Jahr 2006 unternommen hatte, um den Mordverdacht gegen den V-Mann-Führer Temme aus der Welt zu schaffen, der zur Zeit des Mordes an Halit Yozgat in dessen Kasseler Internetcafé zugegen war, aber nichts von den Schüssen auf den jungen Mann bemerkt haben will.

An Ausreden waren die Prozeßbeteiligten schon einiges gewohnt, denn Zeugen aus der Neonaziszene hatten sich in den letzten Monaten auf unwahrscheinliche Erinnerungslücken berufen und an Schwachsinn grenzende Naivität vorgeschützt, wenn Richter und Nebenklage versucht hatten, Licht ins Dunkel der terroristischen Strukturen zu bringen. Der Verfassungsschützer Fehling setzte aber noch eins drauf, indem er zunächst entschieden abstritt, ein Telefonat mit dem damals beschuldigten Temme geführt zu haben, obwohl das Gespräch von der Polizei abgehört und somit aktenkundig geworden war. Laut Abhörprotokoll hatte Fehling wenige Wochen nach der Tat Temme dafür gelobt, daß er dem Leiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Lutz Irrgang, alle Umstände geschildert und »nicht so restriktiv wie bei der Polizei« ausgesagt habe. Daraus schlossen die Anwälte der Familie Yozgat und weiterer NSU-Opfer, daß Temme mehr über den Mord wußte, als er in polizeilichen Vernehmungen zugegeben hatte.

Fehling machte sich am Mittwoch zunächst nicht einmal die Mühe, den Vergeßlichen zu spielen, sondern stritt einfach ab, das Telefonat geführt zu haben. Er habe mit Temme damals nicht sprechen wollen, er habe dies sogar absichtlich vermieden. Auch als ihm die Gesprächsinhalte aus dem Protokoll der Telefonüberwachung vorgelesen wurden, blieb er zunächst bei dieser Darstellung. Gleiches galt für überwachte Gespräche, in denen Fehling mit Temme mehrfach über die Ermittlungen geredet und versprochen hatte, ihn auf dem laufenden zu halten. Schließlich sagte Fehling, er könne sich nicht erinnern. Erst auf mehrmalige Nachfrage gestand er die Gespräche ein. Er habe sie zuvor »verdrängt« gehabt.

* Aus: junge Welt, Montag, 14. April 2014


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