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Die Krim soll ab sofort Teil Russlands sein

Wladimir Putin und Vertreter der Halbinsel unterzeichneten in Moskau Beitrittsvertrag

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Im Moskauer Kreml wurde am Dienstag der Vertrag über den Beitritt der Krim und der Stadt Sewastopol zur Russischen Föderation unterzeichnet, den die Ukraine »nie« hinnehmen will.

Erstmals in der Geschichte trat Russlands Staatsoberhaupt mit einer Sonderbotschaft vor Parlamentsabgeordneten, Provinzoberen und geladenen Vertretern der Zivilgesellschaft auf. Und die waren nicht mehr zu halten, als Präsident Wladimir Putin zum Abschluss seiner einstündigen Rede erklärte, er habe den Entwurf des Gesetzes, das den Beitritt der Krim und der Stadt Sewastopol zur Russischen Föderation regelt, bereits in beide Kammern des Parlaments eingebracht und bitte die Volksvertreter um rasche Ratifizierung. Spontan sprang die Versammlung auf und spendete minutenlangen, stürmischen Applaus. Bei der anschließenden Unterzeichnung des Beitrittsabkommens hatten viele feuchte Augen.

Putin hatte bereits in der Nacht zu Dienstag ein Dekret über die Anerkennung der Republik Krim unterzeichnet, die sich tags zuvor für unabhängig erklärt hatte. Territorien werden nur durch internationale Anerkennung zu Subjekten des Völkerrechts und nur mit solchen könne Russland Beitrittsverträge abschließen, hieß es dazu erläuternd. Die Unabhängigkeitserklärung der Krim sei durch das Referendum am Sonntag als demokratische Willensäußerung gedeckt.

Darauf berief sich auch Putin. »Nur das Volk ist der Quell aller Macht«, sagte er. Zuvor zählte er historische Ereignisse auf, die aus russischer Sicht die Wiedervereinigung mit der Krim rechtfertigen. Kritik übte er am »totalitären Staat«, der die Halbinsel, ohne das Volk zu befragen, 1954 der Ukraine zuschlug. Zwar habe Russland die Krim in Grenzverhandlungen »faktisch und juristisch als ukrainisch anerkannt«, dies jedoch im Vertrauen auf gute Nachbarschaft und darauf, dass die russischsprachige Bevölkerung gleichberechtigt in einem demokratischen Staat leben werde. Stattdessen gebe es Versuche zu ihrer Zwangsassimilierung. Nach wie vor strebe Russland nach freundschaftlichen Beziehungen zu Kiew, doch mit »Nationalisten, Neonazis, Russlandfeinden und Antisemiten«, die zur derzeitigen illegitimen Regierung gehörten, könne man nicht verhandeln.

Schuld an der Krise trage auch der Westen. Die Politik der Eindämmung Russlands überschreite eine »rote Linie«, wenn die NATO Stützpunkte am russischen Gartenzaun errichten wolle. Die Welt sei durch das Ende der Blockkonfrontation nicht sicherer geworden. Kosovo, Afghanistan, Irak, Libyen seien dafür Beweise. Auf der Krim aber sei kein Blut geflossen. Abends wurde unter Berufung auf das Verteidigungsministerium in Kiew der Tod eines ukrainischen Soldaten gemeldet.

Putin bat vor allem Deutschland um Verständnis für das Streben der Russen nach Wiedervereinigung mit der Krim. In ähnlicher Weise habe man 1989 Verständnis für die deutsche Einigung gezeigt. Aus dem Kiewer Außenministerium verlautete indes, die Ukraine werde die Angliederung der Krim an Russland »nie« hinnehmen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 19. März 2014

Putins Rede

"Russland ist ein selbständiger, aktiver Faktor der internationalen Gemeinschaft"
Rede von Präsident Wladimir Putin zum Beitritt der Krim vor beiden Häusern des russischen Parlaments (im Wortlaut) (20. März 2014)




Moskau braucht gar nicht zu locken

Der Nationalismus in den neuen Staaten treibt deren russischsprachige Minderheiten in die Arme Russlands

Von Ulrich Heyden, Charkow **


In den russischsprachigen Gebieten der ehemaligen Sowjetrepubliken reagieren die Menschen auf Nationalismus empfindlich. Das zu begreifen, kann einen Krieg in der Ukraine verhindern.

