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Balance zwischen Möglichkeit und Moral

Von der Leyen verteidigt Entscheidung zur Beschaffung von Kampfdrohnen – LINKE und Grüne dagegen

Von René Heilig *

Nach langem Schweigen hat sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) via Medien für die Beschaffung bewaffneter Drohnen ausgesprochen. Gestern beriet das Parlament.

Bei einer Aktuellen Stunde im Bundestag verteidigte Ursula von der Leyen das Streben der Bundesregierung zur Ausrüstung der Bundeswehr mit »bewaffnungsfähigen Drohnen«. Bei deren Einsatz müsse man, so räumte die Verteidigungsministerin ein, stets »die Balance finden zwischen dem, was technisch möglich und was ethisch vertretbar ist«.

Vor mäßig besetztem Plenarsaal betonte von der Leyen, dass die Regierung extralegale, völkerrechtswidrige Tötungen, wie sie die USA praktizieren, »kategorisch ablehnt«. Das gelte für jedes Waffensystem. Zudem habe es das Parlament in der Hand, über den Einsatz der zu leasenden oder zu kaufenden Drohnen zu befinden. Sie erinnerte zugleich an das Versprechen der Koalition, sich für die internationale Ächtung autonomer Waffen einzusetzen.

Zuvor hatte Christine Buchholz von der Linksfraktion klar gemacht: »Wer verhindern will, dass die Bundeswehr einen Drohnenkrieg wie die US-Armee führt, der braucht nur eines zu tun: dem Einstieg in die Kampfdrohnentechnologie nicht zuzustimmen!« Die Abgeordnete zog in Zweifel, dass es der Regierung nur um den Schutz der eigenen Soldaten gehe. Sie erinnerte daran, dass die USA vor rund zehn Jahren das erste Mal Kampfdrohnen in Afghanistan eingesetzt haben, dort, wo nur wenige oder gar keine eigenen Truppen am Boden operierten. Seitdem spielten diese Systeme eine immer wichtigere Rolle auch in Pakistan, Jemen oder Somalia. Immer gehe es um Aufstandsbekämpfung.

Die Grüne Agnieszka Brugger nahm auch das Argument vom Schutz der eigenen Soldaten auf und warf der Ministerin einen »Griff in die rhetorische Trickkiste« vor. Ihre Fraktion sehe gleichfalls keine Notwendigkeit zur Beschaffung bewaffneter Drohnen.

So weit wollte der sozialdemokratische Verteidigungsexperte Rainer Arnold nicht gehen. Der Vertreter der Koalitionspartei sieht zwar im Moment keinen aktuellen Bedarf, schloss den aber für die Zukunft nicht aus. Arnold forderte, man solle »der Bundeswehr die Dinge, die sie braucht, auch ermöglichen«.

Obwohl bewaffnete Drohnen nach Ansicht von Militärs eine Waffe wie jede andere sind, hat sich der Friedensratschlag besonders konsequent gegen sie ausgesprochen. Drohnen würden die Hemmschwelle für Kriege senken. Die Folge wären noch mehr Opfer im sogenannten Krieg gegen den Terrorismus, so der Zusammenschluss verschiedener Friedensgruppen. Zu befürchten sei eine neue weltweite Aufrüstungsspirale. Kommende Generationen würden unter der permanenten Bedrohung durch allgegenwärtige bewaffnete Drohnen ähnlich leiden, wie die Generation des Kalten Kriegs unter dem atomaren »Gleichgewicht des Schreckens« gelitten hat.

Die deutsche Anti-Drohnen-Kampagne wird sich am weltweiten Aktionstag am 4. Oktober beteiligen und wirbt für »drohnenfreie Zonen« im Land.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 3. Juli 2014


Die Pandora-Fliegerlein

Egal wie man Killerdrohnen nennt, Kriege werden mit ihnen führbarer und bald schon ganz entmenschlicht

Von René Heilig **


Kampfdrohnen? Ja bitte, sagt die Verteidigungsministerin und lässt die Verantwortung für deren Einsatz beim Parlament. Und in der Tat, die Abgeordneten müssen sich fragen, ob sie das Zeitalter des automatisierten Tötens einläuten wollen.

