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Weniger Soldaten für mehr Kriege

Verteidigungsminister: Ein Fünftel des Bundeswehrpersonals wird eingespart

Von René Heilig und Fabian Lambeck *

Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) stellte gestern (18. Mai) die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien sowie die Eckpunkte der Bundeswehr-Reform vor.

Das Eckpunktepapier des Ministers am war zwar mit Spannung erwartet worden, doch im Grunde verkündete er in den zwölf Punkten nichts Unerwartetes. De Maizière selbst nannte die Reform »nicht historisch«. Die Verteilungspolitischen Richtlinien hingegen verdeutlichen eine weitere Militarisierung globaler Außen- und Sicherheitspolitik.

Die Bundeswehr soll um etwa ein Fünftel von 220 000 auf 175 000 bis 185 000 Soldatinnen und Soldaten schrumpfen. So muss die Luftwaffe 5 ihrer 13 Geschwader auflösen. Zudem wird das Luftwaffenmusikkorps abgewickelt. Das Heer wird zukünftig mit zwei Divisionen (jeweils drei Brigaden) auskommen müssen. Trotz des Personalabbaus will der Minister mehr Soldaten zu Auslandseinsätzen schicken. Statt wie bisher 7000 sollen künftig 10 000 Bundeswehrangehörige außerhalb der Grenzen Deutschlands stehen. Die Anzahl der zivilen Mitarbeiter wird von 76 000 auf 55 000 reduziert werden. Die Kosten für den Personalabbau werden aus dem Verteidigungshaushalt ausgelagert.

Wie stark dadurch die Sparauflagen für die Bundeswehr von bisher 8,3 Milliarden Euro bis 2015 gelockert werden, ist aber noch unklar. Auch über aktuelle Beschaffungs- und Ausrüstungsvorhaben wird noch zu reden sein. Der Minister betonte jedoch, dass der Truppe Fähigkeiten und Material fehle und dass vieles beschafft werde, was man so und in der Anzahl nicht brauche. Beim Thema Standortschließungen gab sich der Ressortleiter bedeckt. Er wolle aber keine Konzentration auf wenige große Einzelstandorte. Entsprechende Vorschläge seien zu weitreichend und nicht sinnvoll, so de Maizière.

Der Minister sprach in seiner Rede am Mittwoch (18. Mai von »gravierenden Mängeln«. Die Reformen in den vergangenen Jahren seien nicht ausreichend gewesen. Dennoch sei die Bundeswehr in Deutschland und im Einsatz hoch geschätzt. Sie sei »hoch motiviert, leistungsbereit und professionell«. Es sei ehrenvoll, in deutscher Uniform für eine bessere, gerechtere und freiere Welt einzutreten.

Künftig werden die Streitkräfte straffer geführt. Der Personalabbau soll sich auf alle Hierarchieebenen erstrecken. Über eine mögliche Konzentration des Ministeriums in Berlin wird erst im Oktober entschieden. Sicher ist, dass auch im Ministerium selbst gespart werden soll. Von den derzeit 3500 Mitarbeitern dürfen nur 2000 bleiben.

Die Bundeswehrreform war vor einem Jahr von de Maizières Vorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) eingeleitet worden. Die Aussetzung der Wehrpflicht und die Einführung eines neuen freiwilligen Wehrdienstes ab 1. Juli ist bereits beschlossene Sache. Bislang fehlt es allerdings an Freiwilligen: Von den 498 000 jungen Männern, die zwischen März und April vom Verteidigungsministerium angeschrieben wurden, zeigten lediglich 1800 Interesse. Der Minister reagierte und schraubte nun die Zahl der avisierten Freiwilligen von 15 000 auf 5000 herunter.

