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Mehr deutsche Kriege verlangen nach "Reserve ohne Ruh" - auch für Frauen

Zur Bundeswehrreform

Von Ulrich Sander *

Minister Thomas de Maizière (CDU) hat eine Bundeswehrreform angekündigt, zu der dem "Neuen Deutschland“ die zutreffende Schlagzeile „Weniger Soldaten für mehr Kriege“ einfiel. Allerdings wird nur das "stehende Heer“ kleiner, die kurzfristig zur Verfügung stehende Truppe eher größer. Und statt bisher 7.000 sollen künftig ständig 10.000 Soldaten im Kriegseinsatz sein. Der Minister deutet an, wie das geschehen soll: „Die Rolle der Reservisten soll gestärkt werden. Das Reservistenkonzept soll dazu überarbeitet werden.“

Allerdings wurde es schon erheblich überarbeitet. Am 24. März wurde vom Deutschen Bundestag auf Antrag der Bundesregierung die Aussetzung der Wehrpflicht verfügt. Es wurde der Eindruck erweckt, die Wehrpflicht gelte künftig nicht mehr. Dabei wird allenfalls vorübergehend darauf verzichtet, Wehrpflichtige einzuberufen. Es sollen stattdessen freiwillige Dienstleistende geworben werden. Dazu soll ein großer Aufwand betrieben werden, sodass die Einsparungen aus der Wehrreform, von denen oft gesprochen wurde, in den Sternen stehen. Die Bundeswehr wird zunächst einmal teurer.

Sie wird aber auch größer. Denn die letzte Änderung des Wehrpflichtgesetzes, jene vom 17. Februar 2005, muss mit bedacht werden. Damals wurde des Nachts und ohne Aussprache das "Gesetz über die Neuordnung der Reserve der Streitkräfte und zur Rechtsbereinigung des Wehrpflichtgesetzes" beschlossen. Der Kern des Gesetzes ist die Anhebung des Alters von 45 auf 60 Jahre, bis zu dem Reservisten einberufen werden können, und der Einsatz von Reservisten im Krieg und im Inneren des Landes.

Weibliche Reservisten rückwirkend mit vereinnahmt

Die Bundeswehr wird also mit der Aussetzung der Wehrpflicht nicht kleiner, sondern größer. Und die Wehrpflicht ist jederzeit rückholbar, und für die Reservisten bleibt sie ohnehin gültig. Obwohl es für Frauen keine Wehrpflicht gab, werden die weiblichen Reservisten gleich rückwirkend mit vereinnahmt. Auch sie sollen Wehrübungen ableisten, wenn sie bis 2010 ausgeschieden sind. Und Wehrübung, das heißt nicht etwa Üben, sondern Kämpfen. Die Übungen mit den drei S – Schießen, Saufen, Schlauchbootfahren – sollen der Vergangenheit angehören. Die Bundesregierung schrieb in die Begründung für die Änderung des Wehrpflichtgesetzes vom 24. März hinein: Reservistinnen und Reservisten machen dasselbe wie Aktive, und dies im In- und Ausland und zwar in einer Armee des Einsatzes. Also im Krieg.

Und dies geschieht nicht etwa freiwillig. Weiter heißt es in der Begründung: „Ein Rückgriff auf Reservistinnen und Reservisten soll zur Bewältigung von Krisensituationen ohne deren Zustimmung möglich bleiben.“

An einsatzfähigen Reservisten gibt es derzeit rund 1,2 Millionen. Für 94.000 von ihnen ist ständig ein "Arbeitsplatz" bei der Bundeswehr vorhanden. Somit sinkt mit der Bundeswehrreform die Zahl der Soldaten nicht auf höchstens 185.000, wie uns weisgemacht werden soll, sondern sie steigt auf rund 280.000. Doch darüber wird nicht berichtet.

Der Minister kündigte den Abbau von Stäben, Zivileinrichtungen, auch Musikkorps und Ministerialbürokratie an. Was bedeutet dies? Die Etappe wird aufgescheucht und in den Krieg geschickt. Und wer nicht mitmachen will, der wird aus der Armee ausgestoßen, hinein in den Öffentlichen Dienst, – um dann als Reservist bei Bedarf zurückgeholt zu werden. Darum saßen die Herren Militärs bei der Ministerrede so bedeppert da mit verschränkten Armen, in Abwehrpose. Sie dachten, sie kämen als Etappenhengste nie mehr dort hin, wo die Kugeln pfeifen. Und nun dies. Dazu die noch demonstrativere Abkehr vom Grundgesetz. Ferner die noch mehr um sich greifende Werbung und Aushebung von Rekruten an Schulen und Argen.

