Warnung vor "roter Linie"
Russland fordert Beilegung des Streits um den Raketenschild vor dem NATO-Gipfel 2012 *
Russland fordert die Beilegung des Raketenstreits mit den USA vor dem NATO-Gipfel 2012. Sonst will Moskau an der NATO-Grenze aufrüsten. Die russische Seite versichert, den »Neustart« mit Washington zu wollen.
Ultimatum aus Moskau: Im Streit um das geplante US-Raketenabwehrsystem in Europa hat Russland eine Einigung vor dem NATO-Gipfel in Chicago 2012 gefordert. Falls sich die NATO dann auf den Schutzschild einige und Russland nicht einbeziehe, überschreite das Bündnis die »rote Linie«. Das erklärte der Vorsitzende des Auswärtigen Komitees der Staatsduma, Konstantin Kossatschow, am Donnerstag (24. Nov.) nach Angaben der Agentur Interfax in Moskau.
»Danach wird es notwendig sein, die vom Präsidenten angekündigten Schritte umzusetzen«, sagte Kossatschow. Dmitri Medwedjew hatte am Vortag mit der Stationierung von Offensivwaffen nahe der Grenze zur NATO sowie mit einer Aufkündigung des russisch-amerikanischen Abrüstungsvertrags START gedroht. Vizeregierungschef Sergej Iwanow kündigte an, Russland werde in den kommenden drei Jahren rund vier Billionen Rubel (rund 95,2 Milliarden Euro) in moderne Waffen investieren.
Die NATO und die USA reagierten enttäuscht. Medwedjews Äußerungen erinnerten an den Kalten Krieg, kritisierte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen [siehe Kasten]. Das Bündnis hat nach eigener Darstellung Russland immer wieder zur Teilnahme an der Abwehr eingeladen. Allerdings will die NATO zwei separate, wenn auch eng verbundene Systeme - Moskau hingegen fordert einen gemeinsamen Gefechtsstand. Die USA beteuerten erneut, dass sich der Schutzschirm nicht gegen Russland richte. Moskau sieht in einem Alleingang der Allianz eine Gefahr für seine Sicherheit und verlangt eine schriftliche Garantieerklärung.
Statement by the NATO Secretary General on Missile Defence
Press Release (2011) 146, 23.11.2011
I have taken note of President Medvedev's statement on missile
defence.
NATO's missile defence system, which NATO Heads of State and
Government agreed to develop last year at the Libson summit, is
designed to defend against threats emanating from outside Europe
and is not designed to alter the balance of deterrence.
I welcome President Medvedev's willingness not to close the door
on continued dialogue with NATO and the U.S. on missile defence
and to consider practical cooperation in this area. Last year,
NATO Heads of State and Government decided to invite Russia to
discuss the possibilities of cooperating with us and to develop
the NATO-Russia relationship into a strategic partnership. That
offer still stands.
The suggestion that deployment of missiles in the areas
neighbouring the Alliance is an appropriate response to NATO's
system is very disappointing. Such deployments would be
reminiscent of the past and are inconsistent with the strategic
relations NATO and Russia have agreed they seek and with the
spirit of the dialogue, including on missile defence issues,
that they are currently conducting.
Cooperation on missile defence would clearly show that NATO and
Russia can build security together, not against each other. It
would allow us to deal with new threats and old suspicions at
the same time. It would show that cooperation, not confrontation, is the way ahead.
Quelle: Newsletter der NATO, 23. November 2011
Beobachter halten Medwedjews scharfe Drohung auch für Wahlkampftaktik. Der Präsident habe sich vor der Parlamentswahl am 4. Dezember profilieren wollen, hieß es.
Trotz der Zuspitzung des Raketenstreits wolle Russland am »Neustart« mit den USA festhalten, sagte Außenpolitiker Kossatschow. Moskau plane keine Schritte, die die russisch-amerikanischen Beziehungen gefährdeten, und werde auch nicht die Zusammenarbeit mit Washington in Fragen der strategischen Stabilität blockieren. Hingegen kommentierte die Zeitung »Kommersant«, dass aufgrund der Drohungen der »Neustart in den Beziehungen zwischen Russland und den USA zumindest ausgesetzt ist und der Dialog über den Raketenschild eingefroren wird - für das gesamte Jahr 2012, das für Russland und die USA ein Wahljahr ist«.
