Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Christine Buchholz (LINKE): "15 Jahre internationale Einsätze der Bundeswehr haben PTBS zu einer in Deutschland verbreiteten Krankheit gemacht"

Der Wehrbeauftragte: "Im Heer reicht das verfügbare Personal nicht aus" / Doris Wagner (GRÜNE): "Beheben Sie den eklatanten Personalmangel" (Bundestagsdebatte um den Jahresbericht 2013 des Wehrbeauftragten)


Im Folgenden dokumentieren wir anhand des amtlichen Protokolls einen Teil der Debatte um den Jahresbericht 2013 des Wehrbeauftragten. Zu Wort kommt zunächst der Berichterstatter sowie die zuständige Ministerin Ursula von der Leyen. Bei der Debatte begnügen wir uns mit den Reden aus den Reihen der Opposition, also der LINKEN und der GRÜNEN.

Es sprachen in der Debatte in dieser Reihenfolge:

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014

Tagesordnungspunkt 4: Beratung der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten: Jahresbericht 2013 (55. Bericht)


Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages:

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Es ist bemerkenswert, dass sich das Hohe Haus schon so kurz nach der abschließenden Beratung des Jahresberichts 2012 mit dem Jahresbericht 2013 befasst. Das ist ein wirklich gutes Signal an die Soldatinnen und Soldaten und auch an ihre Familien. Es zeigt, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages nicht nur Belastungen beschließen, sondern sich auch mit den Folgen für die Truppe, für die Soldatinnen und Soldaten, übrigens auch für die Zivilbeschäftigten, befassen wollen. Es gibt eine ganze Reihe von Herausforderungen, denen sich die Angehörigen der Bundeswehr stellen müssen. Deshalb ist das besonders wichtig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Herausforderungen, meine Damen und Herren, sind immens. Das schlägt sich auch in den Eingaben, die uns erreichen, immer wieder nieder. Mit knapp 5 100 Zuschriften erreicht die Eingabenquote im Berichtsjahr einen absoluten Höchststand, gemessen an der Kopfzahl der Soldatinnen und Soldaten. Gegenstand der Eingaben waren schwerpunktmäßig Probleme in den Bereichen Personalführung, Ausbildung, Einsatz, Betreuung und Versorgung der Soldatinnen und Soldaten und ihrer Familien. Übrigens, damit nicht der Eindruck entsteht, das alles seien nur Sonderentwicklungen wegen der Frage der Beihilfebearbeitung: Auch in den ersten beiden Monaten dieses Jahres hat sich diese Quote auf dem gleichen hohen Niveau bewegt wie im vorangegangenen Jahr. Ich glaube, das sollte schon Anlass sein, die angekündigte Evaluierung der Neuausrichtung umgehend anzugehen, um den eingeschlagenen Kurs der Umstrukturierung der Streitkräfte zum Erfolg zu führen.

Das Berichtsjahr 2013 war für unsere Soldatinnen und Soldaten ein Jahr des Umbruchs. Die Neuausrichtung der Bundeswehr stellte die neue Struktur neben die bisherige. In der Praxis bedeutete das: Trotz erheblicher Reduzierung des Personals mussten beide Strukturen unter der vollen Belastung der Einsätze ausgefüllt werden. Hinzu kam die Verunsicherung vieler Soldatinnen und Soldaten und ihrer Familien, aber auch vieler Zivilbeschäftigter über die Frage, ob, wo und in welcher Verwendung sie künftig ihren Platz in der sogenannten neuen Bundeswehr finden werden.

Ich erwähne übrigens die Zivilbeschäftigten an dieser Stelle, weil die Verlagerung von Zuständigkeiten der Bundeswehrverwaltung in die Bereiche der Innen- und Finanzverwaltung zu massiven Verzögerungen bei der Bearbeitung der Beihilfe- und Versorgungsanträge führte und darüber hinaus auch verfassungsrechtliche Fragen zur zukünftigen parlamentarischen Kontrolle dieser Bereiche aufwirft, die sich aus meiner Sicht bisher noch nicht abschließend beantworten lassen. Ich will nicht über die Frage reden, ob die besonderen Rechte des Verteidigungsausschusses durch diese Verlagerung berührt sind; das wird sicherlich das Parlament selbst beantworten. Rechte des Wehrbeauftragten sind allerdings sehr wohl betroffen; denn insbesondere Auskunfts- und Besuchsrechte hat er nur unmittelbar gegenüber Dienststellen aus dem Bereich der Bundesministerin der Verteidigung.

Im Bereich der Streitkräfte gibt der Verlauf der Neuausrichtung durchaus noch immer Anlass zur Sorge, zu der Sorge nämlich, dass eine nachhaltige Verbesserung der Einsatzfähigkeit, Finanzierung und Attraktivität der Streitkräfte nicht erreicht werden kann, wenn nicht nachgesteuert wird. Trotz der bisher erfolgten Umstrukturierung steht die Bundeswehr mit den laufenden Einsätzen personell und materiell nach wie vor an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Operativer Bedarf und strukturelle Ausplanung klaffen auf absehbare Zeit weiter deutlich auseinander. Der Jahresbericht geht darauf ausführlich ein.

Ich nenne in diesem Zusammenhang hier nur einige besonders kritische Bereiche wie den Lufttransport und den Luftumschlag, die Flughafenfeuerwehr, den Flugverkehrskontrolldienst sowie die Flugberatung bei der Luftwaffe. In der Marine ist es ein offenes Geheimnis, dass die Besatzungen der Schiffe und Boote im Einsatz nur unter Rückgriff auf die letzten Reserven auch in Stäben und Dienststellen zusammengestellt werden können. Auch im Heer reicht das verfügbare Personal nicht aus, um Einsatzkontingente unter Berücksichtigung des Grundsatzes „4 Monate Einsatz, 20 Monate Inlandsdienst“ wirklich verlässlich abbilden zu können. Das Prinzip „Breite vor Tiefe“ ist angesichts dieser Situation meines Erachtens zu überprüfen. In der jetzigen Form führt es zur Überlastung insbesondere der einsatzrelevanten Bereiche. Es bedarf daher einer Korrektur. Die für dieses Jahr vorgesehene Evaluierung der Neuausrichtung wird dies erweisen und bietet auch eine gute Grundlage und Gelegenheit dafür.

Ein besonderer Schwerpunkt liegt auch in diesem Jahr beim Thema „Vereinbarkeit von Familie und Dienst“. Jenseits aller Entbehrungen, die der Beruf des Soldaten unvermeidbar mit sich bringt, muss der Dienst so gestaltet werden, dass er auch ein befriedigendes Familienleben zulässt. Dazu bedarf es natürlich mehr als bloßer Bekenntnisse, so unter anderem auch der Bereitschaft, zusätzliche finanzielle Mittel für diese Aufgaben zur Verfügung zu stellen. Ich bin froh, dass Sie, Frau Bundesministerin, die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst zu einem Schwerpunkt Ihrer Arbeit machen wollen. Dieses Signal ist bei den Soldatinnen und Soldaten und vor allem bei ihren Familien gut angekommen. Sie erwarten nun allerdings, dass Verbesserungen in diesem Bereich unmittelbar und konkret spürbar werden. Ich hoffe, Frau Ministerin von der Leyen, dass Sie auf diesem Gebiet tatsächlich klare Linie halten.

