Jein oder nicht jein?
Linksfraktion steht vor schwieriger friedenspolitischer Entscheidung *
Es wird zwar das Weltgeschehen kurzfristig nicht wesentlich beeinflussen, ob die Linksfraktion im Bundestag für oder gegen einen Bundeswehreinsatz stimmt oder sich enthält. Denn kaum jemand zweifelt daran, dass sich am Mittwoch dieser Woche eine deutliche Mehrheit im Parlament für den Bundeswehreinsatz im Mittelmeer finden wird. Doch für die LINKE ist die Entscheidung diesmal besonders knifflig, da es sich um eine Mission handelt, die der Abrüstung dient: Eine deutsche Fregatte mit 300 Soldaten soll dem US-amerikanischen Spezialschiff »Cape Ray« Begleitschutz geben, auf dem syrische Chemiewaffen auf hoher See unschädlich gemacht werden. Seit Tagen bereits diskutiert die LINKE, ob ihr Festhalten am bisher strikten Nein zu Auslandseinsätzen aller Art in diesem Fall vernünftig ist.
Am heutigen Montag (7. April) berät die Fraktion der Linkspartei im Bundestag über ihr Abstimmungsverhalten am Mittwoch. Der Vorsitzende Gregor Gysi warb am Wochenende erneut dafür, sich geschlossen eines Votums zu enthalten. Damit trage man »beiden Gesichtspunkten Rechnung und kann dies auch erklären«. Eine Enthaltung aber ist den einen schon zu viel Zustimmung, den anderen noch zu wenig. Im »nd« argumentiert der frühere verteidigungspolitische Sprecher der Linksfraktion Paul Schäfer: »Warum sollte Deutschland bei dieser sinnvollen Sache, wenn es eine UNO-Unterstützungsanfrage gibt, abseits stehen?« Um »abrüstungspolitisch glaubwürdig« zu bleiben, ist seine bevorzugte Option ein Ja zum Einsatz. Dagegen sieht
Annette Groth, die menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion, darin »formal einen Kampfeinsatz« und warnt vor der »Türöffnerfunktion«, die die Zustimmung zu »angeblich völlig unproblematischen Mandaten« haben könnte.
Abrüstungspolitisch glaubwürdig bleiben
Von Paul Schäfer *
Erste Frage: Sollen die chemischen Waffen Syriens zerstört werden? Ja. Es liegt im unbedingten Interesse der Menschen in Syrien, denn es sind schon Hunderte mit diesen Waffen getötet worden, noch viel mehr könnten durch sie umgebracht werden. Die Entscheidung der syrischen Regierung, der Konvention über die Ächtung der C-Waffen beizutreten, ist ein wichtiger Schritt, um diesem Abkommen universelle Gültigkeit zu verleihen. Nicht zuletzt wurde durch Vereinbarungen zwischen den USA und Russland, durch die Entschließung 2118 des UN-Sicherheitsrates und durch die Entscheidung der Assad-Regierung eine militärische Intervention von außen abgewendet.
Zweitens: Müssen die C-Waffen, die auf offener See unschädlich gemacht werden sollen, bei ihrem Transport und am Ort der Zerstörung geschützt werden? Ja. Zwar räumt auch die Bundesregierung ein, dass die Bedrohungslage niedrig und ein bewaffneter Angriff auf das Schiff, auf dem die Abrüstung stattfinden soll, eher unwahrscheinlich ist. Aber daraus folgt nicht, dass es reicht, auf diesem Schiff Diplomaten und Waffenexperten zu stationieren. Keine Regierung würde hunderte Tonnen Giftgas auf gut Glück übers Meer schicken.
Drittens: Die UNO und die C-Waffen-Behörde in Wien haben die Federführung bei diesem Abrüstungsschritt. Das ist gut so. Was den Waffentransport und den Schutz angeht, ist es gut, dass sich zahlreiche Staaten wie Dänemark, Norwegen, Belgien, Italien, die USA und andere bereit erklärt haben, das zu übernehmen; eine Beteiligung Russlands und auch Chinas wäre nachdrücklich zu unterstützen. Es hätte einen hohen Symbolwert, wenn die oft missbräuchlich apo-strophierte »internationale Gemeinschaft« bei der Verwirklichung der UN-Resolution zur Vernichtung von C-Waffen in Aktion tritt.
