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Unbedingt angriffsbereit

Friedhofsruhe erwünscht: Ermittlungen gegen Journalisten wegen "Landesverrats", Klagewellen gegen Medien, die Neonazi-Spitzel benennen. Die Dienste gehen in die Offensive

Von Sebastian Carlens *

In einen »Abgrund aus Landesverrat« hat die Bundesregierung zuletzt vor über 50 Jahren, anlässlich der sogenannten Spiegel-Affäre 1962, geblickt. Über den Skandal sollte Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß (CSU) stürzen; seitdem sind die Organe der BRD mit diesem Vorwurf gegenüber Journalisten vorsichtig geworden. Bis Donnerstag. An diesem Tag teilte Netzpolitik.org mit, dass der Generalbundesanwalt wegen des Verdachts auf einen derartigen Verrat gegen sie ermittele. Den Journalisten André Meister und Markus Beckedahl und einer weiteren, unbekannten Person wird vorgeworfen, in zwei Fällen Dokumente des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) veröffentlicht zu haben. Ausgangspunkt waren Strafanzeigen des BfV-Präsidenten Hans-Georg Maaßen, die dieser laut Deutschlandfunk in ursprünglich drei Fällen erstattet hatte. Netzpolitik.org hatte im Februar und April über interne Pläne zur nachrichtendienstlichen Auswertung von Internetkommunikation berichtet.

Wegen Landesverrats wird bestraft, wer Staatsgeheimnisse einer »fremden Macht« mitteilt oder »öffentlich bekanntmacht« (Paragraph 94 StGB). Mit »Blick auf das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit« wolle er zunächst von »möglichen Exekutivmaßnahmen« gegen die Verdächtigten absehen, teilte Generalbundesanwalt Harald Range am Freitag der FAZ mit. Beckedahl bezeichnete die Ermittlungen als einen »eindeutigen Angriff auf die Pressefreiheit«. Die Bundesregierung wolle mit den Anzeigen die Wahrheit über Verstrickungen in den NSA-Skandal unterdrücken.

Besonderen Aufklärungseifer in der NSA-Affäre kann man Range nicht vorwerfen. Am 25. Juli sagte er dem Spiegel, dass keine Anklage wegen der Spionage des US-amerikanischen Geheimdienstes erhoben wird: »Wir brauchen gerichtsfeste Beweise.« Sollte aber eine Webplattform wie WikiLeaks über entsprechende Dokumente verfügen, wolle er sie gerne sehen: »Das wäre schön. Her damit!« Bei deutschen Geheimdokumenten ist Range weniger zögerlich.

Im Fall der dritten von Maaßen erstatteten Anzeige wird ein »Anfangsverdacht« geprüft, so Deutschlandfunk. Dabei geht es um die Veröffentlichung des als Verschlusssache klassifizierten Berichts von Sonderermittler Jerzy Montag durch die Süddeutsche Zeitung. Montag sollte die Rolle des Neonazi-V-Mannes Thomas Richter alias »Corelli« erhellen. Der Geheimdienstspitzel hatte frühzeitig Kenntnis vom »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU). Er starb 2014 unter dubiosen Umständen im Zeugenschutzprogramm des BfV, nur einen Tag, bevor er vernommen werden sollte.

Seit der Verfassungsschutz durch die Reform des Geheimdienstgesetzes über mehr Macht und Mittel als je zuvor verfügt, gehen die Dienste in die Offensive. Zeitungen werden abgemahnt, weil sie, wie auch die junge Welt, Klarnamen von »Vertrauensleuten« oder eingeschleusten verdeckten Ermittlern nennen. Der frühere Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche, für den im Jahr 2013 speziell der neue Posten eines »Beauftragten für die Nachrichtendienste« geschaffen wurde, hatte in einer Befragung vor dem NSU-Untersuchungsausschuss vor drei Jahren verdeutlicht, dass es selbst im Parlament keinen Anspruch auf Information gäbe. Der Staatswohlgedanken stünde in einem »Spannungsverhältnis« zum Aufklärungsgedanken, befand er. Diese Spannung löst das BfV, deren Kurator Fritsche und deren oberster Dienstherr Innenminister Thomas de Maizière (CDU) ist, gerade auf ganz althergebrachte Weise.

* Aus: junge Welt, Samstag, 1. August 2015


Einschüchterungsversuch

Ermittlungen wegen »Landesverrats«

Von Ulla Jelpke **


Wer noch eines zusätzlichen Arguments bedurfte, weshalb der deutsche Inlandsgeheimdienst dringend abgeschafft gehört, dem hat das Bundesamt für Verfassungsschutz jetzt geholfen. Die Ermittlungen gegen Journalisten wegen angeblichen Landesverrats zeigen eines ganz deutlich: Der Verfassungsschutz spricht seiner Eigenbezeichnung Hohn. Landesverräterisch, also von schwerem Nachteil für die äußere Sicherheit Deutschlands, soll es sein, wenn man Details darüber veröffentlicht, wie der Geheimdienst sich anschickt, das Internet zu überwachen. Das Gegenteil ist richtig: Es ist ein außerordentliches Verdienst, wenn Journalisten das Ausmaß der Spitzelei öffentlich machen, der wir alle unterworfen sind. Schädlich ist dieses Verhalten nur für die Grundrechtsverletzer in den Geheimdiensten selbst.

