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Assads Schuld ist längst "kristallklar"

Vor dem Hintergrund der Giftgasvorwürfe wird eine Kriegskoalition gegen Syrien geschmiedet *

Der Westen will die militärische Intervention in Syrien. Das zeichnet sich immer klarer ab. Das Warten auf Untersuchungsergebnisse und auf ein UN-Mandat wird zum lästigen Ballast.

Bei einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates prüfte US-Präsident Barack Obama am Wochenende Möglichkeiten für ein Eingreifen in Syrien, anschließend stimmte er sich telefonisch mit den Verbündeten in London und Paris ab. Nach anfänglichem Zögern stellen die USA angesichts der neuen Giftgasvorwürfe gegen Damaskus offenbar die Weichen für einen Militäreinsatz. Aus US-Regierungskreisen verlautete, Washington habe »sehr geringe Zweifel«, dass die Regierung von Syriens Staatschef Baschar al-Assad Chemiewaffen gegen Zivilisten eingesetzt habe. Die Untersuchung der Vorwürfe durch UN-Inspektoren, zu der sich Damaskus bereit erklärt hat, wollen die USA nicht mehr abwarten. Das Angebot komme »zu spät«, die Beweise seien von Assads Truppen womöglich bereits vernichtet worden.

Nach Angaben des französischen Außenministeriums werden die westlichen Staaten »in den kommenden Tagen« über ihre Reaktion auf den behaupteten Giftgas-Einsatz entscheiden. Ein UN-Mandat ist nach Ansicht der britischen Regierung dafür nicht nötig: Es sei möglich, aus »humanitären« Gründen auch »ohne die vollständige Einigkeit des UN-Sicherheitsrats auf einen Chemiewaffeneinsatz zu reagieren«, sagte Außenminister William Hague. Die türkische Regierung erklärte ebenfalls, sie werde sich einer internationalen Koalition gegen die syrische Führung anschließen, falls kein UN-Mandat zustande kommen sollte.

Israel dringt auf ein sofortiges Eingreifen der Staaten in Syrien, um den Einsatz von Massenvernichtungswaffen zu unterbinden. »Die Welt darf nicht zulassen, dass dies weiter passiert«, sagte der israelische Minister für internationale Beziehungen, Juval Steinitz, am Montag vor der Auslandspresse in Jerusalem zu den Vorwürfen gegen die syrische Regierung.

Es sei »kristallklar«, dass das Lager des syrischen Präsidenten Assad »und nicht die Opposition die nicht-konventionellen Waffen eingesetzt« habe, »und dies nicht zum ersten Mal«, sagte der Minister, der auch für die israelischen Geheimdienste zuständig ist. Das Warten auf den »letzten endgültigen Beweis« sei oft nur ein Vorwand zum Nichthandeln.

Unterdessen ist der UN-Gesandte Jeffrey Feltman am Montag in Teheran eingetroffen, um mit der iranischen Seite über die behaupteten Giftgasangriffe in Syrien zu sprechen. Wie das iranische Staatsfernsehen meldete, traf sich der ehemalige US-Vizeaußenminister kurz nach seiner Ankunft mit dem iranischen Außenminister Mohammed Dschawad Sarif. Bei den Gesprächen sollte es auch um die UN-Inspektionen, eine mögliche westliche Militärintervention und die Teilnahme Irans an der nächsten Syrien-Konferenz gehen. Die Syrien-Krise belastet die langfristigen Ziele des neuen iranischen Präsidenten Hassan Ruhani. Einerseits will der moderate Kleriker für Entspannung mit dem Westen sorgen und damit die Isolierung des Landes beenden. Andererseits zählt Syrien zu Teherans engstem Verbündeten im Kampf gegen Erzfeind Israel.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 27. August 2013


Krisenlöserin Angela Kane

Die hohe UN-Diplomatin hat erfolgreich in Syrien verhandelt **

Am Montag haben die Chemiewaffeninspekteure der Vereinten Nationen mit ihren Untersuchungen nahe der syrischen Hauptstadt Damaskus begonnen. Diese Inspektion müsse höchste Priorität genießen, betonte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Dass sie am Ende überhaupt noch möglich wurde, ist nicht zuletzt das Verdienst einer seiner engsten, aber selbst in ihrer Heimat kaum bekannten Mitarbeiterin: Die deutsche UN-Diplomatin Angela Kane hatte am Sonntag den Einsatz mit dem syrischen Außenminister Walid al-Muallim vereinbart.

