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Zum Töten bestimmt

NSU-Prozeß: Gericht versucht zu klären, ob Carsten S. einen Schalldämpfer bestellte. Nebenklage will einen Zeugen hören, über den Akten unter Verschluß gehalten werden

Von Claudia Wangerin *

Ob der Schalldämpfer der Tatwaffe ausdrücklich bestellt war oder einfach mitgeliefert wurde, ist für Schuld und Strafmaß des Angeklagten Carsten S. im Prozeß um die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) von Bedeutung. Am Mittwoch hat das Oberlandesgericht München die Beweisaufnahme zur Beschaffung der Ceska-Pistole fortgesetzt, an der Carsten S. um die Jahrtausendwende beteiligt war. Sollte er damals, wenn auch im Auftrag des Mitangeklagten Ralf Wohlleben, einen Schalldämpfer bestellt haben, hätte er sich denken können oder sogar gewußt, daß die Ceska-Pistole zum Töten bestimmt war. Und nicht etwa nur dazu, um jemanden damit zu bedrohen, oder zum Selbstschutz. Seine Aussage widerspricht allerdings in diesem Punkt den Angaben des Waffenverkäufers in polizeilicher Vernehmung. Carsten S. will keinen Schalldämpfer bestellt haben. Der frühere Neonazi hat bereits vor einem Jahr gestanden, im Frühjahr 1999 oder 2000 nach Anleitung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben im Jenaer Szeneladen »Madley« nach der Waffe gefragt und sie später auch abgeholt zu haben. Die Aussagen des Verkäufers müssen dagegen durch Polizeibeamte in den Prozeß eingeführt werden. Denn gegenüber dem Bundeskriminalamt (BKA) hatte Andreas Schultz, der seinerzeit die Ceska-Pistole »unter dem Ladentisch« verkauft hatte, noch Angaben dazu gemacht – vor Gericht hatte Schultz später die Aussage verweigert. Das steht Zeugen zu, wenn sie sich durch wahrheitsgemäße Angaben selbst belasten könnten.

Nach Aussage eines BKA-Beamten, der am Dienstag vor Gericht befragt wurde, hatte der Waffenverkäufer sich in einer Vernehmung erinnert, Carsten S. habe »explizit« einen Schalldämpfer bestellt. Von Wohlleben soll Andreas Schultz dabei kaum gesprochen haben, sondern hauptsächlich über Carsten S. Schultz habe lediglich erwähnt, beide seien mal gemeinsam in seinem Laden gewesen. Nach Aussage eines anderen Polizeizeugen Ende Februar war dies aber laut Schultz genau der Besuch gewesen, bei dem Wohlleben und S. erstmals nach der Waffe gefragt hatten. Der heute 34jährige Carsten S. hat als einziger von fünf Angeklagten Fragen zu den Tatvorwürfen beantwortet. Neben dem fünf Jahre älteren Ralf Wohlleben belastete S. dabei auch sich selbst erheblich. Da er zum Zeitpunkt der Waffenübergabe an die mutmaßlichen Haupttäter noch heranwachsend war, kommt für ihn Jugendstrafrecht in Betracht.

Am Dienstag hatte der Zeuge Enrico T., der an der Waffenbeschaffung beteiligt gewesen sein soll, vor Gericht die Aussage verweigert. Mehrere Nebenklagevertreter beantragten anschließend die Ladung eines weiteren Zeugen aus der Neonaziszene, der sehr engen Kontakt zu Angeklagten und Beschuldigten gehabt haben soll. Dieser Thomas Gerlach beteiligte sich an der Organisation von Rechtsrock-Konzerten wie dem »Fest der Völker« und arbeitete auch bei der NPD mit. Er soll sowohl mit der Hauptangeklagten Beate Zschäpe vor deren Untertauchen als auch später mit der als Helferin beschuldigten Mandy Struck liiert gewesen sein. Nach einem Bericht des BKA gebe es »weitere, hier jedoch nicht vorliegende Erkenntnisse aus dem Jahr 2006 über den Zeugen Thomas Gerlach«, heißt es in dem Beweisantrag der Nebenklage. Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz habe diese Erkenntnisse als vertrauliche Verschlußsache eingestuft. In den Ermittlungsakten finde sich auch keine Vernehmung Gerlachs.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 20. März 2014


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