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Von den Streitkräften zur Landesverteidigung zur "Armee im Einsatz"

Die Bundeswehr verlässt den Boden des Grundgesetzes

Von Lühr Henken*

Bevor ich auf die aktuelle Entwicklung im Zusammenhang mit den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien und der Berliner Rüstungspolitik eingehe, möchte ich noch zurück gehen in der Geschichte und den Begriff "Streitkräfte zur Landesverteidigung" beleuchten sowie auf entsprechende Grundgesetzartikel und das Urteil des Bundesverfassungsgericht von 1994 eingehen.

Landesverteidigung suggeriert, dass die Bundeswehr etwas eher Defensives, etwas Reaktives charakterisiert. Die Bundeswehr als Instrument des Schutzes. Aber war es denn so? Meines Erachtens nicht.

Landesverteidigung fand seit Gründung der Bundeswehr am 1.1.1956 immer im Rahmen von Bündnisverteidigung statt, denn die westdeutsche Bundesrepublik trat mit Inkrafttreten der "Pariser Verträge" am 5.5.1955 der NATO bei. Sie war also schon vor der Bundeswehrgründung NATO-Mitglied. Die NATO verstand sich nach Außen als ein "System kollektiver Selbstverteidigung" oder als Beistandspakt, was durch den Artikel 5 des NATO-Vertrages definiert ist.

Die NATO hatte jedoch real einen anderen Charakter, den eines aggressiven, auf die Eindämmung und Vernichtung der Sowjetunion und die anderen mit ihr verbündeten osteuropäischen Staaten zielenden Militärpakts.

Die Pariser Verträge gestatteten der Bundesrepublik den Aufbau einer Armee von bis zu 500.000 Mann mit schwerem Gerät und die Unterzeichnerstaaten bekräftigten den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik bis an Oder und Neiße. Die Spannungen in Europa wuchsen mit dem Beitritt Westdeutschlands zur NATO, so dass dies die Gründung des Warschauer Paktes am 14. Mai 1955 nach sich zog.

Die Militärdoktrinen der NATO waren geprägt von der "Vorwärtsstrategie" oder "Vorneverteidigung" und von der "Strategie der massiven Vergeltung". Letztere wurde 1967 abgelöst von der "Strategie der flexiblen Reaktion", einer Atomkriegsführungsstrategie, die sowohl von einer Begrenzbarkeit eines Atomkrieges als auch von einem umfassenden Atomkrieg ausging. Im Vordergrund stand vor allem die Verunsicherung der Warschauer-Pakt-Staaten. Die USA rüsteten in jeder der 12 strategischen Atomwaffenarten und ihren Trägersystemen jeweils vor, während die UdSSR jedesmal nachzog. USA und NATO waren die treibende Kraft des Wettrüstens.

Die konservativen Regierungen der BRD entwickelten die Bundeswehr bis in die Mitte der 70er Jahre hinein zum aggressivsten Teil der europäischen NATO-Staaten. Die Bundeswehr stellte damals die stärkste Landarmee, rund 50 Prozent aller NATO-Divisionen, 50 Prozent aller Kampfpanzer, 40 Prozent der Raketenwaffen und 30 Prozent der Kampfflugzeuge. Die NATO entfaltete ihre militärische Hauptkraft in Zentraleuropa und an den Ostseeausgängen.

Mit dem NATO-Doppelbeschluss vom Dezember 1979 versuchte die NATO den Kurs der Entspannungspolitik auszuhöhlen und setzte auf die volle Konfrontation. Insbesondere die perfide Stationierung der für den atomaren Erstschlag neu entwickelten atomaren Präzisionswaffen Pershing II und Cruise Missiles in Europa erzeugte im Warschauer Pakt einen unerhörten Druck, weil durch die Entwicklung des weltraumgestützten US-Abfangsystems SDI die sowjetische Gegenschlagskapazität wirkungslos zu werden drohte. Mit der Reagan-Regierung wuchsen die Militärausgaben in den USA gewaltig an: Allein in den ersten Reagan-Jahren 1981 - 85 gaben die USA für das Militär 1.200 Mrd. $ aus, in den nächsten 5 Jahren bis 1990 weitere 1.700 Mrd. $. Die Sowjetunion konnte nicht mithalten, so dass Gorbatschow 1987 nur die ungleichgewichtige Abrüstung übrig blieb. Reagan hielt an SDI fest. Die Reagan-Administration hatte mit ihrer Superrüstung der Sowjetunion den Todesstoß versetzt.

