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Luftangriffe in Syrien

USA und arabische Verbündete beschießen Dschihadisten. Damaskus lediglich informiert. Rußland warnt. Israelisches Militär schießt syrisches Kampfflugzeug ab

Von Knut Mellenthin *

Die USA haben am Dienstag morgen erstmals Ziele in Syrien aus der Luft angegriffen. Die Militärschläge sollen in den nächsten Tagen und Wochen fortgesetzt werden. Sie sind sehr viel massiver als die Aktionen der USA im Irak. Dort wurden seit Beginn der Luftoffensive am 8. August rund 190 Ziele attackiert, also knapp fünf im Tagesdurchschnitt. In Syrien richtete sich die erste Angriffswelle nach offiziellen Angaben gegen 22 Ziele. Neben Kampfflugzeugen und Drohnen kamen dabei auch 47 »Tomahawk«-Marschflugkörper zum Einsatz, die von zwei im Roten Meer und im Persischen Golf operierenden US-Kriegsschiffen abgeschossen wurden. An den Angriffen waren auch Saudi-Arabien, Jordanien, Bahrain, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate beteiligt. Ob alle fünf Staaten wirklich direkt Militärschläge gegen Syrien durchführten oder lediglich Unterstützung leisteten, wurde aus den ersten Meldungen noch nicht deutlich.

Gleichzeitig und wahrscheinlich keineswegs zufällig schossen die israelischen Streitkräfte ein syrisches Kampfflugzeug ab, das sich angeblich für einige Sekunden im Luftraum über dem besetzten Golan-Gebiet befunden hatte. Es war der erste Abschuß eines syrischen Flugzeugs seit 1985. Selbst Israel räumt ein, daß der Pilot keine feindlichen Absichten hatte, sondern sich lediglich in einem Militäreinsatz gegen Stellungen der islamistischen Al-Nusra-Front befand. Syrien verurteilte den israelischen Gewaltakt als offene Unterstützung für die Terroristen. Kein Staat der Welt, nicht einmal die USA, erkennt die von Israel 1981 vollzogene Annexion des Golan-Gebiets als rechtmäßig an.

Die erste Welle der unter US-amerikanischer Führung stehenden Luftangriffe richtete sich gegen 14 Ziele in dem vom »Islamischen Staat« (IS) kontrollierten Gebiet um die Stadt Rakka im Nordosten Syriens. Außerdem wurden acht Ziele in der Umgebung der Stadt Aleppo im Nordwesten des Landes angegriffen. Es soll sich um Stellungen der Chorasan-Gruppe gehandelt haben, die nach US-Angaben in Verbindung mit Al-Qaida steht. Ziele der Militärschläge waren laut Pentagon Ausbildungslager, Kommandostellen, Lagerräume und Waffendepots, Versorgungsfahrzeuge sowie einzelne Einheiten der Islamisten.

Rakka gilt in westlichen Darstellungen allgemein als »Hauptquartier« des IS und Mittelpunkt eines großen Gebiets, das von den Islamisten beherrscht und staatsmäßig verwaltet wird. Schon bevor US-Präsident Barack Obama am 10. September seine Absicht bekanntgab, Ziele in Syrien anzugreifen, hatten Politiker der Republikaner und neokonservative Medien gefordert, den IS aus dem Gebiet um Rakka zu vertreiben und dort eine »Schutzzone« zu schaffen. Allerdings verfügt die US-Regierung für ein solches Vorhaben nicht über genügend starke syrische Hilfskräfte. Den Einsatz eigener Bodentruppen lehnt Obama bisher ab. Daher ist nicht von vornherein auszuschließen, daß dort Soldaten aus den mit Washington verbündeten arabischen Staaten stationiert werden sollen.

Die syrische Regierung teilte am Dienstag mit, sie sei vor Beginn der Luftangriffe von den USA informiert worden. Das russische Außenministerium verurteilte das Vorgehen als Verletzung der syrischen Souveränität und warnte vor der damit verbundenen weiteren Destabilisierung der Region. Zuvor hatte schon Präsident Wladimir Putin gefordert, daß Luftangriffe nicht ohne Zustimmung der syrischen Regierung stattfinden dürften.