Ein wesentliches Thema war im vergangenen Jahr die Situation der Frauen in der Bundeswehr. Beunruhigende Meldungen über sexuelle Übergriffe haben deren Situation stärker in das Blickfeld gerückt. Jenseits der gravierenden Fälle, über die in den Medien berichtet wurde, klagten zahlreiche Soldatinnen über frauenspezifische Diskriminierung. Sie bestätigten damit die inzwischen veröffentlichte Studie „Truppenbild ohne Dame?“. Im Gespräch mit Betroffenen wurde deutlich, dass oftmals Hemmungen bestehen, Mobbing, sexuelle Belästigungen oder sogar sexuelle Übergriffe zu melden. – Das hat übrigens dazu geführt, dass auch bei mir ein falscher Eindruck entstanden ist. Manche meiner Stellungnahmen würde ich heute so nicht mehr abgeben. – Dies wurde im Gespräch, aber auch aufgrund der Diskussion in der Öffentlichkeit deutlich. Als Gründe für die Zurückhaltung, dies zu melden, wurde vorwiegend die Furcht vor negativen Auswirkungen auf die eigene Beurteilung und mögliche Laufbahnnachteile genannt. Alle Vorgesetzten bleiben daher aufgefordert, frauenfeindlichen Tendenzen konsequent entgegenzutreten und verlorenes Vertrauen in ein kameradschaftliches Miteinander zurückzugewinnen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Auswirkungen der Veränderungen durch die Neuausrichtung brachten es mit sich, dass die Personalführung noch stärker ins Blickfeld geriet; das versteht sich von selbst. Aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen brachten erhebliche Veränderungen. Bei den Auswahlverfahren zur Übernahme von Soldatinnen und Soldaten in das Dienstverhältnis einer Berufssoldatin bzw. eines Berufssoldaten wurden Geburtsjahrgänge bisher immer getrennt betrachtet. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in einer Grundsatzentscheidung zu Recht als unzulässig verworfen, weil Eigenleistung und Befähigung nicht unbedingt im Zusammenhang mit Jahrgängen zu sehen sind. Es gibt auch Menschen älterer Jahrgänge, die durchaus eine Leistungsfähigkeit erbringen, die bei Jüngeren vergeblich gesucht wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Für Offiziere wurde diese Gerichtsentscheidung im Auswahlverfahren 2013 bereits berücksichtigt. Das Auswahlverfahren für Feldwebel dagegen wurde im Berichtsjahr zunächst ausgesetzt und auf das laufende Jahr verschoben. Das ist bei den betroffenen Bewerbern nachvollziehbar auf Unverständnis gestoßen. Je mehr sich das Auswahlverfahren verzögert, desto größer ist die Gefahr, dass sich die besten Bewerberinnen und Bewerber beruflich bereits anderweitig orientiert haben oder dass sie persönliche Nachteile erfahren, auch wenn sie in der Bundeswehr bleiben.

Schwer tut sich die Bundeswehr auch mit der Umsetzung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie. Schon bei den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern konnte der Ausgleich für mehr geleisteten Dienst personell nicht oder nur schwer kompensiert werden, sodass einzelne Arbeitsbereiche vorübergehend stillgelegt werden mussten, etwa die Flughafenfeuerwehr. Dem Grunde nach gilt die Arbeitszeitrichtlinie nach meiner Auffassung auch für Soldatinnen und Soldaten, sodass eine Umsetzung in diesem Bereich unausweichlich ist. Es macht keinen Sinn, davor die Augen zu verschließen. Je eher sich die Bundeswehr, aber auch das Parlament mit den personellen und finanziellen Folgen einer entsprechenden Umsetzung beschäftigt, desto besser wird darauf reagiert werden können. Ich sage auch – ich weiß nicht, ob Herr Kampeter heute anwesend ist –: Kostenneutralität steht dabei nicht in Aussicht.

Ein letztes Stichwort: Sanitätsdienst. Erhebliche Sorgen bereitet nach wie vor die sanitätsdienstliche Versorgung. Ohne einen massiven Rückgriff auf zivile Kapazitäten ist die Versorgung heute nicht mehr sicherzustellen. Deshalb gibt es eine immer engere Kooperation zwischen zivilen und militärischen Bereichen. Allerdings darf dabei der militärische Versorgungsauftrag nach meiner Auffassung nicht aus dem Blick verloren werden. Ich habe den Eindruck, dass vielfach die Fragen der Wirtschaftlichkeit den eigentlichen Daseinszweck des Sanitätsdienstes mehr und mehr überlagern. Das darf nicht sein.

Ich sehe, dass ich meine Zeit schon überschritten habe, und möchte Ihnen an dieser Stelle für Ihre Aufmerksamkeit danken. Aber wenn Sie erlauben, Frau Präsidentin, möchte ich noch einen besonderen Dank an meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter richten, die wirklich Großartiges geleistet haben.Wir hatten nicht nur eine hohe Zahl von Eingaben, sondern eben auch sehr komplizierte und konkrete Fragen zu klären. Diese Arbeit ist auf großartige Art und Weise geleistet worden. Das Gleiche gilt natürlich für unsere Ansprechpartner in den Ministerien, in den militärischen Organisationen und auch im Parlament. Wenn Sie erlauben, richte ich an dieser Stelle meine Grüße auch an alle Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Nochmals ganz herzlichen Dank! Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Vielen Dank, Herr Kollege Königshaus. – Ich habe Ihnen die Zeit für diesen Dank gerne gewährt. Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, möchte ich Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Namen des ganzen Hauses für die Vorlage des Jahresberichts 2013 ganz herzlich danken.

(Beifall im ganzen Hause)

Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der Verteidigung:

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Königshaus! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in die Debatte eintreten, möchte ich vorwegstellen, dass der Jahresbericht des Wehrbeauftragten 2013 wie jeder Jahresbericht ein Ergebnis langer Recherchen, vieler Mühen und verantwortlicher Bewertung ist. Deshalb, Herr Königshaus, möchte auch ich Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für diesen Einsatz danken. Wir alle wissen aus der Erfahrung der vergangenen Jahre – ich merke es auch jetzt im neuen Amt –, dass Ihnen die Belange der Soldatinnen und Soldaten wirklich ein Herzensanliegen sind. Ich danke für diesen Einsatz.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In Ihrem aktuellen Bericht werden naturgemäß Mängel genannt. Es werden aber auch Lösungsvorschläge unterbreitet und Verbesserungsvorschläge nicht verschwiegen. Auch dafür möchte ich ausdrücklich danken.