Es liegt auf der Hand, dass die von netzpolitik.org publizierten Dokumente die »äußere Sicherheit« der BRD nicht ernsthaft bedrohen können. Dass das Internet von den Diensten überwacht wird, ist ja nichts Neues. Dem Bundesamt für Verfassungsschutz geht es nicht darum, Schaden von der Bundesrepublik abzuwenden, sondern darum, in aller Ruhe seine Komplizenschaft mit der Partnerbehörde NSA zu pflegen.

Zur Erinnerung: Derselbe Generalbundesanwalt, der es jetzt für »landesverräterisch« erklärt, wenn Details zur geheimdienstlichen Überwachung des Internets öffentlich werden, hat Ermittlungen gegen die Spionagetätigkeiten der NSA abgelehnt. Dass die Verbindungsdaten von Millionen Bürgern abgeschöpft, Betriebsgeheimnisse von Unternehmen ausspioniert werden – alles nachzulesen in den maßgeblich von Edward Snowden geleakten Dokumenten – das alles spielt keine Rolle. Nicht einmal an der Überwachung der Handys der deutschen Kanzlerin und des Bundesaußenministers durch die USA nehmen der deutsche »Verfassungsschutz« oder der oberste Strafverfolger Anstoß. Doch wehe, ein kleiner, aber rühriger Internetblog veröffentlicht Auszüge eines Haushaltsplans des Inlandsgeheimdienstes ...

Höchstwahrscheinlich werden die Ermittlungen wieder eingestellt, weil das juristische Konstrukt schlichtweg zu wacklig ist. Der eigentliche Zweck der Übung dürfte jedoch weniger sein, Journalisten in die Pfanne zu hauen – die hat sich der Geheimdienst jetzt allerdings zum Feind gemacht. Die Ermittlungen stellen vielmehr eine akute Bedrohung für diejenigen dar, die investigative Medien mit solch sensiblen Informationen versorgen. Seien es Whistleblower aus dem Geheimdienst selbst oder aus Kreisen des Parlaments und der Regierung: Ihnen drohen angesichts solcher Ermittlungen die Enttarnung und möglicherweise eine Bestrafung. Es ist dieses Vorgehen und nicht das Aufdecken von Geheimdienstskandalen, das eine Bedrohung unserer Verfassung darstellt.

Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Deutschen Bundestag.

** Aus: junge Welt, Samstag, 1. August 2015 (Gastkommentar)


Rote Hilfe zu »Landesverrat« ***

Der Bundesvorstand der Roten Hilfe e. V. nahm am Freitag in einer Pressemitteilung zum Ermittlungsverfahren gegen die Internetplattform Netzpolitik.org Stellung:

Die Bundesanwaltschaft hat gegen die Betreiber des Blogs Netzpolitik.org ein Strafverfahren wegen »Landesverrats« eingeleitet. Grund dafür sind die Veröffentlichungen des Blogs zur Aufstockung des Verfassungsschutzetats zwecks Internetspionage.

Der umstrittene Paragraph 94 des Strafgesetzbuches ist ein Repressionsinstrument, das seit Jahrzehnten nicht mehr angewendet wurde und das im Kern auf »feindliche Spionageakte« zielt. (…) Der Verrat von Staatsgeheimnissen an fremde Mächte ist ein Vorwurf, den in erster Linie Staaten im Krieg meinen anwenden zu müssen. Dass diese »fremde Macht« im vorliegenden Fall die Öffentlichkeit ist und das »Staatsgeheimnis« die Machenschaften des Inlandsgeheimdienstes betrifft, der vornehmlich die eigenen Bürgerinnen und Bürger bespitzelt, wirft ein beunruhigendes Licht auf den Charakter der deutschen Justiz.

Wenn »der Feind« im Inneren verortet wird und die »Staatsgeheimnisse« vor der eigenen Bevölkerung verborgen werden müssen, bewegt sich die Bundesanwaltschaft mit riesigen Schritten auf eine Bürgerkriegsjustiz zu.

Erich Kästner hat in seiner Rede »Über das Verbrennen von Büchern« geschrieben: »Man darf nicht warten, bis Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis der Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten.«

Die Rote Hilfe e. V. wird auch künftig alle unterstützen, die versuchen, solche Schneebälle zu zertreten oder sich den formierenden Lawinen entgegenzustellen. Wir fordern die sofortige Einstellung des Verfahrens und die Abschaffung des Paragraphen 94. Wir werden uns allen Versuchen entgegenstellen, in Deutschland ein Kriegs- oder Feindstrafrecht zu etablieren.

*** Aus: junge Welt, Samstag, 1. August 2015




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