Wer binnen 24 Stunden nach einer Ausschussanhörung die Beschaffung von Kampfdrohnen verkündet, zeigt, »was Inszenierung in der Politik bedeutet«. Und dass die Ministerin die Beschaffung der neuen Waffengattung per Zeitung verkündet, sei eine »unglaubliche Missachtung des Parlaments«. Während der Grüne Tobias Lindner, der – wie Ursula von der Leyen – am Montag in der Bundestagsanhörung gesessen hatte, sich verschaukelt fühlt, warnt seine gleichfalls für das Drohnen-Thema zuständige Fraktionskollegin Agnieszka Brugger: »Von der Leyen öffnet die Büchse der Pandora.« Die enthielt – man erinnere sich an die griechische Mythologie – alle bis dahin noch unbekannten Übel.

Diesen Vergleich wird Hans-Werner Fritz, Befehlshaber des Bundeswehr-Einsatzführungskommandos, weit von sich weisen. Er nennt das, was die Ministerin nun beschaffen will, auch nicht Drohnen. Schon gar nicht Killerdrohnen. Für ihn sind die Geräte »ferngesteuerte fliegende Plattformen mit der Option zur Bewaffnung«. Deren Einsatz nur dem Schutz deutscher Soldaten dient. Denn wenn man unter Feuer liegt und auf Unterstützung aus der Luft warte, »können Minuten sehr lang werden«.

Bisweilen auch tödlich, das stimmt. Und irgendwie hat der General jenseits aller Verharmlosungsversuche recht, wenn er fordert: Wer Soldaten in den Krieg schickt, muss auch für ihren bestmöglichen Schutz sorgen – ihnen also das Gerät mitgeben, das Überlegenheit verschafft. Und zwar egal, ob deutsche Einheiten unter feindlichem Feuer liegen oder selbst angreifen.

Für Militärs sind zwei Begriffe wesentlich: Raum und Zeit. Wo immer die nächsten Auslandseinsätze stattfinden werden, man wird es mit »überdehnten Räumen« zu tun haben. Dazu kommen klimatische und geografische Faktoren, die deutschen Soldaten das Kämpfen erschweren. Und vermutlich hat man es erneut mit Gegnern zu tun, die sich nicht an das Kriegsvölkerrecht halten, mit dem das »Neutralisieren« von Kombattanten genehmigt wird. Also wollen die Militärs das Risiko für die eigenen Truppen minimieren und rasch Überlegenheit herstellen. Dazu taugen Drohnen, und wer A wie Auslandseinsatz sagt, muss auch B wie Bewaffnung sagen, betonen Afghanistan-Befehlshaber.

Spätestens an der Stelle fühlen sich SPD-Abgeordnete unwohl. Im Wahlkampf hat ihre Partei Nein gesagt zur Beschaffung bewaffneter Drohnen. Und nun? Nun hat sie von der Leyen offenbar im Sack: »Mir war wichtig, so sagte sie im Interview der »Süddeutschen Zeitung«, »dass die Regierungspartner, also Union und SPD, eine gemeinsame Position finden.« Die Ministerin verspricht, »glasklare Regeln« für den Drohneneinsatz zu definieren. »Ob eine Drohne dann im Einzelfall bewaffnet oder unbewaffnet eingesetzt wird, würde stets vom konkreten Einsatz und dem entsprechenden Mandat des Bundestags abhängen.« So sieht sie »jederzeit die Kontrollmöglichkeit des Parlaments gegeben«.

Im Grunde folgt das dem Beispiel Tornado-Einsatz. Zwischen 2007 und 2010 hatte das Parlament der Entsendung dieser deutschen Jets nach Afghanistan zugestimmt. Doch dort durften sie nur als fliegende Kameras und nicht zur Kampfunterstützung, dem sogenannten Close Air Support, eingesetzt werden. Diese Funktion erfüllten die Verbündeten. Oder eigene Panzerhaubitzen. Nun erledigen das »Tiger«-Kampfhubschrauber. Es ist schwer vorstellbar, dass die Mehrheit des Bundestages sagt, was die Helikopter dürfen, gestehen wir Drohnen nicht zu.

Die Bundeswehr verfügt über reichlich Erfahrung beim Einsatz von Drohnen. Sowohl in der Gefechtsfeld- wie der Observation ganzer Regionen. Rund um die Uhr. Die dafür von Israel geleasten und in Afghanistan eingesetzten »Heron-1« stehen noch bis zum März 2015 zur Verfügung. Wie es die neuen Maschinen beschafft, lässt das Verteidigungsministerium bislang nicht erkennen. Die Leasinglösung habe den Vorteil, dass man hierzulande keine eigene Zulassung braucht. Die man für die Teilnahme am allgemeinen Luftverkehr auch gar nicht bekommen würde. Neben der Frage, ob Deutschland auch die einzusetzenden Raketen und Bomben leasen will, wäre interessant, wo und wie die Ausbildung und das Training der Piloten stattfinden soll. So wie heute könnte das Training außerhalb von Deutschland stattfinden, sagt die Ministerin.