* Aus: junge Welt, Mittwoch 24. September 2014


Proteste gegen Bruch des Völkerrechts

Linke und Friedensbewegung kritisieren US-amerikanische Attacken auf Ziele in Syrien **

Die Angriffe der US-Luftwaffe und arabischer Verbündeter gegen mutmaßliche islamistische Stellungen auf syrischem Boden haben Protest in der BRD hervorgerufen. Diese Attacken seien nicht vom Völkerrecht gedeckt, teilte Wolfgang Gehrke, stellvertretender Vorsitzender der Linken-Bundestagsfraktion, am Dienstag mit. Die Organisation »Islamischer Staat« (IS) verbreite Terror, »das von ihr angestrebte Kalifat wird kein demokratischer, aufgeklärter Staat sein«. Dennoch rechtfertige dies die »eigenmächtigen, ohne UN-Mandat durchgeführten Luftangriffe der USA in Syrien« nicht, so Gehrcke weiter. »Sie sind schon dadurch, daß die Koalition der Willigen, die diese Angriffe trägt, Staaten umfaßt, die zu den Förderern des IS und anderer islamistischer Organisationen gehören, nicht legitimiert. Aus Saudi Arabien kam das Geld, aus Katar die ideologische Führung, die Vereinigten Emirate und vor allen Dingen die Türkei haben zur Destabilisierung in Syrien beigetragen. Alle diese Staaten unterstützen jetzt die USA bei ihren Angriffen auf syrischem Gebiet gegen den IS«, beschrieb Gehrcke die Situation.

Der Bundesausschuß Friedensratschlag bezeichnete die Angriffe auf syrischem Boden als »flagranten Bruch des Völkerrechts«. Weder seien die USA noch eine der mit ihnen verbündeten Staaten Saudi-Arabien, Katar, Jordanien, Bahrain oder die Vereinigten Arabischen Emirate angegriffen worden, »noch liegt eine diesbezügliche Resolution des UN-Sicherheitsrats oder eine Erlaubnis der syrischen Regierung in Damaskus vor«. Die US-Regierung zerstöre »bewußt die nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene internationale Ordnung, wie sie durch die UN-Charta festgelegt ist«, so der Friedensratschlag. »Der US-Angriff erfolgt einen Tag, bevor sich der UN-Sicherheitsrat mit der Situation befassen wollte – deutlicher kann nicht zum Ausdruck gebracht werden, wie wenig die US-Administration von der UNO und dem Völkerrecht hält.«

** Aus: junge Welt, Mittwoch 24. September 2014


Terror und Symbolpolitik

Roland Etzel zu den ersten US-Luftangriffen auf Syrien ***

Das Einfachste wäre gewesen, die US-Administration hätte sich mit Damaskus formell verständigt. Es ist schwer vorstellbar, dass die Assad-Regierung sich dem Ansinnen, einvernehmlich gegen die Dschihadisten in Nordostsyrien vorzugehen, verschlossen hätte. Aber das sollte ja gerade nicht sein. Assads Staat darf, so das westliche Verdikt seit drei Jahren, keinerlei Anspruch auf Legitimität eingeräumt werden. Gemeinsamer »Kampf gegen den Terror« ja, aber nicht mit jedem. Er ist auch Symbolpolitik.

Noch mehr davon ist bei den Bundesgenossen im Spiel. Wenn sich jetzt Katar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Emirate als Speerspitze gegen das »Kalifat« gebärden, ist das so glaubwürdig, als würde die Römische Kurie behaupten, den Untergang des Kirchenstaats zu betreiben. Ein öffentliches Bekenntnis der Golfmonarchen gegen IS gibt es folglich nicht.

Ob es der US-Administration so gelingt, verloren gegangene Führungsqualität in der Region wiederzugewinnen? Dies zu bezweifeln hat nichts Verwegenes. In dieser Woche findet ein Anti-Terror-Gipfel der UNO statt. Dort hätte man beschließen können, was jetzt mit Hilfe der Allianz der Gestrigen bereits geschieht – wenn man es gewollt hätte. Aber der Auftakt des Bombardements drei Tage vor dem UNO-Gipfel zielt eben auch auf andere Aspekte; zum Beispiel auf den einer Revanche-Geste gegenüber Russland.