Warum sollte Deutschland bei dieser sinnvollen Sache, wenn es eine UNO-Unterstützungsanfrage gibt, abseits stehen? Der Hinweis, die USA könnten das machen, verwundert. Galt nicht, dass man den USA wegen ihrer Regime-Change-Politik besonders misstraut?
Viertens: Verrät die Linksfraktion ihre antimilitaristischen Prinzipien, wenn sie der Entsendung einer deutschen Fregatte ins Mittelmeer zustimmt? Nein. Es handelt sich weder um einen Kriegseinsatz noch um eine imperiale Intervention, mit der anderen Ländern der eigene Willen aufgezwungen werden soll. Es geht um die Unterstützung einer sinnvollen und von der UNO getragenen Abrüstungsmaßnahme. Dass Deutschland auf die Eliminierung aller Massenvernichtungswaffen hinarbeiten soll, ist im Parteiprogramm festgeschrieben. Leider haben wir dort nicht berücksichtigt, dass für Waffenvernichtung auch militärische Expertise und militärische Kapazitäten erforderlich sein können.
Die Behauptung, es handele sich »formal« doch um einen Kampfeinsatz, ist falsch. Die UN-Resolution 2118 stützt sich nicht auf das Kapitel VII der UN-Charta, der Auftrag lautet nicht, einen Gegner militärisch zu bezwingen, sondern ist auf Begleitschutz und hierbei auf Selbstverteidigung und die Pflicht zur Nothilfe festgeschrieben.
Ein Nein zum Antrag der Bundesregierung käme für mich nicht in Frage. Dass die Koalition diesen Einsatz auch zur Legitimation anderer Militäreinsätze missbrauchen wird, ist klar, aber kein ausreichender Grund.
Eine Enthaltung wäre eine Option, weil man sich der Abrüstung nicht verweigern will, aber die besonderen Begleitumstände – »neue deutsche Verantwortung« heißt mehr Militäreinsätze – kritisch sieht.
Ein Ja wäre meine bevorzugte Option, weil man sich in der Sache, um die es eigentlich geht, konsequent verhält und abrüstungspolitisch glaubwürdig bleibt.
Paul Schäfer, zuletzt verteidigungspolitischer Sprecher der Linksfraktion, schied 2013 aus dem Bundestag aus. In einem Brief forderte er seine frühere Fraktion auf, ein »Ja« zu prüfen.
Zivil einmischen, nicht militärisch
Von Annette Groth
Die Fraktion DIE LINKE muss am Mittwoch eine schwere Entscheidung treffen. Sie soll über einen Militäreinsatz abstimmen, der in der Fraktion kontrovers diskutiert wird. Selbstverständlich ist die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen zu begrüßen. Die geplante Entsendung von 300 SoldatInnen zum maritimen Begleitschutz des US-Schiffes CAPE RAY, an dessen Bord die syrischen Chemiewaffen unbrauchbar gemacht werden sollen, ist aber mehr als fragwürdig. Denn sie stellt formal einen Kampfeinsatz dar.
Offizielle Begründung für die Militärmission: Die CAPE RAY solle »gegen mögliche Bedrohungen aus der Luft, Über- und Unterwasser unter Einschluss asymmetrischer Bedrohungen« geschützt werden, da das Spezialschiff mit den hochgefährlichen C-Stoffen an Bord »hohen Symbolcharakter« habe und daher »grundsätzlich ein potenzielles Angriffsziel« darstelle.
An anderer Stelle des Antrags der Bundesregierung, der auf Anforderung der USA gestellt ist, wird gleichzeitig »die Bedrohungslage im Mittelmeer und Nordatlantik grundsätzlich als niedrig bewertet«. Hier wird also völlig unbegründet ein nicht näher spezifiziertes Bedrohungsszenario aufgebaut, obwohl bereits ein von US-Kriegsschiffen gebildeter »Schutzgürtel« besteht. Der militärische Nutzen eines Einsatzes ist nicht erkennbar.
