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Jede Gewalt verurteilen

Syrien wirft UN-Hochkommissarin Einseitigkeit vor. Chinas Vizeaußenminister kommt nach Damaskus. Berichte über Dschihadisten und Söldner unter Aufständischen

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Scharf hat das syrische Außenministerium auf die jüngste Stellungnahme von Navi Pillay reagiert. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte forderte in dieser Woche vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York »jedes Mitglied der internationalen Gemeinschaft« nachdrücklich auf, »jetzt« zu handeln, um die Bevölkerung Syriens zu schützen. Der Regierung in Damaskus warf sie erneut vor, »das eigene Volk nicht zu schützen«, sondern in Homs gezielt Menschen zu töten. Die UN-Generalversammlung wollte nach mehrtägiger Debatte am Donnerstag (nach jW-Redaktionsschluß) über eine von Saudi-Arabien und Katar vorgelegte Resolution abstimmen, die Berichten zufolge der kürzlich mit einem Veto Rußlands und Chinas im Sicherheitsrat gestoppten entspricht.

Das syrische Außenamt wirft Pillay vor, von Anfang an in dem inneren Konflikt voreingenommen gewesen zu sein. Sie habe sich »zum Werkzeug der Staaten machen lassen, die Syrien angreifen wollen«. Die UN-Hochkommissarin habe die Tatsache ignoriert, daß »bewaffnete Gruppen terroristische Verbrechen« in Syrien verübten, obwohl das Land den Vereinten Nationen alle vorhandenen Informationen darüber zur Verfügung gestellt habe. Wider besseres Wissen verbreite sie Opferzahlen, die ihr von »Gruppen zur Verfügung gestellt werden, die gegen Syrien eingestellt sind«. Aufgabe der Menschenrechtskommissarin sei es, objektiv zu sein, Terrorismus zu verurteilen und das Wort für Dialog und Reformen zu ergreifen. Bis dato habe Pillay die zwei Terroranschläge in Aleppo vom 10. Februar ebensowenig verurteilt wie Anschläge auf Zivilisten, Sicherheitskräfte und auf die zivile Infrastruktur.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow begrüßte derweil die Ankündigung von Präsident Baschar Al-Assad, am 26. Februar ein landesweites Referendum über eine neue Verfassung durchzuführen. Der vorgelegte Entwurf sei »ein Schritt nach vorn«. Es sei wichtig, politische Pluralität in Syrien einzuführen und bald Parlamentswahlen abzuhalten. Gefragt, ob Rußland in der UN-Vollversammlung dem vorgelegten Resolutionsentwurf zustimme, sagte Lawrow: »Wenn die Resolution einseitig ist und die Opfer ignoriert, die von bewaffneten Gruppen zu verantworten sind, werden wir sie auf keinen Fall unterstützen.«

Am Wochenende wird der stellvertretende Außenminister Chinas, Zhai Jun, in Damaskus erwartet. China wolle mit der syrischen Regierung nach einer »angemessenen und friedlichen Lösung der Krise« suchen, sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Peking. Vertreter innersyrischer Oppositionsgruppen waren kürzlich in der Volksrepublik, um Möglichkeiten eines Dialogs mit den Chinesen zu diskutieren. Auf der Internetseite des Außenministeriums hieß es, China lehne jede bewaffnete Intervention in Syrien und einen sogenannten Regimewechsel ab. Gleichzeitig müsse die syrische Regierung die »legitimen Wünsche der Bevölkerung nach Reformen« respektieren. Gewalt gegen Zivilisten sei nicht hinnehmbar.

