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Der Fall Florian Pfaff – Wie die Bundeswehr mit internen Kritikern umgeht

Ein Beitrag von Jerry Sommer in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderation):
Bundeswehr-Soldaten sind Staatsbürger in Uniform und keine bloßen Befehlsempfänger. Das ist Kern des Konzepts der Inneren Führung. Kritische und kreative Soldaten sind erwünscht. Allerdings nur innerhalb bestimmter Grenzen. Geht die Kritik von Soldaten aus Sicht der Bundeswehr zu weit – dann kann das Verteidigungsministerium ganz schön unnachgiebig sein. Über den Umgang der Bundeswehr mit unbequemen Soldaten – Jerry Sommer:


Manuskript Jerry Sommer

Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Diese Tatsache ist auch ein wesentliches Leitmotiv für die geplante Bundeswehrreform. Gleichzeitig betont die Bundeswehr das Konzept der „Inneren Führung“: Nach den Erfahrungen der Wehrmacht wurde ein mitdenkender Soldat gefordert und nicht Kadavergehorsam.

In den vergangenen Jahrzehnten hat es immer wieder Auseinandersetzungen der Bundeswehr mit Kritikern aus den eigenen Reihen gegeben. 1989 hatte der Major Helmuth Prieß zusammen mit 20 weiteren Kameraden die Aussage „Alle Soldaten sind potentielle Mörder“ für inhaltlich richtig erklärt. Die Bundeswehr degradierte Prieß daraufhin um zwei Dienstränge zum Oberleutnant. Prieß war damals Sprecher des „Darmstädter Signals“, einer kritischen Vereinigung von Offizieren und Unteroffizieren. Vor Gericht verlor die Bundeswehr allerdings und musste die Degradierung wieder zurücknehmen.

Ein anderes Beispiel: Im von der UNO nicht autorisierten Kosovo-Krieg der NATO verweigerten einige deutsche Piloten den Einsatz. Sie wurden im Unterschied zu Major Prieß nicht degradiert, sondern anderweitig in der Bundeswehr eingesetzt.

Im März 2003 ist der Irak von den USA angegriffen worden. Damals weigerte sich der im Streitkräfteamt der Bundeswehr beschäftigte Major Florian Pfaff aus Gewissensgründen, seine Arbeit an der Neu-Organisation der Bundeswehrlogistik fortzusetzen. Die Begründung: Seine Vorgesetzten könnten nicht ausschließen, dass seine Arbeitsergebnisse auch für eine Unterstützung des Irak-Krieges eingesetzt würden. Da nach Pfaffs Einschätzung der Irak-Krieg ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg war, hätten ihm sowohl das Grundgesetz als auch sein Gewissen jede Beteiligung an diesem Feldzug verboten.

Deutschland hatte sich damals unter der rot-grünen Regierung nicht direkt am Irak-Krieg beteiligt, aber indirekte Unterstützung für die USA wurde geleistet. Daran wollte der Bundeswehr-Major nicht mitwirken. Florian Pfaff:

O-Ton Pfaff
„Wir hatten zum Beispiel an der Grenze zum Irak in Kuwait die Spürpanzer, die Bundeswehr hat die US-Kasernen geschützt, die Marine hat die US-Navy geschützt, es wurde logistische Hilfe geleistet. Insofern war natürlich jede Unterstützung dieser Logistik ein Kriegsbeitrag.“

Für die Bundeswehrführung war Pfaffs Verhalten allerdings Gehorsamsverweigerung. Zuerst wurde er für eine ganze Woche zur Untersuchung seines Geisteszustandes in die Bundeswehrpsychiatrie eingewiesen – die Ärzte stellten jedoch fest, dass er zu 100 Prozent gesund war. Dann beantragte die Bundeswehr seine Entlassung, kam aber nicht einmal vor dem Truppendienstgericht damit durch. Gegen die vom Truppendienstgericht verfügte Degradierung prozessierte der kritische Major Pfaff – und gewann.