Will also die Bundesregierung mit diesem Einsatz lediglich Symbolpolitik betreiben? Will sie ihn nutzen, um sich zunehmend an internationalen Einsätzen zu beteiligen und außenpolitische Kontinuität im Rahmen der weltweiten Einsatzfähigkeit zu demonstrieren? Dass im Antrag der Bundesregierung das mögliche Operationsgebiet Mittelmeer, Nordatlantik und die angrenzenden Seegebiete umfasst, macht misstrauisch. Nicht zuletzt auf Grundlage des unklaren Mandats kann eine Beteiligung deutscher Kriegsschiffe bei einer Eskalation gegen Syrien nicht ausgeschlossen werden.
Es wird zuweilen argumentiert, es handle sich um keinen Auslandseinsatz der Bundeswehr, da er in internationalen Gewässern stattfinde. Insofern träfe auch die Forderung nach einer Beendigung von Auslandseinsätzen im Programm der LINKEN nicht zu. Dieses Argument ist wenig stichhaltig. Das Mittelmeer ist eben kein deutsches Gewässer.
Auch gilt das Argument nicht, das Programm beziehe sich lediglich auf vergangene Auslandseinsätze. Die LINKE will sich zivil einmischen, nicht militärisch. Hier haben wir eine große Verantwortung, unseren Teil zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen beizutragen, wie u.a. durch die bereits zugesagte Vernichtung der Chemiewaffen in Munster.
Es wird nicht zum ersten Mal versucht, den Widerstand gegen Militäreinsätze durch die Zustimmung zu angeblich völlig unproblematischen Mandaten zu brechen: 1993 entschied sich die SPD, die bis dahin Auslandseinsätze der Bundeswehr konsequent abgelehnt hatte, mit knapper Mehrheit für die Zustimmung zur Entsendung eines Feldlazaretts nach Kambodscha. Die friedensorientierten Kräfte in der SPD wiesen damals auf die Türöffnerfunktion dieses Einsatzes hin. Heute wissen wir, dass sie mehr als Recht behalten haben.
DIE LINKE muss weiter alle Militäreinsätze und Rüstungsexporte ablehnen. Gerade weil wir die Menschenrechte in der Außenpolitik einfordern, müssen wir alle Versuche, außenpolitische Fragen militärisch zu lösen, konsequent zurückweisen. Eine LINKE, die in der Militärfrage angreifbar und unglaubwürdig wird, wäre ein großer Verlust als glaubhafte Stimme der Friedensbewegung, vor allem aber für die Durchsetzung einer friedlichen Außen- und Sicherheitspolitik.
Annette Groth, menschenrechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, warnt vor der »Türöffnerfunktion«, die eine Zustimmung zu diesem Einsatz haben könnte.
* Aus: neues deutschland, Montag, 7. April 2014
Abrüstungspolitik, Verteidigungspolitik?
Die Linksfraktion steht plötzlich wieder vor den Grundfragen ihrer friedenspolitischen Entscheidungsspielräume
Von Uwe Kalbe **
Dafür oder dagegen? Die LINKE im Bundestag diskutiert ihr Abstimmungsverhalten zur Entsendung eines Begleitschutzes für C-Waffen-Vernichtung. Einen Ausweg böte die Enthaltung, aber nur formal.
Meinungsunterschiede in der Friedenspolitik führen bei der LINKEN immer zu besonderer Erregung. Wenn der Bundestag am Mittwoch über die Entsendung einer Fregatte der Bundesmarine ins Mittelmeer entscheidet, gibt es keine geschlossene Ablehnung der Fraktion, so viel steht schon fest. Mehrere Abgeordnete gaben zu erkennen, dass sie dem Einsatz der Bundeswehr in diesem Fall zuzustimmen bereit sind. Das Bild einer geschlossenen Fraktion steht zur Disposition. Dies ist bisher selten der Fall gewesen. Im Jahr 2010 enthielt sich rund ein Drittel der Abgeordneten der Stimme, als es um eine Mandatsverlängerung für Sudan ging. Die Sache hatte entsprechend aufgeregte Reaktionen in der Partei zur Folge. Am heutigen Montag wird die Fraktion in einer Sitzung Klarheit zu schaffen versuchen. In einem Brief an seine Genossen warb Fraktionschef Gregor Gysi deutlich für Enthaltung. »Ein Teil unserer Abgeordneten sieht den Vorgang in erster Linie abrüstungspolitisch und will deshalb mit Ja stimmen. Ein anderer Teil unserer Fraktion sieht den Vorgang in erster Linie verteidigungspolitisch und will deshalb mit Nein stimmen.« Mit einer Stimmenthaltung trüge man »beiden Gesichtspunkten Rechnung und kann dies auch erklären«.