Ich möchte auf einige Themenbereiche des Berichts eingehen. Haben Sie Verständnis dafür, dass ich nicht alles abarbeiten kann. Ich möchte vor allen Dingen die beiden wichtigsten Punkte ansprechen. Das sind einerseits die Auslandseinsätze und andererseits die Attraktivität der Bundeswehr nach innen; denn zwischen diesen beiden großen Komponenten spielt sich das zentrale Thema, nämlich die Herausforderung, die eine doppelte ist, ab.v Sie haben eben schon ganz richtig skizziert, Herr Königshaus, dass die Bundeswehr einer Doppelbelastung ausgesetzt ist. Auf der einen Seite steht die Reform, die Neuausrichtung, die noch lange nicht abgeschlossen ist; wir stecken mittendrin. Das bedeutet für viele: Umstrukturierungen, Standortverlagerungen, neue Zuständigkeiten, Unsicherheit auch in Bezug auf die Fragen, wie es weitergeht, wie die neue Kapazität aussieht und wann sie aufgebaut ist. Auf der anderen Seite stehen die Auslandseinsätze. Wir wissen alle, dass die Welt nicht stillsteht und Einsätze hinzukommen, so wie im letzten Jahr im Hinblick auf die Türkei und Mali. Diese Doppelbelastung – Neuausrichtung und Auslandseinsätze – verlangt von den Angehörigen der Bundeswehr viel Geduld und Verständnis. Sie verlangt aber auch vonseiten des Ministeriums und der Leitungsebene viel Verständnis für die besondere Situation der Soldatinnen und Soldaten. Es bedarf immer Ideen und Bemühungen für jede Art von Verbesserung und kluger Planung, damit wir in dieser besonderen Situation das Beste für die Soldatinnen und Soldaten ermöglichen.

Bei Auslandseinsätzen besteht die grundsätzliche Regel 4/20, die alle kennen, also im Grundsatz 4 Monate Einsatz und 20 Monate der Vor- und Nachbereitung sowie der Regeneration. Tatsache ist aber, dass wir das nicht immer einhalten.

(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)

Bei der großen Mehrheit der Einsätze, bei weit mehr als 75 Prozent, funktioniert das. Aber in bestimmten Teilen der Truppe, vor allen Dingen, wenn Spezialisierung und hohe Qualifizierung gefordert sind, spüren wir den Mangel an Personal und vor allem den Fachkräftemangel, den in Bezug auf genau diese Komponenten inzwischen auch die deutsche Wirtschaft und der deutsche Mittelstand spüren.

Das moderne Gesicht der veränderten Bundeswehr beinhaltet, dass wir Einsätze niemals alleine, sondern immer unter dem Dach der Vereinten Nationen, der EU oder der NATO leisten, also mit geteilten Fähigkeiten und immer im vernetzten Ansatz. Der Einsatz des Militärs ist die Ultima Ratio. Wir wissen: Es gibt keine Entwicklung ohne Sicherheit. Es gibt aber eben auch keine Sicherheit ohne Entwicklung.

Das bedeutet für uns nach innen, dass zwar in den verschiedenen Bereichen eine Grundausstattung da sein muss, aber wir uns zunehmend auf unsere Stärken konzentrieren sollten, die auch immer stärker von den Bündnispartnern nachgefragt werden. Die Komponenten sind eben benannt worden. Da ist das weite Thema der Luftunterstützung, da ist die Logistik, da ist das breite Feld der Ausbildung, und zwar nicht nur der militärischen Ausbildung, sondern auch der Ausbildung im Hinblick auf Fertigkeiten bis hin zu Pionierspezialwissen. Da geht es aber auch um die Frage der wertegebundenen Führung – wie führe ich eine Armee innerhalb demokratischer Strukturen, wissend, dass Militär keine Politik macht, sondern eine dienende Funktion hat? – und um das große Thema der medizinischen Versorgung und der Sanität.

Ich habe eben die Schlüsselqualifikationen nicht abschließend aufgeführt, aber die dominierenden genannt; ich habe angeführt, wo die Hauptprobleme liegen. Es geht um die beruflichen Fähigkeiten von Technikern, Flugzeugprüfern, Spezialpionieren, aber eben auch von ärztlichem Personal. Dort ist die Bundeswehr besonders nachgefragt und wird die Belastung – da dürfen wir uns nichts vormachen – weiterhin hoch sein, gerade im Vergleich zu anderen Truppenteilen, in denen die Regel „4 Monate Einsatz, 20 Monate zu Hause“ gut funktioniert. Das wird ein Dauerthema bleiben; denn wir konkurrieren nicht nur innerhalb der Bündnisse um diese Fähigkeiten, die immer wieder nachgefragt werden, sondern auch mit der gesamten Wirtschaft. Das betrifft die Berufe der Ärztinnen und Ärzte, der IT-Spezialisten sowie technische Felder; Sie kennen sie alle. Das sind genau die Bereiche, in denen die Wirtschaft inzwischen den Fachkräftemangel spürt; alle stehen bei diesen Fähigkeiten in Konkurrenz. Das bedeutet für uns: Wir müssen bei den Lösungen flexibler und kreativer werden.

Die Bundeswehr bietet inzwischen ein Splittingmodell an – man würde das in der Wirtschaft wahrscheinlich Jobsharing nennen –: Einsatzdienstposten werden von zwei Soldatinnen oder Soldaten besetzt. Dadurch kann die Einsatzdauer flexibler und kürzer gestaltet werden. Die Luftwaffe hat ein entsprechendes Projekt und macht damit gute Erfahrungen. Wir werden das ganz sicher ausbauen. Eines ist aber auch klar: Mit Flexibilisierung allein ist es nicht getan; denn viele Arbeitgeber fragen, wie ich eben geschildert habe, diese Schlüsselqualifikationen nach. Wir müssen also als Arbeitgeber die richtigen Antworten geben.

Die Bundeswehr hat als Arbeitgeber zwei große Stärken: Erstens. Sie bietet einen sicheren Arbeitsplatz; es gibt keine feindlichen Übernahmen oder Konzernrestrukturierungen, um in der Wirtschaftssprache zu sprechen.

(Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN)

Zweitens. Die Bundeswehr hat eine außergewöhnlich verlässliche Personalentwicklung wie kaum ein anderer Arbeitgeber. – Das sind die großen Stärken.

