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Landesverrat: LINKE fordert Rücktritt von Maaßen

SPD und LINKE fordern Rücktritt des Generalbundesanwaltes / Verfassungsschützer setzen wohl Bundesanwaltschaft auf falsche Fährte / Mehrere Ministerien haben über Informationsstand zu Ermittlungen gegen Journalisten offenbar gelogen *


Update 15.30 Uhr: LINKE für Eingreifen der Kanzlerin
Wegen der Landesverrats-Ermittlungen gegen den Blog Netzpolitik.org fordert die Linkspartei ein Machtwort von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Es handle sich um einen politischen und juristischen Skandal, den die Kanzlerin unverzüglich beenden müsse, sagte der LINKEN-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn am Montag in Berlin. Es reiche nicht aus, wenn sich Merkel hinter Justizminister Heiko Maas stelle. Dem SPD-Politiker unterstellte Höhn »wachsweiches Distanzieren und Herumlavieren«.

Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen und Generalbundesanwalt Harald Range sind nach Ansicht der LINKEN nicht mehr tragbar. Range müsse schnellstmöglich in den Ruhestand versetzt werden, und auch Maaßen habe sich hinreichend diskreditiert, hieß es aus der Partei.

Update 13.00 Uhr: Merkel geht auf Distanz zu Generalbundesanwalt
Nach Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) ist nun auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der »Netzpolitik«-Affäre auf Distanz zu Generalbundesanwalt Harald Range gegangen. Die Kanzlerin billige die distanzierte Haltung von Maas zu den Landesverrats-Ermittlungen »ausdrücklich«, sagte Vizeregierungssprecherin Christiane Wirtz am Montag in Berlin. Maas habe für sein Vorgehen »die volle Unterstützung« der Kanzlerin.

Wirtz wollte sich nicht dazu äußern, ob Range noch das uneingeschränkte Vertrauen der Kanzlerin genieße. »Es geht jetzt darum, in der Sache eine Klärung herbeizuführen«, sagte sie auf eine entsprechende Frage. »Das ist das, was für die Bundesregierung jetzt im Vordergrund steht.« Gerade wenn die Pressefreiheit betroffen ist, müssten Behörden eine »besonders sensible Abwägung« vornehmen, fügte Wirtz hinzu.

Range hatte gegen Netzpolitik.org Ermittlungen wegen des Verdachts des Landesverrats eingeleitet, weil das Internetmedium aus internen Dokumenten des Verfassungsschutzes zitiert hatte.

Minister Maas war daraufhin am Freitag auf Distanz zum Generalbundesanwalt gegangen: Er habe Zweifel, ob es hier wirklich um Landesverrat und den Verrat von Staatsgeheimnissen gehe, erklärte Maas. Range will die Ermittlungen nun ruhen lassen, bis ein externes Gutachten zu dem Tatbestand vorliegt. »Dieses Verfahren unterstützt die Bundeskanzlerin ausdrücklich«, sagte Sprecherin Wirtz.

Update 11.50 Uhr: Unions-Innenexperte nennt Rücktrittsrufe gegen Range »kindisch«
Der Unions-Innenexperte Armin Schuster (CDU) hat Rücktrittsforderungen gegen Generalbundesanwalt Harald Range wegen der Ermittlungen gegen den Internet-Blog »Netzpolitik.org« zurückgewiesen. Als Leiter einer wichtigen Sicherheitsbehörde verfüge Range über einen relativ kleinen Ermessensspielraum, sagte Schuster am Montag dem Hörfunksender MDR Info in Halle. Rücktrittsforderungen halte er »schon für einigermaßen kindisch«, betonte Schuster, der Obmann von CDU und CSU im Bundestags-Innenausschuss ist.

Wenn der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz eine Anzeige stellt, habe Range eigentlich gar keine andere Chance, als zunächst einmal Ermittlungen von Amts wegen aufzunehmen, erklärte Schuster. Ein Ermittlungsverfahren sei zudem nicht gleichbedeutend mit einem Strafverfahren.

Schuster äußerte sich »restlos« davon überzeugt, dass weder Range noch Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen behaupten wollten, dass die Presse einer fremden Macht Staatsgeheimnisse mitteile. Vielmehr gehe es den beiden darum zu ermitteln, wer wertvolle Informationen weitergebe und einen Geheimnisverrat begehe.