Die 64-Jährige ist Bans Frau für die besonders schwierigen Fälle. In Hameln geboren, studierte sie in München, Philadelphia und Washington, wo sie nach der Heirat mit einem US-Amerikaner auch zu ihrem heutigen Namen kam. Nach einem Ausflug zur Weltbank ging Angela Kane mit knapp 30 schließlich ins UN-Hauptquartier am New Yorker East River, wo sich die nüchtern-sachliche Niedersächsin in den vergangenen Jahrzehnten als Krisenlöserin ohne Starallüren einen Namen machte und zu einer der wichtigsten Diplomaten der Vereinten Nationen aufstieg. Sie war in Kongo im Einsatz, arbeitete als stellvertretende Sondergesandte des UN-Generalsekretärs für die UN-Missionen in Äthiopien und Eritrea, sammelte Erfahrungen in Indonesien, Thailand, El Salvador und Nicaragua und wirkte als Beigeordnete Generalsekretärin für politische Angelegenheiten im Department for Political Affairs, wenn man so will das UN-Außenamt, maßgeblich an der Konfliktvermeidung und -lösung in vielen Weltregionen mit.

Das dürfte ihr auch geholfen haben, als sie vor fünf Jahren zur obersten Managerin der Vereinten Nationen mit Verantwortung für Haushalt, Personalwesen, Beschaffung und die Renovierung des UN-Hauptquartiers in New York berufen wurde. Inzwischen ist Kane Hohe Vertreterin des Generalsekretärs für Abrüstung. Eigentlich für die Themen Atomwaffensperrvertrag und Rüstungsbegrenzungsabkommen zuständig, kümmert sie sich seit Monaten vor allem um den blutigen Konflikt in Syrien, wo sie zuletzt immer wieder Gespräche hinter den Kulissen geführt hat. Olaf Standke

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 27. August 2013


Russland warnt USA vor Eingreifen

Keine vorschnelle Schuldzuweisung

Von Irina Wolkowa, Moskau ***


»Tief besorgt« nahm Moskau Erklärungen Washingtons zur Kenntnis, wonach die US-Streitkräfte bereit seien, in den Syrienkonflikt einzugreifen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow rief am Montag seinen USA-Kollegen John Kerry an.

Lawrow appellierte laut offizieller Mitteilung an die USA, sich nicht provozieren zu lassen, auf militärischen Druck zu verzichten und zur Schaffung von Bedingungen beizutragen, die der UN-Mission für Chemiewaffen eine objektive Untersuchung der Giftgas-Vorwürfe ermöglichen.

In einem Interview für die russische Tageszeitung »Iswestija« bezeichnete Syriens Präsident Baschar al-Assad die Vorwürfe des Westens als »politisch motiviert«. Moskau sieht das ähnlich und hatte schon bei Giftgasanschlägen im März vor vorschnellen Schuldzuweisungen gewarnt, russische Experten hatten damals selbst Proben gezogen. Demzufolge waren Kampfgas und Raketen in beiden Fällen nicht industriell hergestellt und aus Gebieten abgefeuert worden, die zur Tatzeit von den Rebellen kontrolliert wurden.

Russische Medien und Politiker aller Fraktionen ziehen bereits Vergleiche zum Irakkrieg 2003. Damals hatten die USA und Großbritannien behauptet, Saddam Hussein verfüge über Kernwaffen. Die »Beweise« dafür stellten sich jedoch als frei erfunden heraus.

Barack Obama steuere wie sein Vorgänger George W. Bush unaufhaltsam auf einen Krieg zu, äußerte der Chef des Außenpolitischen Duma-Ausschusses, Alexej Puschkow. Ein solcher Krieg werde, weil ohne UN-Mandat, das Russland mit seinem Veto im Sicherheitsrat verhindert, illegitim sein und die Region endgültig destabilisieren.

Davor hatte auch Lawrow im Telefonat mit Kerry gewarnt. Jene, die immer aktiver zu einer militärischen Intervention in Syrien unter Umgehung der UNO aufrufen, würden damit auch die russisch-amerikanischen Bemühungen zur Einberufung einer internationalen Syrien-Konferenz und eine friedliche Lösung durchkreuzen.

Die Reaktion auf Krisen dürfe nicht auf Vermutungen beruhen, sondern müsse sich auf das Völkerrecht und nachgewiesene Fakten stützen, warnte Außenamtssprecher Alexander Lukaschewitsch bereits am Sonntag. Wer den UN-Chemiewaffenexperten vorgefertigte Ergebnisse aufzwingen wolle, um Gewalt gegen Syrien zu legitimieren, begehe einen tragischen Fehler.