Die herrschenden Kreise der Bundesrepublik hatten ihr Ziel, die so genannte Wiedervereinigung erreicht. Die NATO war die Siegerin im Kalten Krieg. Ihr kam der Feind abhanden. Sie suchte - wie die Bundeswehr auch - nach einer Zukunftsperspektive.

Mit der Erklärung des NATO-Gipfels vom 8. November 1991 wurde zügig ein wegweisendes "Neues Strategisches Konzept des Bündnisses" verabschiedet, das im Wesentlichen das NATO-Einsatzgebiet "out of area" erweitert. Dort heißt es: "Die Sicherheit des Bündnisses muß jedoch auch den globalen Kontext berücksichtigen. Sicherheitsinteressen des Bündnisses können von anderen Risiken berührt werden, einschließlich der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen sowie von Terror- und Sabotageakten." Deshalb orientierte das Konzept die NATO-Mitglieder erstmalig auf den Aufbau von "Sofort- und Schnellreaktionskräften", über die damals lediglich die USA verfügten. Für Deutschland tauchte im "Stoltenbergpapier" vom 20. Januar 1992 in Umsetzung dieses Konzepts erstmals der Aufbau von "Krisenreaktionskräften" der Bundeswehr auf. Als Ziel formulierte das "Stoltenbergpapier": "Die Bundeswehr hat den Auftrag [...] nach klarstellender Ergänzung des Grundgesetzes an kollektiven Einsätzen über die NATO hinaus im Rahmen der Charta der Vereinten Nationen (Kapitel VII) teilzunehmen" (Blätter für deutsche und internationale Politik 4'92, S. 506 bis 510). CDU/CSU und FDP waren damals die einzigen im Bundestag vertretenen Parteien, die Kampfeinsätze der Bundeswehr befürworteten.

Minister Rühe erließ am 26.11.1992 verbindliche "Verteidigungspolitischen Richtlinien" (VPR). Brisant ist darin die Festlegung deutscher Interessen: Deutschland wird in den VPR "als kontinentale Mittelmacht mit weltweiten Interessen" definiert. Die Richtlinien legten als "deutsche vitale Sicherheitsinteressen" u.a. "die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung" (Blätter 9`93, S. 1137 bis 1151) fest. Mit anderen Worten: deutsches Militär soll für deutsche wirtschaftliche Interessen eingesetzt werden. Eine parlamentarische Debatte, geschweige denn eine öffentliche fand nicht statt. Kern dieses strategischen Grundlagenpapiers ist die Festlegung der Um-/und Aufrüstung der Bundeswehr in "Krisenreaktionskräfte" und "Hauptverteidigungskräfte" (HVK).

In den Jahren 1992 bis 94 versuchte die Kohl-Regierung in einer beispiellosen "Salamitaktik" das Bundeswehr-Image eines altertümlichen Fossils des Kalten Krieges mit dem Slogan "Schützen - Retten - Helfen" parallel zu stetig wachsenden Militäreinsätzen über Jugoslawien und in der Adria bis hin nach Kambodscha und Somalia neu zu definieren. Systematisch war sie bestrebt, alle psychologischen Hemmschwellen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zum nationalen Einsatz des deutschen Militärs zu beseitigen, und die Bundeswehr zu einem Instrument der deutschen Außenpolitik zu machen.

