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Kabinett billigt Einsätze in Afrika und Afghanistan

Truppengröße am Hindukusch wird reduziert / Mehr Soldaten nach Mali *

Das Bundeskabinett hat am Mittwoch der Ausweitung der Bundeswehreinsätze in Mali und in Afghanistan zugestimmt. In Afghanistan soll das letzte Mandat für die International Security Assistance Force (ISAF) bis zum 31. Dezember 2014 laufen. Anschließend soll eine Ausbildungsmission folgen. Der Bundestag muss dem Mandat noch zustimmen.

Zudem hat sich die Ministerrunde darauf geeinigt, die Truppengröße am Hindukusch von maximal 4400 auf bis zu 3300 zu verringern. Die Reduzierung des Personals dürfe jedoch nicht den Schutz der Soldaten beeinträchtigen, heißt es in dem Beschluss. Zur weiteren sozialen, wirtschaftlichen und politischen Stabilisierung des Landes setzt die Bundesregierung auf Entwicklungshilfe und ziviles Engagement. Bis mindestens 2016 sollen pro Jahr bis zu 430 Millionen Euro für die Entwicklungshilfe in Afghanistan bereitgestellt werden. Die Bundeswehr beabsichtigt, mit 600 bis 800 Soldaten im Land zu bleiben.

In Mali plant die Bundesregierung, das deutsche Truppenkontingent für die EU-Ausbildungsmission (EUTM) von bisher 180 Soldaten auf 250 aufzustocken. Der Beschluss des Kabinetts sieht vor, den Auslandseinsatz um ein Jahr bis zum 28. Februar 2015 zu verlängern.

Nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums ist die Vermittlung taktischer Fähigkeiten an die malischen Soldaten die Hauptaufgabe der deutschen Truppen. Zudem sieht der Auftrag vor, Führungskräfte und das malische Verteidigungsministerium zu beraten. Auch Sanitäter der Bundeswehr werden eingesetzt. Deutschland unterstützt neben der EUTM-Mission auch den Einsatz der Vereinten Nationen in Mali vor allem beim Lufttransport.

Unmittelbar nach den Kabinettsbeschlüssen brach Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zu einer Afrikareise auf – die Ziele wurden zunächst allerdings nicht bekanntgegeben.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 6. Februar 2014


Auf dem Deckblatt steht Fortschritt

Bundesregierung unterrichtet über die Lage in Afghanistan

Von René Heilig **


»Fortschrittsbericht Afghanistan« – selten steht der Titel eines Regierungsdokuments so im Widerspruch zum Inhalt. Die Lage ist verheerend, doch es wird noch schlimmer kommen.

Der Bericht enthalte das aktuelle Lagebild zu Jahresanfang 2014 und einen Ausblick auf bevorstehende Ereignisse. Er gliedert sich – wie seit Erscheinen des erstens Berichts 2010 – in zentrale Schwerpunkte: Sicherheit, Regierungsführung und Entwicklung. So beschreibt die Regierung das Bemühen beteiligter Ressort. Die haben sich durchaus Mühe gegeben. Auch beim Schönfärben. Dennoch, dass rund 40 Seiten starke Dokument beschreibt augenfällig das Scheitern westlicher Afghanistan-Politik.

Ende des Jahres soll der rund zwölfjährige Kampfeinsatz der ISAF enden und in die Ausbildungsmission »Resolute Support« münden. Auch zwischen 600 und 800 Bundeswehrsoldaten sollen den afghanischen Sicherheitskräften dann den letzten Schliff geben. Nicht nur, um gegen die verschiedenen Aufständischen zu bestehen. Sie sollen den ersehnten Frieden schaffen. Können sie das?

Zwischen den Zeilen liest man das Nein der deutschen Regierung heraus. Die bleibt »der festen Ansicht, dass nur ein innerafghanischer Friedens- und Versöhnungsprozess zu dauerhaftem Frieden führen kann«. Umso bedauerlicher, dass die kurzzeitige Öffnung eines Taliban-Büros in Katar nicht zur Aufnahme von Verhandlungen führte.