*** Aus: neues deutschland, Dienstag, 27. August 2013


Krieg beschlossen

Angriffe gegen Syrien vielleicht noch in dieser Woche. Vor allem Frankreich und Großbritannien drücken aufs Tempo

Von Knut Mellenthin ****


Die NATO-Staaten stehen nach eigenen Aussagen kurz vor Kriegshandlungen gegen Syrien. Über Militärschläge könnte schon »in den kommenden Tagen«, entschieden werden, sagte Frankreichs Außenminister Laurent Fabius am Montag. Auch der britische Premier David Cameron drängt auf einen frühen Angriffsbeginn, da »keine Zeit mehr zu verlieren« sei. Vor allem die Regierungen Großbritanniens und Frankreichs scheinen entschlossen, das Ergebnis der UN-Untersuchung gar nicht erst abzuwarten. Deren Inspekteure machten sich am Montag auf den Weg in das Kampfgebiet bei Damaskus – und wurden zunächst selbst einmal beschossen. Am Mittwoch vergangener Woche waren bei einem mutmaßlichen Giftgaseinsatz in der Region ersten Berichten zufolge mehrere hundert Menschen getötet worden.

Auch die Bundesregierung folgt inzwischen, wenn auch ohne großen Enthusiasmus, dem Kriegskurs ihrer Verbündeten. Angela Merkel (CDU) überließ es ihrem britischen Kollegen, für sie zu sprechen, statt sich selbst zu äußern. Die Kanzlerin habe mit Cameron telefoniert, teilte das Büro des Premiers der Presse mit. Beide Politiker hätten »wenig Zweifel« an der Verantwortung der syrischen Regierung für den Chemiewaffenangriff und seien sich einig, daß jetzt »eine entschlossene Reaktion der internationalen Gemeinschaft« folgen müsse. Regierungssprecher Steffen Seibert assistierte am Montag: »Es handelt sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit um einen Giftgasangriff. Er darf nicht folgenlos bleiben.« Ähnlich äußerte sich Außenminister Guido Westerwelle (FDP): »Wenn sich ein solcher Einsatz bestätigen sollte, muß die Weltgemeinschaft handeln. Dann wird Deutschland zu denen gehören, die Konsequenzen für richtig halten.«

Was das jedoch im Kriegsfall genau bedeuten würde, hat bisher noch kein deutscher Regierungspolitiker angedeutet. Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) spricht vermutlich nur für sich selbst, wenn er zu wissen glaubt: »Klar ist, die Bundeswehr wird sich in dieser Region nicht an Kampfhandlungen beteiligen.« Über eine entsprechende Entscheidung der Kanzlerin ist zumindest nichts bekannt. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück spielt knapp einen Monat vor der Bundestagswahl den Kriegsgegner, ohne sich allerdings endgültig und eindeutig festzulegen. »Ich rate zur äußersten Zurückhaltung, in eine militärische Logik zu verfallen«, sagte der Oppositionspolitiker am Montag. Der »richtige Weg« sei, »massiv den internationalen Druck auf Syrien zu erhöhen«.

Auffällig ist, mit welcher aggressiven Entschiedenheit vor allem die Regierungen Frankreichs, Großbritanniens, der USA, Israels und der Türkei noch vor Beginn der UN-Untersuchung behaupten, »das Regime« stehe bereits als Schuldiger für den Giftgaseinsatz fest. Vorbei scheinen die Zeiten, als westliche Politiker mit viel Aufwand gefälschte Beweise produzieren ließen, die sie dann der Öffentlichkeit treuherzig vortrugen, wie zuletzt vor dem Beginn des Überfalls auf den Irak im Frühjahr 2003. Jetzt bestimmen Sprachbausteine wie »glasklar«, »zweifellos«, »offensichtlich« und »alles spricht dafür« die Rechtfertigung des geplanten Angriffskrieges. Die Logik liegt auf der Hand: Wer gar nicht erst vorgibt, tatsächlich etwas beweisen zu können, kann nachträglich nicht beim Fälschen und Lügen erwischt werden.

Die Kriegspolitiker nehmen bewußt einen Konflikt mit Rußland in Kauf. Militäraktionen gegen Syrien würden »extrem gefährliche Folgen« haben, warnte Außenminister Sergej Lawrow am Montag. Das könne schwerwiegende Konsequenzen für die ganze ­Region des Nahen Ostens und Nordafrikas haben.

**** Aus: junge Welt, Dienstag, 27. August 2013


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