Die SPD-Bundestagsfraktion reichte beim Bundesverfassungsgericht Klage ein, um prüfen zu lassen, ob es rechtens sei, dass die Regierung 1992 Fregatten und Flugzeuge im Rahmen von WEU und NATO zur Überwachung des Jugoslawien-Embargos in die Adria entsandte. SPD- und FDP-Fraktion reichten 1993 Klage ein gegen die Teilnahme von Bundeswehroffizieren an AWACS- Flügen über Jugoslawien. Ebenfalls 1993 klagte die SPD-Fraktion gegen die deutsche Beteiligung am UNOSOM II-Kontingent in Somalia. Alles Missionen, für die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats vorlagen.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts überraschte. Viele hatten damit gerechnet, dass es den Klägern recht gebe und nun eine Grundgesetzänderung fordern würde. Jedoch das Gegenteil war der Fall. Die Klagen wurden verworfen, bzw. zurückgewiesen. Das Grundsatzurteil besagt, dass Kampfeinsätze der Bundeswehr auch außerhalb des Bündnisgebiets von NATO und WEU rechtens sind. Die Regierung hatte die Verfassung nur insofern gebrochen, als sie den Bundestag nicht "konstitutiv" an der Entscheidung beteiligt hatte. Dies sei mit einer mehrheitlichen Abstimmung künftig notwendig. Zuvor war ein jahrelanger Streit darüber geführt worden, ob es einer Grundgesetzänderung bedürfe, um Out-of-Area-Einsätze verfassungsrechtlich wasserdicht zu machen. CDU/CSU und FDP hatten sich bereits darauf in einem mühsamen Tauziehen geeinigt. Die zur Grundgesetzänderung erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag scheiterte allerdings an der SPD, die lediglich leicht bewaffneten Blauhelm-Einsätzen - keinesfalls Kampfeinsätzen - unter UNO-Mandat zustimmen wollte. Nun bescherte das Bundesverfassungsgericht der Regierung ein Gefälligkeitsurteil. Die Bundesrepublik habe sich gemäß Artikel 24 a des Grundgesetzes Systemen "gegenseitiger kollektiver Sicherheit" angeschlossen und damit seien das Vorgehen dieser Organisationen und die Teilnahme der Bundeswehr daran verfassungsrechtlich gedeckt. Und nun kommt der Trick: "Auch Bündnisse kollektiver Selbstverteidigung können Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG sein, wenn und soweit sie strikt auf die Friedenswahrung verpflichtet sind." (antimilitarismusinformation ami 9/94, S. 30). Damit setzt das Bundesverfassungsgericht die kollektiven Sicherheitssysteme UNO und KSZE gleich mit den Systemen kollektiver Selbstverteidigung NATO und WEU.

Das ist nach wie vor unzulässig. Denn der Charakter eines Systems kollektiver Sicherheit beruht darauf, dass beide Kontrahenten in ein und derselben Organisation Mitglied sind. Das ist bei NATO und WEU nicht der Fall. Wie wurde diese Gleichsetzung begründet? Aus Erklärungen von NATO, WEU und der Bundesregierung las das Bundesverfassungsgericht heraus, dass sich diese Organisationen zu Systemen kollektiver Sicherheit gewandelt hätten. Das ist schon erstaunlich. Denn die Verträge haben sich nicht geändert und die Erklärungen unterscheiden sich auch nicht in ihrem prosaischen friedvollen Selbstverständnis von vor 1989.