*** Aus: neues deutschland, Mittwoch 24. September 2014 (Kommentar)


»Regime Change«

Obama läßt Syrien bombardieren

Von Knuth Mellenthin ****


Seit Dienstag morgen führt der Friedensnobelpreisträger auch in Syrien Krieg. Damit hat er definitiv seinen Vorgänger George W. Bush überholt. Und das ist nur der Anfang. Schon am ersten Tag wurde deutlich, daß die Luftangriffe gegen Syrien viel massiver sein werden als die Nadelstichaktionen, die Obama seit dem 8. August im Irak durchführen läßt. Dort wurden bisher im Tagesdurchschnitt knapp fünf Ziele attackiert. In Syrien jedoch schon während der ersten Angriffswelle 22 Ziele. Außerdem ist die gegen jedes einzelne Ziel aufgewendete Kampfkraft sehr viel stärker als im Irak. Unter anderem wurden am Dienstag morgen 47 Cruise Missiles abgeschossen, die im Irak noch nicht zum Einsatz kamen.

Obamas Wahnsinnsidee, die fundamentalistisch-sunnitischen Monarchien der arabischen Halbinsel direkt in die religiösen und ethnischen Konflikte des Irak und Syriens hineinzuziehen, wird jetzt zum ersten Mal praktiziert. An den Luftangriffen gegen Syrien sind Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und Bahrain sowie darüber hinaus auch das Königreich Jordanien beteiligt. Weitere, beispielsweise die ägyptische Militärdiktatur, könnten noch hinzukommen. Dem US-Präsidenten ist sogar zuzutrauen, daß er Bodentruppen aus diesen Staaten nach Syrien schicken läßt. Die Saudis und andere arabische Regimes waren zumindest in der Vergangenheit durch Waffenlieferungen und Finanzhilfen direkt am Wachstum und der Ausdehnung des »Islamischen Staates« beteiligt.

Zwei Gebiete und zwei Organisationen wurden am Dienstag beschossen: Der IS in dem von ihm kontrollierten großen Teil Nordostsyriens um die Stadt Rakka, und eine weit weniger bekannte Gruppe namens Khorasan in der Nähe von Aleppo, die angeblich mit Al-Qaida in Verbindung steht.

Die Neokonservativen und viele Republikaner fordern schon lange, daß Rakka Zentrum einer von der Militärmacht der USA garantierten »Schutzzone« werden müsse. Dazu wären aber Bodentruppen erforderlich, die zumindest nach den bisherigen Schwüren Obamas keine US-amerikanischen sein sollen. Außerdem muß damit gerechnet werden, daß der Friedensnobelpreisträger der syrischen Regierung mit Luftangriffen droht, falls sie ihre Streitkräfte in bisher vom IS kontrollierte Gebiete vorrücken läßt.

Eskalationsgefahr signalisieren auch die Militärschläge in der Umgebung von Aleppo, der zweitgrößten Stadt Syriens. Anders als im Nordosten um Rakka sind dort syrische Truppen direkt militärisch engagiert. Da Washington eine Koordination seiner Angriffe verweigert, könnten diese Syrer leicht Opfer mehr oder weniger versehentlicher Attacken werden. Darüber hinaus ist Aleppo im Gegensatz zu Rakka vom effektiven syrischen Luftabwehrsystem geschützt. Diese Tatsache kann jederzeit einen direkten militärischen Konflikt auslösen. Das könne dann, gab Obama im Beraterkreis zum besten, Auftakt zum »Regime change« in Damaskus werden.

**** Aus: junge Welt, Mittwoch 24. September 2014 (Kommentar)

Lesen Sie auch die Stellungnahme aus der Friedensbewegung:

Protest gegen US-Luftkrieg in Syrien / Friedensratschlag: "flagranter Bruch des Völkerrechts"
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag (24. September 2014)




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