Die syrische Regierung betont weiterhin, daß staatliche Sicherheitskräfte nicht gegen friedliche Demonstranten, sondern ausschließlich gegen bewaffnete Kräfte eingesetzt werden. Nahed Al-Hussaini von der Lobbyorganisation Arabisch-Amerikanischer Kongreß erklärte gegenüber junge Welt in Damaskus, Dschihadisten und bewaffnete Söldner vieler Nationalitäten kämpften inzwischen in Syrien. Erstere kämen »aus Jordanien, Libyen und Irak, Söldner unter anderem aus Afghanistan, Tschetschenien und Pakistan. Bezahlt werden sie von Katar und Saudi-Arabien, logistisch werden sie von der Türkei versorgt.« Meldungen der vergangenen Tage aus unterschiedlichen Quellen bestätigen das. So warnte der irakische Geheimdienst davor, daß »Al-Qaida im Irak« Kämpfer und Waffen nach Syrien geschickt habe. Die jordanische Muslimbruderschaft rief auf, die »bedrängten Brüder in Syrien in ihrem Kampf zu unterstützen«. Libyen gab kürzlich die Namen von drei in Syrien getöteten libyschen Kämpfern bekannt. Jordanische Sicherheitskräfte verhafteten am Mittwoch sieben Männer arabischer Herkunft, die versucht hatten, von Al-Ramtha über die nahe gelegene Grenze nach Syrien zu gelangen. Sie waren mit automatischen Waffen (AK 47) ausgerüstet. Unmittelbar jenseits des Grenzübergangs liegt die Stadt Daraa.

* Aus: junge Welt, 17. Februar 2012

Dokumentiert: Eckpunkte der LINKEN zur Syrien-Politik

AK Internationale Politik der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag **

Demokratischer Wandel:

Die syrische Revolution begann im März 2011 als Teil des arabischen Frühlings. DIE LINKE begrüßt es, wenn in den arabischen Ländern Diktatoren durch Bewegungen von innen gestürzt werden. Die LINKE ist solidarisch mit den Kräften des demokratischen Wandels in Syrien.

Das Morden und Töten muss ein Ende nehmen. Die Bürgerinnen und Bürger Syriens müssen die Chance bekommen, in einem gewaltfreien Umfeld über die politische und soziale Entwicklung des Landes selbst zu bestimmen. Das schließt die Möglichkeit ein, über die Wege des Wandels, also Wege zur Überwindung des derzeitigen Repressionsapparates, friedlich bestimmen zu können. Dabei unterstützt DIE LINKE das Selbstbestimmungsrecht von ethnischen und religiösen Minderheiten innerhalb der territorialen Integrität Syriens. DIE LINKE arbeitet mit linken syrischen Oppositionsgruppen, mit Demokratinnen und Demokraten in Syrien zusammen.

Schluss mit der Gewalt

Die Regierung des Präsidenten Assad muss das Blutvergießen und insbesondere die Gewalt gegen Zivilisten unverzüglich beenden. Ein Ende der Gewalt – diese Forderung richtet sich zuerst an die Regierung Syriens. Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und für ihre Interessen zu demonstrieren. Das Militär muss in die Kasernen zurück. Folter und Misshandlungen müssen beendet und politische Gefangene freigelassen werden.

Die syrischen Aufständischen müssen ihre militärische Aktionen und Angriffe auf Zivilisten, welche die Beobachtermission der Arabischen Liga vom 24.12.2011 bis zum 18.01.2012 in ihrem Abschlussbericht festgestellt hat, einstellen und gewaltfrei für den Wandel kämpfen. Syrien darf nicht weiter in den Bürgerkrieg abgleiten. Darum müssen sämtliche Waffenlieferungen sowohl an die syrische Regierung als auch an die Opposition sofort und vollständig eingestellt werden.

Für Verhandlungen

Um weitere Gewalt zu verhindern, muss verhandelt werden, müssen Gespräche stattfinden. Präsident Assad genießt angesichts seines Agierens gegen die eigene Bevölkerung in den vergangenen Monaten und vor dem Hintergrund der tief enttäuschten Erwartungen auf Reformen nach seinem Amtsantritt bei der LINKEN keine Sympathie. DIE LINKE versteht angesichts der massiven Staatsgewalt einschließlich Panzereinsatz gegen Zivilisten und Artilleriebeschuss auf Wohnviertel, dass es für viele Menschen in Syrien nicht einfach ist, mit Vertretern des Regimes Assad zu verhandeln, aber durch Verhandlungen – auch über Dritte - könnten weitere Tote vermieden werden. Das ist es, was DIE LINKE will.

Vereinte Nationen

Der Weltsicherheitsrat muss sich angesichts der Eskalation von Gewalt und der regionalen Auswirkungen mit der Lage in Syrien befassen. Heute bereits hat der Konflikt destabilisierende Wirkungen auf die Nachbarländer, insbesondere den Libanon. Der Weltsicherheitsrat ist bislang nicht zu einvernehmlichen Vorschlägen zur Konfliktlösung gekommen und einer dem entsprechenden Resolution gekommen. Diese Bemühungen müssen fortgesetzt werden.