Bemerkenswert ist das Minderheitenvotum von vier der acht Bundesverfassungsrichter. Sie waren der Meinung, dass die Out-of-Area-Einsätze der NATO in der Adria einer Änderung des NATO-Vertrags gleichkommen, und die Bundesregierung, weil sie am Zustandekommen der entsprechenden neuen NATO-Strategie beteiligt war, den Bundestag deshalb am Verfahren hätte beteiligen müssen. In der Urteilsbegründung für ihre Ablehnung heißt es wörtlich: "Sowohl die NATO als auch die WEU sind gemäß den Gründungsverträgen Verteidigungsbündnisse. Sie richten sich mit dem Versprechen des gegenseitigen Beistands gegen bewaffnete Angriffe auf eines oder mehrere ihrer Mitglieder. Die Übernahme von friedensichernden und friedenschaffenden Maßnahmen in Drittländern unter der Ägide der Vereinten Nationen ist nicht als Aufgabe im Vertragstext angelegt. Derartige Missionen lassen sich auch nicht aus den Präambeln und ihren Zielbestimmungen rechtfertigen." (Blätter 9/94, S. 1141).

Der Bruch geht quer durch das Bundesverfassungsgericht. Es gibt eine grundlegende Unterscheidung zwischen einem klassischen Verteidigungsbündnis und einem System kollektiver Sicherheit. Folglich ist die Auffassung in weiten Teilen der Friedensbewegung nach wie vor richtig, dass mit der Orientierung der Bundesregierung auf Out-of-Area-Einsätze Artikel 87 a des Grundgesetzes gebrochen wird. "Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf," heißt es dort und meint die Verteidigung, somit ein klassisches Verteidigungsbündnis. Die NATO und die WEU, die in die militarisierte EU aufgeht, nun als kollektive Sicherheitssysteme umzuinterpretieren, ist weiterhin abzulehnen.

Die Bundesregierung unter Kohl machte sich den Spruch des Verfassungsgerichts zu eigen, SPD und Grüne nach und nach auch. Mit der Regierungsübernahme 1998 setzte die rot-grüne Bundesregierung den eingeschlagenen Kurs Kohls auf Militärinterventionismus fort. Sie pfiff sogar auf das Grundgesetz, als sie sich 1999 aktiv am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO - ohne Mandat der UNO - beteiligte. Sie stellte selbst die Beschlüsse der Kohl-Regierung in den Schatten als sie im Juni 2000 beschloss, die sogenannten Einsatzkräfte bis zum Jahr 2006 auf 150.000 Mann zu verdreifachen. Ziel dieser qualitativen Kampfwertsteigerung der Bundeswehr ist es, sie zu befähigen, neben kleinen Operationen zeitgleich zwei Operationen/Kriege mit je 10.000 Soldaten oder eine große Operation/Krieg mit bis zu 50.000 Soldaten führen zu können. Die Regierung hält auch an dem Beschluss fest, sich an der weltweit einsetzbaren Schnellen Eingreiftruppe der EU, die bis Ende 2003 einsatzbereit sein soll, in der Größe von 80.000 Mann zu beteiligen. Mit 18.000 Mann bietet Rot-Grün das größte nationale Kontingent an und schickt sich an, die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu prägen. Zudem hat sie sich bereit erklärt, sich an der von den USA vorgeschlagenen 21.000 Mann starken Schnellen Eingreiftruppe der NATO (NATO Response Force, NRF) zu beteiligen, die außerhalb des NATO-Gebiets im Namen der Terroristenjagd oder des angeblichen Kampfes gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden soll.

Zur Umsetzung der Fähigkeit, weltweit angriffsfähig zu werden, wurden für die Bundeswehr wesentliche neue Waffensysteme in Auftrag gegeben. Ich will hier nur die jüngsten und wichtigsten Beschaffungsentscheidungen erwähnen.