Sie muss sich andererseits bei den Themen viel breiter aufstellen, die sich hinter dem Begriff „Vereinbarkeit von Dienst und Familie“ verbergen: flexible Arbeitszeitmodelle, selbstverständlich die Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie – wenn die Hochleistungsmedizin das geschafft hat, wenn andere kritische Berufe das geschafft haben, dann muss das auch die Bundeswehr schaffen –, mobiles Arbeiten – damit meine ich physisch unabhängiges, IT-gestütztes Arbeiten – und das Mitdenken von Kindern und Eltern, die gepflegt werden müssen. Das möchte ich nicht nur auf Soldatinnen reduziert sehen; es betrifft genauso elementar die Soldaten, die selbstverständlich gute Väter für ihre Kinder sein wollen. Vielleicht hat nicht jede Soldatin oder jeder Soldat Kinder; aber sie alle haben Eltern. In einer Gesellschaft im demografischen Wandel kommt dieses Thema mit großer Geschwindigkeit auf uns zu. Wir müssen darauf Antworten geben; sonst werden wir nicht mehr das Personal halten können, das wir halten wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Herr Königshaus, Sie sprachen das Thema „Truppenbild ohne Dame“ an, also die Stellung der Frauen in der Bundeswehr. Ich glaube, etwas mehr als zehn Jahre nach der Öffnung der Bundeswehr für Frauen – am Anfang stand sicherlich auch das Interesse am Neuen und Ungewöhnlichen im Raum – kommt jetzt die Phase, in der man die Konkurrenz spürt; das ist eine Selbstverständlichkeit. Ich finde es in dieser Zeit ganz wichtig, dieses Thema offen anzusprechen und zu debattieren und die Truppe im Hinblick auf ihre Sprache und ihre Umgangsformen zu sensibilisieren. Es dürfen keine Nachteile daraus entstehen, dass man dies zum Thema macht. Hier bedarf es ganz klar der Führung, die deutlich machen muss, dass das Thematisieren keinen Nachteil bedeutet. Diskriminierung oder Belästigung sind keine Tabuthemen. Man muss sich nicht in die Ecke stellen und schämen, wenn man sie anspricht. Im Gegenteil: Indem man sie aufs Tapet bringt, kann man die Wurzel des Übels finden und damit eine Veränderung des Verhaltens in der Truppe herbeiführen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ein weiterer Punkt, der mir in Bezug auf das Thema „attraktiver Arbeitgeber“ wichtig ist, ist das Thema Verwendungsaufbaumodelle. Schon allein der Begriff ist etwas starr und sicherlich auch überfrachtet. Ich habe eben darauf hingewiesen, dass die sehr verlässliche Personalplanung eine große Stärke der Bundeswehr ist. Aber es ist eher so, dass sich die Soldatinnen und Soldaten nach der Personalplanung richten müssen. Ich hingegen glaube, dass wir lernen müssen, vom Soldaten, von der Soldatin her zu denken und die Planung an deren Lebenswirklichkeit anzupassen. Ein Beispiel wäre, die Verwendungslaufbahnen regional zu organisieren, damit man nicht mehr von Pontius zu Pilatus reisen muss, um eine Verwendungslaufbahn zu absolvieren. Vielmehr sollte es den Soldatinnen und Soldaten ermöglicht werden, die Verwendung in der Region zu realisieren, in der sie ihren Lebensmittelpunkt, ihre Familie haben. Bei der Planung muss man vom Menschen her denken und nicht umgekehrt. In Ihrem Jahresbericht schreiben Sie, Herr Königshaus, dass die Attraktivität eine Überlebensfrage der Bundeswehr sei. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu.

Ich möchte meinen Blick kurz auf das Thema „Werbung von Nachwuchs bei der Bundeswehr“ richten. Die Ausgangslage ist sehr gut. Für 2014 konnten wir bis heute, also 9 Monate vor Ende des Jahres, bereits 54 Prozent aller verfügbaren Stellen für Soldatinnen und Soldaten auf Zeit besetzen. Das ist ausgezeichnet. Auch die Qualifikationen stimmen. 70 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber haben mindestens die mittlere Reife. Mehr als zwei Drittel – das finde ich ganz klasse – bringen eine abgeschlossene Berufsausbildung mit. Es bewerben sich also bereits qualifizierte Leute bei der Bundeswehr. Das ist hocherfreulich. Genau da müssen wir weitermachen.

Ich möchte zum Schluss einen Aspekt herausgreifen, der wenig Beachtung findet, aber ein Kleinod innerhalb der Bundeswehr ist, und zwar das Thema „Bildung und Qualifikation“. Die Bundeswehr ist ein bedeutender Bildungs- und Ausbildungsträger in unserem Land, sowohl im militärischen als auch im zivilen Bereich. Wir können auf einer vielfältigen Bildungs- und Qualifizierungslandschaft aufbauen, die im Vergleich zu anderen Arbeitgebern einzigartig ist. Mit diesem Pfund müssen wir wuchern. Das betrifft die Themen Berufsausbildung, fachliche Fort- und Weiterbildung und akademischer Abschluss. Ich will Ihnen hierzu zwei Zahlen nennen. Allein 5 000 Soldatinnen und Soldaten nehmen zurzeit an 500 unterschiedlichen Maßnahmen auf Gesellenebene oder auf Meisterebene teil. Allein 4 500 Studentinnen und Studenten werden in 55 unterschiedlichen Studiengängen ausgebildet, um ihren Masterabschluss zu machen. Die Bundeswehr bildet gewissermaßen eine ganze Ausbildungs- und Universitätslandschaft im Kleinen ab. Das ist ein riesiger Marktvorteil, den wir weiter ausbauen wollen.

Ich möchte noch einige Bereiche kurz antippen, in denen wir besser werden können; wir haben zwar den Marktvorteil, aber den wollen wir auch behalten. Soldatinnen und Soldaten erwerben im Dienst viele Kompetenzen und Qualifikationen. Warum zertifizieren wir diese nicht für den Zivilberuf? Erhält man ein Zertifikat über das, was man bei der Bundeswehr gelernt hat, dann eröffnen sich im Anschluss beim Übergang in den zivilen Beruf viel größere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Mit Blick auf unseren Binnenarbeitsmarkt fragt man sich: Warum nutzen wir solche Zertifikate nicht viel stärker bei Soldatinnen und Soldaten auf Zeit, um sie in jene zivile Berufe zu übernehmen, in denen genau ihre Qualifikation nachgefragt wird? Die Bildungseinrichtungen, die ich eben genannt habe, sind vom Feinsten. Wieso öffnen wir sie eigentlich nicht für alle Angehörigen der Bundeswehr? Lebenslanges Lernen und Aufstiegsqualifizierung sind die Schlüsselkompetenzen, die eine Gesellschaft im demografischen Wandel braucht. Die Bundeswehr braucht sie genauso.

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir haben in der Bundeswehr alle Möglichkeiten. Nutzen wir sie! Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Vielen Dank. – Das Wort hat Christine Buchholz, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Christine Buchholz (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Herr Königshaus! Meine Damen und Herren! Der Jahresbericht 2013 des Wehrbeauftragten verdeutlicht vor allen Dingen eines: Wenn Frau von der Leyen sagt, der Mensch müsse im Mittelpunkt stehen – das haben Sie zumindest zum Ende Ihrer Rede gesagt –, dann hat das mit der Realität in der Bundeswehr allzu oft nichts zu tun. Umgerechnet auf die Personalstärke haben 2013 mehr Soldaten als je zuvor über Missstände geklagt. Das ist eine schallende Ohrfeige für den abgetretenen Verteidigungsminister de Maizière. Ich füge hinzu: Die ersten Initiativen von Frau von der Leyen lassen Zweifel aufkommen, dass sich an diesem Zustand etwas ändern wird.

