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Die minderjährige V-Frau

NSU-Prozeß: Mit 17 vom Verfassungsschutz auf rechte Demos geschickt: Die Geschichte der uneinsichtigen Zeugin Juliane W. grenzt zum Teil an politischen Mißbrauch

Von Claudia Wangerin *

Juliane W. ist heute 32 Jahre alt. Im Alter von 15 Jahren wurde sie die Freundin des Neonazis und mutmaßlichen Terrorhelfers Ralf Wohlleben – und mit 17 außerdem Gewährsperson des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz. Davon will sie ihm aber nichts erzählt haben. Falls sie das ausnahmsweise nicht vergessen hat, wie angeblich so vieles sonst.

Denn als Zeugin im Münchner Prozeß um die Mord- und Anschlagsserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) vor dem Oberlandesgericht München wollte sich Juliane W. an die Ereignisse im Jahr 1998 praktisch nicht mehr erinnern. Ihre Vernehmung gestaltete sich am Mittwoch so zäh, daß sie am Donnerstag morgen außerplanmäßig noch einmal in den Zeugenstand bestellt wurde. Der Vorsitzende Richter Götzl kaufte ihr die Erinnerungslücken nicht ab, zumal sie bei der Polizei vor zwei Jahren noch umfangreiche Angaben gemacht hatte. Eine Nebenklagevertreterin wollte ein Ordnungsgeld wegen Aussageverweigerung beantragen.

Einen selbstgerechten Eindruck hinterließ die Zeugin bei mehreren Opferanwälten. Sie scheine zwar heute keine aktive Neonazipolitik mehr zu betreiben, sei aber auch nicht gewillt, irgendeine Mitverantwortung für die Verbrechen des NSU bei sich oder ihren Freunden einzugestehen, erklärte Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der eine Geschädigte des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße im Jahr 2004 vertritt.

Juliane W. sollte nicht zuletzt über den Tag Auskunft geben, an dem das spätere mutmaßliche Kerntrio des NSU 1998 in Jena untergetaucht war. Sie hatte damals am 26. Januar Gegenstände aus den Wohnungen der Flüchtigen Beate Zschäpe und Uwe Mundlos abholen sollen. Bei Mundlos war sie aber von der Polizei empfangen und gleich als Zeugin bei der Hausdurchsuchung eingesetzt worden. »Gecoacht« wirkte sie auf Nebenklageanwalt Hoffmann am Mittwoch in München. »Die Zeugin blieb in allen Fällen dabei, nichts mehr zu wissen, und stellte sich vor allem als Opfer der Fragenden, die sie ›verwirren‹ wollten, und der Presse dar.«

Falls sie ein Opfer ist oder war, dann sicher keines der Fragenden. Was aber der damals für sie zuständige Verfassungsschützer Norbert Wießner im Thüringer Untersuchungsausschuß zum Neonaziterror eingeräumt hat, grenzt tatsächlich an politischen Mißbrauch von Jugendlichen. »Sie wollte sich öffentlich nie im Zusammenhang mit der rechten Szene zeigen«, so Wießner am 5. September 2013 in Erfurt. Er aber habe sie aufgefordert, an Demonstrationen teilzunehmen, um sie als Informantin besser zu platzieren. »Das hat die nicht gemacht«, empörte sich Wießner laut Mitschrift der Abgeordneten Katharina König (Die Linke) vor dem Ausschuß. »Das heißt, Sie drängen Personen, die der rechten Szene gar nicht zugehörig sind, in die rechte Szene rein?« Auf diese Nachfrage von König soll der Verfassungsschützer etwas kleinlaut geworden sein, erklärte aber schließlich: »So kann man’s sehen.«

Hinzu kam, daß Wießner im Sommer 1998 die unklaren Loyalitäten der 17jährigen bewußt gewesen sein müssen, war sie doch die Freundin von Ralf Wohlleben, der damals zum harten Kern der Szene gehörte. Nach Aussage von Wießner soll sie auch vor allem Persönliches über den gut sechs Jahre älteren Neonazi berichtet haben. Die Richtlinie, daß weibliche V-Personen beim Verfassungsschutz von Frauen geführt werden sollten – und wenn dies nicht möglich ist, von zwei männlichen Mitarbeitern – hatte Wießner damals ohnehin mißachtet. Auch er sollte am Donnerstag als Zeuge im Münchner NSU-Prozeß aussagen, hauptsächlich über die Führung einer anderen Quelle: Tino Brandt war Anführer des Thüringer Heimatschutzes – und zum Zeitpunkt der Anwerbung durch den Inlandsgeheimdienst mit 19 immerhin schon volljährig. Wießner war auf die Zeugenvernehmung am Donnerstag schlecht vorbereitet und muß, wie es aussieht, erneut vor Gericht erscheinen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 28. März 2013


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