Im Juli 2002 entschied Rot-Grün, TORNADOS und später die EUROFIGHTER mit Marschflugkörpern TAURUS auszurüsten. In den Jahren 2004 bis 2009 sollen der Luftwaffe insgesamt 600 TAURUS für 570 Mio. Euro zugeführt werden. TAURUS kann, aus einer Entfernung von bis zu 350 km abgeschossen, mittels der 500 kg schweren Gefechtsladung noch 4m dicken Beton durchschlagen.
In diesem Jahr wird für die TORNADOS und später EUROFIGHTER die Anschaffung von laser-gelenkten 1000 kg-Spreng- und Penetrationsbomben gegen Bunker, Flugzeug-Unterstände, Brücken, Industrieanlagen usw. abgeschlossen sein.
Für 8,33 Mrd. Euro beschloss der Bundestag vor zwei Wochen die Anschaffung von 60 Military-Airbussen zum weltweiten Transport von Vorauskommandos der schnellen Eingreiftruppen von EU und NATO samt gepanzerten Fahrzeugen.
Ende 2001 wurde für 320 Mio. Euro der Bau eines nationalen radargestützten Spionage-Satellitensystems SAR-Lupe, das ab 2005 im Orbit installiert werden soll, in Auftrag gegeben. Damit soll weltweit unter allen Wetterbedingungen der ungefilterte nationale Zugriff auf Rohdaten die "eigenständige nationale Urteils-, Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit" (Material- und Ausrüstungskonzept der Bundeswehr, MatKonz, März 2001) der Bundeswehr ermöglicht werden.
Im März 2002 wurde das erste von vier U-Booten des Typs 212 bei HDW in Kiel getauft. Diese neuen U-Boote werden die kampfstärksten konventionellen U-Boote der Welt. Ihre Brennstoffzellenantriebstechnik ermöglicht eine weitgehende Außenluftunabhängigkeit, so dass sie nicht nur quasi lautlos, sondern auch lange, nämlich bis zu drei Wochen, ununterbrochen unter Wasser bleiben und dabei 22.000 km zurücklegen können. Ihre Kampfstärke wird erreicht durch sechs neuartige deutsche Schwergewichtstorpedos SEEHECHT, die eine Reichweite von 50 km und eine Geschwindigkeit von 90 km/h haben. Das stellt einen erheblichen Qualitätssprung gegenüber dem Vorgängermodell dar, das lediglich Schiffe in 20 km Entfernung treffen konnte. Zudem - und das ist ein Novum - kann der SEEHECHT nicht nur Überwasserschiffe, sondern auch U-Boote versenken. Von U-212 sind vier Boote in Auftrag gegeben worden. Sie sollen bis 2006 fertiggestellt sein. Für vier weitere ist im Bundeswehrplan 2002 (gültig 2002 bis 2014) das Geld eingestellt. Die Marine wünscht darüber hinaus noch weitere vier U-Boote diesen Typs. Anfang Dezember 2002 wurde der Auftrag für die Serienvorbereitung der Schwergewichttorpedos SEEHECHT von Minister Struck an STN in Wedel bestätigt.

Im Dezember wird die erste von drei Fregatten der neuen Klasse F 124 in Dienst gestellt. Die beiden andern Fregatten sind noch in Emden und Kiel in Bau und folgen 2005 und 2006. Eine Fregatte dieser SACHSEN-Klasse kostet rund 700 Mio. Euro. Sie ist die teuerste deutsche Waffe aller Zeiten. Erstmals kann eine deutsche Fregatte damit einen gesamten Einsatzverband vor anfliegenden Flugkörpern schützen. Damit ist der Verband quasi unverwundbar. In engem Zusammenhang damit wurden im Dezember 2001 fünf Korvetten in Auftrag gegeben. Sie sind speziell für den Beschuss fremden Territoriums aus dem küstennahen Bereich heraus konzipiert. Je zwei Korvetten werden bei Blohm+Voss in Hamburg und bei Lürssen in Bremen und eine bei TNSW in Emden gebaut. Die Aufrüstung kostet sehr viel Geld. Deshalb wird Kriegsgerät, das während des Kalten Krieges den Kern der Landesverteidigung stellte, stillgelegt wie Kampfpanzer, Schnellboote und das Marinefliegergeschwader. Freiwerdendes Geld kommt nicht der Gesellschaft in Form von sogenannter Friedensdividende zu Gute, sondern wird für kostspielige Aufrüstungsprogramme eingesetzt. So hat der Bundesrechnungshof ermittelt, dass der Betrag für die Beschaffung neuer Waffen inkl. der Kosten für ihre Forschung, Entwicklung und Erprobung von 4,4 Mrd. Euro 2002 auf über 7,8 Mrd. Euro im Jahr 2010 wachsen wird. Immerhin + 78 %. Preissteigerungen sind darin allerdings noch gar nicht enthalten. Seriöse Quellen schätzen, dass in den kommenden zwanzig Jahren allein für neue Waffen 140 bis 150 Mrd. Euro ausgegebenen werden sollen, wenn die Planungen umgesetzt werden.