(Beifall bei der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Sie reden immer alles schlecht!)

Die Bundeswehr ist keine Verteidigungsarmee mehr. Sie wird zu einer global agierenden Interventionsarmee ausgebaut. Allein im Berichtsjahr 2013 kamen Einsätze im Senegal, in Mali und in der Türkei hinzu. Dabei wird nicht nur die Mehrheit unserer Bevölkerung ignoriert,

(Henning Otte [CDU/CSU]: Das zeigt ja Ihr Wahlergebnis!)

die diese Einsätze zu Recht ablehnt. Der gesamte Umbau der Bundeswehr wird sogar auf dem Rücken der Soldatinnen und Soldaten und ihrer Familien ausgetragen. Das ist die Realität, die einem ins Auge springt, wenn man den Bericht des Wehrbeauftragten liest.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau von der Leyen, Sie haben von einem „sicheren Arbeitsplatz“ bei der Bundeswehr gesprochen. Erstmalig seit zwei Jahren ist wieder ein Soldat in einem Feuergefecht in Afghanistan gestorben. Das ist tragisch. Schlimm ist auch, wenn Soldatinnen und Soldaten mit psychischen Störungen und traumatisiert nach Hause zurückkehren. Es geht um Depressionen, um Alkoholabhängigkeit und um PTBS, Posttraumatische Belastungsstörungen. 2006 wurden 83 Soldaten mit PTBS in Bundeswehrkrankenhäusern behandelt, 2013 waren es laut Bericht bereits 1 500 – Tendenz: stark zunehmend. Dazu kommen jene, die privat in Therapie sind, und jene Fälle, die gar nicht erkannt werden. Selbst das zur Bundeswehr gehörende Psychotraumazentrum in Berlin geht davon aus, dass ein Viertel der Soldatinnen und Soldaten, die zurückkommen, unter einsatzbedingten psychischen Störungen leidet.

Es ist traurig, aber 15 Jahre systematische Ausrichtung der Bundeswehr auf internationale Einsätze haben PTBS zu einer in Deutschland verbreiteten Krankheit gemacht. Insgesamt waren allein in Afghanistan 160 000 deutsche Soldaten im Einsatz. Es gibt heute kaum einen Ort in Deutschland, in dem keine Familien leben, die davon betroffen sind. PTBS-Kranke leiden zum Beispiel unter Schlaflosigkeit. Schlüsselreize wie Hitze oder Rauch, die an die traumatisierenden Erfahrungen im Krieg erinnern, können Wutattacken auslösen. Kinder, Freunde, Partnerinnen und Partner, sie alle bekommen tagtäglich die Auswirkungen zu spüren. Die Scheidungsraten bei Heimkehrern liegen in einzelnen Einheiten bei bis zu 80 Prozent. Der NATO-Einsatz in Afghanistan hat Zehntausenden Afghanen das Leben gekostet; aber dieser Krieg macht auch Soldaten und ihre Familien krank. Dieses Problem muss endlich in all seiner Schärfe anerkannt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Problem wird sich verstärken, wenn Ende des Jahres eine größere Zahl aus Afghanistan zurückkehrt; denn aus der Erfahrung vergangener Kriege weiß man, dass viele psychische Erkrankungen erst später auftauchen. Aber was macht die Bundesregierung? Sie verschärft das Problem weiter. Sie verweigert sich einer ehrlichen Bilanz von zwölf Jahren Krieg in Afghanistan. Sie hält weiter über 3 000 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan. Von einem echten Abzug kann keine Rede sein. Die Bedrohungslage im Norden wird teilweise immer noch als erheblich eingeschätzt; trotzdem wird das immer wieder vom Tisch gewischt. Der nächste Bundeswehreinsatz in einem Bürgerkriegsland steht vor der Tür. Heute noch wird im Bundestag über die Entsendung von Soldaten nach Mogadischu in Somalia diskutiert.

(Henning Otte [CDU/CSU]: Wie viele denn?)

Wer im Bundestag solche Entsendungsbeschlüsse fällt, ist mitverantwortlich für die Traumatisierten von morgen. Hören Sie endlich auf damit!

(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Unverantwortlich!)

Man sollte meinen, die psychisch erkrankten Soldaten würden nach ihrer Heimkehr wenigstens vernünftig behandelt. Das ist aber beileibe nicht der Fall. Im Bericht wird das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz erwähnt. Es verpflichtet die Bundeswehr seit 2012, Soldaten ab einem einsatzbedingten Schädigungsgrad von 30 Prozent weiterzubeschäftigen. Erkrankte bekommen somit eine berufliche Perspektive, können eine Therapie machen oder eine weitere Ausbildung. Das ist eine Verbesserung. Doch das Problem liegt in der Umsetzung. Viele Verfahren landen vor dem Gericht, weil die Bundeswehr die Ansprüche einfach nicht anerkennen will. Viele Soldaten mit PTBS müssen mit der Bundeswehr erst mühsam um jedes Detail ringen. Das ist unwürdig.

(Beifall bei der LINKEN)

Noch schwieriger ist es für die Soldatinnen und Soldaten, bei denen die psychischen Störungen erst nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst auftreten. Für sie – ich zitiere den Wehrbeauftragten – „bietet der Dienstherr … lediglich Informationen und Kontaktadressen in Merkblättern über das Internet an.“ Merkblätter im Internet zu PTBS – meine Damen und Herren, das ist zynisch.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Königshaus stellt dazu nüchtern fest, dieses Angebot genüge nicht der Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Das ist richtig. Man bekommt den Eindruck, es gehe darum, den Soldaten den Weg zu einer Therapie zu erschweren, um die Folgekosten der Einsätze zu minimieren. Ich sage: Hier geht es um das Schicksal von Menschen, von Familien. Dafür muss Geld bereitstehen und nicht für immer neue Waffensysteme.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieses Bild zieht sich durch den Jahresbericht des Wehrbeauftragten. Hier ein paar Schlaglichter: Sanitätsärztliche und medizinische Betreuung weisen – Zitat – „erhebliche Mängel“ auf. Dienstposten der Bundeswehr, an die Eingaben bei Missständen gerichtet werden können, sind – Zitat – „in weiten Bereichen“ nicht besetzt. Darüber hinaus ist die Bundeswehr nicht bereit, Dienstposten auszuschreiben, um das Problem der Familientrennung durch Standortversetzungen zu reduzieren. Bei der Beihilfe gibt es einen Rückstau von 60 000 Anträgen. Beihilfeberechtigte mussten bei Arzt- und Behandlungskosten in Vorleistung treten, in einzelnen Fällen mit Summen in Höhe von 20 000 Euro. Das trifft vor allen Dingen die, die besonders auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn angewiesen sind: chronisch Kranke oder Krebspatienten. Der Wehrbeauftragte schreibt:

Ein Petent berichtete weinend am Telefon, er habe bereits seine Kinder um Geld bitten müssen und ihnen nichts zum Geburtstag schenken können. Auch wurde nach Angabe von Petenten auf notwendige Arztbesuche verzichtet, aus Angst, die Kosten nicht begleichen zu können.