Abrüstungspolitisch, verteidigungspolitisch? Es geht um die Vernichtung chemischer Waffen aus Syrien auf hoher See – in einem Spezialschiff der USA. Zum Begleitschutz wird auch eine deutsche Fregatte entsandt, bis zu 300 Soldaten sind vorgesehen. Die Mehrheitsverhältnisse sorgen dafür, dass der Beschluss den Bundestag ohne Probleme passieren wird. Auch die Grünen werden zustimmen.
Es gebe »sehr gute Argumente dafür« und »sehr gute Argumente dagegen«, räumte im Vorfeld der Abgeordnete Jan van Aken ein. Dafür spricht in erster Linie die Tatsache, dass es sich um eine Maßnahme zur Vernichtung von Massenvernichtungswaffen handelt, also einen, der im Sinne der Programmatik der LINKEN ist. Abrüstungspolitik! In einem Brief an die Fraktion hatte sich deshalb der inzwischen aus dem Bundestag ausgeschiedene ehemalige Verteidigungspolitiker Paul Schäfer für Zustimmung ausgesprochen. Abgeordnete, die sich trotzdem gegen eine solche Entscheidung aussprechen, führen vor allem ins Feld, dass hiermit ein Einfallstor für Auslandseinsätze mit linker Autorisierung geschaffen werde, das später nicht wieder zu schließen sein werde. Sie argumentieren nach Gysis Definition verteidigungspolitisch. Alexander Neu, Obmann der Fraktion im Verteidigungsausschuss, kündigte an, »der linke Flügel wird weitgehend geschlossen dagegen stimmen«.
Dessen Vertreter argwöhnen überdies, dass es den Befürwortern nicht zuletzt um eine Geste guten Willens in Richtung SPD und Grüne geht. Bei den Debatten um das Grundsatzprogramm hatte etwa Stefan Liebich Bedenken gegen die strikten Positionen gegen Auslandseinsätze auch unter Hinweis auf die negativen Wirkungen geltend gemacht, die diese für eine rot-rot-grüne Zusammenarbeit haben könnten. Liebich wirbt seit langem um die Prüfung des Einzelfalls statt genereller Vorfestlegung.
Einmütig ist die LINKE gegen Auslandsmissionen, wenn es um Einsätze nach Kapitel VII der UN-Charta geht, also um ein Mandat zum friedenserzwingenden Vorgehen, die klar mit »Kampfeinsatz« beschrieben werden können. Grundlage des geplanten Einsatzes ist Artikel 51 der UNO-Charta, er erlaubt Mittel zur Selbstverteidigung und Nothilfe. Ausgelöst wurde er vom Sicherheitsrat mit der Resolution 2118 (27. September 2013), in der die Mitgliedstaaten zur Unterstützung und Absicherung der Mission aufgerufen werden.
Doch das alles hilft der LINKEN nur bedingt weiter. Denn die Grenzen verwischen. Auch im vorliegenden Fall, bei dem dem niemand wirklich damit rechnet, dass es zu einer militärischen Auseinandersetzung kommen könnte. Falls doch, würde die LINKE allerdings nach Schritt eins – Zustimmung – gleich in Schritt zwei stolpern und müsste konsequenterweise das militärische Vorgehen der Bundeswehr unterstützen. Die verteidigungspolitische Sprecherin der LINKEN, Christine Buchholz, machte am Freitag im Bundestag geltend, dass es sich lediglich um eine symbolische Maßnahme handele. Doch Symbol wofür? Buchholz sieht die Antwort in jüngsten Äußerungen aus der Bundesregierung über eine größere militärische Verantwortung Deutschlands. Und plötzlich steht die LINKE vor den alten Debatten über die fließenden Grenzen zwischen Friedenserhaltung und Kriegseinsatz.
** Aus: neues deutschland, Montag, 7. April 2014
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