Das ist der Hintergrund dafür, dass Verteidigungsminister Struck schon jetzt sagt: Nach 2006 muss der Bundeswehrhaushalt wachsen. Und dies nicht nur wegen der neuen Waffen, die angeschafft werden sollen, sondern wegen des Daseinszwecks der Bundeswehr: weltweite Einsätze. Das zweifelhafte Verdienst dieser rot-grünen Regierung ist es, dass sie die Auslandseinsätze der Bundeswehr in ihrer Regierungszeit so hoch gefahren hat, dass die Kosten im letzten Jahr mit 1,6 Mrd. Euro etwa 10 mal so hoch lagen wie zu Beginn der Regierungsübernahme. Zur Zeit sind etwa 9.000 Mann im Auslandseinsatz. Damit ist die Bundesrepublik nach den USA und Großbritannien derzeit die Nummer drei auf der Liste der Truppensteller im Ausland. Wahrlich eine Bundeswehr im Einsatz.

Das soll augenscheinlich noch nicht alles sein:
Die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 21. Mai stellen fest, dass sich Bundeswehreinsätze künftig "weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geografisch eingrenzen lassen." Mit anderen Worten, die Bundeswehr wird im breiten Spektrum von humanitärer Hilfe über Peacekeeping und Terroristenbekämpfung bis zum Krieg rund um den Globus eingesetzt. Verteidigungsminister Struck hat mit seinem markigen Ausspruch, dass Deutschland auch am Hindukusch verteidigt werde, deutlich gemacht, dass seine Reform den endgültigen Abschied von einer Verteidigungsarmee darstellt, wie sie im Grundgesetz vorgeschrieben ist. (Art. 87a).

Die neuen VPR orientieren die Bundeswehr auf den permanenten weltweiten Einsatz und setzen dabei sowohl auf die NATO, als auch auf [Zitat] "selbständiges europäisches Handeln, wo die NATO nicht tätig sein will oder muss." Das Schwergewicht der deutschen Interessen liegt dabei in der Militarisierung der Europäischen Union. Das machte kürzlich auch die Regierungserklärung Schröders am 3. April deutlich. Er unterstrich, dass die EU ihre militärischen Fähigkeiten verbessern müsse. Er betonte den zusammen mit Chirac eingebrachten Vorschlag, "das Amt eines europäischen Außenministers zu schaffen", für den wenig später der deutsche Außenminister als favorisierte Kraft ins Spiel gebracht wurde. Und er setzte sich für eine Beschlussfassung mit "qualifizierter Mehrheit" im Bereich der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) ein.

Ende April 2003 trafen sich dann die vier Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs, Belgiens und Luxemburgs auf Einladung Belgiens. Sie beschlossen sieben konkrete Projekte für eine engere militärische Kooperation. In der gemeinsamen Erklärung heißt es zwar: "Die transatlantische Partnerschaft bleibt für Europa eine grundlegende strategische Priorität" und die FAZ stellte fest, dass mehrfach "das Bild von einem zweiten, gleichwertigen Pfeiler in der Allianz benutzt" wurde (FAZ 30.4.03) es wurde betont, dass alle EU-Mitglieder einbezogen werden sollen. Jedoch der folgende Punkt steht markant im Gegensatz zu den atlantischen Treueschwüren. Es ist der Punkt 6 der Beschlüsse, der wörtlich lautet: "Schaffung eines Nukleus einer kollektiven Fähigkeit zur Planung und Führung von Einsätzen für die EU. Sie soll die EU anstelle nationaler Mittel für EU-geführte Operationen ohne Rückgriff auf Mittel und Fähigkeiten der NATO zur Verfügung gestellt werden können. Ihre Verbindung zum NATO-Hauptquartier und zu nationalen Stellen soll eng bleiben." (FAZ 30.4.03) Diese Initiative kommt zu einem Zeitpunkt, nachdem erst im Januar nach zwei Jahren quälenden Streits zwischen Griechenland und der Türkei die NATO der EU den automatischen Zugriff auf ihre Planungsressourcen dauerhaft zugesichert hat.

