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Die Visionen des Majors

NSU-Prozeß: "Knüpfe Verbindungen zu anderen Zellen": der Strategieartikel eines V-Mannes, das "Zwickauer Terrortrio" und ein unliebsamer Beweisantrag

Von Claudia Wangerin *

Die braunen Untergrundkämpfer sollten sich »so neutral wie möglich« kleiden und »Äußerungen zur Ausländerfrage« vermeiden. »Bildet Zellen durch Zusammenschluß einiger Personen, die sich gegenseitig gut kennen«, heißt es in der Anleitung »Strategien für die Zukunft« aus der Neonazipostille Sonnenbanner, die 1998 bei der Garagendurchsuchung in Jena gefunden wurde, nach der die »Bombenbastler« Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe untertauchten. Aus drei bis zehn Personen sollte nach dem Strategiepapier eine Zelle bestehen. »Knüpfe Verbindungen zu anderen Zellen«, heißt es darin weiter. »Fasse mehrere Zellen unter einem Leiter zusammen.«

Das 2011 durch den Tod von Mundlos und Böhnhardt aufgeflogene »Zwickauer Terrortrio« war gemäß dieser Blaupause nur die kleinste militärische Einheit. Zu den ihr angelasteten Mordanschlägen bekannte sich laut Selbstbezeichnung »ein Netzwerk von Kameraden«, der »Nationalsozialistische Untergrund« (NSU). Die Anklageschrift geht jedoch von drei Mitgliedern aus.

Der Artikel aus dem Sonnenbanner soll nun vor Gericht verlesen und der damalige Herausgeber Michael von Dolsperg, geb. See, als Zeuge vernommen werden – so haben es vergangene Woche mehrere Anwälte der Nebenklage im Münchner NSU-Verfahren beantragt. Die Bundesanwaltschaft ist dagegen. Offizielle Begründung: Das sei nicht relevant für Schuld und Strafmaß bei den fünf Angeklagten. Und das, obwohl sich der Vorwurf der Mittäterschaft gegen die Hauptangeklagte Beate Zschäpe genau auf die Annahme stützt, sie habe mit Mundlos und Böhnhardt gemeinsam beschlossen, die rassistische Vorstellung vom »Erhalt der deutschen Nation« durch Mordanschläge zu verwirklichen. Eine Anwesenheit an den Tatorten von zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und mehreren Raubüberfällen wird ihr bisher nicht vorgeworfen. Sie gilt als Logistikerin der Gruppe. Entscheidend für die Mittäterschaft ist aber nicht die Arbeitsteilung, sondern der gemeinsame Entschluß. Das ist auch die Argumentation der Anklageschrift – der Fund des Strategieartikels in der Garage und Zeugenaussagen über entsprechende Diskussionen in der Thüringer Neonaziszene um das spätere mutmaßliche NSU-Kerntrio berühren demnach sehr wohl die Schuld- und Straffrage.

Allerdings wäre die öffentliche Beweiserhebung in Sachen Sonnenbanner für die Sicherheitsbehörden in mehrfacher Hinsicht peinlich. Nicht nur, weil der Polizei mit dem undatierten Heft direkt nach dem Untertauchen der drei Neonazis im Januar 1998 schon ein Hinweis auf geplante rassistische Morde vorlag, die dann über Jahre hinweg verübt werden konnten, ohne daß die Täter in der braunen Szene gesucht wurden. Der Herausgeber und mutmaßliche Autor der »Strategien für die Zukunft«, die mit dem Pseudonym »Karl Ketzer« unterzeichnet sind, war zudem noch ein V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Michael von Dolsperg agierte unter dem Decknamen »Tarif«, seine Akte fiel der berüchtigten Schredderaktion Ende 2011 zum Opfer, nur wenige Tage nach Aufdeckung des NSU.

Spiegel-Reportern hat der heute knapp 40jährige laut Veröffentlichung im Februar 2014 erzählt, er sei eigentlich ab 1994 nicht mehr aus eigenem Antrieb in der rechten Szene gewesen, sondern mehr oder weniger nur noch als Informant. Auch das Sonnenbanner habe er nur zu Tarnungszwecken auf Anregung seiner V-Mann-Führer weiter betrieben. Der Verfassungsschutz soll außerdem einen brandheißen Tip von ihm nicht gewürdigt haben, der 1998 zur Festnahme des mutmaßlichen NSU-Kerntrios hätte führen können. Der Neonazi André Kapke, ein Jugendfreund der Untergetauchten, soll »Tarif« damals gefragt haben, ob er die drei verstecken könne. Dolsperg will dies umgehend mit seinem V-Mann-Führer »Alex« besprochen haben. In diesem Gespräch bekam Dolsperg nach eigener Aussage die Anweisung, Kapke eine Absage zu erteilen. Das allerdings dementiert das BfV.

Dolsperg wiederum gab in der Spiegel-Homestory in seinem schwedischen Ökobauernhof an, er fühle sich von Exkameraden verfolgt. Das abgelegene Gehöft soll bereits zum Verkauf gestanden haben, als die Reporter den langhaarigen, blonden Mann mit dem weißen Schäferhund vor mehreren Wochen dort fotografierten. Seine Glaubwürdigkeit ist auch deshalb nicht weniger zweifelhaft als die des Verfassungsschutzes, weil Dolsperg noch 2008 in der »Artgemeinschaft« des mittlerweile verstorbenen Neonazianwalts Jürgen Rieger auf dem schwedischen Landgut Sveneby weilte. Obwohl er sich innerlich schon seit 1994 von der Szene entfernt und 2002 sein letztes V-Mann-Honorar erhalten haben will.