Den Rücktritt Ranges hatten unter anderem mehrere Politiker der LINKEN, SPD und FDP gefordert.

Update 11.00 Uhr: Website der Bundesanwaltschaft gehackt
Die Internetpräsenz der Generalbundesanwaltschaft ist offenbar Ziel eines Cyberangriffs geworden. Wie die Behörde gegenüber »ZDF heute« erklärte, sei die Website von Unbekannten gehackt und dann offline gestellt worden. Am Vormittag waren viele Teile nicht erreichbar, darunter sämtliche Pressemitteilungen der Generalbundesanwaltschaft.

Update 10.15 Uhr: SPD-Politiker Flisek fordert in »Netzpolitik«-Affäre Rücktritt Ranges
Infolge der Ermittlungen wegen Landesverrats gegen das Portal Netzpolitik.org hat der SPD-Politiker Christian Flisek Generalbundesanwalt Harald Range zum Rücktritt aufgefordert. »Ich denke, es ist an der Zeit, dass Herr Range sich überlegt, ob er nicht zurücktritt«, sagte der SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss am Montag dem Deutschlandfunk. Flisek warf Range vor, der NSA-Affäre nicht gewachsen zu sein.

Das Ermittlungsverfahren gegen das Blog »Netzpolitik.org« sei nun der »letzte dicke Tropfen, der das Fass zum Überlaufen« bringe, sagte Flisek. Range wird vorgeworfen, angesichts der Spähaktivitäten des US-Geheimdienstes NSA in Deutschland nicht angemessen zu handeln.

Update 9.15 Uhr: CSU-Innenexperte Frieser äußert Unverständnis
Der CSU-Innenexperte Michael Frieser äußerte sein Unverständnis über das Vorgehen von Generalbundesanwalt Harald Range bei den Ermittlungen gegen Netzpolitik.org.

Frieser erklärte im rbb-Inforadio, entscheidend sei, ob durch die Veröffentlichungen Geheimnisverrat beziehungsweise Landesverrat begangen wurde: »Das ist tatsächlich eine schwierige Frage, die nicht ganz einfach zu beantworten ist. Aber seltsam ist es schon, wenn jemand ein Verfahren einleitet, sich dieser Frage nicht bewusst ist und es jetzt dann ruhen lässt. Also, entweder er stellt ein, oder er führt weiter«, so Frieser am Montag.

Er betonte allerdings auch, vertrauliche Dokumente müssten weiterhin geschützt werden. Nicht jeder - »egal, ob das nun Internet oder Print oder ähnliches heißt oder ob das Privatmenschen sind« - dürfe in diesem Zusammenhang alles veröffentlichen, was er wolle. Allerdings müsse beim Vorgehen dagegen eindeutig die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden: »Ist das noch verhältnismäßig, wenn der Generalbundesanwalt an dieser Stelle [...] mit der Kanone schießt, und im Ergebnis noch nicht einmal sicher ist, wen er trifft - noch nicht einmal einen Spatzen.«

Landesverrat: Range ignorierte Warnungen

Berlin. Generalbundesanwalt Harald Range ist nach einem Bericht der »Süddeutschen Zeitung« schon frühzeitig vor Ermittlungen wegen Landesverrats gegen die Journalisten von netzpolitik.org gewarnt worden. Das Bundesjustizministerium habe nach eigener Darstellung Range signalisiert, man halte das Verfahren für falsch, schreibt die Zeitung. Das Ministerium sei schon am 27. Mai von der Bundesanwaltschaft über das am 13. Mai eingeleitete Verfahren informiert worden. Mehrere Ministerien seien - anders als bisher öffentlich behauptet - frühzeitig über Einzelheiten des Verfahrens informiert gewesen, heißt es in dem Bericht.