„Die Reserve ist das Rückgrat der Armee“

Infolge der Aussetzung der Wehrpflicht fehlen der Bundeswehr ab Juli neben den ausscheidenden Zeitsoldaten viele Tausend Mannschaftssoldaten jährlich. Aus diesem Kreis will die Bundeswehr viele halten und zwar indem ihnen zusätzliche Prämien angeboten werden, die Höhe ist noch unbestimmt. Eine beachtliche Zahl nennt Prof. Dr. Friedwart Lender vom Reservistenverband: Von den nahezu 50.000 Wehrpflichtigen pro Jahr hätten sich bisher fast 50 Prozent freiwillig länger verpflichtet „und so auch die Auslandseinsätze der Bundeswehr gesichert“. Die Bundeswehr hat Perspektiven wie diese zu bieten: Sie bildet jährlich aus: 2.000 Offiziersanwärter, 500 Hauptleute und 5.500 Auszubildende, ferner 1.425 Studenten. Die Perspektive kann aber auch Tod und schwerste Verletzung sein.

In "loyal“, dem Magazin des Reservistenverbandes, wird vorgeschlagen: Ungediente Bürger/innen sollen künftig durch den Reservistenverband und mittels Übungen zu Soldat/innen ausgebildet und als freiwillig Wehrdienstleistende gewonnen werden. So soll „das weitgehend ungenutzte Potenzial der weiblichen Bevölkerung ausgeschöpft werden“ (lt. loyal). Das Magazin weist nach: Bereits in der Vergangenheit waren Einsätze im Ausland nicht ohne Reservisten möglich – und dies wird mit der kleineren Bundeswehr noch mehr der Fall sein. Ständig sind derzeit 500 Reservisten in sehr wichtigen Funktionen im Einsatz; sie brächten auch wertvolle zivile Fähigkeiten ein. Andere Reservisten helfen bei der Ausbildung der Soldaten in Deutschland.

Bewährt haben sich die Kreis- und Bezirksverbindungskommandos in der Zivilmilitärischen Zusammenarbeit, Hier stehe eine „zusätzliche Unterfütterung mit entsprechender Truppe“ bevor, betont „loyal“. Das heißt, neben den 12 Reservisten pro Kommando, die innerhalb einer Stunde in 450 Kommandos in ganz Deutschland einsatzfähig sind, werden weitere Reservisten herangezogen, die auch im Innern eingesetzt werden. ZMZ trainiere ständig seine militärische Fähigkeit und entlaste die Bundeswehr personell. Geübt wird Katastrophenschutz und militärische Ausbildung. Ein psychosoziales Netzwerk soll den heimkehrenden Reservisten Hilfestellung geben. ZMZ und Reservistendienst in der Truppe werden für die Reservisten ergänzt durch EAKK-Ausbildungseinheiten (Einsatzvorbereitende Ausbildung für Krisenbewältigung und Konfliktverhütung).

„Die Reserve kann mehr"

„Tu was für Dein Land!“ ist die Losung des Verbandes. Bundesgeschäftsführer des Reservistenverbandes Oberst a.D. Dierk Joachim Fell bläst die Backen noch mehr auf: „Die Reserve ist das Rückgrat der Armee. Die Reserve kann mehr.“ Dies gelte zum einen für die Kameraden, die täglich - oft am Wochenende - ergänzend Dienst in der Truppe in Deutschland tun und erst recht für Reservisten im Einsatz. Sorge bereitet zweierlei: Die Gefahr, dass Bundeswehrstandorte reduziert werden und dass das Tragen der Uniform bei Reservistenverbandsveranstaltungen - nicht gemeint: Reserveübungen - in Frage gestellt wird, - denn oft benehmen sich die Verbandsmitglieder nicht „ordentlich“. Damit soll nun Schluss sein - wie mit den drei S (siehe oben).

„Reserve hat Ruh“ soll nicht mehr gelten. Die Kreisgruppe Osnabrück machte sich so ihre Gedanken. Zu tun gibt es für die bewaffnete Macht vieles, meint Oberstleutnant a.D. Willi Meder: „Was wird, wenn Al Kaida entdeckt, wie verletzlich die Öltankerrouten am Persischen Golf sind?“ Mit wenig Aufwand könnten Terroristen dort ein weltwirtschaftliches Chaos anrichten. (Hoffentlich liest bei Al Kaida niemand die "loyal“.) Jetzt seien sie da, die guten alten Zeiten, nach denen man sich in zehn Jahren zurücksehnen werde. Jetzt geht es ran, wie de Maiziere betont hat: Nicht nur für deutsche Interessen soll die Bundeswehr ständig im Einsatz sein, nicht nur für Deutschlands „Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen“ sowie Handelswegen. Auch wenn der Sinn des Krieges sicht nicht erschließt, soll Deutschland an möglichst vielen Kriegen teilnehmen. Sieht sich der Minister auf dem Weg zur militärischen Großmacht? (PK)

* Ulrich Sander ist Bundessprecher der VVN-BdA - Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten - www.vvn-bda.de/

Erstveröffentlichung dieses Beitrags in: Neue Rheinische Zeitung (online), 5. Juni 2011; www.nrhz.de
Mit freundlicher Genehmigung des Autors.


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