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Der Apparat schlägt zurück

Generalbundesanwalt keilt gegen Bundesregierung: Haben die Minister ihre Ressorts, hat die Kanzlerin ihr Kabinett nicht im Griff?

Von Sebastian Carlens *

Wenn er schon gehen muss, dann mit Aplomb: Mit harschen Worten hat Generalbundesanwalt Harald Range am Dienstag Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) attackiert: »Auf Ermittlungen Einfluss zu nehmen, weil deren mögliches Ergebnis politisch nicht opportun erscheint, ist ein unerträglicher Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz«, erklärte er in Karlsruhe. Nach Ranges Darstellung hat ihn der Justizminister gezwungen, ein Gutachten zu stoppen. Das sollte klären, ob es sich bei vom Blog Netzpolitik.org veröffentlichten Dokumenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) um Staatsgeheimnisse handele, die Ermittlungen wegen Landesverrats rechtfertigten. Das BfV, dessen Präsident Hans-Georg Maaßen Anzeige wegen der Veröffentlichungen erstattet hatte, habe dies in einer Expertise angenommen. Range habe eine unabhängige Bestätigung gewünscht, aber: »Mir wurde die Weisung erteilt, das Gutachten sofort zu stoppen. Dieser Weisung habe ich Folge geleistet.« Ermittlungen hatte er trotzdem eingeleitet.

Range ist politischer Beamter, der mit den Zielen der Regierung übereinzustimmen hat. Er kann jederzeit, auch ohne Angabe von Gründen, in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Nach dem Auftritt in Karlsruhe dürfte Maas kaum noch eine andere Wahl haben, als seinen Bundesanwalt in die Wüste zu schicken. FDP-Mitglied Range wird dies verschmerzen können; in einem Jahr wäre er sowieso in den Ruhestand gegangen.

Ranges Angriff auf Maas erhält noch mehr Gewicht, da Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dem Justizminister am Montag ihre »volle Unterstützung« zugesichert hatte. Das Kanzleramt bezweifle, dass der Landesverratsvorwurf gerechtfertigt sei, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz. Gerade wenn die Pressefreiheit betroffen sei, müssten Behörden eine »besonders sensible Abwägung« vornehmen – für Range ein weiterer Schlag ins Kontor. Innenminister Thomas de Maizière, in dessen Haus die Angelegenheit ihren Anfang genommen hatte, ließ vorsorglich mitteilen, er sei über die Angelegenheit gar nicht informiert worden. De Maizière ist der Vorgesetzte von BfV-Chef Maaßen.

Sollten die Minister ihre Ressorts, sollte die Kanzlerin ihr Kabinett nicht mehr im Griff haben? Es ist wohl einmalig in der Geschichte der BRD, dass ein weisungsgebundener politischer Beamter den Austausch mit seinem Minister öffentlich macht und ihn der Einflussnahme bezichtigt. Der Apparat der Ministerien und Ämter stellt sich damit offen gegen die politische Führung. Dabei geht es wohl um maximale Abschreckung: Nach NSU- und NSA-Affäre sollen alle Lecks geschlossen, weitere potentielle Whistleblower eingeschüchtert werden.

Bernd Riexinger, Kovorsitzender der Partei Die Linke, verlangte am Dienstag die Entlassung Ranges. Dieser fordere »seine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand geradezu heraus, ist aber nicht Manns genug, diesen Schritt selbst zu tun«. Trage die Bundesregierung nicht ihren Teil zur Aufklärung bei, werde man über einen Untersuchungsausschuss nachdenken müssen, so Riexinger.

Auch international hat der deutsche Umgang mit der Pressefreiheit für Aufsehen gesorgt. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat ein Ende der Ermittlungen gefordert. »Die Drohung mit einer Landesverratsklage hat einen eindeutig abschreckenden Effekt auf investigative Journalisten«, schrieb die OSZE-Beauftragte für Pressefreiheit, Dunja Mijatovic, an Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD).

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 5. August 2915

Range gefeuert **

In der Affäre um Landesverrats-Ermittlungen gegen Journalisten muss Generalbundesanwalt Harald Range seinen Posten räumen. Justizminister Heiko Maas (SPD) kündigte nach schweren Vorwürfen von Range gegen die Bundesregierung am Dienstag abend an, der Generalbundesanwalt werde wegen Vertrauensverlustes in den Ruhestand versetzt. Das sei mit dem Kanzleramt von Angela Merkel (CDU) abgesprochen und solle noch am Abend beim Bundespräsidenten beantragt werden. Als Nachfolger an der Spitze der Bundesanwaltschaft schlug Maas den Münchner Generalstaatsanwaltschaft Peter Frank vor.

Range hatte Maas am Morgen politische Einflussnahme auf die Justiz im Zuge der Ermittlungen gegen zwei Blogger von Netzpolitik.org vorgeworfen. Er habe Anweisung bekommen, ein externes Gutachten sofort zu stoppen und den Auftrag zurückzuziehen, sagte er in Karlsruhe. »Auf Ermittlungen Einfluss zu nehmen, weil deren mögliches Ergebnis nicht opportun erscheint, ist ein unerträglicher Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz.« Er sei der Weisung aber nachgekommen.