Im Juni 2005 entschied das Bundesverwaltungsgericht in letzter Instanz, dass Pfaff eine Gewissensentscheidung getroffen hatte, die legitim und legal sei und nicht bestraft werden dürfe. Im Urteil heißt es:

Zitat
„Die zentrale Verpflichtung jedes Bundeswehrsoldaten, erteilte Befehle ‚gewissenhaft’... auszuführen, fordert keinen bedingungslosen, sondern einen mitdenkenden und insbesondere die Folgen der Befehlsausführung - gerade im Hinblick auf die Schranken des geltenden Rechts und die ethischen ‚Grenzmarken’ des eigenen Gewissens – bedenkenden Gehorsam.“

Und weiter urteilte das Gericht:

Zitat
„Aus dem Grundgesetz und dem Soldatengesetz ergeben sich rechtliche Grenzen des Gehorsams... Ein Soldat braucht einen ihm erteilten Befehl jedenfalls dann als unzumutbar nicht zu befolgen, wenn er sich insoweit auf den Schutz des Grundrechts der Freiheit des Gewissens… berufen kann.“

Der Bundeswehrführung hat dieses letztinstanzliche Urteil nicht gefallen. In einem internen Papier behauptete sie – entgegen den ausdrücklichen Aussagen des Bundesverwaltungsgerichts -, bei Pfaff habe keine Gewissensentscheidung vorgelegen. Auch habe nicht in jedem Fall die Gewissensentscheidung den Vorrang vor der militärischen Auftragserfüllung.

Kapitänleutnant Jörg Wiebach, der heutige Sprecher der im „Darmstädter Signal“ zusammengeschlossenen kritischen Bundeswehrangehörigen, hält die Ablehnung des Pfaff-Urteils durch die Bundeswehr für grundsätzlich falsch. Die Begründer der Inneren Führung hätten keinen blinden Gehorsam gewollt, im Gegenteil:

O-Ton Wiebach
„Das ist ja auch das, was die gewollt haben, eine demokratische Armee, in der der einzelne Soldat auch mitdenkt und sehr genau überlegt, ist das, was ich jetzt hier tue, eigentlich richtig? Das gibt auch das Soldatengesetz her und die Rechtslage.“

Trotz des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts wurde Florian Pfaff weiterhin benachteiligt. Die Bundeswehr verhängte eine Beförderungssperre mit der Begründung, wegen seines Gewissens sei Pfaff nicht „uneingeschränkt verwendungsfähig“. Der Major zog wieder vor Gericht, erhielt wieder Recht. Doch der Streit ging weiter. Florian Pfaff:

O-Ton Pfaff
„Dann hat die Bundeswehr gesagt: jetzt wechseln wir die Begründung, jetzt nehmen nicht mehr das Gewissen als Begründung, sondern sagen, er kann nicht befördert werden wegen seines Charakters.“

Das sahen seine direkten Vorgesetzten allerdings anders. In einer Beurteilung bestätigten sie ihm, er sei ein

Zitat
„selbstbewusster, zuverlässiger, loyaler und verantwortungsbewusster Stabsoffizier... mit einem gefestigten, ehrlichen und aufrichtigen Charakter".

Inzwischen ist Major Pfaff schon lange als EDV-Spezialist im Sanitätsdienst der Bundeswehr eingesetzt. Hier hat er weder direkt noch indirekt mit Kriegseinsätzen zu tun. Trotzdem verweigert die Bundeswehr dem 54-Jährigen die längst fällige Beförderung. Dagegen hat Pfaff erneut geklagt. Bei der Gerichtsverhandlung am 1. März dieses Jahres schlug der Vorsitzende Richter außergerichtliche Vergleichsverhandlungen vor. Als Vorbedingung hierfür nannte der Vertreter der Bundeswehr eine „gewisse Zurückhaltung“ des Klägers in der Öffentlichkeit. Pfaff hat damit kein Problem, weil sein Recht auf freie Meinungsäußerung dadurch nicht eingeschränkt wird. Entsprechend habe er sich auch vor dem Gericht geäußert. Major Pfaff:

O-Ton Pfaff
„Ich musste dafür ansagen, dass ich ein vorbildlicher und rechtstreuer Soldat bleiben will. Ich habe das dann entsprechend formuliert, dass ich ein verantwortungsbewusster Stabsoffizier weiterhin bleiben werde. Das ist mir nicht schwer gefallen. Das wollte ich immer sein und das bin ich natürlich immer noch.“

Pfaff hofft, dass ein Ende der Auseinandersetzung nun in Sicht ist. Tatsächlich hat offenbar auch das Verteidigungsministerium kein Interesse daran, erneut vor Gericht zu unterliegen.

Inzwischen habe die Bundeswehr auch dazugelernt, meint Kapitänleutnant Wiebach vom „Darmstädter Signal“. In einem anderen Fall habe sie statt wegen Gehorsamsverweigerung zu klagen entsprechend dem Bundesverwaltungsgerichtsurteil im Fall Pfaff dem betreffenden Offizier eine alternative Aufgabe zugewiesen. Kapitänleutnant Wiebach:

O-Ton Wiebach
„Wenn ein Soldat mit Gewissensentscheidungen geplagt ist und er die auch vernünftig begründen kann und vor allem rechtzeitig, dann müssen die Vorgesetzten Handlungsalternativen bieten. Das hat man gemacht beim Fall Rose, der bei der Luftwaffe tätig gewesen ist und mit den Tornados zu tun hatte. Den hat man, als er seine Gewissensgründe zum Ausdruck gebracht hat, von seinem Dienstposten versetzt.“

Ohnehin hat sich gezeigt, dass nur wenige Soldaten den Gehorsam aus Gewissensgründen verweigern. Die Militärführung hat nach dem Pfaff-Urteil offenbar wesentlich mehr Fälle befürchtet. Einzelfälle wiederum kann die Bundeswehr auch als Armee im Einsatz verschmerzen.

Gerade deshalb ist es verwunderlich, mit welcher Ausdauer sie weiterhin gegen Major Pfaff vorgeht. Offensichtlich gibt es in der Bundeswehrführung nach wie vor die Sorge vor Nachahmern. Außerdem gibt es Stimmen innerhalb der Bundeswehr, die die Grundsätze der Inneren Führung, das Leitbild des Soldaten als „Staatsbürger in Uniform“, in Frage stellen. Der Politikwissenschaftler Elmar Wiesendahl fasst die Auffassung der Vertreter dieser Denkschule folgendermaßen zusammen:

Zitat
„Mit der Transformation der Bundeswehr zur Einsatzarmee (sei)… die Zeit der Inneren Führung abgelaufen … [Die Bundeswehr] müsse nun wieder vom Krieg aus gedacht und geistig ausgerichtet werden. Einher gehe damit die Wiedergeburt des Soldatischen und das Leitbild des Kämpfers. Der Einfluss der Zivilgesellschaft auf die Armee und das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform seien für eine Einsatzarmee nicht mehr akzeptabel.“

Sorgen um den Zustand der Inneren Führung machen sich nicht nur die kritischen Soldaten des „Darmstädter Signals“. Auch das Bildungswerk des Deutschen Bundeswehrverbandes, der Interessenvertretung der Soldaten, macht sich Gedanken. Von der Karl-Theodor-Molinari-Stiftung wurde kürzlich gefordert:

Zitat
„Tendenzen zur Vernachlässigung der politischen Bildung und zur Hinnahme von Abstrichen vom Leitbild des ‚Staatsbürgers in Uniform’ sowie von den Grundsätzen der Inneren Führung ist energisch entgegenzutreten.“

Welche Tendenzen in der Bundeswehr die Oberhand gewinnen werden, ist noch offen. Ein Indiz könnte aber der weitere Umgang der Bundeswehr mit Florian Pfaff sein. Ein Ende der Benachteiligung des Majors wäre ein klares Bekenntnis zur Inneren Führung und zum Leitbild vom Staatsbürger in Uniform.

* Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 9. April 2011; www.ndrinfo.de

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