Die neuen Machthaber in Kiew senden Signale, die jeden Russen und Russischsprachigen skeptisch stimmen, wenn nicht in Alarmstimmung versetzen müssen. Das erste Thema, dem sich das ukrainische Parlament nach dem Umsturz in Kiew widmete, waren nicht die sozialen Probleme in der Ukraine. Vielmehr vertiefte die neue Mehrheit in der Werchowna Rada die Gräben zwischen den Nationalitäten. Das geschah, indem eine Vorlage angenommen wurde, wonach das 2012 unter Präsident Viktor Janukowitsch verabschiedete Sprachengesetz außer Kraft zu setzen sei. Es hatte bestimmt, dass die Sprachen aller Nationalitäten, die in einer Region über zehn Prozent der Bevölkerung stellen, neben dem Ukrainischen als zusätzliche Amtssprachen anerkannt werden.

Kaum hatte die Rada die Vorlage gebilligt, brach auf der Krim, in Odessa, Donezk und Charkow ein Proteststurm los. Der ließ auch nicht nach, als Übergangspräsident Alexander Turtschinow den Parlamentsbeschluss auf Eis legte.

Ob die Bewohner der Krim, der Ostukraine, der Moldauischen Dnjestr-Republik, Abchasiens oder Südossetiens – sie alle suchen seit Jahren die Nähe Russlands. Dieses Streben ist nicht nur in der Hoffnung auf eine bessere wirtschaftliche Entwicklung begründet, es hat seine Ursachen auch darin, dass sich die Bevölkerung dieser Regionen vor dem Nationalismus der jeweiligen Mehrheit in ihren Staaten ängstigt.

Russland nutzt diese Situation, um Einfluss zurückzugewinnen. Doch ohne den Nationalismus in den betreffenden Staaten wären diese Möglichkeiten Moskaus sehr gering.

In der von der Republik Moldau in einem Bürgerkrieg abgespaltenen Dnjestr-Republik – wo Russen und Ukrainer über die Hälfte der Bevölkerung stellen – fürchtete diese Mehrheit die von Moldau-Nationalisten betriebene Rumänisierung und den Anschluss des Staates an Rumänien.

In Abchasien und Südossetien, die sich in Bürgerkriegen 1992 von Georgien trennten, fürchteten Abchasen und Osseten, dass georgische Nationalisten ihnen die Autonomierechte nehmen.

Auf der Krim und in der Ostukraine sieht das ähnlich aus. Solange die ukrainischen Nationalisten nur in der Westukraine das Sagen hatten, hielt man es mit ihnen in einem Staat gerade noch aus. Doch jetzt, da die rechtsradikale Swoboda-Partei in Kiew den Generalstaatsanwalt, einen Vizepremier, die Landwirtschafts- und den Umweltminister stellt und der Leiter des Sicherheitsrates Mitglied des Swoboda-Vorläufers Sozialnationale Partei der Ukraine war, läuten bei den russischsprachigen Bewohnern der Süd- und Ostukraine die Alarmglocken. Sie sehen ihre russische Kultur und ihre Sprache bedroht, denn die Partei Swoboda hat die Ukrainisierung – also die Entrussifizierung – des Landes auf ihre Fahnen geschrieben.