Nein, meine Damen und Herren, bei der Bundeswehr stehen nicht die Menschen im Mittelpunkt, sondern die geostrategischen Interessen Deutschlands. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN)

Was einen so maßlos ärgert, ist, wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird: 60 000 Soldatinnen und Soldaten warten auf Geld, das ihnen zusteht. Doch der Rüstungsbetrieb MTU bekam im Dezember letzten Jahres mal eben 55 Millionen Euro per Eilüberweisung aus dem Verteidigungsministerium, ohne dass, wie vorgeschrieben, der Bundestag konsultiert wurde. Wofür erhielt MTU 55 Millionen Euro? Für Eurofighter-Triebwerke, die nie gebaut wurden; denn die Kosten für den Eurofighter sind derart explodiert, dass die Bestellung reduziert werden musste. Nun kommt auch noch Airbus und will 900 Millionen Euro für dieselben nie gebauten Eurofighter haben. Ich sage: Das Geld, das so bei der Aufrüstung verpulvert wird, fehlt im Land für Kitas, Krankenhäuser und die Versorgung der Soldatinnen und Soldaten.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei dieser Gelegenheit, meine Damen und Herren, muss ich noch zwei aktuelle Themen ansprechen.

(Henning Otte [CDU/CSU]: Auch das noch!)

Der erste Punkt betrifft die nächste Aufrüstungsrunde. Das Bundesverteidigungsministerium hat im Januar dieses Jahres einen weiteren wichtigen Auftrag erteilt, um den Weg zur Beschaffung der US-Drohne Predator B freizumachen. Nicht, dass die Abgeordneten im Verteidigungsausschuss darüber informiert worden wären – erst aus dem Spiegel haben sie davon erfahren.

(Henning Otte [CDU/CSU]: Waren Sie gestern nicht im Ausschuss?)

Dann schob das Ministerium hastig eine Erklärung nach. Frau von der Leyen, wo ist Ihre Initiative für Transparenz geblieben?

Um es klar zu sagen: Diese Drohne wird Unmengen an Geld verschlingen, das an anderer Stelle dringend gebraucht würde. Es handelt sich bei dem Typ um eine Drohne, die bis zu 1 300 Kilogramm an Raketen tragen und abschießen kann. Mit anderen Worten: Offensichtlich werden hier die Weichen für die Beschaffung von Kampfdrohnen gestellt, auch wenn es offiziell noch heißt, der Auftrag würde keinerlei Vorentscheidung zur Beschaffung von Kampfdrohnen sein. Ich bin gespannt, ob die SPD ihrer Ankündigung aus den Koalitionsverhandlungen Taten folgen lässt. Bitte tun Sie das! Denn wir können keine Kampfdrohnen gebrauchen.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Drohnen haben auch nichts mit dem Schutz der eigenen Soldatinnen und Soldaten zu tun, wie manche behaupten,

(Henning Otte [CDU/CSU]: Aber natürlich!)

sondern ausschließlich mit der Fähigkeit, selbst an zukünftigen Drohnenkriegen teilzunehmen. Das lehnt die Linke entschieden ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Der zweite Punkt ist der Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze, den die Union aufweichen möchte. Frau Nahles hat in den Koalitionsverhandlungen wörtlich gesagt: „Am Parlamentsvorbehalt wird nicht gerüttelt.“ Aber warum stimmen Sie dann der Einsetzung einer Kommission zu, die genau das zum Inhalt hat? Offenbar ist die SPD ganz einverstanden damit, Parlamentsrechte einzuschränken, um Auslandseinsätze im Rahmen von Bündnisverpflichtungen zu erleichtern. Aber auch wenn es um den Einsatz von Soldaten in NATO-Stäben, den Einsatz von AWACS-Flugzeugen oder den Einsatz von Spezialkräften geht:Wir wollen nicht weniger, sondern mehr Parlamentsrechte.

(Beifall bei der LINKEN)

Ganz nebenbei: Im Interesse von Soldaten und Soldatinnen ist das auch; denn wenn Auslandseinsätze nicht mandatiert werden, hat das Folgen für die soziale Versorgung von Soldatinnen und Soldaten. Zudem greifen manche private Lebensversicherungen nur, wenn ein Einsatz mandatiert ist. Aber auch hier das gleiche Bild: Die Große Koalition will die Hürden für Auslandseinsätze senken, aber die sozialen Interessen der Soldatenfamilien sind das Letzte, woran Sie denken.

(Henning Otte [CDU/CSU]: Das glaubt Ihnen doch niemand!)

Frau von der Leyen, Ihr positives Bild hat Kratzer bekommen. Auch wenn Sie über die Bildung, dieses Kleinod, reden, hinterlässt das mehr Fragezeichen als Ausrufungszeichen. Es besteht eine riesige Kluft zwischen der Realität und dem, was die Bundeswehr in ihrer Imagekampagne jungen Leuten verspricht. Wenn wir schauen, was der Bericht zu den Themen Bildung und Ausbildung sagt, dann lesen wir über die Unzufriedenheit mit der Beförderungssituation in der Bundeswehr. Wie sieht es also mit den Karrierechancen aus? Zahlreiche Soldatinnen und Soldaten beklagen, dass sie unzutreffende oder gar keine Dienstzeugnisse erhalten haben. Zudem werden organisatorische und fachliche Mängel im Bereich der zivilberuflichen Aus- und Weiterbildung beklagt.

Anstatt millionenschwere Imagekampagnen zu bezahlen und die Bundeswehr in Schulen zu schicken, sollten Sie das Geld besser für soziale Belange ausgeben. Aber für die Linke ist das Wichtigste: Beenden Sie die Auslandseinsätze! Holen Sie die Soldatinnen und Soldaten nach Hause, besser heute als morgen, und schicken Sie sie nicht in neue Einsätze! Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

[...]

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Vielen Dank. – Das Wort hat Doris Wagner, Bündnis 90/Die Grünen.

Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Werter Herr Königshaus! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich war vor 14 Tagen in Afghanistan, und ich muss Ihnen sagen: Durch Kabul zu fahren, ist schon ein sehr spezielles Erlebnis. Mit einer kiloschweren Sicherheitsweste und mit bewaffnetem Begleitschutz im Konvoi durch die Stadt, ständiger Funkkontakt zwischen den Fahrzeugen mit Anweisungen und Hinweisen auf Gefahrenquellen und auf der Straße bewaffnete Männer: Das hat mir noch einmal ganz klar vor Augen geführt, dass Soldatin oder Soldat zu sein eben kein normaler Beruf ist; denn sie setzen sich in ihren Einsätzen in unserem Auftrag besonderen Gefahren für Leib und Leben aus.

