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Bundeswehr kann in ganz Afghanistan eingesetzt werden

Schulterschluss zwischen Deutschland, NATO und USA auf der Kommandeurtagung

Am 10. und 11. März 2008 fand in Berlin die 41. Kommandeurtagung der Bundeswehr statt. Sie stand eindeutig im Zeichen des militärischen Engagements von NATO und der Bundeswehr in Afghanistan und war mit Spannung erwartet worden, weil im Vorfeld Meinungsverschiedenheiten innerhalb des NATO-Bündnisses kolportiert worden waren. Zugleich diente die Tagung der Vorbereitung auf den nächsten NATO-Gipfel im April.
Wir dokumentieren die Reden der Hauptakteure der Tagung und Presseberichte. Im Folgenden zwei Artikel aus der Presse vom 12. März 2008.



NATO fordert mehr als nur "Konfliktnachsorge"

41. Kommandeurtagung der Bundeswehr in Berlin: Die Realität sieht anders aus, als in Merkels Rede beschrieben

Von René Heilig *

Zwei Tage berieten die Führungskräfte der Bundeswehr in Berlin. Die 350 Generale, Admirale sowie Kommandeure und Dienststellenleiter diskutierten über die Erfordernisse für die Auslandseinsätze, die Innere Führung der Bundeswehr sowie über Ausbildung und Ausrüstung der Streitkräfte.

Auch was in den öffentlichen Teilen der Tagung beredet wurde, war nicht ohne Spannung. Schwere Meinungsverschiedenheiten seien zutage getreten zwischen der NATO-Führung und der deutschen Regierung, hieß es gar. Der Grund? Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte vor den Uniformierten klargestellt, dass die Bundeswehr weiterhin ihre Verantwortung im Norden von Afghanistan wahrnehmen werde. Zugleich warb sie für mehr Engagement beim zivil-militärischen Aufbau. Kurzum erteilte sie allen NATO- und US-Wünschen nach mehr Bundeswehr in den direkten südlichen Kampfzonen eine Abfuhr. Könnte man meinen.

NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer, der Deutschland ob dieser Haltung bislang mehr unterstützt denn gescholten hat, machte dagegen deutlich, dass alle Verbündeten im Kampf gegen die Taliban an einem Strang ziehen müssten. Afghanistan lasse sich nicht in Zuständigkeitsbereiche aufteilen, sagte er. Es dürfe keine Arbeitsteilung geben, bei der sich die einen auf das Kämpfen, die anderen auf die Konfliktnachsorge spezialisierten. Nachdrücklich lehnte der NATO-Chef die Haltung der Bundesregierung ab, keine deutschen Soldaten außerhalb des Sektors Nord einzusetzen.

Im Grunde lief da ein politisches Scheingefecht ab. Nicht nur, dass man mit den Tornado-Aufklärern wesentliche Voraussetzungen für Angriffsoperationen von Einheiten der Operation Enduring Freedom wie der ISAF liefert. Auch andere Einheiten sind quer durch das Land am Hindukusch verlegbar. Beispiel die demnächst einsatzbereite deutsche Quick Reaction Force (QRF). Die dafür abgestellten Soldaten sollen nach Aussage der Bundesregierung für Patrouillen, Absicherungsoperationen und gegen gewaltbereite Menschenmengen eingesetzt werden. Auch für Evakuierungen, Zugriffs- und Durchsuchungs- sowie für offensive Operationen gegen regierungsfeindliche Kräfte im Zusammenwirken mit den afghanischen Sicherheitskräften können die QRF-Einheiten verwendet werden. Gleichfalls sollen sie als taktische Reserve dienen.

Diese Auflistung ist so verschwommen wie die Antwort auf Fragen des Einsatzortes. »QRF werden auf der Ebene der Regionalkommandos bereitgehalten, können aber auf Anforderung COM ISAF und bei Zustimmung der entsendenden Nation im gesamten ISAF-Operationsgebiet eingesetzt werden.« Das gesamte Operationsgebiet von ISAF ist gleichbedeutend mit ganz Afghanistan, und wenn der ISAF-Kommandeur es für notwendig hält, dass deutsche Soldaten im Sinne der Nothilfe anderen NATO-Kammeraden Hilfe leisten, wird die Bundesregierung sich gewiss nicht sperren können. Es ist denkbar, dass man innerhalb der NATO eine solche Situation als willkommene Gelegenheit ansehen könnte, die Bundeswehr stärker in die Kampfhandlungen gegen Aufständische einzubinden.

Die zitierte Passage stammt übrigens aus der Antwort auf eine aktuelle Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag. Darin wird darauf verwiesen, dass der Regierung durchaus Fälle bekannt sind, bei denen QRF eines Regionalkommandos in einem anderen Regionalkommando eingesetzt worden sind. Wie oft und welche Einheiten wohin geschickt wurden, kann aus »operativen Gründen« nicht beantwortet werden.

Eine weitere Frage, die aus »operativen Gründen« unbeantwortet bleibt, lautet: Wie viele Menschen wurden bei Gefechten unter Beteiligung der Quick Reaction Forces des Regionalkommandos Nord verletzt, getötet oder gefangen genommen?

Gegenüber der FDP-Fraktion verrät die Bundesregierung immerhin, wie die QRF-Soldaten der Bundeswehr ausgerüstet werden. Nach derzeitigem Planungsstand, so erfährt man, werden die Einheiten über Schützenpanzer »Marder«, Transportpanzer »Fuchs«, geschützte Fahrzeuge der »Dingo«- und der »Wolf«-Serien. Das sind durchaus kampfstarke Fahrzeuge. Doch damit allein werden die Soldaten die Aufträge nicht erfüllen können -- weshalb man sich in verschiedenen Bundeswehrgremien beispielsweise um spezielle Funksysteme zur Führung und Kommunikation in den schwierigen Gebirgsregionen Afghanistans Sorgen macht.