Der Charakter der von der Arabischen Liga vorgeschlagenen Blauhelmmission ist unklar. Ein Einsatz nach Kapitel VI der Charta der Vereinten Nationen ist nicht ausdrücklich formuliert. Zudem setzt ein Einsatz nach Kapitel VI der Charta die Zustimmung aller relevanten Konfliktparteien voraus. Eine solche Zustimmung liegt nicht vor. DIE LINKE lehnt diesen Vorschlag, der konfliktverschärfend sein kann, ab. Angesichts der Lage in Syrien ist die Herbeiführung und Absicherung eines Waffenstillstandes vordringlich. Ein Waffenstillstand kann international vermittelt und überwacht werden. Vereinbart werden kann ein Waffenstillstand hingegen nur zwischen den Konfliktparteien und dies setzt die Bereitschaft zu Verhandlungen voraus.

Aus Sicht der LINKEN müssten in einer Resolution des Weltsicherheitsrates Regelungen getroffen werden, die eine Entwaffnung aller Zivilpersonen und den Rückzug der Armee in die Kasernen möglich machen und die jegliche Waffenlieferungen nach Syrien unterbinden. Das fordert DIE LINKE von Russland und fordert es auch von der Türkei, den USA, Katar und allen anderen, die offensichtlich syrische Aufständische mit Waffen versorgen. Es müssen Rückkehrmöglichkeiten für Flüchtlinge geschaffen und die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten und ärztliche Versorgung gesichert werden.

Allen Bürgerinnen und Bürgern Syriens müssen elementare Grundrechte wie das Recht auf Leben, auf Unversehrtheit, auf Koalitions- und Demonstrationsfreiheit und auf freie Ausübung der Religion garantiert werden. Ein Gewaltverzicht aller Seiten ist notwendig. Statt weiterer bewaffneter Auseinandersetzungen ist ein Prozess von Wahlen und demokratischen Umgestaltung vorzuschlagen.

Nach den Erfahrungen der Weltgemeinschaft mit den Resolutionen des Weltsicherheitsrates zum Libyen-Konflikt muss jegliche UN-Resolution klar und eindeutig gewaltsame äußere Einmischung sowie die Androhung von Gewalt ausschließen. Dieser Grundsatz darf nicht im Verlauf des weiteren Verfahrens mit VN-Entscheidungen konterkariert werden. Alle Staaten müssen aufgefordert werden, keinerlei Waffen und andere Rüstungsgüter nach Syrien und in die Region zu liefern. Die Waffenlieferungen an Syrien einzufrieren, hat die LINKE auch von Russland gefordert. Deutschland sollte durch ein Verbot von Rüstungsexporten in den Nahen Osten vorangehen. Sanktionen sind auf ein Waffenembargo und auf das Einfrieren von Geldern der syrischen Führungsclique zu beschränken, um nicht die Bevölkerung zu treffen. Sanktionen sind sinnvoll, wenn sie gezielt und ausschließlich die Fähigkeit zur Gewaltausübung beschneiden.

Die deutsche Haltung zu Syrien

In der Vergangenheit war die deutsche Haltung zu Syrien – unter allen Regierungen – sehr zwiespältig. Deutschland ist die US-Politik der Isolierung Syriens nie vollständig mitgegangen, hat aber in der Abschiebungspolitik und durch das Hinnehmen von Inhaftierungen und Folterungen gerade in sehr schwierigen Bereichen „Zusammenarbeit“ entwickelt. Auch in jüngster Zeit wurden Kettenabschiebungen über Ungarn, darunter auch Deserteure der syrischen Armee, durchgeführt. Die Forderungen einer weiteren Isolierung Syriens durch den Abzug von diplomatischem Personal, Schließung von Botschaften sind kontraproduktiv.

Berlin, 14. Februar 2012

beschlossen auf der Klausur des Arbeitskreises Internationale Politik mit 8 Ja-Stimmen, ohne Gegenstimme und mit einer Enthaltung.



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