Auch wenn die jetzt angestrebte Drohnenbeschaffung nur eine Zwischenlösung ist, mit der man für den Fall der Fälle gerüstet sein will, ergeben sich beim Thema Ausbildung nicht zu unterschätzende Hürden. Die Luftwaffe favorisiert den »Predator B«, auch »Reaper« genannt. Der Selbstflieger stammt aus den USA und dort wäre jede Menge Platz für Training. Das konnte vom Hersteller ausgerichtet werden. Man hätte also keine Berührung mit den Killerpiloten der Air Force, die im CIA-Auftrag weltweit mutmaßliche Terroristen ohne Anklage und Urteil umbringen.

Gegen die Option des von General Atomics hergestellten Geräts spricht die Offerte von »Airbus Defence and Space«. Sie bezieht sich auf den von Airbus mitausgerüsteten »Heron TP« von Israel Aircraft Industries. Auch diese Kampfdrohne ist erprobt. Beim Einsatz in den Palästinensergebieten. Das könnte Probleme außen- und sicherheitspolitischer Art bereiten, denn die Bundesregierung wird ungern Schlagzeilen lesen, wie die folgende: »Deutsche Piloten lernen beim scharfen Schuss.«

Zugleich jedoch will man sich Airbus gewogen halten. Schließlich ist von der Leyen »der Überzeugung, dass wir in die Entwicklung einer europäischen bewaffnungsfähigen Drohne einsteigen müssen. Für ein solches Projekt, das mindestens ein Jahrzehnt dauert, werden wir nun Partner suchen.« Airbus hat sich bereits als Lieferant eines sogenannten MALE-UAV angeboten. Nicht nur für die Bundeswehr, auch Frankreich, Italien und andere europäischen NATO-Partner hätten Interesse an dieser für mittlere Höhen vorgesehenen Allzweckwaffe.

Doch das, was da aus der Büchse der Pandora entlassen wird, ist mehr. Die aktuelle Drohnenbeschaffung ist der Einstieg in die weitere Automatisierung von Militäreinsätzen, warnen Friedensforscher wie Sicherheitsexperten. Die dann doppelte Entmenschlichung führt zu neuen Strategien und Taktiken des organisierten Töten – auf allen Seiten. Statt Kriege zu entschleunigen, beschleunigt man sie.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag 3. Juli 2014


Automatisierte Armbrust

René Heilig zur doppelten Entmenschlichung von Kriegen ***

Was ändert es, ob Soldaten Menschen mit einer Armbrust oder mit Hilfe eines Gewehres umbringen? Die Frage ergibt zusätzlich Sinn, wenn man bedenkt, dass der Einsatz bewaffneter, unbemannter Luftfahrzeuge – also Kampfdrohnen – in internationalen wie nicht-zwischenstaatlichen bewaffneten Konflikten völkerrechtlich legal ist. Vorausgesetzt, man hält die vorgeschriebene Verhältnismäßigkeit ein und unterscheidet zwischen Soldaten und Zivilisten. Tot ist tot. Oder?

Richtig ist, dass man Kriege als Mittel der Politik generell ächten muss. Davon sind wir – siehe Afrika, siehe Naher und Mittlerer Osten, siehe Afghanistan oder Ukraine – weit entfernt. Umso mehr sollte man nichts tolerieren, was Kriege noch führbarer macht. Genau das aber tun Drohnen. Ihr Besitz verführt, denn sie minimieren eigenes Risiko und erhöhen die Möglichkeit zur Vernichtung fremden Lebens.

Nicht minder bedenkenswert ist die Warnung von Experten, dass nach Überlegenheit strebende Militärs zwangsläufig auf immer mehr Automatisierung der Systeme setzen. In der Luft wie auf dem Boden und auf hoher See. Die zunehmende Autonomie bewaffneter Systeme verdrängt den Menschen aus dem Entscheidungsprozess, blendet auch den letzten Funken Moral aus den Entscheidungen über Leben und Tod aus. Gerade weil sich dieser Trend nicht stoppen lässt, müssen die Abgeordneten des Bundestages – so sie das Grundgesetz ernst nehmen – jetzt ein selbstverpflichtendes Stoppsignal setzen.

>*** Aus: neues deutschland, Donnerstag 3. Juli 2014 (Kommentar)


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