Was er vor mehr als 16 Jahren als »Strategien für die Zukunft« herausgab, war den Visionen eines Schweizer Majors aus dem Kalten Krieg entlehnt: Hans von Dach hatte 1957 das Buch »Der totale Widerstand« verfaßt, um die Patrioten des Alpenstaats auf eine herbeihalluzinierte sowjetische Invasion vorzubereiten, die dann bekanntermaßen doch nicht stattfand. Im Zuge dieser Paranoia waren allerdings in mehreren europäischen Ländern geheime Kampfgruppen unter dem Namen »Stay behind« gegründet worden.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 26. März 2013


Die Anwälte vom Inlandsgeheimdienst

Im Münchner NSU-Verfahren und im Thüringer Landtag: Zeugenbeistände für Verfassungsschützer sind in. Einer schrieb RAF-Geschichte

Von Claudia Wangerin **


Rechtsanwalt Butz Peters ist auch als früherer Moderator der Fernsehsendung »Aktenzeichen XY« sowie als Autor und vorgeblicher Zerstörer von Mythen der »Roten Armee Fraktion« bekannt. Im Titel seines Buches »Wer erschoß Wolfgang Grams? Das Desaster von Bad Kleinen« hätte er sich das Fragezeichen sparen können, denn er stellte darin von Anfang an klar, daß der RAF-Mann sich 1993 selbst erschossen habe – und nicht etwa von einem GSG-9-Polizisten mit einem aufgesetzten Kopfschuß getötet worden sei. An Journalisten, die auf Widersprüche und Ungereimtheiten in der staatstragenden Selbstmordversion hingewiesen hatten, ließ Peters in dem 2006 veröffentlichten Buch kein gutes Haar. Das Desaster von Bad Kleinen war demnach vor allem ein Medienskandal.

Ein Schelm, der Böses dabei denkt, daß der Autor mit Anwaltsdiplom seit einiger Zeit auch als Zeugenbeistand für Verfassungsschützer brilliert, die in den Thüringer Untersuchungsausschüssen zum Neonaziterror oder zum rechtsextremen V-Mann Kai-Uwe Trinkaus aussagen müssen.

Die Abgeordnete Katharina König (Die Linke) wollte in einer kleinen Anfrage im Januar von der Landesregierung wissen, wer eigentlich die Kosten für den Anwalt übernimmt, der regelmäßig Fragen von gewählten Politikern an Geheimdienstleute abblockt. Die Antwort erhielt König Mitte März: In zwei Fällen übernahm das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz demnach insgesamt 7041,25 Euro an Anwaltskosten, in einem weiteren Fall erteilte es eine Deckungszusage in Höhe von 3000 Euro. Das Innenministerium teilte mit, die Kostenübernahme ergebe sich – mangels ausdrücklicher Rechtsgrundlage – aus der »Fürsorgepflicht des Dienstherrn«. Katharina König hält diese Auslegung für rechtswidrig. Die Linksfraktion läßt sie nun juristisch prüfen.

Auch frühere Mitarbeiter des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz waren mit Butz Peters vor dem Thüringer Ausschuß erschienen – im Dezember etwa Dr. Olaf Vahrenholt, höchstselbst Jurist, der für Telefonüberwachungsmaßnahmen zuständig war, als die später als NSU-Kerntrio bekannt gewordenen drei Neonazis aus Jena im benachbarten Bundesland untertauchten. Hier konnte Peters »innersächsische Fragen« abblocken.

Aber auch im Münchner Prozeß um die Mord- und Anschlagsserie, die dem NSU seit Ende 2011 zugeordnet wird, nimmt der Verfassungsschutz Einfluß auf Zeugenbefragungen. Wirbel gab es darum erstmals in einem Fall, den das hessische Landesamt (LfV) zu verantworten hatte. Nebenklagevertreter warfen der Behörde am 5. Dezember »Verfahrenssteuerung« vor – und verlangten vom Oberlandesgericht München, den Zeugenbeistand des früheren V-Mannes Benjamin Gärtner auszuschließen. In der Vernehmung ging es um dessen Quellenführer Andreas Temme, der 2006 beim Mord an dem 21jährigen Halit Yozgat in Kassel nicht nur am Tatort gewesen war, sondern auch noch am selben Tag mit Gärtner, seinem einzigen V-Mann aus der Neonaziszene, telefoniert hatte.

Daß die Kosten für dessen Anwalt Volker Hoffmann vom LfV Hessen übernommen worden waren, ergab sich aus den Prozeßakten. Der Zeuge habe zudem keine Möglichkeit zur Auswahl eines Beistands gehabt, so mehrere Opferanwälte in einer gemeinsamen Erklärung. Zwar habe der Anwalt kurz vor dem Gerichtstermin auch eine Vollmacht des Zeugen überreicht, dies ändere aber nichts daran, daß er die Interessen des LfV vertrete. Volker Hoffmann war bereits Verteidiger im Korruptionsverfahren gegen Holger Pfahls, einst Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz und später Staatssekretär im Verteidigungsministerium.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 26. März 2013


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