Nur wer die Befindlichkeiten der russischsprachigen Bevölkerung in den nach dem Zerfall der Sowjetunion entstandenen neuen Staaten ernst nimmt, wer sie besucht und mit ihnen redet und sie nicht als »von Moskau gesteuert« diskriminiert, kann von sich behaupten, er habe alles getan, um einen Krieg in der Ukraine zu verhindern. Es wird Zeit, dass Mitglieder der deutschen Bundesregierung nicht nur den Maidan in Kiew besuchen, sondern auch mit den Menschen in Charkow und Donezk sprechen, wo jetzt neue Gewalt droht.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 19. März 2014


Westen bloßgestellt

Krim und Sewastopol offiziell in Rußland aufgenommen. Hilflose Empörung in Kiew, Washington und Berlin. Transnistrien will jetzt auch russisch werden

Von Reinhard Lauterbach ***


Rußland hat die Republik Krim und die Stadt Sewastopol als neue »Subjekte« der Föderation aufgenommen. Ein entsprechendes Abkommen wurde am Dienstag in Moskau im Anschluß an eine Grundsatzrede Wladimir Putins vor beiden Kammern des Parlaments unterzeichnet. In den beiden neuen Bestandteilen Rußlands sollen drei Amtssprachen gelten: Russisch, Ukrainisch und Krimtatarisch. Die mehreren hundert Abgeordneten, Politiker, Militärs und religiösen Würdenträger im Saal quittierten die Unterzeichnung mit stehendem Beifall.

Putin hatte die Entscheidung zur Aufnahme mit den historischen Bindungen der Krim an Rußland und einer aktuellen Bedrohung von Leben und Gesundheit der russischsprachigen Bevölkerung durch die in Kiew an die Macht gelangten Putschisten begründet. Wörtlich sagte er: »Die Krim war immer russisch, ukrainisch und krimtatarisch – aber sie wird niemals den Bandera-Leuten gehören.« Die in Kiew mitregierende »Swoboda«-Partei beruft sich auf den Nazikollaborateur Stepan Bandera.

Die russische Entscheidung löste in Kiew und im Westen keine Überraschung, aber die erwartbare Empörung aus. Die ukrainischen Machthaber erklärten, sie würden weder die Unabhängigkeitserklärung der Krim noch das Moskauer Beitrittsabkommen anerkennen. Das Kiewer Außenministerium bat die »internationale Gemeinschaft« um Unterstützung gegen die »russische Aggression«. Die Armeeführung verkündete eine neuerliche Teilmobilisierung ihrer Streitkräfte. Die regierungstreue ukrainische Presse zog alle Register. Ihre Kommentatoren verglichen Putin mit Hitler und beschworen den Beginn eines neuen Kalten Krieges zwischen der »zivilisierten Welt« und dem »neuen IV. Reich«.

US-Präsident Barack Obama lud die Regierungschefs der wieder auf das Format G7 geschrumpften wichtigsten Bündnispartner zu einem Sondertreffen nach London ein. Rußland sei allerdings weiter Teil der G-8-Gruppe, betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstag in Berlin. Man habe lediglich die Vorbereitungen für das diesjährige G-8-Treffen in Sotschi suspendiert. »Darüber hinaus sind keine Entscheidungen gefallen«, sagte sie. Der auf Besuch in Warschau weilende US-Vizepräsident Joseph Biden beschwor seinerseits die Beistandsverpflichtung aus Artikel fünf des NATO-Vertrages. Wegen dieser hätten die USA Kampfflugzeuge nach Polen verlegt. Allerdings bezieht sich der genannte Artikel auf einen bewaffneten Angriff auf einen Bündnispartner und verpflichtet alle NATO-Staaten zu gemeinsamer Hilfeleistung.

Nach der Krim hat sich am Dienstag das zwischen der Ukraine und Moldawien gelegene Transnistrien als nächster Beitrittskandidat für Rußland gemeldet. Wie die russische Zeitung Wedomosti berichtete, hat der Vorsitzende des Parlaments der Region seinen Kollegen in Moskau gebeten, juristische Voraussetzungen für eine Aufnahme zu schaffen. Von russischer Seite wird allerdings eingewandt, daß die Situation in Transnistrien nicht mit der auf der Krim vergleichbar sei. Die moldawische Regierung in Chisinau sei anders als die aktuelle in Kiew aus ordentlichen Wahlen hervorgegangen. Transnistrien ist der links des Dnister gelegene Teil der ehemaligen Moldawischen Sow­jetrepublik und hatte sich 1992 vom unabhängig gewordenen Moldawien abgespalten. Völkerrechtlich anerkannt wurde Transnistrien jedoch von keinem Land der Welt.