De Maizière will die Reform möglichst im Einvernehmen mit der Opposition durchsetzen. SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold sieht die Chance für einen »Grundkonsens« zwischen den großen Parteien. Der LINKE-Vorsitzende Klaus Ernst kritisierte die Pläne, das Personal für Auslandseinsätze aufzustocken. »Es gibt offensichtlich den Versuch, die Bundeswehr auszurichten, auf eine Armee die künftig mehr geeignet ist, Auslandseinsätze durchzuführen, als das heute der Fall ist. Das lehnen wir ab.«

* Aus: Neues Deutschland, 19. Mai 2011


Von Clausewitz und Wohlstand

Von René Heilig **

Wer gestern Fakten über das Wie der Bundeswehr-Reform hören wollte, hat einfach zu viel erwartet. Minister de Maizière ist Sohn eines Generals, da weiß man: Eröffne nie eine neue Front, für die dir noch die siegreichen Regimenter fehlen. Um die aufzustellen und mit den richtigen dynamisch-flexiblen Anführern zu versehen, stützte sich der Minister bei der knallharten Vergatterung seiner ererbten Führungskräfte auf den Reformer Clausewitz und ließ mit Anmerkungen zur Einheit von Gesellschaft und Bundeswehr den Patrioten durchscheinen. Was aus seiner Sicht in der aktuellen globalisierten Welt bedeutet: »Nationale Interessen wahren – internationale Verantwortung übernehmen – Sicherheit gemeinsam gestalten.«

So steht es über den gestern ebenfalls vorgestellten neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien. Darin ist – nicht versteckt – mehrfach von Wohlstand, unserem Wohlstand die Rede. Der ist bedroht. Die Liste der Gefahren scheint endlos. Sie beginnt beim diffusen internationalen Terrorismus, schließt zerfallende Regime, kriminelle Netzwerke, Klima- und Umweltkatastrophen ein, verweist auf Migrationsbewegungen, Engpässe bei Ressourcen und Rohstoffen, nennt Seuchen und Cyber-Attacken. Sicherheit, so liest man, wird nicht mehr ausschließlich geografisch definiert.

Alles nicht ganz falsch. Aber keinesfalls richtig ist es, dagegen auf Militär und Gewalt zu setzen.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Mai 2011 (Kommentar)

Richtlinien zur Sicherheit (Auszug) ***

Gestern stellte Verteidigungsminister Thomas de Maizière die neuen verteidigungspolitischen Richtlinien vor. Sie beschreiben den strategischen Rahmen für den Auftrag und die Aufgaben der Bundeswehr und formulieren die sicherheitspolitischen Zielsetzungen und die sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland. (Auszug aus II.)

Eine unmittelbare territoriale Bedrohung Deutschlands mit konventionellen militärischen Mitteln ist unverändert unwahrscheinlich. Das strategische Sicherheitsumfeld hat sich in den letzten Jahren weiter verändert...

Risiken und Bedrohungen entstehen heute vor allem aus zerfallenden und zerfallenen Staaten, aus dem Wirken des internationalen Terrorismus, terroristischen und diktatorischen Regimen, Umbrüchen bei deren Zerfall, kriminellen Netzwerken, aus Klima- und Umweltkatastrophen, Migrationsentwicklungen, aus der Verknappung oder den Engpässen bei der Versorgung mit natürlichen Ressourcen und Rohstoffen, durch Seuchen und Epidemien ebenso wie durch mögliche Gefährdungen kritischer Infrastrukturen wie der Informationstechnik.

Sicherheit wird nicht ausschließlich geografisch definiert. Entwicklungen in Regionen an Europas Peripherie und außerhalb des europäischen Sicherheits- und Stabilitätsraumes können unmittelbaren Einfluss auf die Sicherheit Deutschlands entfalten. Krisen und Konflikte können jederzeit kurzfristig und unvorhergesehen auftreten und ein schnelles Handeln auch über große Distanzen erforderlich machen.

Die Einsatzerfahrungen der letzten Jahre und die Analyse der sicherheitspolitischen Entwicklungen führen dazu, dass wir zur Abwehr von Gefährdungen unserer Sicherheit zu Hause sowie in geografisch entfernten Regionen die Instrumente unserer Sicherheit verändern und an Streitkräfte neue Anforderungen als Teil eines ressortgemeinsamen Verständnisses stellen.

Hier geht es zu den Verteidigungspolitischen Richtlinien 2011:pdf-Datei




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