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Vom Volksfest zur NATO-Show

Kieler Woche: Stelldichein von Rüstungsindustrie, Wissenschaft und Politik. Breites Bündnis organisiert Proteste

Von Lorenz Gösta Beutin *

Commerzbank und Verteidigungsministerium hatten bereits 2010 versucht, in Kiel mit dem »Celler/Kieler Trialog« ein Vernetzungstreffen von Wirtschaft, Politik und Bundeswehr zu etablieren. Daraus wurde nichts. Welchen Anteil an der Absage »aus Kostengründen« die Kampagne des Kieler Antikriegsbündnisses hatte, ist umstritten. Am 23. Juni, während der Kieler Woche, wollen nun das »Institut für Sicherheitspolitik an der Uni Kiel« (ISPK) und das »Centre of Excellence for Operations in Confined and Shallow Waters« (COECSW) der NATO ein maritimes Gegenstück zur Münchner Sicherheitskonferenz begründen. Auf der »Kiel Conference« sollen Vertreter aus Militär, Wissenschaft, Industrie und Politik unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Arbeitsgruppen etwa darüber sprechen, wie mit Drohnen und Minen effektiv Krieg zu führen ist.

Während der Kieler Woche ankern in diesem Jahr 30 Kriegsschiffe mit 3.000 Soldaten aus NATO-Staaten im Hafen. Manöver der NATO im Ostseeraum enden auf dem Volksfest. Gleichzeitig ist Russland, wie schon im letzten Jahr, ausgeladen worden. In seiner Absage an Militarismus und Faschismus hatte der damalige Oberbürgermeister Andreas Gayk 1948 gefordert, das »Bekenntnis zur Humanität, das Bekenntnis zur Menschlichkeit und das Bekenntnis zum Frieden« sollten unabhängig von Parteien und Nationen die verbindenden Elemente der Kieler Woche sein. Knapp 70 Jahre später ist davon nur noch eine Fress- und Amüsiermeile geblieben, die der Kriegsshow von NATO und Militär als Fassade dient.

Wissenschaft, Militär und Rüstungsindustrie enger zusammenzubringen, ist besonders das Verdienst des Direktors des ISPK, Joachim Krause, der mit seinem Kollegen vom NATO-Exzellenzzentrum COESCW im Februar 2015 die »Kiel Conference« aus der Taufe gehoben hat. Die langjährigen Partner ISPK und COECSW sind eingebunden in ein Netzwerk aus Wissenschaft, Rüstungsindustrie und militärischen Einrichtungen. Damit liegen sie im Trend der Kieler maritimen Wirtschaft: Während der zivile Schiffsbau darniederliegt, boomt die Kriegsgüterproduktion.

Gegen den Aufruf »Wieder Krieg? Nicht in unserem Namen!« bezog Krause gemeinsam mit anderen »Osteuropaexperten« Stellung: Wenn Russland durch Besonnenheit für seine Expansionsbestrebungen belohnt werde, mache man sich zum »Komplizen der Putinschen Aggressionspolitik«. Hinter dem Ruf nach Besonnenheit verberge sich eine »hochgefährliche Beschwichtigungspolitik«. Der ISPK-Direktor hält die Politik der NATO gegenüber Russland für zu zögerlich, da sie Optionen wie Waffenlieferungen oder ein direktes militärisches Eingreifen in der Ukraine ausschlössen. Die NATO verhalte sich gegenüber Russland ähnlich zurückhaltend wie die westlichen Staaten gegenüber Hitlerdeutschland zur Zeit des Münchner Abkommens.

Das ISPK bezieht sich auf seiner Homepage auf das Motto der Kieler Christian-Albrechts-Universität (CAU): »Pax Optima Rerum« (Frieden ist das höchste der Güter). Doch die direkte Kooperation zwischen einer wissenschaftlichen Institution und einem Exzellenzzentrum der NATO lässt diesen hehren Leitspruch zu einer leeren Worthülse werden. Nicht nur bei dieser Konferenz, auch bei Jobmessen und anderen Gelegenheiten zeigen Bundeswehr und Rüstungsbetriebe zunehmend Präsenz auf dem Campus. In Zeiten, in denen die Finanzierung zahlreicher Projekte an den Hochschulen nur über die Einwerbung von Drittmitteln sichergestellt werden kann, kommt der Kooperation zwischen Privatwirtschaft und Wissenschaft immer größere Bedeutung zu. Gelder aus dem Geschäft mit dem Töten und Sterben sind längst nicht mehr tabu.

Um diesem Trend entgegenzuwirken, gibt es beim AStA der CAU einen Arbeitskreis zur Einführung einer Zivilklausel. Joachim Krause äußerte sich 2013 zu einer solchen Verpflichtung von Forschung und Lehre auf zivile Zwecke: Die Einführung von Zivilklauseln erinnere ihn »fatal an Zeiten, in denen Universitäten in Deutschland nicht mit Menschen oder Institutionen kooperieren durften, weil diese jüdisch waren«. Sie sei eine Form der »Gesinnungsschnüffelei«, die von »linken (oft linksextremen), antimilitaristischen Gruppen« koordiniert werde wie der »Informationsstelle Militarisierung« (IMI) in Tübingen oder der VVN-BdA. Eine solche Selbstverpflichtung müsse nicht nur verhindert werden, sondern es müssten auch alle bereits eingeführten Zivilklauseln an Hochschulen abgeschafft werden.

Doch in Kiel formiert sich Widerstand. Ein breites Bündnis vom AStA der CAU über den DGB, die Grüne Jugend, Die Linke und antimilitaristische Gruppen bis hin zum Kieler Friedensforum will am 23. Juni unter dem Motto »War starts here – Keine Kriegskonferenz in Kiel!« auf die Straße gehen. Bereits für den 15. Juni ist eine Veranstaltung geplant, bei der Tobias Pflüger (IMI), Ruben Reid, der AStA-Beauftragte zur Einführung einer Zivilklausel an der CAU und andere Engagierte gegen Kriegslogik und Rüstungsindustrie Stellung beziehen werden.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 03. Juni 2015


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