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt »angespannt, die regierungsfeindlichen Kräfte sind weiterhin in der Lage, in allen Landesteilen Anschläge zu verüben«. Denen zumeist Zivilisten zum Opfer fallen. Die Vereinten Nationen berichteten, dass die Anzahl der zivilen Opfer in der ersten Hälfte des Jahres 2013 im Vergleich zum Vorjahr um 16 Prozent gestiegen sei. 1319 tote und 2533 verletzte Zivilisten sind gezählt worden.

Auch die afghanische Armee und die verschiedenen Polizeitruppen erleiden herbe Verluste. So fielen in den ersten elf Monaten des Jahres 2013 rund 4600 Uniformierte den Regierungsgegnern zum Opfer. Eine der »Kernherausforderungen« an die afghanische Armee und Polizei, die eine Stärke von mehr als 350 000 Uniformierten erreicht haben, bleibe »die Sicherstellung der Flächenpräsenz in ländlichen Gebieten«. Klartext: Man beherrscht so einigermaßen die Ballungsgebiete und die meisten großen Verbindungsstraßen. Doch das war es dann schon. Im Grunde ist man – das steht freilich nicht im »Fortschrittsbericht« – auf demselben Stand wie die Sowjetarmee bei ihrem Versuch, Afghanistan zu kontrollieren.

Damals allerdings gab es eine Luftwaffe, vor allem Helikopter, die rasche, mächtige Präsenz erzeugen konnten. Eigentlich schon für das vergangene Jahr geplante Lieferungen russischer Kampf- und Transporthubschrauber haben die USA gestoppt. Nicht so sehr aus Konkurrenzgründen, sondern aus Angst, Kabuls Piloten würden die ausländischen Truppen attackieren. So viel zum Vertrauen in Bündnispartner.

Unsicherheit und soziale Armut treiben immer mehr Menschen aus ihren angestammten Regionen. Mit rund 590 000 Menschen beziehungsweise 92 000 Familien sei die Zahl der sogenannten Binnenvertriebenen im vergangenen Jahr auf einen neuen Höchststand geklettert. Doch, so ist zu lesen: »Den meisten Afghaninnen und Afghanen geht es heute deutlich besser als vor zehn Jahren.« Damit ist kaum die Menschenrechtssituation gemeint. Die ist nämlich nach wie vor höchst zwiespältig. Die gesellschaftliche Akzeptanz von Frauenrechten sei nach wie vor gering ausgeprägt. Im Gegensatz zur Gewalt gegen Frauen. In der ersten Hälfte 2013 sind 4154 Fälle solcher Gewalt registriert. In 70 Prozent der Fälle sei der Ehemann der Täter, 90 Prozent der Taten fänden im familiären Umfeld statt. Wie hoch ist die Dunkelziffer?

Das Bruttonationaleinkommen pro Kopf hat sich von 700 US-Dollar im Jahr 2002 auf 1400 US-Dollar im Jahr 2011 verdoppelt. Die Differenz tut sich auf zwischen Verhungern und bitterster Armut. Und die wird sich mit dem Abzug der ISAF verstärken, weil sich der »Zufluss externer Ressourcen und die Nachfrage nach Dienstleistungen reduzieren«. Bis zu 80 000 Beschäftigte werden ihren Job bei der ISAF verlieren. Dazu muss man wissen: Bereits zwischen 2012 und 2013 ist das afghanische Wirtschaftswachstum von zwölf Prozent auf drei Prozent geschrumpft. Ausländische Unternehmen halten sich bei möglichen Investitionen zurück. Sie wollen erst einmal wissen, was sich nach den für Anfang April angesetzten Präsidentenwahlen ergibt.