Spitzenbeamte der Häuser hätten die vielen Details des Falles gekannt und vor allem von der Entscheidung Ranges gewusst, gegen die Journalisten zu ermitteln. Die Bundesanwaltschaft habe den Erhalt der Warnung nicht bestätigt, schreibt die Zeitung. Es habe nur allgemeine Hinweise auf die Problematik eines solchen Verfahrens gegeben. Zudem sei das Verfahren nur in Gang gekommen, weil das Bundesamt für Verfassungsschutz in einem Gutachten zwei Veröffentlichungen von Netzpolitik.org zum Staatsgeheimnis erklärt habe. Daraufhin habe die Bundesanwaltschaft einen externen Gutachter beauftragt, über die Frage Staatsgeheimnis und Landesverrat ein weiteres Gutachten zu fertigen. Der Experte sei nun aber im Sommerurlaub.

Das alles dauert Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) offenbar zu lange. Nach Recherchen von »Süddeutscher Zeitung«, NDR und WDR werden seine Beamten in der bereits am Freitag angekündigten Stellungnahme aus dem Ministerium zu dem Ergebnis kommen, dass es sich im Netzpolitik-Fall nicht um Landesverrat gehandelt hat. Das Quasi-Gutachten soll bis zum Donnerstag dieser Woche fertiggestellt werden. Die Expertise wird dann Range zugestellt werden. Ob danach schon die Ermittlungen eingestellt werden, sei ungewiss.

Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen verteidigte sein Vorgehen gegen das Durchstechen geheimer Dokumente aus seinem Hause. Zugleich ließ er am Sonntag einen Sprecher klarstellen, dass die Anzeigen nicht gegen Journalisten, sondern gegen Unbekannt gerichtet waren. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) will dem Vernehmen nach vor allem herausfinden, auf welchen Wegen die Informationen zu den Journalisten des Internetportals Netzpolitik.org gelangten.

Maaßens Sprecher erläuterte, wenn Geheimdokumente aus dem BfV in die Öffentlichkeit gelangen, sei es »eine Selbstverständlichkeit«, Anzeige zu erstatten. Ob die zuständige Strafverfolgungsbehörde dann den Anfangsverdacht für einen von mehreren infrage kommenden Tatbeständen bejahe und ob sie dies nur für die Durchstecher im Amt oder auch für Journalisten, die zur Veröffentlichung beitragen, tue, »ist einzig und allein Sache der Strafverfolgungsbehörde«. Soll wohl heißen: Das Bundesamt hat die Durchstecherei ordnungsgemäß angezeigt, die Bundesanwaltschaft hat daraus den Verdacht des Landesverrats gegen Journalisten konstruiert.

Die Bundesanwaltschaft erklärte ihrerseits, sie habe aufgrund der Strafanzeigen des BfV wegen der Veröffentlichung von geheimen Dokumenten auf Netzpolitik.org »zunächst lediglich einen Prüfvorgang angelegt. Hintergrund hierfür war, dass eine Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft in Fällen von Geheimnisverrat nur gegeben ist, wenn ein Staatsgeheimnis ... in Rede steht.« Das BfV habe mit einem ausführlichen Rechtsgutachten das Vorliegen eines Staatsgeheimnisses bejaht.

Mit anderen Worten: Die Verfassungsschützer haben wohl die Bundesanwaltschaft auf eine falsche Fährte gesetzt. Bereits bei der Einleitung des Ermittlungsverfahrens habe Range angewiesen, »dass mit Blick auf das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit keine Maßnahmen gegen die in den Strafanzeigen des BfV namentlich genannten Journalisten ergriffen werden«. Vielmehr sei ein externes Gutachten zur Beurteilung, ob ein Staatsgeheimnis vorliege, in Auftrag gegeben worden.

Am vergangenen Donnerstag war bekanntgeworden, dass die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Journalisten von Netzpolitik.org eingeleitet hat. Sie sah bei Gründer Markus Beckedahl und Autor André Meister einen Verdacht des Landesverrats, weil sie Verfassungsschutz-Informationen veröffentlicht hatten.

Die Blog-Macher hatten die Ermittlungen als »Angriff auf die Pressefreiheit an sich« bezeichnet. Um Unterstützung zu zeigen, demonstrierten am Samstag in Berlin über 2000 Menschen - weitaus mehr als gedacht. Die Kritik an Range richtet sich auch gegen dessen angeblich zögerliches Vorgehen in der Ausspähaffäre des amerikanischen Geheimdienstes NSA.

* Aus: neues deutschland (online), Montag, 3. August 2015


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