*** Aus: junge Welt, Mittwoch, 19. März 2014


Putins rote Linie

Rußland-Beitritt der Krim

Von Reinhard Lauterbach ****


An genau einem Punkt seiner Ansprache im Georgssaal des Kreml wurde Wladimir Putin emotional. »Rußland stand an einer Grenze, hinter die es nicht mehr zurückkonnte. Wenn man eine Feder bis zum Anschlag zusammendrückt, wird sie irgendwann mit derselben Gewalt auseinanderschnappen.« Der erste Satz knüpft an die Rhetorik Stalins im Großen Vaterländischen Krieg an: »Hinter euch ist Moskau« und »keinen Schritt zurück«. Der zweite sagt in der Metapher der Feder – die im entspannten Zustand zu nichts taugt – aus, daß die Ausdehnung des russischen Staatsgebiet um 26000 Quadratkilometer Krim mit zwei Millionen Menschen nicht das war, was Rußland eigentlich wollte. Aber, wie er sagte: Lieber haben wir die NATO-Marinen in Sewastopol zu Besuch, als daß wir sie in Sewastopol besuchen. Es ging um Stabilität im eigenen Vorfeld.

Im internationalen Teil war Putins Rede eine geradlinige und erweiterte Fortsetzung seines Auftritts auf der Münchener »Sicherheitskonferenz« 2007. Damals hatte er noch im Ton der Mahnung, zur Vernunft zurückzukehren, dem Westen vorgeworfen, eine Politik der Doppelzüngigkeit zu verfolgen. Diesmal ging er einen Schritt weiter und sprach von »erstaunlich primitivem und direktem Zynismus« der westlichen Politik. Rußlands »westliche Partner« ließen sich nicht vom internationalen Recht leiten, sondern vom Recht des Stärkeren. Putins illustrierende Ausführungen über den Völkerrechtsnihilismus von USA und NATO in den Konflikten der letzten 15 Jahre – von Jugoslawien über Afghanistan und den Irak bis zu Libyen – waren ein eindrucksvolles Sündenregister westlicher Interventionspolitik. Sie haben freilich eine schwache Seite. Wer so stark die Verstöße der Gegenseite herausstreicht, öffnet eine Flanke für all jene, die entgegnen: Mag sein, das war ein Fehler – aber ihr gebt ja selbst zu, daß ihr nicht besser seid. Vor allem Sozialdemokraten sind darin groß. Aber der Verweis auf fremde Verstöße rechtfertigt keine eigenen, und so kann Putins Rede auch gelesen werden. Wieder ist das implizit Gesagte das eigentlich Wichtige: Wenn ihr das Recht des Stärkeren anwenden wollt, dann werdet ihr sehen, daß wir nicht die Schwächeren sind. Hoffentlich war das kein Bluff. Der Westen hat die geopolitische Auseinandersetzung um den Schwarzmeerraum begonnen, ihn wird nichts als eine solide Abschreckung bremsen können.

Was die Zukunft der Krim im russischen Staatsverband angeht, machte Putin großzügige Versprechungen: drei Amtssprachen, Gleichberechtigung der Krimtataren und Unterstützung bei der Rückkehr in ihre historische Heimat. Wenn Rußland diese Zusagen einhält, erhebt es sich deutlich über die Standards, die die Ukraine schon bisher gegenüber ihren Minderheiten angewandt hat; es muß sie dann aber auch tatsächlich einhalten.

**** Aus: junge Welt, Mittwoch, 19. März 2014


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