Für mich markiert dieser Punkt den offiziellen Einstieg in die Verselbständigung der militarisierten EU. Er widerspricht den Bedingungen, die die Clinton-Regierung an die Militarisierung der EU stellte, nämlich. "bestehende Strukturen nicht (zu) verdoppeln" (FAZ 19.6.2000). Erbitterter Widerstand der USA, Großbritanniens und Spaniens ist zu erwarten. Die letzten beiden haben bereits im EU-Konvent ihre Einwände gegen Mehrheitsentscheidungen zu Protokoll gegeben. Es solle bei militärischen Entscheidungen der EU das Vetorecht gelten.

Die Verselbständigung der militarisierten EU unter deutscher Führung ist Programm: Deutschland wird ab 2005 als einziger EU-Staat über ein weltumspannendes hochauflösendes Aufklärungssatellitensystem (SAR-Lupe) verfügen. Und ab 2008 ist das globale EU-Navigationssystem Galileo funktionstüchtig. Es ist auch militärisch nutzbar, wenngleich es demonstrativ als ziviles Projekt firmiert. Deutschland trägt mit 21 Prozent den größten nationalen Anteil an den Kosten und erhält daher auch den entsprechend höchsten Anteil an den Investitionen zugesprochen. Folglich ist der Hauptsitz des Industriekonsortiums in Deutschland und es erhält damit die Systemführerschaft bei den Satelliten. (NZZ 26.5.2003)

Bei der EU-Eingreiftruppe, die Ende dieses Jahres einsatzfähig sein soll, handelt es sich nicht um eine "militärische Komponente" der EU, wie Bundespräsident Rau in seiner Berliner Rede kürzlich verharmlosend sagte, sondern um eine veritable Streitmacht, die neben Heeresverbänden und 336 Kampfflugzeugen auch 100 Schiffe umfasst (davon u.a. 4 Flugzeugträger, 17 Fregatten, 5 Korvetten und 7 U-Boote). Der EU-Einsatz in Mazedonien ist der Anfang. Wie eilig es die EU mit ihrer Militarisierung hat, zeigt ihr Eifer bei der Stationierung von Truppen im Kongo. Die Ausrichtung der EU auf eine Militarisierung ist der grundfalsche Weg. Die Friedensbewegung muss den Kampf gegen die Militarisierung der EU verstärken, denn sie führt zu einem neuen Wettrüsten.

* Lühr Henken ist Sprecher beim Hamburger Forum für Frieden und Völkerverständigung sowie im Bundesausschuss Friedensratschlag. Das Manuskript basiert auf einem Vortrag, den er am 2. Juni 2003 im Kasseler Gewerkschaftshaus anlässlich einer Veranstaltung des Kasseler Friedensforums gehalten hat.

Siehe auch:
Im Wortlaut: Die Verteidigungspolitischen Richtlinien 2003
Erlassen vom Bundesminister für Verteidigung am 21. Mai 2003 (21. Mai 2003)
"Friedensbewegung will öffentliche Diskussion über die Verteidigungspolitischen Richtlinien erzwingen"
Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag - und eine Presseerklärung der DFG-VK (21. Mai 2003)
Die alten VPR im Wortlaut: "Verteidigungspolitische Richtlinien 1992"
Erlassen vom Bundesverteidigungsministerim am 26. November 1992



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