Sicher ist, dass die Situation im angeblich befreiten Afghanistan nicht entspannt werden konnte durch ISAF- und OEF-Militärs. Seit Jahresbeginn kamen bei Attentaten etwa 170 Zivilpersonen und 24 Soldaten der internationalen Truppen ums Leben. Im vergangenen Jahr registrierte man mindestens 8000 Tote, sagen UN-Vertreter. Die Anzahl der Selbstmordanschläge sei von 123 im Jahr 2006 auf 160 im vergangenen Jahr gestiegen.

* Aus: Neues Deutschland, 12. März 2008


Afghanistan-Krieg soll »robuster« werden

NATO-Chef Jaap de Hoop Scheffer fordert von deutschen Kommandeuren mehr Kampfwillen. Kanzlerin Merkel gibt sich empört, Verteidigungminister Jung konziliant

Von Frank Brendle **

Die militärische Dauerkrise in Afghanistan macht die ­NATO-Partner nervös: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer lieferten sich am Montag in Berlin einen offenen Schlagabtausch. Auf der Kommandeurtagung der Bundeswehr forderte der NATO-Chef die 600 versammelten Kommandeure dazu auf, ihren militärischen Einsatz zu erhöhen. Hintergrund ist das seit langem und immer drängender artikulierte Bedürfnis der USA nach militärischem Entsatz. Zuletzt hatte US-Verteidigungsminister Robert Gates auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang Februar die Deutschen aufgefordert, sich auch im schwer umkämpften Süden Afghanistans an Kriegseinsätzen zu beteiligen. De Hoop Scheffer warf der Bundesregierung nun nahezu unverblümt vor, sich ums Kämpfen drücken zu wollen, und sagte: »Wir brauchen Streitkräfte, die fern von zu Hause das gesamte Spektrum der Aufgaben erfüllen können.« Es könne »keine Arbeitsteilung geben, bei der sich der eine aufs Kämpfen, der andere auf die Konfliktnachsorge konzentriert«. Als direkten Appell, die Bundeswehr in ganz Afghanistan einzusetzen, war der Nachsatz zu verstehen: »Afghanistan läßt sich nicht in Zuständigkeitsbereiche aufteilen.«

USA schießen zu schnell

Der Bundeskanzlerin war das zuviel an Vorwürfen. Merkel schlug zurück und verteidigte die deutsche Strategie der »vernetzten Sicherheit«, die unter anderem in der taktischen Einbindung ziviler Hilfsorganisationen in das militärische Gesamtkonzept besteht. In der täglichen Arbeit der NATO spiegele sich dieser Ansatz noch nicht wider, das Bündnis verstehe sich zu stark als reine Militärallianz. Weniger diplomatisch ausgedrückt heißt das: Die USA schießen viel zu schnell alles kaputt, während die Deutschen emsig »Aufbauarbeit« leisten. Tatsächlich führt die Bundeswehr aber schon seit vorigem Jahr verstärkt Angriffe im Nordsektor, und die zivilen Hilfsorganisationen fürchten zunehmend ihre Umarmung durch die Militärs, weil sie das zum Kugelfang macht. Außerdem ist auch der Kanzlerin bewußt, daß die Bundeswehr in ihrem Sektor keineswegs eine stabile Erfolgsbilanz vorweisen kann. Man müsse den deutschen »regionalen Wiederaufbauteams« eben noch einige Zeit geben, sich zu bewähren, erklärte sie. Die Bundeswehr werde jedenfalls im Norden bleiben und allenfalls »punktuell« im Süden eingesetzt werden, betonte Merkel. Im übrigen wies sie darauf hin, daß es auch im Norden Afghanistans »alles andere als ungefährlich« sei. Einen »Wettlauf der Gefährlichkeit« dürfe es nicht geben.

Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) zeigte mehr Entgegenkommen gegenüber den Forderungen Washingtons bzw. Brüssels. Mit Blick auf die Entsendung sogenannter Quick Reaction Forces, einer rund 200 Mann umfassenden deutschen Kampfeinheit, die im Sommer nach Nordafghanistan verlegt wird, versicherte er dem NATO-Chef, künftig würde sich die Bundeswehr nicht nur mit »Stabilisierung« und »Wiederaufbau« beschäftigen, sondern auch mit dem »Herstellen von Sicherheit«. Damit, so Jung, würden »auch robustere Maßnahmen ins Zentrum rücken«.

Mehr Propaganda

Von einem anderen Vorwurf des NATO-Generalsekretärs wollte sich die Bundesregierung nicht angesprochen fühlen. De Hoop Scheffer sieht die NATO-Länder in der Pflicht, eine »skeptische Öffentlichkeit« zu überzeugen und ihr die »strategische Notwendigkeit« des Krieges zu vermitteln. Ausdrücklich erinnerte er daran, daß die Bundesregierung auch den NATO-Raketenbeschluß von 1979 und 20 Jahre später den Angriff auf Jugoslawien gegen Widerstand aus der Bevölkerung durchgesetzt habe. Jung erklärte dazu, die Bundesregierung gebe sich bereits alle Mühe und führe eine »offene« sicherheitspolitische Diskussion.

Ein Ende der Militäranforderungen ist allerdings nicht abzusehen. De Hoop Scheffer bekräftige, die Debatte sei »im Raum« und werde auf dem NATO-Gipfel in sechs Wochen in Bukarest weitergehen.

** Aus: junge Welt, 12. März 2008




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