Konstant oder sogar im Wachstum begriffen sind allein die Korruption und der Anbau von Drogen. Das UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) hat im vergangenen Jahr festgestellt, dass auf einer Fläche von 209 000 Hektar Schlafmohn angebaut wird. Das übertreffe den bisherigen Spitzenwert von 193 000 Hektar aus dem Jahre 2007. Aktuell können rund 5500 Tonnen Opium gewonnen werden. Drogenfahnder in Europa stehen die Haare zu Berge, ihre Kollegen in den Ländern, die an Afghanistan grenzen, rechnen mit dem Schlimmsten. Sicher ist, Geld zum Kauf von Waffen gibt es genug unter den Kriegsfürsten Afghanistans.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 6. Februar 2014

Lesen Sie auch:

Bundeswehr bleibt in Afghanistan - Fortschrittsbericht der Bundesregierung veröffentlicht
Friedensbewegung: Desaströse Bilanz (5. Februar 2014)




Mehr Krieg, zack, zack

Bundesregierung verlängert Militärmandate für Mali und Afghanistan. Verteidigungsministerin von der Leyen stellt weitere Einsätze der Bundeswehr in Aussicht

Von Rüdiger Göbel ***


Heute ist wieder Kriegsratschlag im Kabinett: Die Merkel-Regierung will an diesem Mittwoch ihren »Fortschrittsbericht Afghanistan« beschließen und den seit zwölf Jahren laufenden Kampfeinsatz der Bundeswehr am Hindukusch um zehn Monate verlängern. Gleichzeitig soll der Militäreinsatz im westafrikanischen Mali fortgeführt und die Truppe von derzeit 180 auf 250 Soldaten aufgestockt werden. Dabei wird es wohl nicht bleiben. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) stellte am Dienstag beim Besuch des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, früher bekannt als »Generalstab«, weitere Auslandseinsätze deutscher Soldaten in Aussicht. Es sei ein stärkeres »internationales Engagement bei der Krisenbewältigung in Afrika erforderlich«, referierte die Nachrichtenagentur dpa die Ausführungen der Ministerin in der Kriegsplanungszentrale in Schwielowsee bei Potsdam. Die weiteren Interventionsabsichten im vernebelnden O-Ton von der Leyens: »Im internationalen Verbund ist es wichtig, daß wir dann auch unsere Stimme erheben und unsere ganz klaren Vorstellungen einbringen.« Nächste Woche soll der Bundestag die Fortführung der Einsätze in Mali und Afghanistan abnicken.

Im Brief an die Vorsitzenden der Fraktionen im Bundestag zeichnete von der Leyen den bisherigen Militäreinsatz in Westafrika als Erfolgsgeschichte. »Bei der Wiederherstellung der staatlichen Integrität und der Verbesserung der Sicherheitslage sind bislang beachtliche Fortschritte erzielt worden«, heißt es in dem jW vorliegenden Schreiben. Zur »Verbesserung der Sicherheitslage« hätten »auch die deutschen Soldatinnen und Soldaten beigetragen. Und schließlich, als wort­akrobatische Krönung: »Das deutsche Engagement in Mali bringt in einem ressortübergreifenden Ansatz Mittel deutscher Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik komplementär zum Einsatz, um das Ziel eines langfristig stabilen Staates eingebettet in die Region zu erreichen.«

Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) ist da deutlicher. Der regierungsnahe Thinktank in Berlin hat gerade »gute Gründe für mehr Engagement Deutschlands in Afrika« zusammengetragen. So habe Deutschland »ein Interesse an sicheren Wirtschaftsbeziehungen mit afrikanischen Ländern, nicht zuletzt um die Abhängigkeit von anderen Staaten zu mildern. So könnten afrikanische Staaten etwa wichtige Lieferanten für Rohstoffe und Energie sein. Das setzt aber gesicherte staatliche Verhältnisse in den betreffenden Regionen voraus.«