* Aus: neues deutschland, 25. November 2011
Medwedew: Russland kontert US-Raketenschirm mit neuen Kampfsystemen **
Angesichts der stockenden Verhandlungen über den US-Raketenschild für Europa hat der russische Präsident Dmitri Medwedew in einer Sondererklärung die Aufstellung neuer Kampfsysteme, darunter auch an der Ostsee, angekündigt sowie einen Ausstieg aus den Abrüstungsverträgen als möglich bezeichnet.
Im Westen und im Süden des Landes würden im Notfall modernste Waffen aufgestellt, die in der Lage seien, den europäischen Raketenschild zu zerstören,
erklärte Medwedew am Mittwoch (23.Nov.). Vor allem gehe es um die Stationierung von Raketensystemen des Typs Iskander in der Ostsee-Exklave Kaliningrad.
Darüber hinaus statte Russland alle neuen ballistischen Raketen, die die Strategischen Raketentruppen und die Marine in Dienst stellen, mit den modernsten Sprengköpfen aus, um den Raketenschirm durchbrechen zu können. Außerdem beauftragte Medwedew das Militär, weitere Maßnahmen zu konzipieren, um im Notfall die Informations- und Führungssysteme des europäischen Raketenschildes zerstören zu können.
Parallel dazu soll der Schutz der russischen Interkontinentalraketen und anderer Anlagen der strategischen Raketentruppen verstärkt werden. „Auf meinen Auftrag hin hat das Verteidigungsministerium Russlands unverzüglich in der Stadt Kaliningrad einen Raketenangriff-Frühwarnradar in Dienst zu stellen“, so Medwedew.
Abrüstung auf der Kippe
Wenn weiterhin keine Einigung mit den USA in Sachen Raketenabwehr erzielt wird, behält sich Russland laut Medwedew das Recht vor, auf weitere Schritte im Bereich der Abrüstung und der Rüstungskontrolle zu verzichten. Medwedew schloss nicht aus, dass Russland den Aufbau der Nato-Raketenabwehr in Europa als Grund für einen Ausstieg aus dem START-Vertrag nutzen könnte.
Tür für weitere Gespräche offen
Dabei betonte Medwedew, Russland wolle mit den USA und der Nato weiter verhandeln. „Wenn unsere Partner fair und verantwortungsbewusst vorgehen und auf unsere rechtmäßigen Sicherheitsinteressen Rücksicht nehmen, dann werden wir eine Einigung erzielen können - davon bin ich überzeugt“, so Medwedew. Anderenfalls müsste Russland „nach anderen Antworten suchen“.
Russland werde nicht an einem Raketenabwehrsystem mitbauen, das in sechs bis acht Jahren das Abschreckungspotential schwächen werde, betonte Medwedew. Gerade darauf sei das jetzige Raketenabwehrprogramm für Europa abgezielt, das immer schneller umgesetzt werde und immer weitere Staaten umfasse: Polen, Türkei, Rumänien, Spanien. „Uns stellt man vor die vollendeten Tatsachen.“
Dennoch lasse Russland die Tür für weitere Gespräche offen. „Wir stehen für einen Dialog offen. Wir erwarten, dass unsere westlichen Partnern vernünftig und konstruktiv handeln“, betonte Medwedew.
Russland und die Nato hatten sich bereits im November 2010 bei ihrem
Gipfel in Lissabon darauf geeinigt, gemeinsam ein Raketenabwehrsystem für Europa aufzubauen. Doch die Verhandlungen über die Details kommen nur schleppend voran. Russlands wichtigste Forderung, zu garantieren, dass der Raketenschirm nicht gegen das russische Atompotenzial gerichtet ist, lehnt das Bündnis ab. Im Oktober konstatierte der russische Nato-Botschafter Dmitri Rogosin, dass die Raketenabwehr-Gespräche in einer Sackgasse steckten.
** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 23. November 2011; http://de.rian.ru
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