Deshalb lese ich den Wehrbericht, für den ich Herrn Königshaus heute auch noch einmal danken möchte, mit anderen Augen, und deshalb haben Sie, Frau Ministerin, eine spezielle Verantwortung und Fürsorgepflicht für diese Soldatinnen und Soldaten. Dieser Verantwortung und der Pflicht zur Fürsorge wird die Bundesregierung derzeit bei weitem nicht gerecht.

Verantwortung und Fürsorge: Das bedeutet, wir müssen alles tun, damit die Soldatinnen und Soldaten optimal ausgerüstet und vorbereitet in den Einsatz gehen. Doch der Wehrbericht zeigt: Die Realität sieht anders aus. Während die Soldatinnen und Soldaten in den Auslandseinsätzen inzwischen über eine gute Ausrüstung verfügen, herrscht in den Kasernen in Deutschland Mangel. Da müssen Maschinengewehre von anderen Truppenteilen ausgeliehen werden, oder unmittelbar vor dem Einsatz wird kurzfristig mit Panzern trainiert, die zentral über ein „Verfügbarkeitsmanagement“ entliehen werden, damit sich die Soldatinnen und Soldaten überhaupt auf den Einsatz vorbereiten können. Auf diese Weise möchte die Bundesregierung haushalterische Disziplin üben, aber ich glaube, die Grundausrüstung ist dafür denkbar ungeeignet; denn wer seine Soldatinnen und Soldaten unzureichend vorbereitet in gefährliche Einsätze schickt, handelt fahrlässig und verantwortungslos.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Verantwortung und Fürsorge: Das bedeutet auch, dafür zu sorgen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten bei der Erfüllung ihrer Aufgaben keinen unnötigen Schaden nehmen.Doch mittlerweile müssen wir fast froh sein, wenn sie zu Hause ihren alltäglichen Dienst gesund und unbeschadet überstehen. Der Grund dafür liegt in der unglücklichen Personalpolitik Ihrer Amtsvorgänger, Frau von der Leyen.

Unsere Streitkräfte verfügen mittlerweile nicht mehr über ausreichend Personal, um die eigenen Kasernen und Flughäfen effektiv zu sichern. In Seedorf konnte ein Unbekannter unbehelligt auf das Gelände vordringen und über 30 000 Schuss Munition entwenden. Dem Wehrbericht zufolge wurden in den letzten Jahren in zahlreichen Liegenschaften der Bundeswehr Radmuttern an Fahrzeugen gelöst, und im Juli 2013 kam es sogar zu einem Brandanschlag. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten Soldatinnen und Soldaten durch Sabotageakte zu Schaden kommen.

Wir haben es schon gehört: Schlecht steht es auch um die medizinische Versorgung der Streitkräfte. Auch hier gilt: Der Mangel an Personal hat mittlerweile gravierende Folgen. Bei den Sanitätsoffizieren fehlten 2013 mehr als 400 Ärztinnen und Ärzte, die vor allem für die Notfallversorgung im Einsatz unerlässlich sind. Aus Personalmangel müssen in manchen Bundeswehrkrankenhäusern ganze Stationen geschlossen werden, sodass die Soldatinnen und Soldaten für Behandlungen teilweise weite Reisen auf sich nehmen müssen. Wer sich im Dienst etwa eine schwere Brandverletzung zuzieht, der kann zwar in das Krankenhaus nach Koblenz fahren und dort hervorragende Gerätschaften zur Behandlung seiner Verletzung besichtigen, optimal geholfen kann aber nicht werden, weil es kein Personal mehr gibt, das sich auf Schwerstbrandverletzungen spezialisiert hat. Eine solche Situation ist völlig inakzeptabel. So können wir nicht mit Menschen umgehen, die in unserem Auftrag ihre Gesundheit aufs Spiel setzen.

Frau Ministerin, Sie haben bei Ihrer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz von der Verantwortung gesprochen, die Deutschland bei der Lösung internationaler Krisen übernehmen muss. Ich finde, Sie sollten erst einmal Ihrer Verantwortung für unsere Soldatinnen und Soldaten gerecht werden. Beheben Sie den eklatanten Personalmangel, der sich als Thema wie ein roter Faden durch den ganzen Wehrbericht zieht! Überprüfen Sie das Tempo der Streitkräftereduzierung!

Ich freue mich, dass ich Ihre Worte so deuten kann, dass Sie darüber nachdenken, ob Truppenverbände wirklich über Standorte von der Ostsee bis zu den Alpen verteilt werden müssen. Aber ich bitte Sie: Fangen Sie unverzüglich an, die Bundeswehr zu einem attraktiven und familienfreundlichen Arbeitgeber umzugestalten, wie Sie es Anfang des Jahres immer wieder versprochen haben! Nur so werden Sie den Nachwuchs gewinnen, den die Bundeswehr so dringend braucht.

Damit, meine Damen und Herren, komme ich zu meinem letzten Punkt. Ein junger Mensch, der sich entscheidet, Soldat oder Soldatin zu werden, muss darauf vertrauen können, dass sein Dienstherr verantwortungsvoll mit ihm umgeht. Er muss darauf vertrauen können, dass er im Falle einer Verletzung umfassende Hilfe und Fürsorge erfährt. Leider versagt die Bundeswehr ausgerechnet in diesem Punkt kläglich, wie ich in mehreren Gesprächen mit Betroffenen erfahren habe.

Bis in die 80er-Jahre hinein waren Angehörige der Bundeswehr und der NVA gesundheitsschädlicher Strahlung an nicht abgeschirmten Radargeräten ausgesetzt. Viele von ihnen sind in der Folge schwer erkrankt. Trotzdem verweigert die Bundeswehr zahlreichen Betroffenen bis heute eine angemessene Entschädigung, indem sie nur Krebserkrankungen oder Katarakte als radartypische Folgeerkrankungen anerkennt. Die Betroffenen können in der Regel sehr plausibel darlegen, welch hohen Strahlenbelastungen sie ausgesetzt waren. Dennoch verbarrikadiert sich die Bundeswehrverwaltung hinter geschätzten oder fehlerhaft und viel zu spät ermittelten Werten, weil es keine Aufzeichnungen aus den 60er-Jahren gibt. Geht dann doch einmal ein Gerichtsverfahren zugunsten der betroffenen Soldaten aus, legt die Bundesrepublik regelmäßig Revision ein. Die Folge ist: Die Prozesse ziehen sich manchmal über Jahrzehnte hin. Ein hochbetagter früherer Soldat darf häufig von Glück sagen, wenn er das Urteil überhaupt noch erlebt.

Dieses Verhalten, Frau Ministerin, ist schäbig. Es widerspricht aber auch den ureigensten Interessen der Bundeswehr. Weshalb sollte jemand – ich komme zum Schluss Frau Präsidentin – schwören, für unseren Staat seine Gesundheit und sein Leben einzusetzen, wenn dieser Staat offenbar nicht gewillt ist, im Schadensfall seiner Fürsorgepflicht nachzukommen? Deshalb mein dringender Appell: Hören Sie auf, mit den Geschädigten kleinlich über Strahlenmengen zu debattieren! Die geschädigten Soldaten haben ihren Teil des Vertrages erfüllt. Jetzt sind Sie an der Reihe! Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

[...]