Von »gesicherten staatlichen Verhältnissen« kann in dem anderen Land, in dem sich deutsche Soldaten »engagieren«, nicht die Rede sein. Das geht aus dem neuen Lagebericht zu Afghanistan hervor, den mehrere Nachrichtenagenturen vorab bekommen haben. Laut dpa hält die Bundesregierung die Sicherheitslage am Hindukusch »in den meisten Gebieten für ausreichend kontrollierbar«. In der Hauptstadt Kabul sei die Lage »überwiegend kontrollierbar«. In den ländlichen Gebieten im Osten und Süden des Landes müsse man dagegen von einer »überwiegend oder gar nicht kontrollierbaren Situation« sprechen. Die Zahl der Angriffe und Anschläge im Norden Afghanistans, für den die Bundeswehr zuständig ist, stieg in den ersten elf Monaten 2013 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von rund 1150 auf etwa 1650. Die Zahl der getöteten Polizisten und Soldaten hat sich auf rund 4600 verdoppelt – wohl nur, weil es sich bei den Toten »bloß« um Afghanen handelt, kann der Report »Fortschrittsbericht« übertitelt werden.

*** Aus: junge Welt, Mittwoch, 5. Februar 2014


Von der Leyen auf Vorauskommando

"Ausbildung und Sicherung": Bundesregierung schickt mehr Soldaten nach Mali

Von Rüdiger Göbel ****


Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist am Mittwoch zum Truppenbesuch nach Afrika geflogen – das genaue Ziel war bis jW-Redaktionsschluß nicht bekannt. Zuvor hatte die Bundesregierung beschlossen, mehr Militärausbilder nach Mali zu schicken. Die bisherige Mandatsobergrenze wird von 180 auf 250 deutsche Soldaten erhöht. Außerdem soll die Bundeswehr im Rahmen der »EU-Mission« künftig auch »Sicherungsaufgaben« übernehmen. Ein »Kampfeinsatz« sei das nicht, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert. In der kommenden Woche soll der Bundestag den neuen Einsatz abnicken.

Auch die deutsche Militärpräsenz in Afghanistan soll fortdauern. Den seit zwölf Jahren dauernden Kriegseinsatz verlängerte das Kabinett bis Ende 2014. Im Anschluß firmiert das Ganze ebenfalls als »Ausbildungs- und Beratungsmission«. Dafür sollen aus der BRD bis zu 800 Soldaten zur Verfügung gestellt werden, aus allen NATO-Ländern werden es bis zu 12000 sein.

Kritik kam von Teilen der Opposition und der Friedensbewegung. »Der bisherige Bundeswehreinsatz in Mali hat nicht dazu beigetragen, die wirklichen Probleme im Land zu lösen. Das wird auch eine Ausweitung des Einsatzes nicht leisten können«, erklärte Christine Buchholz, verteidigungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, bevor sie mit Ministerin von der Leyen nach Afrika aufbrach. An der dramatischen sozialen und wirtschaftlichen Lage dort habe sich bisher nichts geändert, so Buchholz weiter. Immer noch würden sich 160000 malische Flüchtlinge nicht ins Land zurück wagen, Hilfsorganisationen schlagen Alarm. In Mali drohe eine neue Hungerkatastrophe, warnte Buchholz. «

Der stellvertretende Linksfraktionschef Wolfgang Gehrcke warf der Bundesregierung vor, in Sachen Afghanistan die Öffentlichkeit zu belügen. Die Bundeswehr bleibe mit bis zu 3300 Soldaten bis Ende 2014 dort im Einsatz. »Ein Truppenabzug war nie geplant«, so Gehrcke. »Darüber hinaus ist die Unterscheidung in Kampftruppen und andere Militärformationen künstlich und unrealistisch.« Auch habe die Bundesregierung bislang keine »tatsächliche Bilanz« der deutschen Beteiligung am Afghanistan-Krieg vorgelegt oder ernsthafte Schlußfolgerungen aus zwölf Jahren Krieg gezogen. Der Bundesausschuß Friedensratschlag bekundete: »Der mit zweimonatiger Verspätung veröffentlichte ›Fortschrittsbericht Afghanistan‹ ist das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt ist.« Von »Fortschritten« könne keine Rede sein.

**** Aus: junge welt, Donnerstag, 6. Februar 2014


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