Maulhalten Bürgerpflicht

Range, Maaßen und Bundeskanzleramt

Von Arnold Schölzel **


Generalbundesanwalt Harald Range muss nun also gegen sich ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Landesverrat anstrengen. Jedenfalls hat er eine Anweisung seines Dienstherrn, des Justizministers, also ein Staatsgeheimnis, ausgeplaudert.

Das ist grotesk und lenkt ab. Vor allem von den Urhebern der Chose. Die möchten Whistleblowern in Behörden und Parlamenten einen Schuss vor den Bug geben, an unmaßgeblichen Journalisten ein Exempel statuieren. Wer sich das Verhalten Ranges gegenüber dem NSA-Untersuchungsausschuss anschaut oder das der Geheimdienstleute gegenüber den Parlamentariern, die sich in Bundestag und verschiedenen Landtagen mit dem NSU befassen, weiß: Da sprach der Obrigkeitsstaat zu den beschränkten Untertanen. Als Prachtexemplar an unerschütterlicher Schnoddrigkeit erwies sich der Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Beauftragte für die Nachrichtendienste des Bundes, Klaus-Dieter Fritsche (CSU). Der drehte 2012 im NSU-Untersuchungsausschuss den Spieß einfach um und beschimpfte das Gremium, es beteilige sich an einem »Skandalisierungswettbewerb«. Es dürften generell keine »Staatsgeheimnisse bekannt« werden, die ein »Regierungshandeln unterminieren könnten«. Im Klartext: Wenn ein bundesdeutscher Geheimdienst Verbrechen begeht oder begehen lässt, ist das kein Verbrechen, sondern zu schützendes Regierungshandeln.

Der damalige Ausschussvorsitzende hieß Sebastian Edathy (SPD) und widersprach ihm energisch. Am 18. Juni nun plauderte Exbundesinnenminister Hans-Peter Friedrich im Untersuchungsausschuss zu dessen Affäre aus, sein damaliger Staatssekretär Fritsche habe ihn im Oktober 2013 nicht nur über den Verdacht der Polizei gegen den SPD-Abgeordneten informiert, sondern ihm auch geraten, den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel zu informieren. Friedrich musste wegen Weitergabe von Dienstgeheimnissen zurücktreten, Fritsche – von 1996 bis 2005 stellvertretender Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz – kehrte ins Bundeskanzleramt zurück, wo er von 2005 bis 2009 Geheimdienstkoordinator war.

So einem kann egal sein, wer unter ihm Minister ist. Oder Kanzlerin? Das verlangt schon der Korpsgeist. Wer soll denn in Zeiten von Krise und noch vielen aus mehr Verantwortung zu führenden Kriegen Stabilität wahren, wenn nicht die Exekutive? Gewählten Politikern kann das nicht überlassen werden, die sind ein Sicherheitsrisiko. Sie haben angesichts wankelmütiger Wähler immer wieder liberale Anwandlungen.

Am Dienstag berichtete der Tagesspiegel, das Kanzleramt habe 2014 zweimal Medienberichte auf Geheimschutzverstöße untersuchen lassen. Das besagt: Den Herrschaften in der staatlichen Machtzentrale sitzt der Snowden in den Knochen, und da sollen sie das Staatsschiff sturmfest machen. Die Fritsche, Maaßen, Range und ihre politischen Auftraggeber kennen nur die Maxime: Maulhalten über jedes neue Loch in der Schiffswand ist erste Bürgerpflicht, zumal wenn es von Staats wegen hineingeballert wurde.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 5. August 2915 (Kommentar)


Rücktrittsgrund

Velten Schäfer über Harald Ranges Attacke auf den Justizminister ***

Wer noch ein Argument braucht, wieso Generalbundesanwalt Harald Range weg muss, findet dies in dessen Attacke auf den Justizminister. Dass dieser Ranges ungeheuerliche Ermittlungen gegen Journalisten, die Grundrechte verteidigen, per Gutachten zu bremsen versuchte, ist nämlich kein Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz. Es ist das nach Lage der Dinge legitime Eingreifen gegenüber einem politischen Beamten. Man kann den Spieß sogar umdrehen und dem Minister vorhalten, die Attacke auf die Pressefreiheit nicht konsequent gestoppt zu haben.

Deutsche Staatsanwälte sind laut Grundgesetz gerade nicht eindeutig der Jurisdiktion zugeordnet, sondern nehmen zwischen dieser und der Exekutive eine Zwitterposition ein. Etliche Bundesländer haben zumal ihre Generalstaatsanwälte denn auch anders einzuordnen versucht - nicht so der Bund gerade Harald Ranges Posten.

Das lässt sich im Prinzip und aus guten Gründen kritisieren. Dass Range aber gerade jetzt auf Unabhängigkeit pocht, wirft Fragen auf. Etwa die, ob er auch ganz allein entschieden hat, im Gegensatz zu dieser Journalistenhatz in Sachen der sensiblen US-Spionage gegen Deutschland nicht zu ermitteln. War es so, ist seine Amtsführung katastrophal. Sollte er aber darin politischen Direktiven gefolgt sein, die er nun skandalisiert, argumentiert er unendlich verlogen.

Wie man es dreht und wendet: Es kommt bei diesem so ernsthaften Sommertheater nichts anderes heraus als ein ultimativer Rücktrittsgrund.

*** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 5. August 2915




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