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Vielen Dank. – Das Wort hat Dr. Tobias Lindner, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist Ihnen, Herr Wehrbeauftragter Königshaus, und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in dieser Debatte zu Recht für die Vorlage dieses Berichts viel gedankt worden, ich will aber in diesen Dank noch einen weiteren Aspekt einschließen. Wenn man darüber nachdenkt, was der Markenkern einer Parlamentsarmee ist, dann wird man sicherlich als einen Aspekt die Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen benennen,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

aber genauso solche Debatten wie diese heute, Debatten, bei denen uns in Form eines Berichts an Beispielfällen vor Augen gehalten wird, was in der Truppe tatsächlich passiert, was gut läuft, aber auch, was nicht gut läuft, und Debatten, bei denen wir uns als Parlamentarier – Sie sich als Koalition, wir uns als Opposition – mit unseren Vorstellungen und Programmen natürlich fragen müssen: Was sind unsere Erwartungen an die Bundeswehr, wo haben wir vielleicht falsche Erwartungen, wo haben wir vielleicht Fehler gemacht bei Strukturen, bei finanzieller Ausstattung und bei anderen Aspekten? Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es gut, dass wir hier in diesem Hohen Hause nicht nur über Auslandseinsätze der Bundeswehr und über Aspekte der Militärpolitik reden, sondern eben auch über den Zustand der Bundeswehr an sich. Allein deswegen hat diese Debatte einen Wert.

(Michael Brand [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Ich möchte in diesem Zusammenhang zu drei Aspekte kommen – sie wurden teilweise schon angesprochen –:

Der erste Aspekt betrifft das Thema Überwachung. Erst jüngst gab es einen eklatanten Fall von Munitionsdiebstahl; über ihn haben wir auch gestern im Verteidigungsausschuss diskutiert. Herr Königshaus, wenn man in Ihrem Bericht nach dem Komplex Bewachung sucht, dann findet man Informationen über Anschläge auf Bundeswehrfahrzeuge, auf Fahrzeuge von Soldatinnen und Soldaten und nicht zuletzt über den leider geglückten Versuch des Eindringens eines Mannes in ein Flugzeug der Flugbereitschaft. All diese Beispiele machen deutlich, dass wir offensichtlich ein Problem mit der Bewachung von Bundeswehrliegenschaften haben. Ich will hinzufügen: ein ernsthaftes Problem.

(Michael Brand [CDU/CSU]: Und mit linksextremer Gewalt!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sprach schon von Munition, von Waffen, von Kriegsgerät, das in Bundeswehrliegenschaften naturgemäß lagert. Die Bundeswehr wird alles dafür tun müssen, dass die Soldatinnen und Soldaten, ihre Angehörigen, aber auch die Bevölkerung durch eine bessere Bewachung vor einem Missbrauch dieses Materials geschützt werden. Die besten Empfehlungen von Kommissionen über Bewachungsmaßnahmen helfen gar nichts, wenn diese, wie auf dem Kasernengelände in Seedorf geschehen – wir haben dies gestern erfahren –, nicht umgesetzt werden. Dann bleibt natürlich die Frage offen, warum diese Empfehlungen nicht umgesetzt worden sind, zumal uns das Ministerium versichert hat, dass Mittel dafür vorhanden gewesen sind.

Ich will auf den zweiten Aspekt zu sprechen kommen. Frau von der Leyen, Ihr Vorgänger, Thomas de Maizière, hat mit der Neuausrichtung der Bundeswehr den Weg „Breite vor Tiefe“ eingeschlagen. Der Wehrbeauftragte ist darauf eingegangen. Mit „Breite vor Tiefe“ meint er, ein möglichst breites Fähigkeitsspektrum bei einer eher geringen Durchhaltefähigkeit vorrätig zu halten.

Obwohl die Neuausrichtung der Bundeswehr noch nicht am Ende ist, lesen wir schon jetzt im Bericht des Wehrbeauftragten, dass nicht nur Material an die Grenzen seiner Belastbarkeit gerät, sondern auch die Soldatinnen und Soldaten. Sie, Frau von der Leyen, sprachen vorhin über „4/20“, über das Modell, dass sich Soldatinnen und Soldaten nach maximal 4 Monaten Auslandseinsatz 20 Monate in Deutschland regenerieren können. Es ist erschreckend, wenn im Bericht des Wehrbeauftragten zu lesen ist, dass das Personalmanagementsystem der Bundeswehr eben nicht in der Lage ist, die Einsatzbelastung von Soldatinnen und Soldaten zu erfassen. Das ist ein Punkt, der schleunigst geändert werden muss.

(Michael Brand [CDU/CSU]: Da klatscht ja noch nicht einmal die eigene Truppe!)

Dritter Aspekt. Hier ist auch über Ausrüstung gesprochen worden. Frau Kollegin Schäfer, Sie sind hier auf viele Ausrüstungsfragen eingegangen. Wenn wir einen Blick in den kürzlich vorgestellten zweiten Regierungsentwurf zum Haushalt 2014 werfen und uns die mittelfristige Finanzplanung anschauen, dann lesen wir eben auch, dass wir in der Finanzplanung eine Bugwelle voller fehlgeschlagener oder zumindest problembehafteter Beschaffungsprojekte vor uns herschieben, dass es da eben alles andere als gut ist. Deswegen haben Sie ja Konsequenzen gezogen, Frau von der Leyen. Meine Sorge ist, dass diese Bugwelle von Pleiten, Pech und Pannen, die da nach vorne rollt, in Zukunft auch dazu führen kann, dass Geld für notwendige Maßnahmen fehlt. Auch deshalb ist es notwendig, dass wir uns alle gemeinsam und jeder für sich Beschaffungsvorhaben kritisch anschauen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte zum Schluss kommen. Wir sehen an dem heute debattierten Bericht des Wehrbeauftragten nicht nur klar und deutlich, dass auf der Truppe, was die Neuausrichtung, was Veränderungen betrifft, Druck liegt, sondern auch, dass wir viele Fragezeichen hinter Strukturentscheidungen setzen müssen, die mit der Neuausrichtung angegangen werden sollen.Deswegen – das will ich abschließend sagen – ist nicht nur eine Evaluation der Neuausrichtung der Bundeswehr dringend notwendig, sondern auch und vor allem das Ziehen von Rückschlüssen aus dieser, gegebenenfalls das Umsetzen von Veränderungen. Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Quelle: Deutscher Bundestag: Stenografischer Bericht, 23. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014; Plenarprotokoll 18/23, S. 1780-1797;
Das vollständige Protokoll im Internet: http://dip21.bundestag.de [externer Link]



Zurück zur Bundeswehr-Seite

Zur Bundeswehr-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Bundestags-Seite

Zur Bundestags-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage